Eine Lücke in der Verteidigung
Der Ruf eines einsamen Vogels zerriss die Stille, die sich über die Lande an der Rotwasser gelegt hatten. Thorin hob den Kopf. Das war das vereinbarte Signal.
Er richtete sich auf und wandte seinen Blick dem kleinen Dorf zu, das vor ihnen lag. Kaum mehr als eine Handvoll Hütten auf einer kleinen Anhöhe, deren Anwohner schon lange geflohen waren, und wo eine Einheit der Ostlinge ihr Lager aufgeschlagen hatten.
„Zum Angriff!", brüllte er und das Kriegsgebrüll dutzender Zwergen und Menschen erhob sich hinter ihm. „Du bekar!" Thorin rannte los und das Heer setzte sich in Bewegung. Die Häuser näherten sich. Da erklangen Rufe von der Siedlung her, man hatte sie gesehen. Zwischen den Bauten tauchten Ostlinge auf und mit gezückten Waffen eilten sie den Angreifern entgegen.
Doch ein plötzliches Sirren war da zu hören und aus verschiedenen Richtungen flogen Pfeile auf die Ostlinge herab und fanden mit tödlicher Genauigkeit ihr Ziel. Schreiend vor Schmerz gingen viele der Krieger zu Boden, noch bevor Thorin und seine Männer das Dorf erreicht hatten.
Verwirrt blieben die Verteidiger stehen, sahen sich um, suchten die Bogenschützen, die sich geschickt nahe des Dorfes versteckt hatten und ihren Verbündeten ein Zeichen gegeben hatten, sobald alle in Position waren. Ein Ruf ertönte, einer der Ostlinge hatte einen der Elben erblickt. Er rannte los, doch da flogen bereits weitere Pfeile und forderten die nächsten Opfer.
Mit einem lauten Kampfschrei auf den Lippen fegte Thorin in das Dorf hinein. Orcrist schwang er wild über seinem Kopf, hinter ihm donnerte die vereinte Truppe von Thal und Erebor über die Dorfstraße.
Sofort verstummte der Pfeilhagel.
Die Ostlinge, die noch lebten, hatten keine Chance. Vollkommen überrumpelt von dem Angriff setzten sie sich tapfer zu Wehr. Waffen klirrten gegeneinander, Todesschreie hallten von den Hütten wider und Blut verfärbte den Schnee. Als dann schließlich noch die Elben aus ihren Verstecken hervor kamen, waren die Ostlinge endgültig verloren.
Einige suchten ihr Heil in der Flucht und schafften es tatsächlich, den Ring ihrer Angreifer zu durchbrechen.
„Lasst sie nicht entkommen!", rief Thorin, schlug einen Gegner nieder und setzte den Flüchtenden nach.
Innerhalb kürzester Zeit hatte er die Männer eingeholt. Sie drehten sich um, versuchten zu kämpfen, doch gegen den König unter dem Berge hatten sie keine Chance. Von Orcrist erschlagen brachen sie zusammen.
Still war es mit einem Mal. Schwer atmend sah Thorin sich um. Auf der Straße des kleinen Weilers lagen die Leichen der Ostlinge, darüber standen die Krieger aus Erebor, Thal und Düsterwald.
„Erohel!", rief er nach dem Elben, der noch immer an ihrer Seite kämpfte, „Nimm dir eine Gruppe deiner Elben und erkundet die Umgebung. Wir wollen nicht überrascht werden."
Erohel nickte und deutete in Richtung Westen. „Dort nähert sich ein Reiter, ein Kunde aus Thal.", meinte er ruhig, winkte dann einigen Elben zu und eilte mit ihnen davon.
Thorin konnte den Reiter noch nicht sehen, doch wenn er aus Thal kam, so würde er eher Botschaft für Makos, den Befehlshaber der menschlichen Truppen, bringen.
Also wandte er sich seinen Männern zu, schritt die Reihen der Soldaten ab und machte sich ein Bild davon, wie viele Verluste sie nach diesem Angriff zu beklagen hatten. Glücklicherweise war kein einziger der Zwerge gefallen und die Verletzungen beschränkten sich meist auf kleinere Wunden. Dankbar nahm er zur Kentniss, dass dieser Erfolg die Moral seiner Männer deutlich gesteigert hatte. Es war der erste Sieg seit vielen Tagen, den sie nun errungen hatten. Seit sie sich von der Rotwasser hatten zurück ziehen mussten, wogte der Kampf hin und her. Keine Seite konnte so richtig einen Vorteil über die andere gewinnen. Durch die Verstärkung aus Düsterwald und Thal waren sie noch nicht gezwungen gewesen, noch weiter zurück zu weichen. Doch Thorin ahnte, dass dies nur noch eine Frage der Zeit war. Der Feind schien auf etwas zu warten, denn er schickte Berichten der Elben zufolge, nicht alle seine Truppen ins Gefecht.
