Rückzug und Eroberung
Der Winter war früh angebrochen im Norden Mittelerdes. Mehrere Tage hatte es durchgeschneit und so war die Landschaft nun von einer durchgängigen Schneedecke überzogen. Zwar war es genau genommen noch Herbst, der Durinstag war noch nicht verstrichen, doch winterliches Wetter hatte die Lande um den einsamen Bergen bereits fest im Griff.
Eine weiße Ebene lag nun vor dem Heer, das sich im Schutze der Dämmerung in Richtung des Flusses bewegte. Windstill war es und kein Laut war zu hören, bis auf das Knirschen des kalten Schnees unter den Füßen der Soldaten.
Das Gebiet zwischen dem Gebirgsmassiv des Erebor mit Thal und der Rotwasser war eine weitläufige hügelige Fläche, im Sommer ein fruchtbares Land aus Feldern, Obstwiesen und Weiden mit hohem Gras und wo immer wieder eine kleine Siedlung oder ein Bauerngehöft zu finden war. Nun im Winter war alles unter einer dicken Schneeschicht verschwunden, die in wenigen Tagen so hoch geworden war, das kleinere Hecken, Bäumchen und auch so mancher Weidenzaun nicht mehr aufzufinden war.
Doch in diesen unruhigen Zeiten war das Land zwischen Erebor und Rotwasser zunehmend ausgestorben. Immer mehr Menschen hatten ihre Siedlungen verlassen und waren nach Esgaroth oder Thal geflohen. Angst und Schrecken hatten die Ostlinge verbreitet, die schon im letzten Winter die Rotwasser überschritten hatten und seitdem in einem ständigen Kampf mit den Soldaten von Thal und Erebor verwickelt waren.
Monatelang waren die Gefechte eine ständige Abfolge aus Eroberungen, Rückzügen und Gegenangriffen gewesen. Hatten die Ostlinge ein Gebiet erobert, so waren sie wenig später an anderer Stelle zurück gedrängt worden. Doch langsam aber stetig waren sie tiefer und tiefer in das Herrschaftsgebiet von König Brand eingedrungen, einen Strom von Flüchtlingen ins Landesinnere treibend, Gerüchte von unvorstellbarer Grausamkeit eilten ihnen voraus und Nachrichten vom Tode unzähliger Soldaten gelangte nach jedem Kampf in die Städte und zum einsamen Berg.
Doch nun endlich schien sich eine Chance zu bieten, das Blatt zu wenden. Seit wenigen Wochen waren die Ostlinge nicht mehr auf dem Vormarsch. Sie griffen nicht mehr an. Tatsächlich schienen weniger Soldaten als sonst die eroberten Gebiete zu bewachen. Die Krieger von Erebor und Thal sahen ihre Chance und waren nun bereit, zu zu schlagen.
General Fili blieb stehen und sah mit zusammengezogenen Augenbrauen nach vorne in die zunehmende Dunkelheit der einbrechenden Nacht. Er wusste dass, keine zwei Wegstunden entfernt, ein Wachturm stand, von dem aus man nach Osten zur naheliegenden Rotwasser sehen konnte. Dieser Turm war einer der vielen Befestigungsanlagen, die sie an die Angreifer aus Rhun verloren hatten. Wer auch immer diesen Turm in seiner Gewalt hatte, besaß einen guten Überblick über alle Geschehenisse in seiner Umgebung. Deswegen näherten sie sich jetzt auch im Schutz der Dunkelheit.
Fili knirschte mit den Zähnen. Der Schnee würde die Nacht aufhellen und so ihr Vorhaben erschweren. Doch er konnte und wollte nicht länger warten. Wer weiß, wie lange die Ruhephase in dem Krieg noch anhalten würde? Er ahnte, dass sie es nicht schaffen würden, den Feind bis hinter den Fluss zu drängen, doch wenigstens eine Reihe strategisch wichtiger Festungsanlagen wollte er zurück erobern.
Tatsächlich war seine Gruppe aus zwergischen und menschlichen Kriegern nicht die Einzige, die sich durch den Schnee kämpfte. Südlich von ihnen führte Dwalin eine weitere Einheit Soldaten aus Thal und Erebor in Richtung des Flusses, ihr Ziel war eine kleine befestigte Siedlung, die seit ein paar Wochen von den Ostlingen kontrolliert wurde. Und nördlich von Fili war sein jüngerer Bruder an der Spitze weiterer Krieger auf dem Weg zu einem zweiten Turm, um diesen zurück zu erobern.
