Epilog - Der Wunsch eines todgeweihten Mannes
TW: Gewalt, Blut
Tenebros stand unbeteiligt da und beobachtete die Szene, die sich vor seinen Augen ereignete, ohne Emotion. Langsam ließ er seine Waffe sinken. Es gab keine Karte mehr. Der kleine Bastard von Dieb hatte sie in Flammen aufgehen lassen. Doch zumindest hatte der Herzog nun sein Juwel wieder zurück erhalten.
Es war schnell gegangen. Innerhalb von Minuten waren die beiden wertvollen Frauenzimmer aus dem Gotteshaus entfernt, der Rest des Sarges abgesucht und einige weitere Nischen und Schreine überprüft. Nichts.
Tenebros trat an den gefallenen Dieb heran, der noch immer bewusstlos am Boden der Kirche lag. Die Hände waren ihm bereits auf den Rücken gebunden. Man hatte ein paar unbedeutende Waffen in seiner Kleidung gefunden und entfernt. Blut tropfte von seiner Schläfe auf den kalten Marmor.
"Warum bist du nicht gestorben, als du die Gelegenheit dazu hattest?", sprach er leise zu der ohnmächtigen Gestalt und kniete sich nieder, seine Feuerwaffe bereit abzudrücken. Sanft, beinahe liebevoll strich er dem Dieb das Haar aus der Stirn. Wie zur Antwort begannen dessen Augenlider zu flattern. Bald würde er wieder bei Bewusstsein sein. Es würde nicht mehr lange dauern. Doch nur für ein paar Minuten, höchstens Stunden. Dann würde ihm endlich die gerechte Strafe zuteilwerden.
Als würde der Dieb sich gegen Tenebros unausgesprochene Gedanken zur Wehr setzen wollen schlug er mit einem Mal die Augen auf. Benommenheit trübte seinen Blick. Doch diese wandelte sich allzu schnell in Panik und er ruckte an seinen Fesseln.
Tenebros legte ihm drohend die Waffe an die Schläfe.
"Hör auf! Sprich kein Wort."
Der Blick des Diebes fand ihn und fokussierte ihn. Sein Atem ging schnell.
"Wirst du ruhig liegen bleiben und keine Probleme machen?" Er beobachtete fasziniert, wie sich die Gedanken im Bewusstsein des Diebes überschlugen und er seine Niederlage realisierte. Er blinzelte. In seinen Augenwinkeln schimmerte etwas, das auch Tränen hätten sein können. Tenebros wartete, bis er schließlich ein einziges Mal ergeben nickte.
"Gut!"
Ein Söldner trat an ihn heran.
"Bringt sie raus!"
Tenebros sah sich um. Daemon schien noch immer ohne Bewusstsein. Dessen Gesicht und Hemd waren so voller Blut, dass Tenebros daran zweifelte, dass er je wieder aufwachen würde. Zwei Söldner schleiften ihn an den Armen zwischen sich über den kalten Marmor in Richtung der Pforte. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Dieb zu seinen Füßen.
"Der geringste Fluchtversuch und du hast eine Kugel im Hirn, verstehst du? Kannst du alleine laufen?" Sein Gefangener nickte erneut.
Grob zerrte er ihn hoch. Der Dieb strauchelte, doch Tenebros zog ihn unerbittlich weiter mit sich aus dem Gotteshaus heraus auf den großen Vorplatz, auf dem James und der Herzog bereits warteten. Der Platz war voller Soldaten des Herzogs und Pferden. Zwei luxuriös aussehende Kutschen, eskortiert von dem Soldaten Raoul und einigen weiteren Söldnern, bogen soeben in eine Straße ein und verschwanden hinter einer Häuserecke. Tenebros atmete erleichtert aus. Die Herzogin war in Sicherheit. Und endlich auf dem Weg nach Hause.
Sein eiserner Griff verstärkte sich um den Arm des Diebes, der offenbar damit kämpfte, nicht wieder das Bewusstsein zu verlieren, bis sie neben Daemons regloser Gestalt angekommen waren. Das Blut der beiden Diebe färbte den Boden des Vorplatzes zwischen all den Söldnern bereits rot.
"Knie nieder", befahl er und sein Gefangener gehorchte atemlos. Tenebros legte ihm den Lauf der entsicherten Waffe in den Nacken wie eine stumme Drohung. Dann wartete er geduldig.
