Neue Verbündete und alte Bekannte
Elrond erhob sich und mit einem Mal verstummten die Gespräche. „Das Kaminzimmer wurde hergerichtet, die Feuer dort sind entfacht. Lasst uns dorthin gehen und den Abend bei Musik und Gedichten begehen!", sagte er mit ausgebreiteten Armen. Dann schritt er um den Tisch herum, bot seiner Tochter den Arm an und führte mit ihr an seiner Seite die Gäste aus dem Raum. Auch Lyrann erhob sich zusammen mit den anderen. Kurz fiel ihr Blick noch auf die Menschenfrau, die neben zwei blonden Elben lief, dann streifte Thorin sie bereits mit seinem Arm und sie hakte sich unter.
Lyrann und ihr Sohn Thrain standen neben Elrond, Thorin und Tauriel und lauschten deren Unterhaltung. „Es überrascht mich, dass ihr ohne Schwierigkeiten nach Westen reisen konntet, Thorin.", sagte Elrond eben. „Warum?", fragte der Zwerg.
„Nun, wir beobachten die Straßen, die durch diese Gegend führen. In den letzten Jahren wurde das Reisen wieder zunehmend gefährlicher, wir hören vermehrt von Angriffen durch Trolle oder sogar Orks und Warge.", erwiderte der Elb, „Und es scheinen immer mehr nach Nordwesten zu ziehen, sie sprechen von Dunkelheit und Krieg im Süden."
„Wenn es Unruhen hier gibt, warum schützt ihr die Reisenden nicht?", mischte sich Thrain plötzlich ein. „Thrain!", entfuhr es Thorin entsetzt und er blickte seinen Sohn strafend an. Doch Elrond hob beruhigend die Hand und sah sich den jungen Zwerg aufmerksam an.
„Junger Prinz,", sagte er, „sicher habt ihr Recht, es ist unsere Pflicht, die Straßen sicher zu halten. Doch hören wir oft nur von den Vorfällen und die Wächter von Imladris können nur wenig ausrichten. Sie reiten oft aus, um Angriffe auf unsere Grenzen abzuwehren, die nun gehäuft vorkommen."
Tauriel nickte ernst, „Auch in unserer Heimat bemerken wir ein Erstarken dunkler Kreaturen." Lyrann und Thorin tauschten beunruhigte Blicke. „Noch haben wir nicht bemerkt, dass es vermehrt Flüchtende auf den Straßen gibt.", sagte Thorin, „Aber wenn alle nach Westen ziehen, ist das nicht verwunderlich. Bisher ist der Süden noch weit entfernt von uns. Aber auch in unseren Bergen regen sich nun vermehrt Wesen wie Bergtrolle."
Elrond hob die Hand. „Auf jeden Fall müssen wir darüber sprechen, Thorin, König unter dem Berge. Doch nicht heute Nacht. Dieses Fest soll nicht mit den Neuigkeiten von Leid und Dunkelheit beschwert werden.", erwiderte er sanft. Mit einem Neigen seines Kopfes wandte er sich ab und ging zu den Musikern am Kamin, die ein weiteres Lied anstimmten.
Frerin ging zwischen den Gästen auf sie zu. Bei seinen Eltern angekommen, blickte er zu Thorin hoch. „Warum singen sie nur elbische Lieder?", fragte er. Thorin zuckte lächelnd die Schultern, „Wir sind bei Elben zu Gast, Frerin.". Der Junge seufzte und sah sich um. „Kannst du nicht ein zwergisches Lied singen?", bat er seinen Vater. Die Gespräche um sie herum verstummten und einige Elben wandten sich ihnen zu. Thorin seufzte und sah auf Frerin hinunter. „Nein, nur sehr ungerne...", murmelte er auf Khuzdul.
Doch da rief Elrond bereits: „Wir würden uns äußerst geehrt fühlen, wenn ihr ein Lied der Zwerge singen würdet!" Thorin presste peinlich berührt die Lippen aufeinander und sah zu Lyrann. Diese konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen und nickte ihm ermunternd zu. Schließlich gab Thorin sich seufzend geschlagen und trat nach vorne neben Herr Elrond, wo er sich auf einen Hocker setzte. Frerin lief zu ihm und setzte sich neben ihm auf den Boden. Und Thorin, den Blick fest auf seinen Sohn neben ihm gerichtet, als wären sie ganz allein, begann zu singen:
https://youtu.be/8PSFN2r6bXY
Die Welt war jung, die Berge grün,
Noch kein Fleck auf dem Mond ward gesehen,
Unbenannt waren Fluss oder Stein,
Als Durin erwachte und allein dahinschritt.