Doch sowohl Kili als auch Dwalin mit ihren Kämpfern waren so weit entfernt, dass Fili keinerlei Möglichkeit hatte, sie zu erblicken. Für diese Aufgabe hatte er zwei Elben bei sich, genau wie die beiden anderen Generäle. Die Elben waren die einzigen, die in der Lage waren, untereinander Sichtkontakt zu halten und koordinierten so das gleichzeitige Vorrücken der drei kleinen Heere.
Fili drehte den Kopf und sah zu einem der Elben auf, Erohel, der stetig nach Süden hinab blickte, um Dwalins Gruppe im Auge zu behalten. „Wie sieht es aus?", fragte Fili leise. „Sie kommen wie geplant voran.", erwiderte Erohel, ohne den Blick abzuwenden.
Der blonde Zwerg mit der Augenklappe nickte, er war Erohels knappe Art gewöhnt. Auf seiner anderen Seite ging eine Elbin, die sehr viel munterer und mitteilsamer war als Erohel, die auf den Namen Selwen hörte.
Noch bevor Fili sie fragen konnte, sagte sie schon fröhlich: „Ich kann die Gruppe deines Bruders klar und deutlich sehen. Sie werden ihr Ziel bald erreicht haben."
„Dann rücken wir weiter vor. Kein Wort jetzt mehr.", erwiderte Fili. Er hob eine Hand und gab den Soldaten hinter ihm das Signal, dass es weiter gehen würde.
Schweigend gingen sie weiter, bemüht, kein Geräusch zu machen, während sich die Nacht über das Land senkte. Im Licht der Sterne leicht hellweiß schimmernd hob sich der Schnee gegen den tiefschwarzen Nachthimmel ab. Langsam verstrichen die Minuten während sie sich dem Gebiet um die Rotwasser näherten.
Selwens Hand deutete kurz nach vorne an den Horizont, wo sie wohl bereits ihr Ziel erspäht hatte. Fili kniff die Augen zusammen und tatsächlich, dort erhob sich die schwarze Shilouette des Wachturmes.
Er beschleunigte seinen Schritt, war ihm doch klar, dass sie von oben gegen den hellen Schnee leichter zu sehen waren, als ihm lieb war. Sie mussten schnell sein, damit die Katapulte und Schleudern der Befestigungsmauern nicht zum Einsatz kommen konnten. Rasch kamen sie dem Turm näher und bald konnte Fili ihn deutlich erkennen. Kurz sandte er ein Stoßgebet zu Mahal, er möge sie behüten und in diesem Kampf auf ihrer Seite sein.
Da zerriss plötzlich eine hohe Stimme die nächtliche Stille. Man hatte sie gesehen!
„Angriff!", brüllte Fili, „Du bekar, Khazad!" Er zog seine beiden Schwerter und begann, zu rennen. Im nächsten Moment hörte er schon das Sirren dutzender Pfeile, die auf sie zuschossen. Und da fanden sie auch schon ihr Ziel. Laute, schmerzerfüllte Schreie erklangen um Fili her, als die Opfer des Angriffes zu Boden stürzten. Sturr hielt er den Blick auf den Turm vor ihnen gerichtet. Er konnte seinen Kriegern nicht helfen. Einzig und allein so schnell wie möglich in den Schatten des Bauwerkes vor ihnen zu gelangen zählte nun.
Ein weiterer Pfeilhagel ging auf sie hinab. Das scharfe Zischen eines Geschosses zog dicht an Filis Ohr vorbei. Wer weiß, welche Verletzung ihm dieser Pfeil beigebracht hätte? Mahal hielt seine Hand über ihn.
Ein Felsbrocken sauste über sie hinweg, als es der Turmbesatzung endlich gelungen war, die Verteidigungsmaschinerie in Gang zu setzen. Doch es war zu spät, denn Filis Trupp befand sich bereits im Schatten des Gebäudes.
Endlich erreichte er die schützende Mauer des Vorhofes, der sich um den Turm zog, und drückte sich dagegen. Die restlichen vier dutzend Krieger, sowie die zwei Elben, waren nun auch heran gekommen und drängten sich an den Stein.
