Seestadt brennt
„Sehe ich gut aus?", fragte Skafid und sah mit kritischem Blick an sich herab. Zum ersten Mal seit Monaten hatte er die Rüstung der Steinbärte gegen eine schlichte Tunika und seinen besten Mantel ausgetauscht. Bei ihm war das immer noch ein einfaches Kleidungsstück aus Leder und Filz, von dunkelroter Farbe und ohne jeglichen Schmck. Die Stiefel hatte er stundenlang geputzt und auf Hochglanz poliert. Jeder Zopf seines blonden Haares war sorgfältig frisch geflochten worden.
Fenja lächelte liebevoll und sah ihren Geliebten an, der tatsächlich einer der wenigen Gründe war, warum sie überhaupt noch in der Lage war, hin und wieder zu lächeln.
„Du siehst wunderbar aus.", erwiderte sie sanft.
„Wirklich?", machte Skafid, die Stimme etwas höher als gewöhnlich.
Sie antwortete nicht, sondern nickte nur und ohne zu klopfen, öffnete sie die Tür zu den Gemächern ihrer Eltern.
Forschen Schrittes trat Fenja ein und ging den Flur entlang, vorbei am Audienzzimmer und den Arbeitsräumen ihrer Eltern, in Richtung des Salons. Skafid folgte ihr, sich nervös und ehrfürchtig umsehend, ob all der Pracht des Königshauses, die ihn hier umgab.
„Amad! Adad!", rief Fenja laut.
Die Tür zum Salon öffnete sich und ihr Vater kam ihnen entgegen. Sein eben noch ernster Blick, der voller Sorge ob des Krieges war, hellte sich auf, als er seine Tochter erblickte.
„Ah, Fenja!", begrüßte er sie voller Liebe und zog sie sacht in seine Arme. Kurz und fest erwiderte sie die Umarmung, dann löste sie sich von ihrem Vater und trat beiseite. Mit klopfendem Herzen verfolgte sie, wie Skafid sich Thorin näherte und dann auf ein Knie hinabsank. „Mein König", grüßte er ihren Vater mit zu Boden gerichtetem Blick.
Langsam sah Fenja zu Thorin, der den jungen Mann vor ihm ansah und dann schroff sagte: „Steh auf, Junge!"
Angespannt presste sie die Lippen aufeinander, während Skafid sich erhob und mit durchgedrücktem Rücken die Augen auf seinen König richtete.
Die Hände vor der Brust verschränkt sah Thorin den Krieger vor ihm an. Kein Wort kam über seine Lippen, während seine eisblauen Augen Skafid durchdringend musterten. Skafid erwiderte den Blick ohne mit der Wimper zu zucken.
„So...", sagte Thorin nach einer gefühlten Ewigkeit mit dunkler Stimme, „Du bist also der Mann, von dem meine einzige Tochter so schwärmt..."
„Mein Name ist Skafid.", antwortete Skafid, mit einem ganz leichten Beben.
Thorin zog kurz die Augenbrauen in die Höhe, dann wandte er sich Fenja zu. „Deine Mutter arbeitet noch. Sie wird gleich zu uns kommen. Kommt solange schonmal rein." Mit einem letzten, prüfenden Blick auf Skafid drehte er sich um und ging ihnen voran in den Salon.
Fenja folgte ihrem Vater. Als sie den Salon betraten, konnte sie sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Skafid war das Erstaunen ins Gesicht geschrieben. Die Verzierungen aus Silber an den Möbeln, die kunstvollen Reliefs, die Wandteppiche mit dem Familienwappen der Durins, Kronleuchter, Kerzenhalter, Besteck und feinstem Silber. Sie war das alles gewöhnt, für Skafid jedoch, der aus einfachen Verhältnissen stammte, musste dies überwältigend sein.
Thorin wies auf zwei Sessel am Esstisch. „Setzt euch.", forderte er sie freundlich auf und Fenja ließ sich auf einen der beiden Sessel sinken.
Aufmerksam sah sie ihren Vater an. Tiefe Ringe lagen unter seinen Augen und er wirkte erschöpft. Die Nachricht vom Tode Daíns hatte ihn schwer getroffen. Hinzu kam, dass nun nicht nur die Front im Noden sich hatte zurück ziehen müssen, auch die Truppen im Osten nahe der Rotwasser verloren nun fast täglich an Boden. Der Feind rückte mit unglaublicher Stärke immer weiter vor.
