Vater und Tochter
Der Kampflärm war allgegenwärtig, Orks und Zwerge waren auf dem ganzen Berghang in verbitterte Gefechte verwickelt.
Mit weit ausholenden Schlägen seines Schwertes hielt Skafid die angreifenden Orks auf Distanz. Seine Klinge bohrte sich in das Fleisch eines Gegners. Schwarzes Blut spritzte hervor und besudelte seine Rüstung.
Direkt neben dem Krieger kämpfte Prinzessin Fenja. Mit lauten Kampfschreien wirbelte die Zwergin umher, ihre gefürchteten Wurfdolche fanden fast jedes Ziel, während sie gekonnt mit ihrem Kurzschwert jeden Angriff abwehrte. Seit sie sich den Steinbärten angeschlossen hatte, hatten sie in so manchem Gefecht Seite an Seite gekämpft und Skafid bewunderte die junge Frau für ihre Kunstfertigkeit mit der Waffe.
Nicht weit von ihnen schwang Jari seinen Hammer, jeder von ihm getroffene Gegner sackte augenblicklich zu Boden. Kaum einer wagte sich an den bärbeißigen Krieger heran.
Zwei Orks stürmten auf Skafid und Fenja zu, die sich einen kurzen Blick zu warfen und dann zum Angriff übergingen. Klingen prallten aufeinander, hektisch wich Skafid einem Hieb aus, sein Schwert fuhr herum und wurde wieder abgewehrt. Ein scharfer Schlagabtausch mit dem Ork folgte, der jedoch Stück für Stück zurück wich.
Da gelang es Skafid, das Schwert des Orks so zu treffen, dass es zur Seite geschleudert wurde. Noch bevor sein Gegner reagieren konnte, hatte das Schwert des Zwerges dessen Hals durchtrennt.
Ein markerschütternder Schrei ertönte hinter ihm. Skafid wirbelte herum. Dort stand Fenja, die Hand blutüberströmt auf die sie mit weit aufgerissenen Augen hinab starrte. Der Ork vor ihr holte zum Streich aus. „Fenja!", schrie Skafid und die Zwergin reagierte instinktiv. Ein Satz nach vorne und ein Dolch bohrte sich in den Hals des Orks.
Doch während der Ork zu Boden stürzte, sackte auch Fenja auf die Knie. Ihr Schwert fiel klirrend zu Boden und mit schmerzverzerrtem Gesicht umklammerte sie ihre linke Hand. Skafid stürzte auf sie zu, fiel neben ihr zu Boden und griff nach ihrer Hand. Grauen erfüllte ihn. Zwei Finger an der Hand fehlten. Überall war Blut, durchtränkte Fenjas Handschuh, ihren Ärmel, benetzte ihren Rock. „Fenja!", rief er aus und versuchte hektisch mit einem Stück Tuch die Blutung zu stillen. Doch die Zwergin schien einer Ohnmacht nahe zu sein.
Etwas hartes traf Skafid am Schädel und von plötzlicher Dunkelheit umgeben, sackte er vornüber.
Thorin stand hoch oben auf der Wehrmauer des Erebor und blickte hinaus auf die Ebene zwischen dem einsamen Berg und Thal. Es war ein schöner Frühlingsmorgen, die Sonne schien warm auf ihn herab und er konnte Vögel singen hören.
Endlich hatten sich die Schneefelder zurück gezogen und nur noch der Gipfel des Erebor war von einer weißen Mütze bedeckt. Die Bäume des Waldes unter ihm zeigten ihre ersten jungen Triebe, deren zartes Grün im Licht der Sonne leuchtete.
Die Zwerge des Berges hatten vor wenigen Wochen begonnen, auf den Feldern die erste Saat des Jahres auszubringen. Und in Thal wurden nun wöchentlich Märkte abgehalten.