„Wir müssen zum Tor!", rief Fili Erohel neben ihm zu. Der Elb nickte und sah sich um. „Dort hinten!", antwortete Selwen und deutete nach links. Geduckt schlich die Elbin vorwärts, gefolgt von Erohel und Fili.
Zischend flogen die Pfeile an ihnen vorbei und schlugen im Schnee neben ihnen ein. Ein gellender Schrei hinter ihnen kündete von einem weiteren Opfer. Fili fluchte unterdrückt. Der Schnee hatte ihren Plan, die Besatzung im Turm zu überraschen, vereitelt. Sie erreichten das Tor, das natürlich von innen verschlossen war.
Kurz winkte Fili nach hinten und ein schwarzhaariger Zwerg erschien an ihrer Seite, ausgestattet mit einer großen Sammlung an Dietrichen und Nadeln. „Gebt mir Deckung.", brummte er und machte sich am Tor zu schaffen.
Fili sah nach oben und wünschte sich mit einem Mal Kili herbei, der mit Sicherheit mehrere der feindlichen Schützen getroffen hätte. Doch Selwen und Erohel hatten bereits ihre Bögen gezückt und auf die Angreifer angelegt.
Minuten verstrichen, die Fili wie Stunden vorkamen, bis der Schwarzhaarige endlich einen triumphierenden Laut ausstieß. Sofort sprang Fili an seine Seite und stieß kraftvoll das Tor auf. „Du bekar!", brüllte er und stürmte in den Hof, gefolgt von kampflustig brüllenden und Axt schwingenden Zwergen.
Sofort sah er sich umringt von Feinden. Seine Zwillingsschwerter wirbelten durch die Luft, parierten einen Angriff und durchtrennten den Arm eines Gegners. Die beiden Elben waren nun auch im Hof und schalteten gezielt jeden Bogenschützen aus, der sich noch auf den Mauerzinnen befand.
Fili rannte auf einen Ostling zu, der sich mit einer langen Lanze zur Wehr setzte. Doch gegen den kampferprobten General hatte dieser keine Chance. Fili wischte seine Waffe einfach beiseite, überbrückte die Distanz zwischen ihnen mit einem raschen Schritt und versenkte sein Schwert im Hals seines Gegenübers. Röchelnd brach dieser zusammen.
Der Blick des Zwerges schoss hin und her. Überall auf dem Hof kämpften Zwerge, die Menschen aus Thal und die zwei Elben gegen die Eindringlinge aus Rhun.
Nicht weit von ihm entfernt war ein Mensch in arge Bedrängnis geraten, zwei Ostlinge drängten ihn gegen den Turm. Mit einem lauten Kampfschrei auf den Lippen rannte Fili auf die Gruppe zu und holte zum Schlag aus. Einen der Gegner schlug er sofort zu Boden, der andere wirbelte herum und hieb mit seiner Waffe nach dem Zwerg. Gekonnt wich dieser aus. Der Schlag ging ins Leere, sodass sein Gegner nach vorne taumelte. Noch bevor er reagieren konnte, hatte Fili ihn mit einem scharfen Schlag enthauptet.
Kurz vergewisserte er sich, dass es dem Mensch, dem er eben das Leben gerettet hatte, gut ging. Dann wandte er sich ab und suchte nach der Tür, die in das Innere des Turmes führte. Sie konnten diesen Kampf nur gewinnen, wenn sie rasch auch den Turm eroberten.
Endlich fand er sie und rannte darauf zu, eine Gruppe Zwerge schloss sich ihrem General an, der schließlich die Tür erreichte und sie mit einem gezielten und kraftvollen Tritt bersten ließ.
Mit einem lauten „Du bekar!" stürmte er nach drinnen.
Mit gezückten Schwertern rannte er die Treppen empor. Lautes Brüllen hallte über ihm von den Steinwänden wider und kündigte bereits Feinde an. Wenig später erschienen Ostlinge auf der Wendeltreppe.
Mit langen Lanzen stachen sie nach Fili. Gerade so schaffte er es, in dem engen Treppenhaus auszuweichen. Kaum war es ihm möglich, auszuholen, so sehr behinderten ihn die Mauern. Ein Stich nach vorne ging ins Leere, ebenso ein weiterer Hieb. Mühsam parierte er einen kraftvoll von oben geführten Schlag. Dann schaffte er es endlich, einen weiteren Schritt nach oben zu machen und so nahe genug an den Ostling heran zu kommen. Sein Schwert fraß sich in den schwachen Bereich der Rüstung nahe des Halses.
