Kapitel 19 - Möwenschiss oder Piratenschnarch
TW: Erbrechen
Ein Sonnenstrahl kitzelte ihn wach. Als er die Augen öffnete, fand er sich in einem fremden Zimmer wieder. Leise fluchend setzte er sich auf und bemerkte einen dumpfen Schmerz in seinem Kopf. Wo zur Hölle war er? Ein Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit nach rechts und er entdeckte eine seelenruhig schlafende Schönheit neben sich. Allerdings half selbst ihr Anblick seiner Erinnerung nicht. Erst, als er bemerkte, wie schlecht ihm eigentlich war, besann er sich auf den vergangenen Abend.
Langsam stand er auf und suchte seine Sachen beisammen. Er fand weder sein Geld, noch seine Socken. Er verfluchte den Teufel, den Schnaps und das Glücksspiel und entdeckte seine Socken schließlich an seinen Füßen. Daraufhin nahm er den Fluch für den Teufel kleinlaut zurück.
Langsam zog er sich an und wollte die Tür öffnen, doch der Lärm, den das verursachte, ließ ihn innehalten. Niemals zuvor hatte er eine Tür in einer solchen Lautstärke quietschen gehört. Die Bewohner des Ortes hielten wohl nicht viel von Öl und neuen Scharnieren.
Als er auf die Straße hinaus trat, konnte er sich nicht daran erinnern, hier schon einmal gewesen zu sein. Die Sonne blendete ihn und er übergab sich spontan an einer Häuserecke.
Infolgedessen ging es ihm ein bisschen besser. Unsicheren Schrittes stolperte er weiter, bis er das Wasser des Hafens glitzern sehen konnte und kurze Zeit später fand er auch Daemon, der an einer Hauswand lehnte und das Meer betrachtete.
„Hey Mann! Wo bist du gewesen?" Er gesellte sich an seine Seite und tätschelte ihm die Schulter. „Oh ja, verstehe." Daemon lächelte. „Nette Gesellschaft, nicht wahr?"
Er zog Jared in Richtung eines Schiffes, auf dem Poseidons Revenge stand. Der alte Käpt'n Tribor stand an der Reling und sah zu ihnen hinunter.
„Ihr seid spät!", schrie er.
Jared verzog das Gesicht. Die Worte des Piraten hallten schmerzhaft in seinem leeren und doch viel zu überfüllten Schädel wieder. Sein Kopf schien eine Rebellion gegen ihn starten zu wollen.
Eilig und weniger eilig begaben sich die beiden jungen Männer an Bord des Schiffes und ließen sich an Deck nieder, während um sie herum die Segel gesetzt wurden und sich das Schiff langsam einen Weg aus dem sicheren Hafenbecken heraus auf den offenen Ozean bahnte.
Dass sie dabei fast jedem der Seeleute im Weg waren, kümmerte sie wenig. Grübelnd versuchte Jared sich an den letzten Abend zu erinnern, doch seine Erinnerungen waren alles andere als aufdringlich.
„Nun erzähl doch mal....", forderte Daemon ungeduldig. „Was hast du letzte Nacht so... getrieben?"
Er wühlte in seinem Mantel herum, bis er etwas in ein Leinentuch eingewickeltes in der Hand hielt. Als er es auspackte, erkannte Jared es als einen halben Laib Brot, von dem Daemon ihm freundlich etwas abbrach. Dankbar nahm er das kümmerliche Frühstück entgegen.
„Ich hoffte, du könntest mir das sagen."
Jared erinnerte sich wohl an einige Sachen. Er wusste nur noch nicht, ob er sie akzeptieren konnte, oder sich wünschte, sie wären nie passiert. Es ärgerte ihn zutiefst, dass er offenbar sein Geld verloren hatte. Trotzdem war er sich sicher, es nicht haben zu wollen, falls seine Erinnerung stimmte und eine Menge Erbrochenes darauf gelandet war. Hilfreich war es trotzdem nicht.
