Staatsbesuch
Mit weit ausgreifenden Schritten ging Lyrann durch den Korridor in Richtung der großen Vorhalle, bereit zusammen mit Mann, Sohn und Dwalin zu Thranduil zu reisen, wo ihr Neffe Kili sie bereits gemeinsam mit Tauriel erwartete. Waffen und Rüstung der Königin klapperten mit jedem Schritt und die Zwerge, an denen sie vorbei kam, wichen rasch beiseite und verneigten sich vor ihrer Herrscherin.
Sie durchquerte den Thronsaal, die vordere der Haupthallen und durchschritt schließlich das große Portal, das Vorhalle von erster Haupthalle trennte. Viele Zwerge waren zusammen gekommen, um den Aufbruch ihres Königspaares zu verfolgen.
Eine ganze Gruppe Kriegsziegen warteten bereits auf sie. Dwalin stand dort, gemeinsam mit einem dutzend Soldaten der königlichen Wache. Bei ihnen waren Rhon, der sie in den Düsterwald begleiten würde, sowie Frerin und Dís, die gemeinsam Thorin und Lyrann vertreten würden.
Lyranns Blick blieb an Dwalin hängen, der ihr mit funkelnden Augen entgegen sah. Er hatte darauf bestanden, dass sie eine große Garde an Soldaten mitnehmen würden, die Kriegsziegen reiten würden und gerüstet reisen sollten. Und so hatte Lyrann zum ersten Mal seit langer Zeit ihr Mithrilkleid angelegt, das von Thorin geschmiedete Schwert hing an ihrer Hüfte, gemeinsam mit einem elbischen Dolch. Pfeile und Bogen hingen über ihrer Schulter. Deutlich spürte sie das Gewicht der Rabenkrone der Königin auf ihrem Kopf.
Die Köpfe der Versammelten drehten sich ihr zu und Stille legte sich über die Vorhalle, als sie in dieser funkelnden Gewandung auf ihre Familie zuschritt. Respektvoll wichen die Zwerge beiseite, keiner wagte es, ihrem Blick zu begegnen. Selbst Dwalin wirkte von ihrem Auftreten eingeschüchtert. Thorin war noch nicht anwesend, ihres Wissens hatte er noch eine letzte Sitzung mit dem Rat gehabt. Mit einem dankbaren Nicken nahm sie von Dwalin die Zügel eines der Reittiere entgegen.
Dann sah sie zu Frerin. „Kommst du klar?", fragte sie ihn leise. Ihr Sohn straffte sich und nickte. „Das werde ich.", erwiderte er selbstsicher und dennoch meinte Lyrann, eine Spur Nervosität in seiner Stimme zu hören. Dís trat neben den jungen Mann und lächelte warm. „Der Erebor ist in äußerst fähigen Händen Lyrann.", erwiderte sie beruhigend.
Ein Raunen verkündete die Ankunft des Königs und wie von selbst teilte sich die Menge. Lyrann drehte den Kopf und erkannte ihren Ehemann, genau wie sie in seine Rüstung gekleidet, die Rabenkrone auf dem Haupt und Orcrist über die Schulter gegürtet. Hoch aufgerichtet, wie ein Abbild Durins selbst schien er, der König unter dem Berge und die Aura der Stärke, die ihn umgab, ließ die Luft in der Halle vibrieren. Thorin schritt durch das Portal, als eben eine Zwergin auf ihn zueilte. Die Wache, die der Frau entgegen treten wollte, hielt der König mit einer kurzen Geste auf.
Lyranns Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie die Zwergin erkannte. Zahina... Was sie zu Thorin sagte, konnte die Königin nicht verstehen. Doch als Thorin weiter ging, hakte sie sich bei ihm unter, um ihn die letzten Schritte des Weges zu begleiten.