Aus den Augenwinkeln nahm Thorin wahr, wie der Bote aus Thal im Dorf eintraf, von seinem Reittier stieg und sofort auf Makos zueilte. Leichte Neugier stieg in dem Zwerg auf. Doch er würde sicher bald erfahren, welche Neuigkeiten dem Menschen mitgeteilt wurden.
Und so widmete er sich stattdessen dem Essen, das mittlerweile unter den Männern ausgeteilt wurde. Dankbar nahm er den Streifen Trockenfleisch und etwas Kram, das zwergische Wegbrot, entgegen und biss hungrig hinein. Er hatte noch nicht lange gegessen, als sich hinter ihm jemand räusperte.
Thorin drehte sich um und erkannte Makos hinter sich.
„Makos!", sagte er freundlich, er mochte den ernsten Krieger aus Thal, „Welche Nachricht hast du aus Thal erhalten?" Verwundert sah er den besorgten Ausdruck in Makos' Augen.
„Ich ziehe mich zurück nach Thal.", erwiderte der Mann.
Thorin nickte. „Wer wird dich vertreten und deine Männer führen?", fragte er.
Doch Makos schüttelte den Kopf. „Du verstehst nicht.", sagte er und seine Stimme klang, als würde er es selbst nicht ganz verstehen, „Wir haben den Befehl erhalten, uns zurück zu ziehen. Ich nehme meine Männer mit."
Fassungslos starrte Thorin ihn an. In seinem Kopf ratterte es. Sie würden ein Drittel ihrer Gruppe verlieren!
„Warum?", fragte er verständnislos.
Makos zuckte die Schultern und händigte ihm ein Schreiben aus, das Brands Siegel trug. Thorin überflog die Zeilen und Wut kochte in ihm hoch. Tatsächlich hatte Brand keinen Grund genannt. Warum auch? Er war König, er musste sich einem Untertanen nicht erklären.
„Ist Brand klar, dass wir dadurch in erhebliche Schwierigkeiten geraten?", sagte er, mühsam seine Stimme ruhig haltend.
Makos zuckte nur erneut die Schultern. „Es tut mir leid...", murmelte er niedergeschlagen, dann wandte er sich ab und gab seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch.
Ich schreibe dir Onkel, weil es mir die schnellste Möglichkeit erschien, dir von dieser besorgniserregenden Entwicklung zu berichten. Erst vor zwei Tagen erhielten die Soldaten aus Thal, die uns bisher so verlässlich unterstützt hatten, den Befehl, sich nach Thal aufzumachen. Es wurde kein Grund genannt. Lediglich ein Befehl, geschrieben von Brand selbst, wurde uns vorgelegt und ich konnte natürlich den Menschen den Abmarsch nicht verwehren.
Gleich am nächsten Tag wurden wir, stark in unserer Zahl vermindert, von Ostlingen angegriffen. Wir mussten fliehen und entkamen nur unter hohen Verlusten. Ich kann mir nicht vorstellen, warum Brand einen derartigen Befehl gegeben haben soll! Welcher Grund auch immer dahinter steht, es kostete vielen meiner besten Männer das Leben, vollkommen unnötigerweise! Ich bin ratlos und zornig und hoffe, dass zumindest du, Fili und Dwalin jeweils die Unterstützung der Menschen genießt.
Bitter presste Thorin die Lippen aufeinander, während er Kilis Schreiben wieder und wieder las. Auch seinen jüngsten Neffen hatten die Soldaten aus Thal im Stich gelassen. Und dort hatte es sogar Leben gekostet!
Voller Zorn knüllte er den Brief zusammen und schleuderte ihn ins Feuer. Der Rabe, der die Nachricht überbracht hatte, krächzte erschrocken auf bei der plötzlichen Bewegung.
„Brand...", knurrte Thorin zornig. Was war nur in den jungen König gefahren? Was fiel ihm ein, wichtige Soldaten von der Front abzuziehen und so die Verbündeten unglaublicher Gefahr auszusetzen?
Es gab nur eines, was er tun konnte. Kurz entschlossen erhob sich Thorin. „Macht mein Reittier bereit!", rief er laut. Er würde zum Erebor reiten, nach Thal gehen und Brand zur Rede stellen! Die Soldaten hier an der Front würden nicht der Laune eines jungen Menschenmannes geopfert werden!
Es war ihr mittlerweile zur Gewohnheit geworden, regelmäßig einen der Wachtürme des einsamen Berges zu besteigen.