Es dauerte nur ein paar Augenblicke, bis James van Holt sich an seine Seite begab.
"Es hat sich ergeben, dass wir hier zu diesem Moment keine Hinrichtung durchführen werden." Die Worte des Adeligen klangen kalt und besonnen in Tenebros Ohr.
"Mylord?"
James nickte mit dem Kopf in die Richtung des Kirchenportals, vor dem sich einige Mönche in braunen Roben versammelt hatten. Sie schienen zu beten.
"Es gibt einige Handel, die geschlossen wurden, Ideen, die ausprobiert werden wollen. Die Entscheidung des Herzogs steht fest. Heute Nacht keine Hinrichtung."
Tenebros konnte nicht verhindern, dass seine Lippen sich im stummen Protest öffneten. Doch dann besann er sich und senkte ergeben sein Haupt.
"Wie Ihr befehlt."
Der Blick des Adeligen fokussierte die beiden Diebe genau. Tenebros beobachtete, wie sich seine Nasenflügel weiteten. Dann trat er den knienden Dieb in die Seite, sodass dieser umfiel und mit einem schmerzerfüllten Stöhnen auf seinem Gefährten zum Liegen kam.
"Bereite die Gefangenen für die Heimreise vor."
"Mylord!" Tenebros neigte den Kopf erneut in einer kleinen Verbeugung. James van Holt entfernte sich.
Ein Söldner brachte zwei vorbereitete Schlingen, doch ehe Tenebros den Dieb wieder auf die Beine ziehen konnte, hatte dieser sich bereits selber wieder in eine kniende Position gebracht.
"Mylord Tenebros."
Die Stimme des Diebes war ein heiseres Krächzen.
"Halt dein vorlautes Mundwerk!", entfuhr es ihm. "Muss ich dir einen Knebel anlegen?" Dass die beiden Entführer zumindest für heute Nacht ihrem Schicksal entgehen sollten, machte ihn rasend. Doch der Dieb erhob seine Stimme erneut.
"Ich bitte Euch. Er stirbt, wenn Ihr ihn durch die Straßen schleift. Lasst mich..." Er musste angestrengt schlucken. "Legt mir die schwersten Ketten an, die besten geschmiedeten Eisen, aber... Macht es so, dass ich ihn tragen kann."
Tenebros entfuhr ein abfälliges Lachen.
"Du glaubst, du darfst um etwas bitten?"
Der ungebrochene Wille in den kalten blauen Augen des Diebes jagte ihm Schauer über den Rücken, als dieser kurz zu ihm aufsah, ehe er voller Demut den Blick senkte.
"Den letzten Wunsch eines todgeweihten Mannes seinen Freund tragen zu dürfen, könnt Ihr nicht ausschlagen."
Tenebros biss hart die Zähne zusammen und schloss die Augen. Der Dieb appellierte an sein Ehrgefühl. Er war versucht, ihm diesen letzten Wunsch zu verwehren. Ein heiseres Husten riss ihn schließlich aus seiner Starre.
"Ich bitte Euch..."
"Sei still, verflucht."
Tenebros bellte ein paar Befehle. Und nach ein paar weiteren Augenblicken brachte ein gesichtsloser Söldner ihm ein paar eiserne Handschellen, zwischen die ein paar Kettenglieder geschmiedet waren.
"Eine falsche Bewegung...", knurrte er.
Der Dieb nickte gehorsam.
Tenebros durchschnitt das enge Seil, das die Hände des Diebes auf dem Rücken zusammenband und legte ihm die Eisen an. Das Metall klirrte kalt, als er den Schlüssel daraus hervorzog. Eine weitere lange Kette legte er um dessen Hüfte und Oberkörper und verband deren anderes Ende mit dem Knauf seines Sattels, sodass der Dieb ihm nicht würde entkommen können.
Dann beobachtete er gelassen, wie der Dieb den Arm seines Freundes um seine Schultern zu legen versuchte, mehrere Male scheiterte, ehe er es schaffte ein paar Schritte mitsamt seiner Last zu laufen.
Inzwischen hatte sich ein fackeltragender Zug aus Söldnern und Kutschen gebildet, bereit in die nächtliche Stadt und nach Norden aufzubrechen.
"Du wirst ihn nicht bis nach Brest tragen können", schüttelte Tenebros den Kopf und saß auf. Die Aufmerksamkeit des Diebes richtete sich auf ihn.
"Ich kann. Und ich werde."
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