Er benannte die namenlosen Hügel und Täler;
Er trank aus noch nicht gekosteten Brunnen;
Er bückte sich und schaute in den ,
Und sah auftauchen eine Krone von Sternen,
Wie Juwelen auf einem Silberfaden,
Über dem Schatten seines Hauptes.
(Tolkien)
Schweigend lauschten die Elben dem singenden Zwergenkönig, der von der Pracht Morias aus Durins Zeiten erzählte. Mit einem Lächeln stand Lyrann da und beobachtete ihren Mann, dessen dunkle samtige Stimme, die gebannt lauschende Halle ausfüllte. Thorin jedoch beachtete die Umgebung nach wie vor nicht. Liebevoll auf seinen Sohn hinab schauend sang er nur für Frerin. Bilder von riesigen, fackelbeleuchteten Hallen mit goldenen Dächern und silberbedeckten Böden beschwor er hervor. Tiefe Minen, leuchtend vom silbernen Mithril, öffneten sich vor Lyranns innerem Auge. Von einem großen Portal beschriftet mit machtvollen Runen, im Mondlicht schimmernd, und Hallen gefüllt mit Waffen und prunkvollen Rüstungen sang Thorin.
Mit einem Mal spürte Lyrann, wie sich neben ihr etwas bewegte und wandte den Kopf. Die Menschenfrau, die ihr vorher schon aufgefallen war, stand mit einem Mal neben ihr und neigte kurz den Kopf zum Gruß. Gemeinsam lauschten sie den letzten Zeilen des Liedes.
Als das Lied verklungen war, sagte sie leise: „Ich habe noch nie ein Lied der Zwerge gehört." Lyrann wandte sich ihr zu. „Verzeiht,", erwiderte sie, „ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt." Sie musterte ihren Gegenüber.
Die Frau trug Hose und Hemd, im Gegensatz zu vielen anderen der anwesenden Damen. Es schien fast, als wäre sie eben erst von einem Ausritt gekommen. Ihr dunkles Haar wurde von einer Tiara zurück gehalten. Demnach war sie von hoher Geburt. Blaugraue Augen musterten Lyrann mit wachem Interesse und als Lyrann ihren Blick über ihre Gestalt gleiten ließ, fiel ihr ein elbisches Abzeichen für Tapferkeit auf.
Doch die Menschenfrau lachte leise. „Wir wurden einander nicht förmlich vorgestellt, doch erinnere ich mich an euch.", erwiderte sie, „Ich erinnere mich an die halbe Zwergin, die zu den Wächtern von Imladris gehörte." Erstaunt und verwirrt runzelte Lyrann die Stirn. Sie konnte sich nicht an eine Menschenfrau in Bruchtal erinnern, bis plötzlich...
„Arrian!", rief sie aus und lachte auf. Mit einem Mal erinnerte sie sich der zwei Menschenkinder, die vor vielen Jahren hier in Bruchtal aufgezogen wurden, Esthel und seine kleine Schwester Arrian, Kinder der Dunedain, die von Herrn Elrond persönlich erzogen wurden.
Nun lachte auch Arrian. Ihre Augen blitzten vergnügt auf. „Nun erinnert auch ihr euch!", meinte sie grinsend.
„Ah, ihr habt euch also wieder erkannt.", sagte eine dunkle Frauenstimme von der Seite und Arwen trat an die beiden heran. „Mae govannen, Arwen!", rief Lyrann freudig aus und neigte den Kopf, um die Tochter Elronds zu grüßen.
Arwen hatte sie immer fair und freundlich behandelt. „Du hast uns viel zu erzählen, Lyrann,", sagte sie, „wir haben sonst nie Zwerge zu Besuch." Zwinkernd sah sie zu Arrian. „Und meine liebe Freundin hier wird es sich nicht nehmen lassen wollen, von dir einige zwergische Kampftechniken zu erlernen."
Lyrann sah neugierig zu Arrian, deren Hand unbewusst zu einem Dolch an ihrem Oberschenkel gefahren war. Der Menschenfrau schien der Vorstoß Arwens plötzlich etwas peinlich. „Nun..., wenn es euch nichts ausmacht.", meinte sie. Lyrann lachte, „Die Förmlichkeit lassen wir weg und ich würde mich sehr freuen."
Schwere Schritte erklangen hinter Lyrann. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu schauen, wer sich da näherte. Wenig später spürte sie Thorins vertrauten Körper direkt neben sich. Sie lächelte und wandte sich ihm zu.