Mühsam hielt Lyrann sich davon ab, nach dem Griff ihres Schwertes zu fassen. Ihre Augen funkelten zornig, als sie die beiden näher kommen sah. Zahinas Hand, mit der sie sich bei Thorin untergehakt hatte, lag verdächtig nahe an seiner Hand. Die beiden sprachen leise miteinander und Lyrann erkannte, wie die Zwergin sacht mit ihren Fingerspitzen über den Handrücken des Königs fuhr. Ein unwilliges Knurren kam ihr über die Lippen und sie konnte am Rande ihres Gesichtsfeldes sehen, wie Dís die Stirn runzelte.
Schließlich blieb der König stehen, wandte sich Zahina zu und sagte: „Wir werden bald wieder zurück kehren." Damit löste er sich von der Zwergin und trat zu seiner Familie hinzu.
Ruckartig wandte Lyrann Zahina den Rücken zu, wollte nicht, dass diese ihren Zorn sah. Mit einem Lächeln für ihren Sohn schwang sie sich auf die Kriegsziege, während hinter ihr die Wachsoldaten und Dwalin ihrem Beispiel folgten. Auch Rhon stieg auf sein Reittier, nur der König wechselte noch einige Worte mit Frerin und Dís.
Doch schließlich stieg auch Thorin auf seine Kriegsziege. Kurz ließ Lyrann den Blick über die Menge schweifen, die mit ehrfurchtsvollem Blick zu dem Königspaar aufsah. Die Gardesoldaten entrollten die königlichen Banner und hoch über ihnen ertönte das Horn des einsamen Berges. Sie sah, wie Thorin neben ihr kurz Zahina zunickte und ihr Herz verkrampfte sich. Dann wandte ihr Mann den Kopf ihr zu und ein Lächeln legte sich auf seine Züge. Doch es konnte nur teilweise ihre Sorgen verdrängen.
Thorin bedeutete ihr, voran zu reiten und so trieb sie ihr Reittier an, dicht gefolgt von Thorin und ihrer Reisegemeinschaft.
In flottem Tempo verließen sie den Berg und durchquerten die Ebene des Erebor. Noch ein gutes Stück begleitete sie die Fanfare des Erebor, in die schließlich die Trompeten von Thal einfielen, als sie sich der Stadt näherten. Das Tor Thals wurde aufgezogen und die Zwerge ritten die Hauptstraße entlang.
Auf dem Marktplatz erwartete sie eine Überraschung. König Brand kam ihnen dort auf einem Schimmel entgegen geritten, in Begleitung einiger Soldaten. „Auch mich erreichte die Einladung Thranduils und ich werde mich euch anschließen, sofern ihr gestattet.", verkündete er.
Und so verließen sie gemeinsam mit Brand die Stadt. Die Straße folgte sie zum Rand der Hochebene, zur ihrer Linken stürzte der Wasserfall, der den langen See speiste, in die Tiefe und in gemächlichem Tempo ritten sie die steile Straße hinab und weiter zum Seeufer.
Esgaroth lag ungewöhnlich ruhig da. Seit Monaten war der meiste Handel zur Ruhe gekommen und die Schiffe lagen still vor Anker, sanft schaukelnd auf den Wellen. Ihre Reisegruppe folgte dem nordwestlichen Ufer des Sees und erreichte am frühen Abend den Waldbach, der westlich in den See floss.
Kurz blitzte vor Lyranns geistigem Auge eine Erinnerung auf. Fässer, die einen Wildbach hinab trudelten, ein Wasserfall, kalte Nässe, die durch ihre Kleidung kroch und Thorin, der ihr ans Ufer half.
Sie stiegen von ihren Reittieren und Dwalin bellte bereits Anweisungen für die Soldaten, die eilig ausschwärmten, um Feuerholz zu sammeln, oder das Lager herzurichten. Lyrann ging auf einen der Soldaten zu, der eben ihr Gepäck von den mitgeführten Lastenponys herunter nahm. Erschöpft von dem langen Ritt nahm Lyrann ihre Krone vom Kopf und reichte sie dem Zwerg, der mit einer ehrfürchtigen Verneigung das Diadem entgegen nahm und in der dafür vorgesehenen Kiste verstaute.