Sorge um ihre Familie fraß sich in Fenjas Herz. Nicht nur sie war durch diesen Krieg gezeichnet. Nicht nur sie war nachts nicht mehr in der Lage, zu schlafen, weil sich grauenvolle Bilder vor ihrem Auge abspielte. Davor hatte ihr Vater sie schützen wollen, als er ihr verboten hatte, an die Front zu ziehen.
Schweigend saßen sie beisammen. Skafid rutschte ein wenig unbehaglich auf seinem Sessel hin und her, als sich endlich eine Tür an der Seite öffnete und Lyrann in das Zimmer kam, sich müde mit der Hand über die Augen wischend.
„Fenja! Skafid!", rief sie freudig, „Wie schön, dass ihr hier seid." Sie beide standen auf und kamen ihr entgegen.
Liebevoll umarmte Fenja ihre Mutter, die Skafid freundlich zunickte. „Kommt, setzt euch! Das Essen wird bestimmt bald gebracht.", forderte Lyrann die zwei Gäste auf und sie ließen sich am Esstisch nieder.
Wenig später ging tatsächlich die Tür auf und Diener trugen die verschiedenen Gerichte herein. Skafid kam aus dem Staunen nicht heraus, denn König und Königin hatten trotz der Kriegszeiten für ein üppiges Mahl gesorgt.
Zwei Eintöpfe wurden gereicht, einer mit Fisch, ein anderer mit Kohl und Kartoffeln, dazu dunkles Brot, ein geschmorter Wildbraten mit Pilzen, sowie eine Pastete mit Speck und getrockneten Früchten. Thorin schenkte ihnen allen Bier ein und fragte Fenja: „Wie geht es dir, mein Kind?"
„Gut.", erwiderte Fenja schlicht. Sie hatte eher wenig Zeit mit ihren Eltern seit ihrer Ankunft aus den Eisenbergen verbracht, zu sehr waren sie alle durch den Krieg eingebunden und gleichzeitig hatte sie auch ihre Familie etwas gemieden, aus Angst, sie würden bemerken, wie sehr sie sich verändert hatte.
Thorin nickte erfreut, doch Skafid sagte plötzlich: „Das stimmt nicht, Fenja."
Irritiert wandten Thorin und Lyrann ihre Köpfe dem Krieger zu, während Fenja säuerlich „Skafid!" zischte.
„Was meinst du damit?", fragte Thorin scharf.
Skafid sah den König unter dem Berge ruhig an, dann blickte er zu Fenja. „Du schläfst nicht mehr gut, seit deiner Gefangenschaft in den Eisenbergen quälen dich Alpträume.", sagte er sanft und voller Sorge in der Stimme, „Nachts wirst du schreiend wach und die Bilder dessen, was du gesehen hast, quälen dich selbst, wenn du wach bist. Du bist bitter und verschlossen geworden, Fenja."
„Gefangenschaft?", echote Lyrann und sie sah beunruhigt zu ihrer Tochter. Fenja schluckte. Sie hatte niemanden ihrer Familie etwas davon erzählt, was in den Eisenbergen passiert war.
„Erzähl uns, was passiert ist, Skafid!", forderte Thorin ihren Geliebten auf und dieser begann langsam zu erzählen, wie Fenja von ihnen getrennt worden war, was sie erdulden musste, und wie er und Jari sie schließlich gefunden hatten.
„Sie haben ihr Vergehen nicht lange überlebt.", schloss Skafid grimmig, „Jeder einzelne von ihnen bezahlte mit dem Leben. Dafür haben wir gesorgt."
„Wir verdanken dir das Leben unserer Tochter.", sagte Thorin und seine Stimme war voller Dankbarkeit und Anerkennung. Mit einem Mal war der Blick des Königs deutlich wärmer auf Skafid gerichtet, dann sah er zu Fenja.
„Warum hast du uns nichts davon erzählt, Fenja?", fragte er leise.
Fenja sah ihn an. „Ich wollte nicht schwach wirken... Ich wollte nicht, dass ihr Angst um mich habt...", sagte sie hilflos. Sie blickte zu Skafid.
„Du bist nicht schwach, Fenja. Du bist die stärkste Frau, der ich je begegnet bin.", sagte dieser zärtlich, „Und ich schwöre bei Mahal, dass ich alles tun werde, um dich vor Unheil zu schützen."
Thorin zog Fenja sachte an sich und küsste sie auf die Stirn, dann blickte er warm lächelnd zu Skafid.