„Arrian, darf ich dir meinen Ehemann Thorin Eichenschild, Sohn des Thrain, Sohn des Thror, König unter dem Berge, vorstellen?", stellte sie ihn förmlich vor, „Thorin, dies ist Arrian, Tochter Gilraens. Sie ist eine Frau aus dem Volke der Dunedain." Höflich neigte Thorin den Kopf und Arrian sagte lächelnd: „Es ist mir eine Ehre, euch kennen zu lernen. Das war ein besonders schönes Lied. Vielleicht lehrt ihr es mich in den nächsten Tagen?" Erfreut gab Thorin seine Zustimmung. Jemand rief aus der Menge der Anwesenden Arrians Namen und sie drehte den Kopf zu Seite.
„Verzeiht, ich muss gehen. Sehe ich dich morgen, Lyrann?", fragte sie. „Aber natürlich!", freute sich Lyrann. Mit einem Winken eilte Arrian davon. Auch Arwen neigte noch einmal kurz grüßend den Kopf und ging dann davon.
Allein blieben Thorin und Lyrann stehen. Lächelnd legte der Zwerg seiner Frau einen Arm um die Seite. Minna kam herbei, einen müden Rhon auf dem Arm tragend und die Zwillinge im Schlepptau. „Ich werde die Kinder schon einmal zu Bett bringen.", sagte sie erklärend. Lyrann nickte dankend, gab Rhon einen Kuss auf die Stirn und schloss Frerin und Fenja in die Arme. Wenig später verschwanden Minna und die Kinder.
„Komm, lass uns nach draußen gehen.", sagte Thorin leise und führte sie durch die großen Türen an der Seite der Halle zu den Arkadengängen auf den Terrassen des Hauses. Rauschend stürzte der Wasserfall in das Tal vor ihnen hinab und hoch über ihnen glitzerte Earendil zusammen mit unzähligen anderen Sternen am Himmel.
Lächelnd lehnte Lyrann sich an ihren Mann und schloss glücklich die Augen. Sie spürte, wie er sacht seine Arme um sie schlang und sie festhielt. Sein Bart kratzte an ihrer Wange, als er sein Gesicht gegen das ihre lehnte. Ein zufriedenes Brummen drang aus seiner Brust, deren Vibration sie an ihrem ganzen Körper spüren konnte. Sie drehte den Kopf und sah ihm direkt in die blauen Augen. Voller Liebe erwiderte er ihren Blick.
"Bist du glücklich?", murmelte er leise. Wortlos nickte sie, zu überwältigt von ihren Gefühlen. Ihr Herz schwoll an, erfüllt von tiefer Liebe zu ihrem Mann, die in all den letzten Jahrzehnten nur noch stärker und reifer geworden war. Es schien als würde ein Feuer in ihr brennen, sie wärmen und leicht wie eine Feder werden lassen. Sie beugte sich vor und küsste Thorin, dessen Lippen sich warm und leidenschaftlich an ihre schmiegten.
Vogelgesang erfüllte das Zimmer, als Lyrann erwachte. Sie schlug die Augen auf und drehte sich um. Eine sanfte Brise wehte durch das offene Fenster hinein. Es roch nach Wald und Sommerwiesen und dem frischen Duft des Wasserfalls.
Schnell war sie aufgestanden und zog sich an. Mit einem Lächeln blickte sie hinab auf ihren Mann. Im Erebor hatte Thorin selten die Gelegenheit so lange zu schlafen, wie er wollte. Sie drückte dem Schlafenden einen Kuss auf die Stirn und schlich aus dem Zimmer.
Wenig später lief sie einen Weg folgend durch den Wald von Bruchtal und querte den großen Wasserfall über eine geschwungene Brücke, während neben ihr die Gischt tobte. Eine steile Treppe führte sie seitlich der Wasserkaskaden den Hang hinab zu den Uferwiesen, wo die Trainingsplätze von Imladris waren.
Dort wurde sie tatsächlich bereits erwartet. Arrian stand leichtfüßig auf einem hölzernen Balken und ließ ihr Schwert mit kreisenden Bewegungen durch die Luft wirbeln. Lyrann grinste. Mit leichtem Griff lockerte sie ihr Schwert und näherte sich. Die Menschenfrau war so vertieft in ihre Bewegungen, dass sie die Halbelbin nicht kommen hörte. Zusätzlich dämpfte der vom nächtlichen Regen durchgeweichte Boden ihre Schritte.