Sich den schmerzenden Nacken massierend, trat Lyrann an das Seeufer. Tief atmete sie die frische Seeluft ein, genoss die Ruhe etwas abseits vom Lager. Dort wurden die Banner in den Boden gerammt, ein Feuer entzündet und das Essen vorbereitet. Sie sah Thorin und Brand ins Gespräch vertieft, Rhon bei seiner Kriegsziege, ihr vorsichtig das Geschirr abnehmend.
Lyrann wandte sich wieder dem See zu, verfolgte das Spiel der Wellen am Ufer, fühlte die kühle Brise des Abendwindes im Haar und lauschte dem Gesang der Vögel im nahen Wald.
„Du warst heute sehr still.", erklang die tiefe Stimme Thorins neben ihr. Sie drehte sich um und erblickte ihren Mann, der mittlerweile die schwere Rüstung gegen eine einfache Tunika getauscht hatte und sie aufmerksam musterte. Sogleich fühlte sie den Unmut in sich aufsteigen, der sie seit ihrer Abreise aus dem Berg erfüllte. Das Bild Zahinas, sanft die Hände ihres Mannes streichelnd, erschien wieder vor ihrem inneren Auge.
Nun, jetzt war eine genauso gute Zeit, Thorin darauf anzusprechen, wie jede andere auch.
Sie vergewisserte sich, dass sie allein am Ufer waren, dann holte sie tief Luft und sagte: „Es scheint so, als würde Zahina dich in den nächsten Tagen sehr vermissen."
Stille folgte auf ihre Worte und Thorin seufzte leise. „Du bist immer noch nicht in der Lage, sie zu akzeptieren.", stellte ihr Mann fest und eine leichte Spur von Ungeduld schwang in seiner Stimme mit.
„Ich merke, dass ihr beide wirklich ungewöhnlich viel Zeit miteinander verbringt.", erwiderte Lyrann mit unterkühltem Tonfall. Sie sah Thorin fest in die Augen. Sein manchmal aufbrausendes Wesen machte ihr schon lange keine Angst mehr.
Der Zwerg schnaubte. „Ja natürlich!", rief er aus, „Sie ist eine meiner ältesten Freunde!"
Ungläubig schüttelte Thorin den Kopf. „Ich verstehe dich nicht, Lyrann. Nie warst du eifersüchtig und Zahina ist bei weitem nicht die erste Frau, mit der ich viel zu tun habe, seit wir beide verheiratet sind.", fuhr er fort, die Arme vor der Brust verschränkt und seine Frau voller Unverständnis musternd.
„Du warst mit keiner anderen verlobt, außer ihr.", brummte Lyrann.
„Ist es nur das?", fragte Thorin, „Lyrann, reichen dir die Jahrzehnte unserer Ehe nicht, um dir sicher zu sein, dass ich dich liebe? Mein Herz gehört dir, Lyrann, das weißt du! Du hast mir geholfen, die Drachenkrankheit zu überwinden, du bist meine Königin, die Mutter meiner vier Kinder, meine Kampfgefährtin, meine Vertraute, meine Geliebte, reicht dir das nicht?"
„Dir vertraue ich.", erwiderte Lyrann etwas besänftigt, „Zahina jedoch nicht."
„Ich bin mir sicher, dass du von ihr nichts zu befürchten hast.", versicherte ihr Thorin.
Trocken lachte Lyrann auf und begegnete dem verwunderten Blick ihres Mannes. „Du bist blind, oder?", fragte sie, „Hast du nicht bemerkt, wie sie sich heute bei dir untergehakt hat?"
Thorin zog die Augenbrauen hoch. „Was meinst du?", fragte er.
„Sie ließ ihre Finger auf deiner Hand ruhen, eine Geste enormer Vertrautheit, wie sie bei einer Partnerin zu erwarten ist.", erklärte Lyrann, nun war sie die Ungläubige. Wieso verstand er das nicht?