Ihn mit Blut besudelnd sackte der Ostling auf die Treppen hinab, sein schwerer Körper wälzte sich auf Fili zu. Mit einem Kraftakt stemmte der Zwerg den Leichnam beiseite und griff schon den nächsten Feind an.
Treppe um Treppe kämpfte er sich so empor. Dicht hinter ihm ein halbes Dutzend Zwergenkrieger, die ihm zwar Rückendeckung gaben, ihrem General aber sonst nicht viel helfen konnten.
Die endlose Schlange der Gegner schien kein Ende zu nehmen und bald schmerzten Fili die Arme, von dem ständigen unbequemen Ausholen auf der beengten Treppe.
Aus seitlichen Kammern stürmten Ostlinge auf die Wendeltreppe und bedrängten Fili von der Seite. Doch seine Begleiter schützten ihren Anführer jedes Mal verbissen, sodass er selbst sich ganz auf die Ostlinge vor ihm konzentrieren konnte.
Endlich erreichte er das Ende der Treppe und stand in einem kreisrunden Raum, wo er sich plötzlich vor acht Ostlingen wieder fand. Mit lautem Kriegsgebrüll warfen sie sich auf den Zwerg, wohl wissend, dass er eben alle ihre Gefährten im Turm ermordet hatte.
Den ersten Hieb parierend, wich Fili schon dem zweiten zur Seite hin aus. Sein Schwert wirbelte herum und bohrte sich in die Flanke eines Angreifers. Doch er hatte kaum Zeit sich zu vergewissern, ob der Mann wirklich tot war, da bedrängten ihn schon drei weitere. Glücklicherweise erschienen in eben diesem Moment die anderen Zwerge im Raum und standen ihm bei.
Wild klirrten seine Schwerter gegen die Lanzen der Ostlinge, als er in hektischem Schlagabtausch von den drei Gegnern in Richtung der Raumwand abgedrängt wurde. Fili warf sich in einem gewagten Schritt nach vorne und seine Klinge durchschnitt sauber die Kehle eines Menschen. Doch im nächsten Moment zerriss ein scharfer Schmerz seine Schulter. Er war einem anderen Ostling zu nahe gekommen. Mit einem lauten Schrei riss er sein Schwert herum und ging auf den Mann los. Sirrend sauste die Klinge durch die Luft, Fili machte einen Schritt zu Seite, um sich in den richtigen Abstand zu bringen, dann trennte seine Waffe den Kopf von den Schultern des Ostlings.
Eben wollte er sich auf den dritten werfen, da wurde dieser von hinten von der Klinge eines anderen Zwerges durchbohrt. Mit einem Stöhnen brach der Mensch zusammen.
Besorgt sah der Krieger zu Fili. „Ihr seid verwundet, General!", rief er aus. Fili aber schüttelte nur den Kopf und ging auf die Luke in der Decke des Raumes zu, die nach oben auf die Spitze des Turmes führte.
Mit gezücktem Schwert stieg er die Leiter empor, schon damit rechnend, dass man ihn von oben angriff. Doch niemand war hier. Die Stille einer kalten Nacht empfing ihn, als er oben auf dem Turmes stand. Kein Kampflärm war mehr zu hören. Er trat an die Zinnen heran und sah nach unten, wo tatsächlich niemand mehr kämpfte.
Nicht lange stand er da, als er plötzlich eine Bewegung seitlich von sich wahrnahm. Er drehte sich um und erblickte Erohel, der eben aus der Luke kletterte.
„Wir haben gesiegt.", verkündete er, „Die Feinde sind alle erschlagen und der Turm gehört uns."
„Hey, Bruder!", rief Kili fröhlich, als er das Tor zum Turmhof durchschritt, von niemand anderem als Tauriel begleitet. Mit großer Erleichterung registrierte Fili, dass sein kleiner Bruder komplett ohne Verletzung zu sein schien. „Hallo Kee!", sagte er liebevoll und schloss den braunhaarigen Bogenschützen in die Arme.