Lyrann beschleunigte ihren Gang, sprang leichtfüßig über die Umzäunung des Platzes und war mit einem Satz hinter Arrian auf den Balken. Diese drehte sich eben um, ihr Schwert schnitt durch die Luft und wurde von Lyranns Klinge gebremst. Lyrann grinste und suchte Arrians graublaue Augen, die sie überrascht musterten. Die Frau schwankte leicht, ob des plötzlichen Widerstandes, blieb aber auf dem Balken. Sie erwiderte Lyranns Grinsen, steckte ihr Schwert weg und sprang zu Boden.
Lyrann gesellte sich zu ihr. „Verzeihung.", sagte sie belustigt, „Die Gelegenheit war zu gut. Die Zwerge hören mich sowieso nie und da wollte ich ausprobieren, ob ich immer noch so leise bin wie früher." Arrian kicherte. „Nun, ich kann dich verstehen.", erwiderte sie. Sie verschränkte die Arme und blickte auf Lyrann hinab. „Wollen wir beginnen?", fragte sie. Lyrann nickte.
Sie zog ihr Schwert erneut und wandte sich ab. Während sie ein paar Schritte von Arrian weg ging, lockerte sie kurz Arme und Beine. Sie ließ Schultern und Kopf kreisen und drehte sich wieder zu ihrer Trainingspartnerin um. Arrian hatte ebenfalls ihre Waffe gezogen und stand mit gesenktem Schwert nur wenige Schritte vor ihr.
Langsam hob Lyrann ihr Schwert, das Thorin ihr am Morgen nach der Hochzeit geschenkt hatte. Ihre Finger schlossen sich fest um den Griff. Die Sonne reflektierte in den Runen, die die Klinge bedeckten. Ihr gegenüber hob Arrian ihr Schwert und bewegte sich leicht zur Seite. Lyrann folgte ihr, den Blick starr auf die Menschenfrau gerichtet. Braune Augen starrten in blau...
Sie kamen sich immer näher, umkreisten einander angespannt. Dann riss Lyrann plötzlich ihr Schwert herum. Ihre Anspannung entlud sich in einem Schrei, als sie auf Arrians linke Seite zielte. Die Frau drehte sich weg und parierte, dann wirbelte ihr Schwert herum auf Lyranns Kopf zu. Diese riss ihr Schwert hoch und schaffte es, zu parieren.
Klirrend prallten die Schwerter wieder und wieder aufeinander. Aufgeschreckte Vögel stoben aus den Bäumen hinauf in die Luft, unbemerkt von den beiden Kriegerinnen, die in wildem Schlagabtausch umeinander wirbelten. Doch keine von ihnen war in der Lage, der anderen gefährlich nahe zu kommen. Parade folgte auf Angriff, wieder und wieder blockten sie die Klinge der Anderen ab.
Lyrann knirschte frustriert mit den Zähnen. Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Sie täuschte einen Schlag nach Arrians Arm an und ließ ihr Schwert jedoch in letztem Moment einen Bogen zu den Füßen beschreiben. Doch Arrian sprang nur leichtfüßig in die Luft. Aber auch die Menschenfrau schien angestrengt. Wie lange kämpften sie nun schon?
Langsam näherte sich Lyranns Geduld ihrem Ende. Das konnte doch nicht sein! Mit keinem ihrer Versuche hatte sie Erfolg. Immer wieder konnte Arrian die Attacken abfangen. Immerhin schaffte auch die Menschenfrau keinen Treffer. Fieberhaft dachte Lyrann nach. Was konnte sie tun? Kampffieber hatte sie gepackt und ließ sie immer aggressiver werden.
Nach einem erneuten missglückten Angriff auf Arrian entfuhr ihr ein wütender Schrei. Arrian tänzelte leichtfüßig zur Seite und schlug erneut nach Lyrann. Mürrisch stellte Lyrann fest, dass sie zwar im Vergleich zu den Zwergen deutlich flinker war, aber gegen Arrian fühlte sie sich schwerfällig. Ihr Blick fiel auf einen dicken, am Boden liegenden Eichenast.
Sie machte einen Schritt nach vorne, bückte sich und griff den Ast. Auf diese Weise mit zwei Waffen ausgestattet, griff sie ihre Gegnerin an. Mit einem wilden Schrei auf den Lippen wirbelte sie um die eigene Achse auf Arrian zu. Diese riss erschrocken die Augen auf, als sie die Halbzwergin mit wirbelndem Schwert und Ast auf sie zukommen sah. In letzter Sekunde brachte sie sich mit einem Rückwärtssalto in Sicherheit.