Thorin warf die Hände in die Luft. „Ihre Finger haben meine Hand berührt und ich habe sie nicht sofort fortgewischt, na und? Du fantasierst, Lyrann!", fuhr er auf, „Zahina ist meine Freundin und ich verbringe gerne Zeit mit ihr. Und selbst von meiner eigenen Frau lasse ich mir keine Vorschriften machen, mit wem ich mich treffen darf!"
Kopfschüttelnd wandte er sich ab und stapfte zum Lager zurück, eine zornige Lyrann zurücklassend.
Am nächsten Tag folgten sie dem Waldfluß stromaufwärts. Er würde sie direkt zu Thranduils Palast bringen. Das ständige Rauschen des Flusses war allgegenwärtig, während er neben ihnen sein Bett entlang brauste. Sie erreichten einen Wasserfall und führten ihre Reittiere auf dem schmalen Pfad die Höhe hinauf.
Stetig rückten die Bäume näher. Das Licht der Sonne brachte ihr Laub zum leuchten. Der Wind raunte leise in den Blättern, doch als Lyrann zwischen die Stämme sah, legte sich trotz der sommerlichen Idylle ein dunkler Schatten über ihr Herz.
Näher und näher rückten die Bäume, bis sich schließlich das Blätterdach über ihnen und dem Fluss schloss. Die alte verwitterte Statue eines elbischen Soldaten markierte die Grenze des Waldlandreiches, als sie dem Pfad in die Dunkelheit unter den Blättern folgten.
Kaum, dass sie den Wald betreten hatten, verstärkte sich das Gefühl von Unwohlsein, dass Lyrann ergriffen hatte, als sie die Bäume das erste mal an diesem Tag betrachtet hatte. Ihre Nackenhaare richteten sich auf und unwillkürlich presste sie die Beine fester an die Flanken ihrer Kriegsziege, sodass diese mit einem aufgebrachten Schnauben ein paar Sprünge nach vorne machte. Lyrann hätte es beinahe von ihrem Reittier geworfen, doch so schaffte sie noch rechtzeitig, das Tier zu bändigen.
Sie sah die Blicke der anderen auf sich ruhen, auch Thorin musterte sie forschend. „Alles in Ordnung.", meinte sie und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Doch kaum, dass ihre Gefährten sich wieder dem Weg zuwandten, ließ sie unruhig ihren Blick umher schweifen.
Sie fühlte etwas, etwas Dunkles. Und sie konnte es nicht genau benennen, doch es machte ihr Angst.
An diesem Abend lagerten sie mitten im Wald. Die Soldaten entzündeten am Wegrand ein Feuer und bereiteten eine Mahlzeit zu. Am nächsten Tag würden sie wohl Thranduils Palast und das Herz des Waldlandreiches erreichen.
Im Gegensatz zu den anderen schaffte Lyrann es nicht, sich zu entspannen und das Ende des heutigen Rittes zu genießen. Unruhig lief sie am Rand des Lagers auf und ab. Rhon trat an sie heran, mit besorgtem Gesichtsausdruck.
„Amad?", sprach er sie leise an. Lyrann drehte sich zu ihrem Jüngsten um. „Fühlst du das auch?", fragte Rhon auf Sindarin. Er war tatsächlich das einzige ihrer Kinder, mit dem sich Lyrann fast ausschließlich in der Sprache ihrer elbischen Vorfahren unterhielt.
Sie nickte. „Ich weiß nicht, was es ist.", erwiderte sie, „Aber wir müssen wachsam bleiben."
Ihr Blick begegnete dem Rhons, der ebenfalls argwöhnisch zwischen die Bäume starrte. Schließlich lächelte er ihr noch einmal kurz zu und ging dann zurück zum Feuer, die Hand wachsam am Schwertgriff.