„Nein, das kann ich beim besten Willen nicht. Ich hatte meine eigenen Angelegenheiten zu regeln..." Jared sah Daemon lächeln, als jener an die gestrige Nacht dachte. "Ich kann mich tatsächlich an jede wundervolle Einzelheit erinnern. Beinahe. Aber du kommst darin nicht vor." Sein schadenfrohes Grinsen reichte fast bis zu seinen Ohren. „Jedenfalls musst du ziemlich viel gesoffen haben, mein Lieber, du siehst nicht gut aus..."
„Danke, Daemon!" Zerknirscht biss Jared ein Stück von dem Brot ab und bedachte Daemons schadenfrohes Grinsen mit einem finsteren Blick. „In der ganzen Geschichte von: du siehst nicht gut aus, hat es wohl noch nie jemandem so wenig dabei geholfen besser auszusehen, als mir jetzt!" Er machte eine Pause. Entgegen seinen Erwartungen beruhigte sich sein aufgewühlter Magen durch das trockene Brot. Er nahm noch einen Bissen. "Daemon, sei ehrlich. Bist du jemals von einer Möwe angeschissen worden?"
Daemon musterte ihn für einen Augenblick. Dann fuhr er sich in einer aufgeregten Geste durch die Haare und übers Gesicht, die Jared ein Schmunzeln ins Gesicht zauberte.
"Nein", grummelte sein Freund schließlich, als er bemerkte, dass Jared ihn hereingelegt hatte.
"Hab gehört, es soll Glück bringen", überlegte Jared laut, mit einem skeptischen Blick zum Himmel.
Daemon runzelte ungläubig die Stirn.
„Nein, ich schätze, wir werden mit der Mannschaft zusammen im Schiffsbauch schlafen...", beantwortete er Jareds unausgesprochene Frage. Daemon verzog angewidert das Gesicht. Jared erkannte, dass er sich darüber bisher noch keine Gedanken gemacht hatte. "Es ist nicht schön, mit einer Piratenmannschaft zusammen schlafen zu müssen", flüsterte Daemon. "Du hast also die Wahl: Möwenschiss oder Piratenschnarch!"
"Pest oder Cholera, Köpfen oder Vierteilen, keine Ahnung", antwortete Jared missmutig.
In dem Moment läutete eine helle Glocke, die Seemänner riefen alle wild durcheinander und manche kletterten wild in der Takelage herum oder machten sonst irgendein Schifffahrtszeugs, dem Jared keinen Zweck entnehmen konnte, außer, dass es höllischen Lärm machte.
„Ich denke, wir sollten uns ein wenig umsehen, oder?" Unter Deck würde er vielleicht ein wenig mehr Ruhe finden. Und sich vor der Sonne verstecken können.
Daemon nickte stumm, erhob sich und zog auch Jared hinauf.
„Bitte, nach dir...", Daemon unterstrich seine Worte mit einer formvollendeten Bewegung. "Vielleicht finden wir ja noch etwas, das deine Lebensgeister wieder weckt. Vielleicht noch ein bisschen Schnaps?"
Jared verzog angeekelt das Gesicht und schob sich den Niedergang hinunter.
***
Das Schiff war zwar nicht allzu groß, besaß jedoch zwei Masten und befand sich nun bereits auf See, sodass sie ein etwas schnelleres Tempo anstrebten. Es wehte keine Flagge im Wind, da die Piraten unter keiner Flagge segelten. Käpt'n Tribor stand oben auf dem Achterdeck und beobachtete, wie seine beiden Passagiere sich auf den Weg machten.
Er hatte ein ungutes Gefühl dabei gehabt, den Sohn seines einstigen Käpt'n auf sein Schiff zu lassen. Besonders nicht, als er das Ziel dessen Reise erfahren hatte. Wieso nur ausgerechnet Brest? Er verfluchte sich und spuckte etwas, das zwischen seinen verbliebenen Zähnen gesteckt hatte, einem Matrosen vor die Füße, der soeben dabei gewesen war, die Planken zu schrubben.
"Mach das sauber!", befahl er.
Der Leichtmatrose sah nur kurz auf und widmete sich dann wieder kopfschüttelnd seiner Arbeit.