Es war ein ganz normaler Frühling, so wie Thorin sie hier am Erebor schon dutzende erlebt hatte. Und doch war alles anders. Nur wenige Händler zogen nun fort, um ihre Waren in anderen Gegenden Mittelerdes anzubieten und die, die gingen, wurden von schwer bewaffneten Leibwachen begleitet. Die Besucher auf den Märkten wurden weniger. Die Verteidigungsanlagen des Erebor wurden pausenlos erweitert, während Wachen am Berg und im Umland patrouillierten. Viele Zwerge waren nun ausgesandt, die Grenzen ihres Landes zu verteidigen. Tagein, tagaus beschäftigte Thorin sich mit Lageberichten von der Front, entschied über Angriffe oder Truppenbewegungen und bangte um sein Volk. Täglich wurden nun Gebete in den Tempeln des Erebor für die kämpfenden Soldaten abgehalten und immer wieder erhielt eine Familie die grausame Nachricht vom Tod eines Verwandten, gefallen im Kampf.
Es herrschte Krieg. Fili war schon seit Monaten nicht mehr im Erebor gewesen, er reiste von einem Stützpunkt des Heeres zum nächsten und erstattete seinem Onkel per Botenvogel Bericht. Auch Dwalin pendelte zwischen dem Berg und der Front hin und her. Die Ausbildung neuer Soldaten hatte Kili nun übernommen. Der Bedarf an Soldaten war hoch und immer mehr Zwerge zogen in die Schlacht.
Besorgt runzelte Thorin die Stirn. Er konnte nur zu Mahal beten und hoffen, dass der Krieg bald vorbei sein würde.
„Was schaust du so ernst?", erklang neben ihm eine Frauenstimme und irritiert drehte er den Kopf.
Da stand Zahina, ihn mit breitem Grinsen musternd. „Es ist ein wunderbarer Frühlingstag und du blickst so finster drein.", lachte sie.
„Wir haben Krieg.", brummte Thorin, doch er freute sich, Zahina zu sehen.
Die Zwergin schüttelte den Kopf. „Tagtäglich befasst du dich mit diesem Krieg und vergisst dabei vollkommen, dass es auch Schönes gibt.", erwiderte sie und lächelte ihn warm an.
Mit nachsichtigem Schmunzeln erwiderte er ihren Blick. Wie immer war Zahina äußerst prachtvoll gekleidet, mit einem hellroten Kleid, verziert mit goldenen Stickereien und weißer Spitze, das einen schon recht gewagten Ausschnitt aufwies. Ihr schwarzes Haar reflektierte den Schein der Sonne, sodass es schien, als wäre ihr Haupt mit einer dünnen Schicht Blattgold überzogen.
Sie war beileibe nicht mehr das hübsche, kleine Mädchen, das ihn früher um den Verstand gebracht hatte, doch strahlte sie nun eine ganz andere Schönheit aus, die einer gereiften Frau, die ihn nun voller Freundlichkeit anstrahlte.
Thorin atmete tief durch und sah auf die Ebene vor ihm. Zahina hatte recht. Es war ein wunderschöner Tag.
Sacht schoben sich Zahinas Finger in seine Hand. Verwundert sah er zu ihr, ließ die Berührung aber zu.
„Wir müssen dich hin und wieder auf andere Gedanken bringen.", begann Zahina, „Was hältst du von einem Ausritt? Wir könnten an den See reiten und ein Picknick mitnehmen. Nur wir zwei, keine Wachen, so wie früher."
Thorin lächelte. Der Gedanke war wirklich schön.
„Das klingt wunderbar, Zahina. Aber ich fürchte, dafür werde ich kaum Zeit finden.", sagte er.
Da bewegte sich etwas am Waldrand und sie erblickten eine Gruppe Zwerge, die auf der Straße erschienen.
Der Vorderste der Zwerge hob eine der Signalfahnen, die die Soldaten nutzten, um sich über weite Distanzen zu unterhalten.
„Was ist?", fragte Zahina, während der Soldat seine Fahne schwang.
Thorin richtete sich alarmiert auf. „Rückkehrer der Steinbärte von den Eisenbergen. Sie haben Verwundete dabei.", sagte er und löste seine Hand aus der Zahinas., „Ich muss zum Tor."