Lyrann setzte sich und versuchte, in den Wald hinein zu lauschen. Sacht legte sie ihre Fingerspitzen auf den Boden und schloss die Augen. Es war so lange her, dass sie versucht hatte, einen Wald zu erspüren, fast war ihr die Verbindung zu dem Wald verschlossen. Jahrzehntelang in einem Berg zu leben, hatte dafür gesorgt, dass sie ein besseres Gespür für Gestein und Metall hatte, jedoch nicht für das Wesen des Waldes.
Tief atmete sie ein und aus, konzentrierte sich auf ihre Umgebung und blendete die Geräusche von ihrem Lager aus. Und da endlich, spürte sie den Wald.
Das Leben, das den Wald erfüllte, öffnete sich vor ihr. Die Kraft und Energie tausender und abertausender Lebewesen, die hier lebten, erfüllte sie. Sie konnte das Pulsieren des Lebens fühlen, wie den Atemzug eines riesigen Wesens. Eine unglaubliche, uralte Kraft ging von dem Wald aus, eine Macht, vor der sie sich klein und hilflos fühlte, in der sie drohte, verloren zu gehen. Ihre Ohren dröhnten, von Rauschen ihres eigenen Blutes oder von den Geräuschen des Waldes vermochte sie nicht länger zu sagen. Trotz geschlossener Augen fühlte sie sich geblendet von den Sinneseindrücken, die auf sie einprasselten. Sie schmeckte Erde, Blätter und Wind, fühlte raue Rinde und das Fell der Tiere, roch den Duft unzähliger Blüten und Früchte.
Doch da war etwas, etwas dunkles, eine dunkle Präsenz, die sich über alles legte. Ein Wille, der von purer Bosheit war und sich über dem Wald ausbreitete.
Lyrann riss die Augen auf, entsetzliche Kälte hatte ihr Herz ergriffen und sie keuchte auf. Eine Hand an die Brust gekrallt, rang sie um Atem.
„Liebste?", erklang die Stimme Thorins neben ihr. Sie hob den Blick und sah ihren Mann neben sich stehen. Thorin setzte sich zu ihr, ein Ausdruck tiefer Besorgnis in den Augen. Jegliche Spur des gestrigen Streites war verschwunden.
„Was ist passiert?", fragte er und strich sanft über ihre Wange, während sie sich langsam wieder beruhigte.
„Etwas ist in diesem Wald, Thorin.", stieß sie hervor, noch immer erfüllte sie Grauen, wenn sie auch nur daran dachte. „Hier ist etwas... etwas Böses. Ich konnte es fühlen."
Sie ergriff seine Hand und legte sie auf den Boden, wollte ihm zeigen, was sie gefühlt hatte. Dann fiel ihr ein, dass Thorin dafür keinerlei Gespür hatte.
„Etwas Böses?", fragte ihr Mann beunruhigt, „So wie damals, als Gandalf den Nekromanten aus Dol Guldur vertrieb?"
Lyrann schüttelte den Kopf. „Anders oder ähnlich.", erwiderte sie, „Als wir das erste Mal durch diesen Wald reisten, schien er auch dort von Bosheit erfüllt. Doch damals war es mehr, als würde er träumen, als hätte der Wald einen Alptraum, verstehst du? Jetzt, jetzt ist er wach und von solch einer Bosheit durchdrungen, dass es mir Angst macht."
Händeringend versuchte sie sich ihrem Mann verständlich zu machen. Thorin nickte langsam. Er verstand zwar nicht jedes Wort, was sie sagte, aber ihm wurde klar, dass etwas Dunkles hier am Werk war.
„Komm mit mir!", forderte er sie auf und führte Lyrann zurück zum Lager.
„Wir werden heute doppelte Wachen aufstellen!", verkündete er, „Ich werde die erste Wache mit übernehmen."
Sanft führte Thorin Lyrann zu ihrem gemeinsamen Lager. „Leg dich hin, Schönste.", sagte er liebevoll, „Schlaf, wenn du kannst. Ich werde Wache halten. Wir werden wachsam sein, versprochen."