Das einzige, was sein aufgebrachtes Gemüt, abgesehen von dem regelmäßigen Auf und Ab der Wellen beruhigte, war die Tatsache, dass er wusste, dass Daemon die reinste Landratte war. Und dessen Freund sah noch weniger nach einem fähigen Seemann aus. Sie wären definitiv nicht dazu in der Lage ein Schiff ohne Hilfe nach Frankreich zu bringen. Es steckte wohl weniger als gedacht von seinem Vorfahren in Daemon. Außer vielleicht sein Hang zum Illegalen. Trotzdem hätte Tribor mit fortschreitender Flut sofort ohne die beiden abgelegt, hätte diese Landratte noch länger auf sich warten lassen. Er spielte mit dem Gedanken, die beiden vor der Küste Frankreichs einfach über die Planke zu jagen, um nicht in diesem verhassten, von den Gezeiten geplagten Hafen anlegen zu müssen.
***
Unter Deck brauchte es eine Weile, bis sich ihre Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten und sie sich in einem riesigen Schlafsaal wiederfanden, der bis zum hinteren Ende mit Hängematten gefüllt war.
„Zum Henker nochmal...", murmelte Jared, während er sich duckte, um mit dem Kopf nicht an einen der niedrigen Balken zu stoßen und wandte sich zu Daemon um. Es müffelte nach alten ungewaschenen Socken und ein Geruch nach Zwiebel-Kohl Gemüse bahnte sich seinen Weg aus der Kombüse hinaus.
„Warum zur Hölle tun wir uns das nochmal an?"
„Ähm." Daemon zeigte auf Jareds Brust, „Weil du wolltest! Besser gesagt, weil du so dumm warst und dir dein Herz hast stehlen lassen von diesem wunderschönen Geschöpf und nun nicht mehr Herr deiner selbst bist. Auch das Mädchen gestern hat dich nicht aus deiner Gefangenschaft befreien können." Er hielt kurz inne. „Drum musst du nun den Sold zahlen..."
Jared blieb stehen.
„Ich hab mir weder mein Herz stehlen lassen, noch hält mich irgendwer gefangen! Seit wann hast du so eine romantische Vorstellung von der Realität?" Jared hatte keine Ahnung, was dieses Gefasel um Dannielle sollte. Er wich einer schwingenden Hängematte aus, die nach altem Schweiß und Dreck roch. Er hätte sie Daemon gerne ins Gesicht geschleudert, aber er beherrschte sich.
„Du musst ja nicht gleich so gereizt reagieren, bloß weil ich recht habe und einen wunden Punkt treffe." Daemon wich der gleichen Hängematte aus, während er Jared weiter in die Eingeweide des Schiffs folgte.
„Ach, sei still und hilf suchen!" Jared war eine wundervolle Idee gekommen. Immerhin waren sie auf einem Piratenschiff. Und irgendwo mussten diese Menschen auch ihre Schätze lagern, fiel es denn da auf, wenn ein paar Münzen fehlten? Damit konnte er seine eigene leere Haushaltskasse wieder aufbessern.
„Was denn suchen?", Daemon überlegte. „Hast du wieder dein ganzes Geld versoffen, verspielt und verhurt, dass du neues brauchst? Jared, du bist wie ein kleiner Junge, du kannst genauso wenig mit Geld umgehen!"
Daemon hatte sich in eine Hängematte fallen lassen und schwang nun hin und her.
Jared musste unwillkürlich lächeln.
„Kleine Jungs machen andere Sachen mit ihrem Geld. Die haben noch Träume und Ziele", murmelte er. „Außerdem hast du mir nichts anderes beigebracht," fügte er mit einem vorwurfsvollen Blick in Daemons Richtung hinzu. „Und außerdem bin ich sehr wohl noch im Besitz meines Geldes!" Er hatte keine Ahnung, warum er das gesagt hatte. Vielleicht, um ein bisschen von seiner Kompetenz gegenüber seinem Freund zu wahren? Jared bückte sich, um eine Kiste zu durchsuchen. „Man kann nur niemals genug davon besitzen, nicht wahr?"
„Du bist dir sicher, Jared? Tu mir den Gefallen und schau in deine Tasche, damit ich beruhigt bin." Daemons Stimme hatte einen ungewohnten Befehlston angenommen.
Ertappt hielt Jared in seiner Bewegung inne und wandte sich um.