Dieser nickte dem König zu und sah dann zu Lyrann, die ihn lange schweigend und durchdringend ansah. Diesmal konnte Skafid, anders als bei Thorin, dem Blick der Halbelbin nicht stand halten. Errötend senkte er den Blick auf den Teller. Leise sagte Lyrann: „Wir sind froh, dass ihr beide einander zu Seite steht, Skafid."
Thorin sah mit verbitterter Miene auf Fenja. „Ich hätte dich besser schützen sollen, Fenja.", murmelte er, „Ich hätte dich nie dieser Gefahr aussetzen sollen." Voller Sorge sah Fenja die tiefen Falten, die der Krieg in sein Gesicht gegraben hatte. Ihr Vater war alt geworden und spätestens die Nachricht vom Tode seines Vetters Daín hatte Thorin in tiefe Traurigkeit gestürzt.
Doch bevor sie etwas sagen konnte, beugte ihre Mutter sich vor und griff sachte nach der Hand Thorins. „Lass uns von etwas anderem sprechen, Geliebter. Es gibt noch anderes im Leben außer dem Krieg.", sagte sie leise.
Schweigend aßen sie weiter und ganz langsam kamen wieder Unterhaltungen auf, die sich um alltägliche Dinge drehten. Skafid, der ein ausgeprägtes historisches Interesse hatte, begann schließlich Thorin, nach den Ered Luin auszufragen, wo immer noch Zwerge ihres Volkes lebten.
Seine Pfeife rauchend, gab Thorin bereitwillig Auskunft, während das Essen abgetragen wurde und das Feuer im Kamin behaglich knisterte. Sich zum ersten Mal seit Monaten wieder wirklich wohlig und warm fühlend, lehnte Fenja sich in ihrem Sessel zurück und lauschte dankbar den Stimmen ihrer Eltern und ihres Geliebten.
Das laute Alarmsignal der Hörner des Erebor riss Lyrann vollkommen unvorbereitet aus dem Schlaf. Sofort saß sie kerzengerade im Bett, während der Stein unter dem lauten Klang der Fanfare erbebte.
„Thorin!", rief sie scharf, „Thorin!" Fahrig tastete ihre Hand im Zwielicht nach ihrem Mann.
„Ich bin wach.", erklang es neben ihr und sie sah Thorins Schemen, der die Bettdecke zurückschlug, aufstand und eine Kerze entzündete.
Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen sah sie in das bleiche Gesicht ihres Mannes. „Ich geh nachsehen, was passiert ist.", sagte Thorin, „Zieh dich an."
Er drehte sich um und ging in Richtung Tür, als diese auch schon aufgerissen wurde. Der Kammerdiener Thorins kam keuchend in die königlichen Gemächer gerannt.
„Eure Majestäten!", rief er mit sich überschlagender Stimme, „Seestadt wird angegriffen!" Schlitternd kam der Zwerg im Türrahmen des Schlafzimmers zum Stehen. Sein Blick flog zwischen Thorin und Lyrann hin und her.
„Orks überfallen Seestadt. In Thal wurde bereits Alarm geblasen.", sagte er mit japsendem Atem.
Lyrann sprang aus dem Bett. „Unsere Soldaten machen sich kampfbereit.", schloss der Kammerdiener.
„Nähern sich Orks dem Erebor?", fragte Lyrann drängend. Doch glücklicherweise schüttelte ihr Gegenüber den Kopf. Die beiden Herrscher tauschten nur einen kurzen Blick. Keine weiteren Worte waren nötig. Sie würden kämpfen.
Mit raschen Schritten, fast rennend, machten Thorin und Lyrann sich auf den Weg zur königlichen Waffenkammer, wo seit Jahrzehnten ihre Waffen und Rüstungen aufbewahrt wurden.
Noch immer hallte der Klang der Hörner durch den Erebor, vibrierte der Stein unter ihren Füßen. Zwerge rannten hektisch hin und her. Der Feind war nun so nahe am Berg wie nie zuvor.
Die Türen zur Waffenkammer waren bereits offen. Frerin und Fenja standen beide dort und legten ihre Rüstungen an. Lyrann sah aus den Augenwinkeln, wie Thorin Luft holte, um etwas zu sagen, doch dann überlegte er es sich anders. Er würde den beiden nicht verbieten, sich dem Kampf anzuschließen.