Doch lange währte Lyranns Triumph nicht. Arrians Schlag kam gezielt und schlug den Eichenast entzwei. Mit ihrem Schwert parierte Lyrann den Schlag. Klirrend prallten die Schwerter aufeinander. Beide Frauen standen sich gegenüber und sahen sich durch die Klingen hindurch an. Arrian stieß Lyrann vorwärts. Sie hatte den besseren Hebel und so verlor Lyrann das Gleichgewicht. Doch noch im Sturz konnte sie ihren Fuß an Arrians Bein haken, sodass die ebenfalls ins Straucheln kam. Mit einem Platsch stürzten beide auf den matschigen Boden.
Für einen Moment lag Lyrann langgestreckt da und spürte, wie Nässe ihre Kleidung durchdrang. Dann stemmte sie sich in eine sitzende Position hoch. Neben ihr richtete sich auch Arrian auf. Ihre Blicke trafen sich und prompt prusteten beide los ob ihres verschlammten Anblickes. Lyrann legte den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. Ihr Bauch schmerzte bald von ihrem Gelächter.
„Mutter!" Die Stimme eines Jungen erklang. Noch immer lachend drehte Lyrann sich um. Frerin kam auf sie zu gelaufen. Hinter ihm lief sein Vater. „Mutter, geht es dir gut?", fragte er besorgt. Schwer nach Luft ringend grinste sie ihren Sohn an. „Mir geht es gut, Frerin.", antwortete sie. Thorin erreichte sie und hielt ihr den Arm hin. Sie ergriff seine Hand und ließ sich aufhelfen. Ihr Mann lächelte stolz. Dann hielt er auch Arrian die Hand hin, die sich überrascht ebenfalls helfen ließ.
Wortlos legte Thorin seinen Mantel ab und legte ihn der durchnässten Lyrann um die Schultern. Dann meinte er verschmitzt: „Man sollte Eichenäste immer erst auf Stabilität prüfen." Grinsend wandte er sich Arrian zu. „Verzeiht, einen zweiten Mantel habe ich nicht bei mir.", sagte er. Diese jedoch lachte nur. „Ihr kämpft gut.", fuhr der Zwerg anerkennend fort. Dankend neigte Arrian das Haupt. „Ich wurde von dem Besten unterrichtet.", erwiderte sie. „Ach ja? Nun, den würde ich ja gerne kennenlernen.", sagte Thorin.
„Und warum würdet ihr das, Herr Zwerg?", erklang eine kühle Stimme vom Rand des Platzes her. Ihre Köpfe wandten sich um. Dort stand hoch aufgerichtet der blonde Elb, an dessen Seite Lyrann am Vorabend Arrian gesehen hatte. In voller Rüstung und bewaffnet kam er auf sie zu. Sein Blick glitt über Arrian, um dann angespannt auf Thorin liegen zu bleiben. Der Elb kam neben ihnen zum Stehen und legte seine Hand auf Arrians Arm.
„Lyrann, Thorin und Frerin, darf ich meinen Verlobten, Gefährten und Lehrer vorstellen, Haldir.", sagte Arrian. Ihr Blick suchte den Haldirs, doch der wich ihr aus. „Sagt, König Thorin, habt ihr immer einen zweiten Mantel bei euch, um ihn frierenden Damen umzulegen?", fragte er spöttisch. Thorin deutete eine Verbeugung an. „Nein, Hauptmann Haldir,", entgegnete er mit einer so übertriebenen Betonung auf Hauptmann, dass er eindeutig zeigte, wer den höheren Rang innehatte, „meist habe ich nur einen Mantel bei mir." Kurz hielt er inne, dann fuhr er mit kaum verstecktem spöttischen Lächeln fort: „Ich kann es euch nur empfehlen... Es zeugt von guten Manieren einer Dame gegenüber."
Haldirs Gesicht verhärtete sich zornig. Mit einer schnellen Handbewegung hatte er seinen eigenen Umhang gelöst und drückte ihn Arrian in die Hand. Diese konnte sich einen ungläubigen Blick nicht ganz verkneifen. Ihre Mundwinkel zuckten verdächtig.
Er machte einen Schritt nach vorne. „Denkt nicht, ihr könntet euch respektlos verhalten, Zwerg.", fauchte er. Thorin verschränkte die Arme vor der Brust und richtete sich auf. „Sonst was?", fragte er kalt. Haldirs Hand fuhr zu seinem Schwert und legte sich um den Griff. „Wollt ihr mich etwa herausfordern?", fragte Thorin launisch.
Lyrann legte ihm eine Hand auf den Arm, doch er schob sie beiseite. Neben ihr starrte Frerin mit offenem Mund zu den Männern hoch. „Ihr solltet mit einer Herausforderung aufpassen.", fuhr Thorin fort, „Wir ihr eben gesehen habt, können wir Zwerge recht gefährlich werden." Haldir zog sein Schwert. Auch er schob Arrian einfach weg, die ebenfalls versuchte, ihren Gefährten zurück zu halten. „Ich glaube kaum, dass ihr eine große Herausforderung sein werdet.", erwiderte Haldir und zog das groß genüsslich in die Länge.