„Ich komme mit dir.", erwiderte Zahina, „Wir sollten beide für unser Volk da sein."
Rasch eilte Thorin die Treppen vom Wehrgang hinab, Zahina im Gefolge. Als er eben das Tor erreichte, sah er, wie auch Kili herbei kam, offenbar hatte auch er die Ankunft der Soldaten bemerkt.
Das große Tor schwang auf und ließ die Soldaten ein. Es waren etwas mehr als ein Dutzend Zwerge, die meisten von ihnen auf Ponys, die Verletzungen notdürftig mit Bandagen versorgt. Doch sie hatten auch einen Karren bei sich, auf dem drei Verwundete lagen.
Der vorderste der Zwerge, der auch das Signal gegeben hatte, stieg von seinem Pony und trat sichtlich nervös auf den König zu.
„Berichte!", befahl Thorin und musterte den Zwerg ruhig.
„Mein König, ich bringe einige unserer Verletzten, die wir nicht im Lager an der Front angemessen versorgen können.", begann der Zwerg leicht stotternd. Thorin nickte. Relativ oft wurden Verwundete zum Berg gebracht, um dort im Hospital von Doris Heilern versorgt zu werden.
Er betrachtete die Versammelten, als der Zwerg wieder zum Sprechen ansetzte, „Eure..." Da blieb sein Blick an dem Karren hängen und sein Herz blieb stehen. Die Worte des Soldaten hörte er gar nicht mehr.
Von plötzlicher Panik erfüllt stürzte Thorin nach vorne, schob einen Zwerg beiseite und kam vor dem Karren zum Halten. Dort, neben einem blonden Krieger mit schwerem Kopfverband, lag seine Tochter, Fenja...
„Was ist mit ihr passiert?", brach es aus ihm heraus. Kaum nahm er wahr, dass Zahina und Kili ihm gefolgt waren. Suchend schoss sein Blick umher, da erblickte er den blutgetränkten und verkrusteten Verband an Fenjas linker Hand. „Bei Mahal!", flüsterte er voll Grauen. Er zog Fenja zu sich heran, schlang die Arme um sie. Die junge Frau murmelte etwas, kam aber nicht zu Bewusstsein. Sie war so bleich... Ihre Haut glühte.
„Fenja...", rief er sie, doch sie reagierte nicht. „Was ist geschehen?", verlangte er erneut zu wissen. Der Soldat trat an ihn heran, verängstigt von dem Anblick seines aufgebrachten Königs. „Sie verlor zwei Finger im Kampf...", sagte er zaghaft.
Etwas kaltes umklammerte Thorins Herz. Unendlich liebevoll strich er eine krause Haarlocke aus Fenjas verschwitztem Gesicht. Dann hob er sie in seine Arme und drehte sich herum. „Ich bringe sie ins Hospital. Kili, du nimmst den Bericht entgegen.", sagte er knapp, dann lief er los, alle anderen um sich her ignorierend.
Federleicht erschien Thorin seine Tochter, als er sie mit eiligen Schritten durch die Eingangshalle und in die Gänge des Berges trug. Die Blicke, die ihnen folgten, beachtete er nicht. Sorgenvoll sah er immer wieder auf Fenja hinab, erfüllt von einer Angst, so stark, wie er sie nie für möglich gehalten hatte.
„Dori!", brüllte er, als er das Hospital erreichte. Unzählige Köpfe drehten sich nach ihnen um. Er war noch nicht weit in die Halle hinein gelaufen, da kam ihm Dori entgegne geeilt. „Thorin!", rief er, „Was in Mahals Namen...?"
Doch da sah er bereits die ohnmächtige Prinzessin in den Armen des Königs, dessen Blick so voller Angst und Flehen war, wie Dori es noch nie gesehen hatte. „Wir brauchen ein Bett!", rief er über die Schulter seinen Heilern zu und wenig später wurde Thorin ein Bett gewiesen, wo er seine Tochter hinlegen konnte.
„Unterrichtet die Königin.", murmelte Dori noch einem Heiler zu, der rasch davon lief.