Wortlos und mit schnellen Handgriffen begannen auch sie sich auf den Kampf vorzubereiten. Lyrann legte ein einfaches Hemd und ein Wams, sowie eine feste Lederhose an, dann ging sie auf ihre Rüstung zu. Das Mithrilkleid, das einst Thorins Mutter gehört hatte, war lange hier aufbewahrt worden. Im Licht der Fackeln schimmerte es ihr entgegen.
Zu viert eilten sie wenig später in die Vorhalle, wo sich ihnen Skafid anschloss, der sofort an Fenjas Seite stand.
„Auf nach Seestadt!", rief Thorin den in der Halle bereits versammelten Zwergenkriegern zu und im Laufschritt verließen sie den Berg.
In scharfem Tempo liefen sie die Straße in Richtung Thal entlang. Nun waren auch die Trompetensignale der Menschenstadt zu hören, die sich mit dem dunklen Klang der Hörner des Erebor mischten.
Bald erreichten sie Thal, die Tore standen bereits weit offen, um das Zwergenheer durchzulassen. Laut hallten die Tritte der schweren Stiefel auf dem Pflasterstein der Straßen wieder. Bange Blicke aus aufgerissenen Fenstern und laute Rufe folgten ihnen, während sie eilig die Stadt durchquerten.
Als sie Thal durch das Südtor wieder verließen, hatten sie endlich freie Sicht auf den langen See und Seestadt unter ihnen.
Voll Grauen sah Lyrann, wie einzelne Häuser Seestadts bereits in Flammen standen. „Was siehst du?", rief Thorin ihr zu, während sie nebeneinander der Straße folgten, die sich nun den Abhang neben dem Wasserfall hinab wand.
„In der Stadt wird gekämpft!", rief Lyrann, „Die Soldaten in Seestadt setzen sich tapfer zur Wehr, aber sie sind hoffnungslos unterlegen. Feuer werden gelegt und die Bewohner versuchen zu fliehen. Doch die Orks sind zu zahlreich!"
Sie deutete auf die Brücke, die Seestadt mit dem Ufer verband, wo Bewegung auszumachen war. „Brand ist gleich in der Stadt!", sagte sie.
Thorin nickte und schlug ein noch schärferes Tempo an.
Voller Sorge behielt Lyrann die Stadt im Auge. In diesen unsicheren Zeiten war immer eine größere Gruppe Soldaten in Esgaroth stationiert. Doch die Stadt war schwer zu verteidigen, ohne Mauern, Türme oder Wehranlagen.
Immer mehr Flammen loderten dem Nachthimmel entgegen, ihr Schein tanzte auf dem dunklen Wasser. Das Knirschen des in der Hitze berstenden Holzes drang an das Ohr der Halbelbin, ebenso wie der Kampflärm, der nun, da Brand mit seinen Soldaten eingriff, noch lauter wurde, und das panische Schreien der hilflosen Bewohner.
Sie erreichten das Ufer des Sees und rannten weiter. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, bis sie endlich die Brücke nach Seestadt erreichten.
„Bringt die Bewohner der Stadt in Sicherheit! Sie müssen ans Ufer!", rief Thorin, als sie sich der Stadt näherten. Der Kampflärm und das Fauchen der Flammen erfüllten die Luft.
Mit gezogenen Waffen rannte das Zwergenheer über die Brücke auf Seestadt zu, Thorin, Lyrann, Frerin, Fenja und Skafid vorne weg.
„Du bekar!", schrie Thorin und die Zwerge um sie her nahmen seinen Ruf auf, als sie wie ein Wirbelwind in die umkämpfte Stadt fegten.
Soldaten aus Thal und Seestadt lieferten sich erbitterte Gefechte mit Orks, deren mordlustiges Kreischen sich mit dem Knistern der bereits lichterloh brennenden Häuser vermischte. Mit lauten Rufen warfen sich die Zwerge in den Kampf.
Lyrann drehte den Kopf hin und her, versuchte in den Rauchschwaden um sich herum etwas zu erkennen. Ein paar grell gelber Augen tauchte da vor ihr auf, ein grässlicher Ork warf sich Lyrann entgegen. Mit einer raschen Bewegung riss sie das Schwert in die Höhe, wehrte den Angriff ab. Dann sprang sie nach vorne und ihre Klinge fraß sich in das Fleisch des Ungetüms.
Mit einem Sprung setzte sie über den Leichnam des Orks hinweg und blickte sich um.