Die beiden Frauen sahen sich kopfschüttelnd an. Dann, wie auf ein gemeinsames Zeichen, gingen sie ein paar Schritte zurück und stellten sich an den Zaun. Lyrann zog Frerin mit sich. Auch Thorin hatte mittlerweile Orcrist gezogen. Elb und Zwerg umkreisten einander lauernd.
„Denkst du, sie werden sich weh tun?", fragte Arrian leise. Lyrann schüttelte den Kopf. „Thorin wäre nicht so dumm, es hier bei seinen Gastgebern zu einer Verletzung kommen zu lassen.", erwiderte sie. Vor ihnen hatte Thorin Haldir angegriffen, die Schwerter der beiden prallten in raschem Wechsel aufeinander. Für einen Moment sahen sie schweigend zu. Beide Kämpfer waren unbestreitbar Meister in ihrer Kunst. Haldir bewegte sich mit unglaublicher Schnelligkeit und Präzision um Thorin herum, der mit kraftvollen, gezielten Schlägen jeden Angriff mühelos konterte. Lyrann stellte erfreut fest, dass Thorin trotz der Schwäche seines rechten Beines im Kampf durch die alte Verletzung nicht behindert wurde.
„Arrian,", wandte sich Lyrann an ihre Freundin, „darf ich dich um etwas bitten?" „Aber natürlich."
„Du bildest selbst Krieger aus habe ich gehört. Würde es dir etwas ausmachen, wenn du unsere Kinder, vor allem Thrain, während unseres Aufenthaltes hier trainierst? Sie werden meist von Dwalin, Thorin und mir oder unseren Neffen unterrichtet. Aber ich fände es gut, wenn sie mal eine neue Perspektive vermittelt bekommen." Arrian strahlte. „Es wäre mir eine Ehre.", erwiderte sie.
Dann wandte sie ihren Blick nach hinten. „Schau, wer da ist.", sagte sie. Lyrann drehte sich um. Auf den Treppen zum Übungsplatz stand Lindir. Der Elb wirkte etwas unentschlossen. Sein Blick lag auf Lyrann. Diese sah mit kühlem Gesichtsausdruck zu ihm hoch. Was wollte ihr Bruder? Doch nach einem kurzen, unangenehmen Moment drehte Lindir sich um und ging wieder die Treppe nach oben.
Kopfschüttelnd drehte Lyrann sich um und sah zurück zu ihrem Mann und Haldir, die noch immer in einen wilden Kampf verwickelt waren. Plötzlich gab es einen Schlag und ein lautes Sirren. Haldirs Schwert flog in hohem Bogen durch die Luft. Thorin hatte es geschafft, ihn zu entwaffnen. Ein widerwillig anerkennendes Grinsen zeigte sich auf dem Gesicht des Elben. Er hob sein Schwert auf und ging auf Thorin zu. Der reichte ihm in versöhnlicher Geste die Hand. Haldir ergriff sie und sagte: „Man sollte eben doch nie nach Größe urteilen. Gut gekämpft, Herr Zwerg." „Ihr ebenso, Herr Elb.", erwiderte dieser und ein Lachen zeichnete sich auf beiden Gesichtern ab.
Die Tage vergingen und wurden zu Wochen. Im Tal von Imladris wurde es Hochsommer und bald schon näherte sich der Herbst. Die Zwerge des Erebor genossen die Zeit bei ihren Gastgebern in vollen Zügen.
An einem dieser warmen Sommertage gingen Lyrann und Fila wie schon so oft gemeinsam in den Wäldern des Tales spazieren. Häufig wurden sie dabei von Tauriel und Minna begleitet. Heute jedoch waren sie allein. Die Vögel zwitscherten und eine sanfte Brise bewegte die Blätter der Bäume.