Thorin kniete sich ans Kopfende des Bettes. „Fenja...", flüsterte er, „Fenja, mein Mädchen." Ohnmächtige Verzweiflung erfüllte ihn. Er konnte nichts tun, außer hier zu sitzen und zu beten, dass die Verletzungen seiner Tochter nicht zu schwer waren.
Voller Grauen beobachtete er, wie Dori den Verband rasch ablöste und der Magen wollte sich ihm umdrehen, als die Hand seiner Tochter frei gelegt wurde. Wo kleiner Finger und Ringfinger eigentlich hätten sein sollen, waren nur zwei blutverkrustete Stummel übrig.
Fenja murmelte etwas und warf unruhig den Kopf hin und her. „Ruhig, mein Kleines...", brummte Thorin sachte und streichelte ihr Gesicht, während Dori begann, die Wunden zu säubern.
„Meine liebe Schwester!
Ich hoffe, dieser Brief erreicht dich und deine Familie bei guter Gesundheit. Sicher halten dich die Regierungsgeschäfte des Erebor beschäftigt, doch ich vermute, dass du und deine Familie diese Herausforderungen ohne Schwierigkeiten meistern.
Hier in Imladris verändern sich die Dinge nun langsam aber stetig. Der Herbst unseres Volkes ist endgültig herein gebrochen und immer mehr Elben verlassen das letzte heimelige Haus vor der See. Als Elronds rechte Hand bleibe ich hier, bis mein Herr mich fort schickt. Meine Gedanken sind bei dir, denn ich fürchte, mehr als einen brieflichen Abschiedsgruß werden wir nicht teilen können
Es soll meine Aufgabe werden, die Herrin Arwen in den Westen zu geleiten. Doch diese weigert sich, über die Abreise nachzudenken. Ihr Herz gehört einem Dunedain des Nordens, der hier in Imladris aufwuchs und sie will bei ihm bleiben. Eine ganz ähnliche Wahl hast auch du getroffen, sodass ich Arwens Wunsch nur zu gut verstehen kann..."
Mild lächelnd strich Lyrann über den mit feiner Hand beschriebenen Brief ihre Bruder Lindir. Seit sie sich das letzte Mal vor Jahren in Bruchtal gesehen hatten, standen sie in regelmäßigem Briefverkehr. Auch wenn sie einander nicht sahen, fühlte sie sich ihm doch nah durch diese Art des Kontaktes und war dankbar darum, endlich ihren Bruder gefunden zu haben.
Das Schreiben hatte eine Händlergruppe aus Imladris mitgebracht, zusammen mit einem weiteren Brief an Lyrann. Die Händler waren über Monate unterwegs gewesen und vermutlich hatten ihre Wege sich mit dem Gimlis und Gloins gekreuzt, die Lyrann ausgesandt hatte, um Elrond von den Entwicklungen hier zu berichten.
Vorsichtig öffnete sie den zweiten Brief, der genau wie Lindirs Brief auf den Herbst des vergangenen Jahres datiert war. Erfreut stellte sie fest, dass er von ihrer Freundin Arrian war, die von gelegentlichen Reisen durch Mittelerde, welche sie bis nach Gondor geführt hatten, noch immer in Imladris weilte.
„Meine liebe Lyrann!
Ich schaffe es gerade so, mir zwischen zwei Patroullienritten die Zeit für diesen Brief zu nehmen und so dein letztes Schreiben zu beantworten. Ich hoffe, dir geht es gut und die Liebe zwischen dir und deinem Mann ist noch immer so wie damals, als ihr uns in Imladris besucht habt. Wie geht es deinen Kindern? Erzähl mir bitte von ihnen, hat Fenja es mittlerweile geschafft, ihren Vater dazu zu überreden, zur Soldatin ausgebildet zu werden? Und verschlingt Rhon noch immer jedes Buch, das ihm unter die Finger kommt? Frerin scheint sich ja zu einem großen Handwerker zu entwickeln. Und wie ergeht es Thrain in seiner Rolle des Hauptmannes?