Selbst jetzt, Jahrzehnte nach der Schlacht der fünf Heere und sie beide weit über 100 Jahre zählten, machte er sich immer wieder Sorgen um Kili und dankte Mahal, wenn er ihn wohlbehalten nach einem Kampf wieder sah. Er lächelte schwach, als er sich an den kleinen Knirps erinnerte, der ihm früher in den blauen Bergen überall hin gefolgt war. Das war wohl das Los älterer Geschwister. Nie wurden sie den Beschützerinstinkt los.
Kili löste sich aus der Umarmung und betrachtete den Älteren kurz. Dabei fiel ihm der Verband um Filis Schulter auf. „Verletzt?", fragte er besorgt. Fili winkte ab. „Nur ein Kratzer.", erwiderte er.
Er blickte zu Tauriel auf, die ihn mit einem freundlichen „Hallo Fili" begrüßte. „Tauriel", erwiderte er den Gruß, dankbar, dass auch die Elbin, bis auf eine Schürfwunde im Gesicht, soweit unverletzt wirkte.
„Fili! Kili!", dröhnte da die Stimme Dwalins über den Hof und die drei wandten sich um, wo eben der glatzköpfige Krieger, dessen Bart mittlerweile von dunklem Stahlgrau war, durch das Tor schritt.
Mit einem lauten Lachen breitete er die Arme in einer Geste der Begrüßung aus und stapfte durch den Schnee auf die beiden Brüder und Tauriel zu.
„Meister Dwalin!", rief Kili erfreut und ging dem Vetter entgegen. Beide Krieger schlugen sich fröhlich auf die Schultern, dann sah Dwalin zu Fili. „Ein guter Preis, den du hier errungen hast.", meinte er grinsend und deutete zum Turm empor, hinter dessen Zinnen man Bogenschützen aus Thal sehen konnte, die wachsam Richtung Osten spähten.
Fili nickte und winkte Bruder und Vetter heran. „Kommt,", sagte er, „lasst uns hinein gehen. Wir können uns aufwärmen, etwas essen und die Lage besprechen."
Das ließen sich weder Kili noch Dwalin zweimal sagen und so folgten sie Fili nach drinnen, der die drie in das obere Turmzimmer führte. Die Spuren des nächtlichen Kampfes hatte man mittlerweile beseitigt oder durch geschicktes Verrücken der Möbel versteckt.
Mit einladender Geste wies Fili sie an, Platz zu nehmen. Dann ließ er etwas zu essen für sie bringen und zapfte selbstständig aus einem kleinen Fass etwas Bier für sie. Es war kein üppiges Mahl, was er ihnen bieten konnte. Das Bier war dünn und nicht sonderlich wohlschmeckend, dazu gab es ein paar Streifen Räucherfleisch und Kram, das zwergische Wegbrot. Doch sie alle drei waren karge Kost gewohnt, wenn man unterwegs oder an der Front war. Es war Teil ihres Lebens als Krieger.
Sie tauschten sich über die Kämpfe der letzten Nacht aus, während sie aßen und tranken. Dankbar hörte Fili, dass man wenige Verluste insgesamt zu beklagen hatte. Tatsächlich hatte Dwalin es geschafft, so wie geplant den Feind zu überraschen, und war nicht durch den Schnee zu früh aufgefallen.
Schließlich schoben sie Teller und Krüge beiseite und Fili holte eine Karte der Umgebung herbei. Konzentriert beugten sich die drei Generäle und die Elbin über das Pergament, das Fili auf dem Tisch ausrollte.
„Hier sind wir.", sagte er und deutete auf den Turm mit der Beschriftung „Ostblick". „Hier sind Turmaug und Rotzinn.", fuhr er fort und tippte auf die beiden Festungsanlagen nördlich und südlich von Ostblick. „Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten.", fuhr er fort, „Rücken wir weiter vor bis an die Rotwasser und stellen sicher, dass das Gebiet bis zur alten Grenze frei von Ostlingen ist, oder arbeiten wir uns nach Süden und Norden vor und verstärken hier unsere Linien?"
Schweigend blickten sie auf die Karte. „Wir sollten die Chance ergreifen und zur Rotwasser vorrücken.", meinte Dwalin mit leisem Grummeln in der Stimme, „Ich habe es satt, dass die Ostlinge über den Fluss kommen und gehen, wie es ihnen gefällt."