Von plötzlicher Erschöpfung erfüllt, kuschelte Lyrann sich in die Schlaffelle, die sie und Thorin teilten. Das letzte, was sie sah, war Thorin, der direkt neben ihr saß, dem Feuer den Rücken zugewandt, die blanke Klinge Orcrists über die Knie gelegt und wachsam in den Wald hinaus spähend.
Je näher sie am nächsten Morgen dem Palast Thranduils kamen, umso geringer wurde das Gefühl der Beklemmung, das Lyrann im Wald befallen hatte. Als sie ihr Ziel fast erreicht hatten, kam ihnen eine Gruppe elbischer Wachen entgegen, angeführt von einer Elbin mit dichten Locken roten Haares und Augen von der Farbe der Erde.
„Thorin Eichenschild!", grüßte sie die Ankömmlinge, „Lyrann Silberkönigin und Brand. Willkommen im Waldlandreich. Mein Herr erwartet euch bereits."
Von den Elben in die Mitte genommen, saßen sie von ihren Reittieren ab und wurden zum Palast eskortiert.
Der Weg weitete sich ein stück und führte auf einen rauschenden Fluss zu, über den sich eine kunstvolle, steinerne Brücke spannte, dahinter öffnete sich das Tor in den Palast Thranduils. Die Mauern des Palastes zu ihren Seiten schienen gleichermaßen mit den Bäumen des Waldes zu verschmelzen. Aus braunem Stein waren sie und voller Verzierungen, Bäumen, Pflanzen und Tieren des Waldes nachgebildet. Es war fast unmöglich zu sagen, welcher Baum echt oder Teil dieser faszinierenden Palastmauer war.
Sie durchschritten das Tor, wo ihnen ihre Reittiere abgenommen wurden und folgten gemeinsam mit den Elben, die sie in Empfang genommen hatten, einem breiten Korridor, der sich nach kurzer Zeit in eine riesige Halle öffnete, Thranduils Thronsaal, das Herz des Waldlandreiches.
Die Halle erstreckte sich zu beiden Seiten von ihnen, nach oben und nach unten. Die Reisegruppe wurde über einen geschwungenen Bogengang geführt, der sich Stück für Stück in die Höhe schraubte. Unter sich konnten sie Wasser sprudeln und rauschen hören. Filigrane Säulen reckten sich zu ihren Seiten in die Höhe, täuschend echt wie Bäume wirkten sie. Lyrann legte den Kopf in den Nacken. Das Dach der Halle konnte sie nicht erkennen, viel eher hatte sie das Gefühl an das Blätterdach eines Waldes zu schauen. Ein wenig fühlte sich sich an den Wald erinnert, den Thorin für sie hatte errichten lassen. Unzählige Lampen, Fackeln und Lampions erhellten die Halle, ließen alles in einem goldenen Licht schimmern. Sie kamen an Terrassen vorbei, sahen Wege, die in den Palast hinein führten und näherten sich schließlich dem Thron Thranduils, auf einer Plattform hoch oben in der Halle.
Der Elbenkönig erhob sich von seinem hölzernen Thron, als sie auf ihn zukamen. Gekleidet war Thranduil in dunkle Grüntöne. Seine Gewänder flossen an ihm herab und kleine Blüten und Blätter schienen in seine Krone eingeflochten zu sein.
„Willkommen! Thorin Eichenschild und Lyrann Silberkönigin, Könige unter dem Berge! Willkommen, Brand, Bains Sohn, König von Thal! Und seid auch willkommen Prinz Rhon, Thorins Sohn und Dwalin, Fundins Sohn! Es ist eine Ehre, euch in meinem Palast zu empfangen!", grüßte Thranduil sie mit getragener Stimme. Er neigte höflich den Kopf zum Gruß und sie folgten seinem Beispiel. Wie viel Zeit doch vergangen war, seit er sie noch in seinen Kerker hatte werfen lassen.
„Habt Dank für eure Gastfreundschaft.", erwiderte Thorin und Brand schloss sich dem Dank an.