Ich werde hier gut beschäftigt gehalten. Wir beobachten immer häufiger Angriffe auf unsere Grenzen. Mittlerweile kommt es fast täglich zu Scharmützeln. Orks, Warge, ja sogar Trolle drängen bis an die Furt des Bruinen vor. Mein Geliebter und ich haben alle Hände voll zu tun, die Angriffe im Zaum zu halten.
Elrond sagt es mir nicht, aber Lindir und mir viel auf, dass er sich Sorgen macht. Irgendetwas passiert hier Lyrann, ich weiß noch nicht was, aber wir müssen wachsam bleiben..."
Seufzend legte Lyrann den Brief aus der Hand. Es tat gut, von ihrem Bruder und ihrer Freundin zu lesen, auch wenn sie die weite Entfernung zwischen ihnen schmerzte.
Sie hatte damit gerechnet, dass ihr Bruder früher oder später von seiner bevorstehenden Abreise schreiben würde und so war sie darauf vorbereitet gewesen. Für jeden Moment, den sie ihn ihren Bruder nennen durfte, war sie dankbar.
Der Brief Arrians jedoch erfüllte sie mit Sorge. Demnach waren nicht nur hier am Erebor Kämpfe ausgebrochen. Ganz Mittelerde war von Unruhe und Krieg erfüllt. Sie ahnte, dass die Situation in Imladris sich seit dem der Brief abgeschickt wurde, noch weiter verschlimmert hatte.
Es klopfte an ihrer Tür.
„Ja?", rief sie und ein Heiler trat ein, das Gesicht hochrot und stark außer Atem, als wäre er gerannt. Verwundert begegnete die Königin seinem Blick. „Was ist passiert?", fragte sie.
„Herrin... Es sind Verwundete der Steinbärte zum Berg gekommen.", keuchte der Mann, „Eure Tochter ist unter ihnen."
Mit einem Satz war Lyrann auf den Füßen.
„Sie ist im Hospital.", sagte der Heiler noch, da stürmte Lyrann bereits an ihm vorbei.
Mit gerafften Röcken rannte sie den Korridor des königlichen Flügels entlang. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was ihrer Tochter zugestoßen war, dass man sie hierher gebracht hatte. Das zunehmende Seitenstechen ignorierend hetzte sie weiter, voller Angst und Sorge um ihr Kind. Thrain war schon fort, sie konnte nicht auch noch Fenja verlieren!
Endlich erreichte sie das Hospital, wo sie innerhalb kürzester Zeit Thorin an einem Bett erspähte.
„Thorin!", rief sie und hastete auf ihn zu. Neben dem Bett fiel sie auf die Knie. Dort lag ihre Fenja, blass und ohnmächtig. Der Anblick zerschnitt ihr Herz.
„Was ist passiert?", bedrängte sie ihren Mann. „Sie hat im Kampf zwei Finger verloren...", brachte dieser mit brüchiger Stimme hervor.
Noch nie hatte sie ihn so aufgelöst gesehen. Mit zitternden Händen strich er wieder und wieder über Fenjas Stirn. Geschockt starrte Lyrann auf ihre Tochter hinunter. Zwei Finger... Die junge Frau musste viel Blut verloren haben. Ihr Blick blieb an dem frischen Verband der linken Hand hängen, den vermutlich Dori angelegt hatte. Der bloße Gedanke, dass Fenja die Verletzung nicht überstehen würde, war zu viel für sie. Und selbst wenn, würde Fenja wieder kämpfen können? Mit welchen Einschränkungen würde ihre geliebte Tochter leben müssen. Tränen sammelten sich in Lyranns Augen. Sie musste doch irgendetwas tun können!
„Ich wollte nie, dass so etwas passiert!", brach es aus Thorin heraus., „Ich wollte nicht, dass sie kämpfen geht. Hier wäre sie in Sicherheit gewesen! Aber man kann Fenja nicht einfach einsperren. Ich habe sie wissentlich in die Gefahr geschickt und wenn sie nun..."