„Aber, wenn sie nördlich und südlich von uns noch durch das Land ziehen, dann bringt es uns nichts, hier den Fluss zu sichern.", warf Kili ein.
Fili nickte langsam. „Wir haben zu wenig Männer, um beides gleichzeitig durchzuführen.", sagte Tauriel.
„Lass uns eine Offensive zur Rotwasser vorbereiten und gleichzeitig senden wir Späher nach Norden und Süden.", beschloss Fili. „Sie sollen die Umgebung erkunden, wie viele Ostlinge hier wirklich noch ihr Unwesen treiben. Gleichzeitig sende ich eine Nachricht an Thorin, er möge eine kleine Einheit Soldaten herschicken, um unser Vorhaben zu unterstützen. Mehr wird er nicht entbehren können, meines Wissens nach hat er gerade eigene Pläne für die Südwestfront."
Der Rest des Mittags verging in fröhlicher Unterhaltung, bis Filis Gäste sich am frühen Abend verabschiedeten, um zurück zu ihren Stützpunkten zu gehen. Eine Weile blieb Fili bei einer gemütlichen Pfeife in dem Turmzimmer sitzen, während draußen die Nacht herein brach.
„General?", erklang da die etwas unsichere Stimme eines noch jungen Soldaten aus Thal. Fili hob den Kopf. Der Mann sah von der Dachluke heraus auf ihn hinab. „Könnt ihr bitte hochkommen?", fragte er.
Fili nickte und erhob sich. Dann folgte er dem Wink des Soldaten nach draußen. „Was gibt es?", fragte er und sah sich um.
„Wir... wir sind uns nicht sicher...", gab der andere verlegen zurück und deutete in Richtung des Flusses.
Fili trat an die Zinnen heran und sah in die gewiesene Richtung. Schon bei Tageslicht war es ihm nicht leicht gefallen, die Rotwasser zu erkennen. Nebel war von dem Wasser aufgestiegen und bedeckte das Flusstal so wie die umgebende Landschaft.
Der Zwerg kniff das Auge zusammen. Auf ihrer Seite des Flusses war nichts zu erkennen, doch auf der anderen Seite...
Da waren Lichter, dutzende, nein, hunderte. Verschwommen durch den Nebel flackerten sie hin und her, schienen sich zu bewegen. War da eine dunkle, brodelnde Masse, die dort sich auf den Fluss zu schob? Eine ungute Vorahnung ballte sich in seinem Magen zusammen.
„Holt Selwen!", befahl er. Die Elbin hatte in der Nacht Erohel abgelöst, der sich um die Verwundeten gekümmert hatte. Doch nun benötigte Fili ihre Augen.
Sie trat so leise neben ihn, wie er es sonst nur von seiner angeheirateten Tante Lyrann gewohnt war. Ohne, dass er sie darauf hinweisen musste, sah sie zum Fluss hinüber und sofort verkrampfte sie sich.
„Was siehst du?", fragte Fili, dessen Mund langsam trocken wurde.
„Ein Heer...", flüsterte Selwen, „Ein riesiges Heer bewegt sich auf uns zu. Tausende von Soldaten, Menschen aus Rhun. Sie schlagen Lager auf der anderen Seite des Flusses auf. Doch manche nähern sich auch dem Wasser, sie werden es bald überqueren. Fußsoldaten sind unter ihnen und auch Reiter. Ich kann nicht erkennen, welche Tiere sie reiten. Pferde sind es nicht. Sie werden in wenigen Tagen hier sein."
Fassungslos starrte Fili auf die vielen flackernden Punkte am Horizont und ihm wurde klar, dass ihr Vorstoß nun ein Ende gefunden hatte. Was auch immer den Feind ins Stocken gebracht hatte, war nun vorbei. Und nun sammelte der Gegner alle Kräfte, um den Erebor, Thal und auch den Düsterwald und die Eisenberge endgültig in die Knie zu zwingen.
Das Ende hatte begonnen. Doch wessen Ende, das konnte Fili nicht sagen. Ihm blieb nur, zu Mahal zu flehen, dass er sie auch weiterhin schützen möge.
Er presste die Lippen zusammen, dann sagte er leise: „Ich werde meinem Onkel schreiben."