Nicht weit entfernt sah sie Fenja, die mit fließenden Bewegungen einen Wurfdolch nach dem nächsten warf. Stetig schritt sie vorwärts, während ein Gegner nach dem nächsten vor ihr zu Boden stürzte. Thorin und Skafid flankierten die Zwergin zu beiden Seiten, die Schwerter der beiden Männer wirbelten todbringend umher und brachten jeden zu Fall, der es wagte, sich der tödlichen Schützin zu nähern.
Angsterfüllte Rufe drangen immer wieder durch den Kampflärm zu Lyrann durch. Menschen schrien um Hilfe.
Sie drehte den Kopf und konnte schemenhaft eine Gruppe Männer und Frauen erkennen, die von mehreren Orks auf ein brennendes Gebäude zugetrieben wurden.
Sofort setzte sie sich in Bewegung, rannte auf die Scheusale zu. Ein gewaltiger Sprung brachte sie über einen Kanal hinüber, dann krachte sie mit erhobenem Schwert in die Orks hinein. Diese waren vollkommen überrascht und konnten sich kaum zur Wehr setzen, als die zornige Halbelbin über sie hereinbrach. Hektisch versuchten sie, sich zu verteidigen, doch Lyranns Kampfkunst hatten sie nichts entgegen zu setzen. Gnadenlos durchtrennte ihre Waffe jedes bisschen Ork, das es berührte.
Mit großen Augen starrten die Menschen, denen sie eben das Leben gerettet hatte, Lyrann an, wie sie im blutverschmierten Mithrilkleid vor ihnen stand, während das Feuer grelle Schattenspiele auf ihrer Klinge malte.
„Los, bringt euch in Sicherheit!", rief sie den Männern und Frauen zu, „Lauft zur Brücke!"
Langsam, noch immer verängstigt ob des Kampfes um sie her, liefen die Menschen los. An einer Hausecke kam ihnen Frerin entgegen. „Folgt mir!", rief er und winkte der Gruppe zu. Neben ihm erkannte Lyrann eine weitere Menschenfamilie.
Kurz warf der junge Mann einen Blick zu seiner Mutter, dann rannte er los in Richtung der sicheren Brücke, die Menschen, die sie bereits retten konnten, folgten ihm auf den Fersen. Lyrann verfolgte, wie Frerin jeden Ork, der versuchte, die Flüchtenden anzugreifen, niederschlug und diese so sicher zur Brücke geleitete.
Schließlich war sie jedoch gezwungen, sich umzudrehen. Nicht weit von ihr entfernt schleuderten drei Orks mit widerlichem Gelächter Fackeln auf ein strohgedecktes Haus, das sofort zischend Feuer fing. Lyrann hob ihre Waffe und rannte auf die Feinde zu.
Einer von ihnen sah sie kommen und warnte mit einem schrillen Schrei seine Gefährten. Sie wirbelten herum. Lyranns erster Hieb wurde abgewehrt und schon sausten zwei Klingen auf sie zu. Mit einer raschen Bewegung schaffte sie es gerade noch so aus dem Weg zu springen. Ein wilder Schlagabtausch folgte. Tatsächlich schaffte Lyrann es, an der Deckung eines der Orks vorbei zu kommen. Mit einem scharfen Schnitt köpfte sie den Ork, musste aber sofort vor den beiden anderen zurückweichen. Hinter ihr leckten bedrohlich die Flammen. Sie saß in der Falle. Weiter zurück konnte sie nicht. Sie riss ihr Schwert in die Höhe, um einen neuerlichen Angriff abzuweichen. Der Ork war unglaublich stark und der Hieb ließ ihren ganzen Arm erbeben. Ächzend kämpfte sie dagegen an, zu Boden gedrückt zu werden, als ein wilder Schrei plötzlich die Luft zerriß.
Ein gewaltiger Hammer schoss aus dem Nirgendwo hervor und zertrümmerte dem Ork, der Lyrann eben in die Knie zwang, das Genick. Blut spritzte umher und mit einem Keuchen stolperte Lyrann nach vorne. Geistesgegenwärtig und nur dank der Reflexe, die sie sich im Laufe von Jahrzehnten antrainiert hatte, wirbelte sie ihre Waffe herum und durchbohrte den Bauch des verbliebenen Orks. Mit einem gurgelnden Geräusch brach dieser vor ihr zusammen.
Nach Atem ringend hob sie den Blick und schaute direkt in das grinsende Gesicht Jaris, des Freundes ihrer Kinder.
„Meine Königin!", grüßte er sie und hob den Hammer erneut, „Wir haben es geschafft, viele der Bewohner der Stadt aus den Flammen zu retten. Frerin sorgt dafür, dass sie es sicher bis zur Brücke und ans Ufer schaffen."