Seine Stimme brach weg und er suchte hilflos Lyranns Blick. „Ich könnte damit nicht leben, Lyrann...", flüsterte er tonlos, „Wenn unsere Fenja... Mein kleines Mädchen!" Er konnte es nicht aussprechen.
Lyrann erwiderte seinen Blick, sah die gleiche Angst und Verzweiflung in seinen Augen, erblickte eine einzelne Träne, die über Thorins Wange rann.
Sie schlang die Arme um Thorin und hielt sich an ihm fest, während sie mit aller Kraft versuchte, nicht daran zu denken, dass so mancher Soldat an einer derartigen Wunde bereits verstorben war. Ihr Mann erwiderte die Umarmung und so saßen sie eine Weile einfach nur da, hielten einander fest und spendeten sich gegenseitig Trost.
Leises Stöhnen erklang vom Bett her. Sofort lösten Lyrann und Thorin ihre Umarmung und wandten sich ihrer Tochter zu. „Fenja?", fragte Lyrann zaghaft und ergriff die unverletzte Hand ihrer Tochter.
Und da, tatsächlich, Mahal sei gelobt, begannen die Augenlider der jungen Zwergin zu flattern und ganz langsam öffnete sie die Augen. Eine Weile war ihr Blick noch trüb, wanderte suchend hin und her, bis sie ihre Eltern erblickte.
„Adad! Amad!", krächzte sie leise. „Fenja!", riefen sie beide zeitgleich. Überwältigt vor Dankbarkeit schlangen sie die Arme um die Kriegerin.
Die Tage vergingen und Fenja war sehr langsam auf dem Weg der Besserung. Der Blutverlust war zwar stark gewesen, doch ihr Körper hatte die Anstrengung bewältigen können. Hatte sie anfangs noch viel geschlafen und immer wieder Fieber entwickelt, so war sie nun die meiste Zeit des Tages wach.
Dank Doris hingebungsvoller Pflege verheilte die Wunde gut und kam die Zwergin Stück für Stück wieder zu Kräften. Mutter und Vater besuchten sie manchmal mehrmals täglich, um ihr Gesellschaft zu leisten.
Doch auch wenn es Fenja körperlich besser ging, so litt doch ihr Geist an der Verwundung. Es war eine schwere Verletzung, die sie für den Rest ihres Lebens zeichnen würde. Nachts hatte sie Alpträume von dem Kampf, in dem sie nieder gestreckt worden war, tagsüber grübelte sie darüber, wie sie mit ihrer Beeinträchtigung würde leben können.
Thorin lief rasch den Korridor zum Hospital entlang, um nach seiner Tochter zu sehen. Er war Mahal jeden Tag aufs Neue dafür dankbar, dass er seine schützende Hand über Fenja gehalten hatte und sie ihnen nicht entrissen hatte. Und nun würde er jeden Moment nutzen und genießen, den er mit der jungen Frau verbringen konnte.
Er verspürte tiefes Mitgefühl für sie, war er doch auch im Kampf verwundet worden und musste seit dem mit der Einschränkung seiner Beweglichkeit leben. Thorin wusste, welch langer Weg noch vor seiner Tochter lag, aber hatte er keine Zweifel daran, dass sie es schaffen würde. Sie war von all seinen Kindern das mit dem stärksten Willen, eine wahre Erbin Durins.
Zudem hatte sie Glück im Unglück gehabt, hätte sie andere Finger ihrer Hand verloren, würde sie wohl nie wieder kämpfen können. So würde sie zwar viel und hart trainieren müssen, aber in der Lage sein, ein Schwert zu führen, wäre sie allemal. Auch wenn Thorin bei dem Gedanken erneut ganz kalt vor Angst wurde, denn das hieße, Fenja wieder großer Gefahr auszusetzen.
Er erreichte das Hospital und fand nach einem kurzen Gespräch mit Dori rasch das Bett seiner Tochter.