In fröhlicher Stimmung plauderten die beiden Frauen über dies und das. Lachend machten sie Witze und genossen die warme Sonne. Ihr Weg führte sie hoch oben am Tal entlang, sodass sie einen wunderbaren Blick auf die Häuser und Pavillons von Imladris hatten. An einem Ausblick blieb Lyrann stehen und blickte nach unten. Tief unter ihr lag der Trainingsplatz, wo sie Arrian sah, die ihrem Versprechen folgend, Thrain im Kämpfen unterwies. Der Junge machte unter seiner neuen Lehrerin beachtliche Fortschritte. Neben ihm konnte Lyrann ihre Tochter Fenja erkennen. Sie grinste amüsiert. Die kleine Zwergin war in den ersten Tagen ihres Aufenthaltes ständig um den Trainingsplatz herumgeschlichen. Schließlich hatte sie Arrian angefleht, auch sie zu unterrichten. Es hatte viel Diskussion mit Minna gegeben, die überhaupt nichts davon hielt, dass eine Prinzessin zu kämpfen lernen sollte. Doch nach vielen Tränen und Bitten bei ihren Eltern war es Fenja schließlich erlaubt worden und so lernte sie nun bei Arrian den Umgang mit Wurfdolchen.
„Deinen Kindern geht es gut hier.", stellte Fila fest, die das Treiben auf dem Trainingsplatz mit verfolgte. Lyrann nickte. „Rhon liebt die Bibliothek.", entgegnete sie in Gedanken an ihren Jüngsten, der oft stundenlang dort las, manchmal sogar in Gesellschaft von Elrond oder Arwen. Die Elben hatten den aufgeweckten, fließend Sindarin sprechenden Jungen schnell in ihr Herz geschlossen und immer fand sich jemand, um seine Fragen zu beantworten. „Thrain und Fenja werden hier von Arrian richtig gefordert und Frerin ist ja sowieso kaum anspruchsvoll und leicht zufrieden.", fuhr sie fort, „Und es tut ihnen allen gut, mal etwas anderes als den Erebor zu sehen."
Ihr Blick fiel auf Thorin, der zusammen mit Dwalin am Zaun des Platzes stand und den Übungskämpfen zusah. Voller Liebe blickte sie zu ihrem Mann hinab. Dann wandte sie sich mit einem Lächeln Fila zu und die beiden Frauen folgten schweigend wieder dem Pfad zurück zu den Häusern.
Lyranns Gedanken schweiften zurück zu Thorin. Der König unter dem Berge genoss die Zeit fernab aller Regierungsgeschäfte in vollen Zügen. Er trainierte hin und wieder mit Dwalin oder Kili, wenn dieser nicht gerade mit Tauriel spazieren war, oder sogar Arrian und Lyrann. Hin und wieder sah Lyrann ihn auch in ein Gespräch mit Elrond vertieft. Doch die meiste Zeit verbrachte der Zwerg hier mit seinen Kindern. Er las und diskutierte zusammen mit Rhon, durchstreifte mit den Zwillingen die Umgebung, trainierte mit Thrain oder erzählte den Kindern Geschichten. Erst vor zwei Tagen hatte Lyrann ihn bei einer wilden Wasserschlacht mit Thrain und Frerin beobachtet. Abends waren sie beide oft für sich spazieren und diese stillen gemeinsamen Momente genoss sie in vollen Zügen.
„Ich bin froh, dass Thorin sein Versprechen gehalten hat.", sagte Fila plötzlich, als sie sich den Gebäuden näherten. Verwirrt blieb Lyrann stehen. „Er versprach mir nach eurer Hochzeit, dass du es gut haben würdest an seiner Seite.", erklärte Fila. Lyrann lächelte. Fila sah sie aufmerksam an. „Du hast dich verändert, liebe Nichte.", fuhr sie fort, „Früher warst du nicht sicher, wohin du gehörst, jetzt hast du deinen Platz endlich gefunden. Der Erebor ist deine Heimat geworden und du bist Königin eines Volkes. Das hat dich sehr verändert." Lyrann hörte den Stolz in der Stimme ihrer Tante. Dankbar erwiderte sie deren Blick. Dann begann sie von ihren Plänen für den Berg zu erzählen. Noch immer waren die Zwerge im Winter von Essenslieferungen abhängig. Das wollte sie ändern und auf den Südhängen des Berges Terrassen für Felder anlegen lassen. „Du musst kommen und den Erebor sehen. So viel hat sich verändert!", sagte sie zum wiederholten Male zu ihrer Tante.
Doch Fila wirkte plötzlich bedrückt. „Das kann ich nicht, liebe Nichte.", sagte sie leise. Überrascht sah Lyrann zu ihr. „Aber warum?" „Die Schiffe verlassen die grauen Anfurten.", fuhr Fila leise fort. Und Lyrann verstand. Die Zeit der Elben ging vorüber. Sie zogen nach Mithlond, zu den grauen Anfurten und verließen Mittelerde. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Ihre Hand griff nach der Filas und drückte sie sachte. Ihre Blicke begegneten einander. „Mein Platz ist hier.", flüsterte Lyrann. Und Fila nickte. Es waren keine weiteren Worte nötig.