Sein Freund hatte eine allwissende Unschuldsmiene aufgesetzt und blickte ihn erwartungsvoll an.
Jareds Kiefer zuckte.
„So so, du bist also der gleiche Pechvogel wie eh und je", schlussfolgerte Daemon. „Kaum besitzt du etwas, verlierst du es wieder!"
„Das ist nicht wahr!", warf Jared ein. „Ich hab auch schon Dinge nicht verloren." Wütend stieß er den Deckel der Truhe zu, die er gerade durchwühlt hatte, um sich danach deprimiert auf den Boden sinken zu lassen.
„Hey!" forderte Daemon ihn auf. „Hör auf, die Einrichtung zu demolieren! Und räum' das wieder ein, du machst dir damit keine Freunde hier auf dem Schiff. Wir können froh sein, dass wir nicht in die Arbeit miteinbezogen werden, sondern einfach gemütlich darauf warten können, dass wir ein nettes Stückchen Land am Horizont sehen, klar?", sprach er mühsam beherrscht durch zusammengebissene Zähne. Einige Sekunden verstrichen, in denen keiner der beiden ein Wort sprach. Angespanntes Schweigen breitete sich aus.
Daemon gab sich einen Ruck.
"Du hast echt alles verloren?"
Jared massierte seine Schläfen mit den Fingern. Er nickte.
"Alles? Auch das Geld, das dir Altivos Verkauf eingebracht hat?"
Jared nickte erneut.
"Wie konnte dir das passieren? Da das Wirtshaus heute Morgen immer noch stand und offenbar niemand ermordet wurde, bin ich eigentlich davon ausgegangen, du hättest dein Vermögen in der Nacht verdoppelt, so wie ich dich kenne..."
"Willst du noch weiter darauf rumreiten?", fuhr Jared ihn scharf an.
Daemon lehnte sich feixend zurück und schaukelte weiter.
"Es hat jemand draufgekotzt", erklärte Jared schließlich in die Stille, die nur durch Daemons Schaukelgeräusche durchbrochen wurde. "Ist auch egal, es war ein gezinktes Kartenspiel. Ich war zu betrunken, um richtig zu bescheißen. Du musst froh sein, dass ich so verantwortungsvoll gehandelt habe."
Daemon atmete amüsiert durch die Nase aus.
"Du meinst, es hätte schlimmer kommen können?"
"Um Welten schlimmer."
"Niemand ist zu Tode gekommen, wurde entführt, bestohlen oder beraubt und alle Tiere, Gebäude und Straßen der Stadt sind noch intakt und an Ort und Stelle?"
Jared legte wie zum Schwur seine Hand aufs Herz.
"Bei meiner Ehre."
Jared lächelte ein düsteres Lächeln. Er erhob sich wieder und schlenderte durch den Raum. Am anderen Ende hatte er eine Unebenheit der Planken als Falltür identifiziert, die er öffnete. Als er hinunter sah, hellte sich seine Miene auf.
„Nun, mir scheint, es gibt doch noch Schätze auf diesem Schiff." In seiner Stimme schwang Belustigung mit.
„Du bist viel zu neugierig, Jared." Daemon war aufgesprungen und hatte trotzig die Arme vor der Brust verschränkt. Doch seine eigene Neugierde siegte und nachdem er sich noch einmal zur Tür gewandt hatte, huschte er zu Jared, um zu sehen, was er entdeckt hatte.
Dieser war indes eine kurze Leiter in den unteren Raum hinuntergeklettert und kam, als Daemon hinunterschaute, mit einer schmutzigen Flasche voll Flüssigkeit in jeder Hand wieder zum Vorschein.
„Hattest du gestern nicht genug, mein kleiner Säufer?" Daemon seufzte.
„Doch eigentlich schon, aber deine Anwesenheit lässt sich anders einfach nicht ertragen!", antwortete Jared, hob die eine Flasche zum Mund, hielt inne, roch an deren Inhalt, überlegte es sich anders und ließ sie wieder sinken.
„Meine Anwesenheit? Puh, das muss ich erst mal verdauen und zwar mit einem guten Schluck!" Daemon riss ihm die zweite Flasche aus der Hand und nahm einen großen Zug daraus.
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