Aber dort war schon jemand. Auf einem Stuhl neben Fenjas Bett saß der gleiche blonde Krieger, der mit einer Kopfverletzung gemeinsam mit Fenja in den Berg gebracht worden war. Der Verband an seinem Kopf war entfernt worden und er wirkte wieder gesund und munter.
Verwundert blieb Thorin stehen und beobachtete die beiden mit vor der Brust verschränkten Armen.
Fenja saß halb aufrecht auf einige Kissen gestützt im Bett und unterhielt sich mit dem jungen Mann. Thorin verstand ihre lebhafte Unterhaltung nicht, doch er sah Fenjas leuchtende Augen und das Lachen auf ihrem Gesicht. Als die Zwergin ihre Position etwas verändern wollte, stand der Krieger auf und stopfte ihr hilfsbereit ein zusätzliches Kissen in den Rücken. Dankbar lächelte sie ihn an.
Eine seltsame Gefühlsmischung stieg in Thorin empor. Auf der einen Seite freute er sich, Fenja glücklich zu sehen, die letzten Tage und Wochen waren schwer für sie gewesen und meist war sie trübselig und deprimiert gewesen. Doch gleichzeitig beschlich ihn Argwohn. Was machte dieser Krieger so nahe bei seiner Tochter? Warum gingen sie so vertraut miteinander um?
Er machte einen Schritt auf die beiden zu und da erblickte Fenja ihn. Fröhlich winkte sie ihrem Vater zu und der junge Krieger drehte sich herum.
Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht, als er sich seinem König gegenüber fand. „Mein König!", stammelte er und verneigte sich. Wortlos erwiderte Thorin den Blick des jungen Mannes, der schließlich einen eiligen Abschiedsgruß Fenja zu murmelte und davon eilte.
Fenjas Blick folgte ihm und löste sich erst von dem Blonden, als Thorin am Bettrand Platz nahm und sie sachte auf den Haaransatz küsste.
„Du magst ihn.", stellte Thorin fest, der das Gesicht seiner Tochter ruhig studierte.
„Skafid ist ein guter Freund.", erwiderte Fenja nur und erwiderte seinen Blick. Thorin zog die Augenbrauen in die Höhe, sagte aber nichts.
„Er hat mit mir gekämpft und ist verwundet worden, als er mir helfen wollte. Nun bin ich froh, dass er hier ist. Mit ihm zu reden, bringt mich auf andere Gedanken.", erklärte sie.
Thorin nickte. „Wie geht es dir, mein Kind?", fragte er.
Fenja seufzte. „Ich hatte heute Nacht wieder Alpträume.", erzählte sie leise und mitfühlend schloss Thorin sie in die Arme.
„Das vergeht, Fenja, versprochen.", beruhigte er sie. An seine Schulter gelehnt sagte Fenja leise: „Ich kann sie mir nicht ansehen, meine Hand... Es ist..." Ihre Stimme stockte. „Ich bin entstellt und nichts wird so sein wie früher."
Tröstend strich Thorin ihr über das Haar, mit einem Mal wünschend, er hätte die Unterhaltung der beiden jungen Leute nicht unterbrochen, dann würde seine Tochter jetzt noch lachen. Sanft griff er nach ihrer verwundeten Hand und barg sie in der Seinen.
„Manche Dinge ändern sich nicht Fenja. Du bist und wirst immer meine Tochter sein. Und du wirst immer die starke, unbeugsame Frau sein, zu der du heran gewachsen bist.", erwiderte er.
„Was wenn ich nie wieder kämpfen kann? Was wenn mich nie jemand ansehen will, aufgrund meiner Hand?", rief Fenja und richtete sich auf.
Mild lächelnd erwiderte Thorin ihren Blick und er spürte die altbekannte Angst, bei der Vorstellung, dass seine Tochter eines Tages wieder auf dem Schlachtfeld stehen könnte. „Du wirst wieder kämpfen können, so wie auch ich lernte, nach meiner Verletzung wieder zu kämpfen oder dein Vetter Fili nach dem Verlust seines Auges. Und was das andere angeht...", er seufzte leise, „ich denke, diesen Skafid stört deine Hand schonmal nicht."
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