Lyrann nickte und wollte eben etwas sagen, als plötzlich zwei Orks auf sie zugerannt kamen. Jari warf ihr einen letzten Blick zu, dann stellte er sich den Angreifern entgegen, den Hammer hoch über den Kopf schwingend. „Ich werde euch eure erbärmlichen, kleinen Gehirne herausschneiden, ihr Aasgeier!", brüllte er herausfordernd und warf sich auf die Orks.
Er brauchte keinerlei Unterstützung. Mit Leichtigkeit wurde Jari mit den beiden fertig.
Und so lief Lyrann los, auf der Suche nach ihrem Mann. Noch immer tobten wilde Kämpfe in der Stadt. Die meisten Menschen schienen tatsächlich geflohen zu sein und es schien Lyrann, als würde sie immer weniger Orks sehen. Schafften die Verteidiger es tatsächlich, die Oberhand zu gewinnen?
Endlich erblickte sie ihn. Thorin stand in der Mitte des Marktplatzes von Seestadt. Mehrere Dutzend Orks umzingelten ihn, doch keiner von ihnen vermochte es, dem König unter dem Berge zu nahe zu kommen. Orcrist tanzte unaufhaltsam umher und fällte einen Gegner nach dem anderen. Die umgebenden Häuser standen in Flammen. Taghell schien es durch das Feuer zu sein.
Mit gezücktem Schwert rannte Lyrann los. „Durin!", schrie sie und warf sich auf die Orks. Zwei fielen sofort durch ihre Klinge. Die anderen drehten sich überrascht zu ihr um. Eine Lücke tat sich auf und mit einem Satz war Lyrann bei Thorin.
„Thorin!", rief sie. Deutlich konnte sie ihm die Erleichterung ansehen, dass es ihr gut ging. Schnell vergewisserte sie sich, dass auch er ohne Verletzung war, dann wirbelte sie herum und stellte sich den Orks.
Rücken an Rücken stand das Königspaar unter dem Berge da und eröffnete das Gefecht mit den Orks.
Gnadenlos fanden die beiden Klingen ihre Ziele. In fein aufeinander abgestimmten Bewegungen drehten sie sich umeinander herum. Mal wehrte der eine einen Angriff ab und der andere versetzte den tödlichen Stoß, dann wieder umgekehrt. Gemeinsam waren sie für die Orks unüberwindbar.
Diese schienen das schließlich auch zu verstehen und so wandten sie sich zur Flucht. Doch Thorin und Lyrann setzten ihnen nach und ohne jegliches Erbarmen schlugen sie die Orks zu Boden.
Schwer atmend standen sie da und sahen einander an. „Geht es dir gut?", fragte Thorin leise. Lyrann nickte und sah sich um. Ihre Hände tasteten nacheinander.
Die Kampfgeräusche verstummten zunehmend und nur noch das Fauchen und Knistern der brennenden Häuser war zu hören.
„Lass uns die anderen suchen.", sagte Lyrann und nebeneinander eilten sie die Gassen Esgaroths entlang.
Nirgendwo wurde mehr gekämpft. Und am Tor zur Stadt, dort, wo die Brücke zum Ufer führte, fanden sie auch ihre Lieben. Dort waren Frerin und Fenja mit Skafid. Voller Glück, ihre Kinder wohlbehalten zu sehen, zogen Lyrann und Thorin die Zwillinge in die Arme. Und auch Skafid wurde von Lyrann kurzerhand in die Umarmung mit hinein gezogen.
„Wir haben die Orks zurück geschlagen.", sagte Frerin.
Um sie her versammelten sich die Soldaten der Menschen und Zwerge.
„Lasst uns zum Ufer gehen.", meinte Thorin und nebeneinander gingen sie über die Brücke in Richtung des Ufers, wo die Überlebenden des Feuerinfernos sich versammelt hatten. Weinen und Rufe waren zu hören, wo die Menschen nach ihren Lieben suchten.
Lyrann drehte sich um und blickte zurück auf den See, wo eine riesige schwarze Rauchwolke über der Stadt hing. Noch immer brannte Esgaroth, die stolze Handelsstadt des Nordens, während sich im Osten langsam die Sonne erhob.
Die Orks waren aus Seestadt vertrieben, die meisten ihrer Bewohner hatten wie durch ein Wunder überlebt. Doch Seestadt selbst war zerstört.
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