Wenige Stunden später saß Lyrann alleine auf einer Bank und beobachtete einen kleinen Wasserfall an ihrer Seite. Doch so wirklich sah sie ihn nicht. Ihre Gedanken waren bei Fila. Sie hatte es geahnt, dass dieser Besuch ein Abschiedsbesuch werden würde. Doch nun wollte sie es nicht so richtig wahr haben. Ihre Tante würde fortgehen. Tatsächlich war zwischen ihnen alles gesagt. Fila hatte die letzten Bande, die sie an Mittelerde hielten, durchtrennt.
Schritte holten Lyrann aus ihren Gedanken. Sie drehte den Kopf. Zu ihrem Erstaunen stand Lindir nur wenige Meter vor ihr. „Was ist?", fragte sie ihn ungehalten. Seit ihrer Ankunft vor Wochen hatte sie einen großen Bogen um ihn gemacht. Doch tatsächlich war sie ihm in der letzten Zeit häufiger begegnet, was sie selbst verwundert hatte. Früher hatte ihr Halbbruder sie gemieden und ihr kaum mehr als Verachtung entgegen gebracht. Doch in den letzten Tagen hatte er etwas verunsichert in ihrer Gegenwart gewirkt, er war immer wieder aufgetaucht und hatte sich dann doch wieder zurück gezogen.
Sie stand auf, ihre Hand glitt zu dem Griff ihres Schwertes, das sie mehr aus Gewohnheit bei sich trug. Leicht besorgt verfolgte Lindir ihre Bewegung. Da er Elronds Assistent war, war seine kriegerische Ausbildung bei weitem nicht so ausgereift wie die ihre. Schließlich riss er sich zusammen und fragte: „Kann ich mit dir sprechen?" Lyrann zog die Augenbrauen hoch. Was hatte ihr Bruder ihr schon zu sagen. „Nun gut...", erwiderte sie.
Stille herrschte. Mit hochgezogenen Brauen sah Lyrann ihren Halbbruder an. Dieser presste unsicher die Lippen aufeinander. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich jemals wiedersehe.", begann er schließlich. „Enttäuscht?", fragte Lyrann knapp. Lindir stieß gereizt die Luft aus. „Du machst es einem nicht leicht...", brummte er, dann schüttelte er den Kopf.
„Nein, ich bin nicht enttäuscht, Lyrann.", fuhr er fort, „Du bist nicht länger die Schwester, der ich nur Verachtung entgegengebracht habe." Ein wenig irritiert sah sie zu ihm hoch. Was sollte das bedeuten?
„Du bist nicht mehr die Person, die früher hier aufgezogen wurde. Als du hier aufgewachsen bist, gab ich dir die Schuld am Verschwinden meines..., unseres Vaters. Ich hatte Angst, dass du mir nun auch den Rest meiner Familie und meine Position nehmen würdest. Nun, wo du deinen Platz fern von hier gefunden hast, wird mir klar, dass du keine Konkurrenz für mich bist... und es nie warst..."
Die Stimme des Elben verklang leise im Rauschen des Wasserfalls. Sprachlos stand Lyrann da und starrte ihren Halbbruder an. Nie hätte sie geglaubt, dass Lindir so dachte. Immer hatte sie gedacht, er würde einfach nur Zwerge verabscheuen. Ein schmales Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Ich war nie darauf aus, dir etwas wegzunehmen, Lindir.", sagte sie. Der Elb lachte peinlich berührt auf. „Ja, das ist mir nun klar.", erwiderte er. Sie sahen einander an. „Wir hätten einander mehr Familie sein können.", sagte Lindir nachdenklich, „Ich hätte dir ein besserer Bruder sein sollen."
Schweigend standen sie da und blickten auf das Tal vor ihnen. Es war merkwürdig. Zum ersten Mal in ihrem Leben stand Lyrann neben Lindir und fühlte sich nicht völlig unwohl dabei. Im Gegenteil, es schien, als würde sie tatsächlich neben ihrem Bruder stehen.
„Es ziehen dunkle Tage auf.", sagte Lindir leise in die Stille hinein. Lyrann nickte. „Es ist gut, in dieser Zeit zu wissen, wo man Verbündete hat.", fuhr Lindir fort. Langsam hob sie den Blick und begegnete seinen Augen.
„Der Erebor ist weit weg... Aber, wenn du je meine Hilfe brauchst, zögere nicht, darum zu bitten,... Schwester." Mit einem Kloß im Hals nickte Lyrann. Sachte berührte sie Lindirs Arm und lächelte. „Danke Bruder.", flüsterte sie.
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