„Pass gut auf den Berg auf, meine Geliebte.", sagte Thorin liebevoll und beugte sich zu Lyrann hinunter, die sich in ihrem Arbeitszimmer über diverse königliche Schreiben beugte. Nun, da er den Berg verlassen würde, lagen diese wieder vor allem in ihrem Aufgabenbereich.
„Das werde ich. Grüße Rhon von mir.", erwiderte Lyrann sanft. Zärtlich küsste Thorin seine Frau und spürte, wie tiefe Wehmut ihn schier zerriss. Doch er musste fort.
Die Gelegenheit war einfach zu günstig und so würde er nun in den Düsterwald reiten, um mit Thranduil den Angriff auf Dol Guldur zu planen. Eine große Einheit Soldaten würde ihm folgen. Wie lange Thorin fort bleiben würde, wusste er nicht. Diese Ungewissheit brachte der Krieg mit sich. Einen langen Moment sahen die Eheleute sich schweigend an. Beide wussten, wie gefährlich der Angriff sein würde, den Thorin nun beschlossen hatte, durchzuführen. Noch in der Vornacht hatten sie sich leidenschaftlich geliebt, doch nun verabschiedeten sie sich so normal wie möglich. Sich aneinander fest zu klammern, zog das Unvermeidliche nur in die Länge.
„Ich liebe dich.", sagte Thorin und strich mit der Hand über die Wange seiner Frau.
„Und ich liebe dich.", erwiderte diese, „Mögen die Valar und Eru dich schützen." Ihre Stimme zitterte leicht und verriet, wie groß ihre Angst um ihn war.
Ein letzter sanfter Kuss, dann verließ Thorin mit raschen Schritten das Zimmer.
In der Vorhalle wartete bereits seine fertig gesattelte Kriegsziege auf ihn, sowie eine kleine Garde Soldaten. Der größere Rest des Heeres, das er mit in den Düsterwald bringen würde, sollte ihm in wenigen Tagen nachfolgen.
Er sah sich um und wie vereinbart, erblickte er ganz in der Nähe Frerin, der sich bald als Thorins Vertretung in eine Ratssitzung begeben würde. Seit Mims Tod waren diese deutlich entspannter. Der Teil der Adelsfamilien, die unter Mims Führung oft gegen die Herrscher des Berges aufbegehrt hatten, waren nun weniger fordernd. Tatsächlich schien die Enthüllung, dass Zahina und Mim bereit gewesen waren, den Berg an Mordor auszuliefern, sie so schockiert zu haben, dass sie nun doch wieder zur Königsfamilie hielten.
„Vater!", grüßte Frerin ihn und trat an seine Seite, „Du bist aufbruchbereit?"
Thorin nickte und zog seinen zweiten Sohn in eine kurze und feste Umarmung. „Pass mir gut auf deine Mutter auf. Und pass auch auf dich auf!", sagte er streng und sah Frerin in die Augen.
Der junge Zwerg nickte. Kurz klopfte Thorin ihm auf die Schulter, dann schwang er sich auf die Kriegsziege, die ihr mächtiges Gehörn in die Luft warf. Frerin hob die Hand und wandte sich in Richtung der Ratskammer ab.
Eben wollte Thorin den Befehl zum Abritt geben, als ein Bote durch das Portal gerannt kam. „Ein Rabe!", rief er, „Ein Rabe für den König von General Fili!" In seinen Händen hielt er eine Pergamentrolle. Vollkommen außer Atem stolperte er auf seinen König zu.
Thorin streckte neugierig die Hand nach dem Schreiben aus, brach das Siegel und überflog die Zeilen.
Mit jedem Wort, das er las, wuchs sein Zorn und gleichzeitig auch seine Angst. Hunderte oder gar tausende Soldaten, die sich auf den Fluss zu bewegten, Befestigungsanlagen hochzogen und verstärkten, Fili stand einer Übermacht gegenüber...
Und ihm war klar, dass die Chance vertan war. Dol Guldur würde nicht angegriffen werden. Thranduil konnte dieses Wagnis nicht alleine eingehen und er, Thorin, musste nun seinen Neffen beistehen. Voller Wut zerknüllte er das Pergament und schwang sich wieder von der Ziege.
„Frerin!", rief er nach seinem Sohn, der stehen blieb und verwundert zu seinem Vater zurück sah. Eilig lief Thorin auf ihn zu. „Ich brauche ein Heer.", sagte er, „Deine Vetter benötigen unsere Hilfe."
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