„Mae govannen, hirnin Thranduil!", grüßte Rhon den König ehrfürchtig. Der blonde Elb lächelte „Elen sila lumenn omentielvo, Rhon!", erwiderte er die Grußformel der Hochelben, auch wenn er selbst nicht zu diesem Volk gehörte. Rhon strahlte.
Thranduil winkte die Kriegerin heran, die sie eben zum Palast geführt hatte und die Thorin scharf musterte. „Dies ist Amaya.", stellte er die Elbin vor, „Sie ist eine meiner fähigsten Kriegerinnen und führt regelmäßig Patrouillen in den Wald. Seit Tauriel vor allem die Beziehungen zwischen unseren Völkern aufrecht erhält, befehligt sie außerdem meine Palastwache. Sie soll euch auf eure Zimmer bringen, damit ihr von der Reise ruhen könnt."
Damit entließ er sie und sie folgten der Rothaarigen, die sie auf einem der vielen Wege durch die Halle führte, bis sie einen Gang in die hinteren Bereiche des Palastes betraten.
Immer wieder flackerte der Blick der Elbin zu Thorin hinüber, doch sie sprach kein Wort. Man sah ihr jedoch an, dass es hinter ihrer Stirn arbeitete. Zuerst wurden Dwalin und seinen Kriegern ihre Zimmer gezeigt. Dann Brand und schließlich Rhon, bis nur noch Lyrann und Thorin übrig waren.
„Folgt mir.", sagte Amaya und wieder ruhte ihr Blick lange auf Thorin, bevor sie sich los riss und voran ging. Vor einer hölzernen Tür voller Schnitzereien blieb sie stehen. „Dies ist euer Zimmer.", sagte sie und öffnete die Tür.
Thorin und Lyrann traten ein, von der Elbin beobachtet. Mit wachsender Ungeduld drehte Thorin sich zu der Frau um. „Kann man euch helfen?", fragte er ungehalten, ihr ständiges Starren war ihm mittlerweile aufgefallen.
Die Elbin schüttelte den Kopf und senkte kurz den Blick. „Verzeiht, ihr seht nur einem Zwerg sehr ähnlich, den ich vor einigen Monaten durch den Wald begleitete.", erwiderte sie und sah den König wieder an.
„Thrain!", rief Lyrann aus und stürzte auf die Frau zu. „Ihr habt Thrain unseren Sohn getroffen?"
Amaya runzelte die Stirn. „Er nannte sich Tarl.", erwiderte sie, „Doch er sah aus wie ihr, Thorin."
„Das muss unser Sohn gewesen sein!", antwortete Lyrann und fasste Amaya an der Hand. „Erzählt uns alles!", bat sie eindringlich.
„Ich fand euren Sohn als er eben von Orks angegriffen wurde. Glücklicherweise konnte ich alle Orks erschlagen. Tarl, nein, Thrain war auf der Durchreise, er wollte nach Westen zum Nebelgebirge, war aber weit nach Süden abgekommen. Er näherte sich bereits Dol Guldur. Also führte ich ihn zum Ende des Waldes, wo wir uns trennten. Ich ahnte da schon, dass er mir nicht die ganze Wahrheit über sich erzählte.", berichtete die Elbin, „Das war im letzten Herbst."
„Habt Dank für eure Worte.", sagte Thorin, „Es bedeutet uns viel, von unserem Sohn zu hören." Dankbar neigte er den Kopf.
Die Elbin nickte. Viele Fragen standen ihr ins Gesicht geschrieben, doch sie war zu höflich, um das Herrscherpaar mit diesen zu löchern.
„Ruht euch aus. Für weiteres ist auf dem Fest noch Zeit. Soll ich euren Neffen, Kili, sowie Tauriel von eurer Ankunft unterrichten?", fragte sie.
„Das wäre äußerst lieb.", antwortete Lyrann und lächelte die Elbin dankbar an.
Amaya nickte, „Lasst mich wissen, wenn ihr etwas braucht."
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