Und so stand auch an diesem Abend Lyrann hoch oben auf der Spitze des Wachturmes, während eisig kalter Wind um ihre Ohren pfiff. Sie hatte sich fest in ihren Mantel gewickelt, doch die Kapuze wurde ihr immer wieder vom Haupt geblasen. Das Metall ihrer Krone kühlte schnell ab und fühlte sich bald wie ein Ring aus Eis an ihren Schläfen an. Einzelne Haarsträhnen lösten sich aus ihrer Frisur und tanzten im Wind umher.
Doch Lyrann beachtete sie nicht.
Ihr Blick schweifte über das umgebende Land, über dem langsam die Sonne unterging. Der einsame Berg, dicht in Schnee und Eis gehüllt und funkelnd im Abendlicht, als wäre er in tausend Diamanten gehüllt, die Wälder zu seinen Füßen, still im Winterschlaf, und die Stadt Thal, ungewöhnlich still in den letzten Tagen.
Kurz verweilten Lyranns Augen auf der Stadt der Menschen und sie dachte an ihre Begegnung mit Kelra vor kurzer Zeit. Die Königin Thals hatte Wort gehalten und große Mengen an Lebensmitteln zum Berg geschickt. Seitdem hörte man jedoch kein Wort mehr aus der Stadt.
Lyranns Blick glitt über den Horizont. In fast jeder Himmelsrichtung war einer ihrer Lieben. Fenja war im Norden, in den Eisenbergen kämpfend, Rhon im Westen bei den Elben im Düsterwald und Thorin an der Ostfront, nahe der Rotwasser.
Doch sie wandte sich langsam gen Süden. Dort lag Mordor, von wo aus all das Übel ausging, das ihre Familie befallen hatte.
Viele hundert Meilen trennten den einsamen Berg von diesem schrecklichen Land. Und doch hatte sich die Dunkelheit Mordors so weit über Mittelerde ausgebreitet, dass sie nun auch hier spürbar war.
Das Licht der Sonne schien im Süden fahl und schwach geworden zu sein. Dunkle Wolken hingen am Himmel und Schatten lag auf den Landen dort.
Beklemmung schlich sich in Lyranns Herz, als sie gen Süden blickte. Ihre Hände verkrampften sich voll Furcht, als sie daran dachte, wie knapp sie den Fängen Saurons entkommen war. Erinnerungen von Khamul füllten ihren Geist und sie spürte, wie ihre Knie weich wurden.
Da erklangen plötzlich die Hörner des Erebor. Lyrann zuckte zusammen, als sie die Fanfare hörte und ihre Augen konnten sich endlich von der Dunkelheit im Süden losreißen.
Sie kannte diese Fanfare und nur einen einzigen Grund gab es, dass sie über die Ebene vor dem Berg schallte. Der König unter dem Berge kehrte heim!
„Thorin!", flüsterte sie und sah hinab zum Portal. Und tatsächlich, eine Gruppe Reiter näherte sich dem Erebor, den vordersten von ihnen hätte sie unter tausenden wiedererkannt.
Lyrann machte auf dem Absatz kehrt und mit fliegendem Mantel eilte sie die Stufen des Turmes hinab.
Der Weg die Treppenstufen hinab, durch den Gang, der Turm und Berg verband, und dann die vielen Korridore und Hallen entlang, erschien ihr heute unglaublich lang. Warum war Thorin gekommen? Sie hatten keine Nachricht gehabt...
Sorge mischte sich in ihre Freude, ihren Mann wohlbehalten wieder zu sehen.
Endlich in der Vorhalle angekommen, rannte sie auf das Portal zu, wo Thorin eben von seiner Kriegsziege stieg und die Zügel einem herbei geeilten Zwerg in die Hand drückte.
„Thorin!", rief sie freudig und lief ihm entgegen.
Ihr Mann lachte auf, als er sie erblickte. Seine Augen leuchteten und mit ausgebreiteten Armen fing er sie auf.
„Lyrann", sagte er zärtlich und gab ihr einen sanften Kuss.
„Was ist passiert, Thorin?", fragte sie ihn, „Es kam kein Rabe und kündigte dich an."
„Es war... eine spontane Entscheidung, hierher zu kommen.", erwiderte ihr Mann.
Aufmerksam musterte sie ihn. Sie traute ihm durchaus zu, ohne Rast von der Front bis zum Erebor geritten zu sein. Ein kurzer Blick auf seine Leibgarde, die mit steifen Gliedern von ihren Reittieren rutschte, bestätigte ihre Vermutung.
„Und was treibt dich dazu, deine armen Männer so zu erschöpfen, dass du ihnen anscheinend keine einzige Pause gegönnt hast?", fragte sie in heiterem Tonfall, um die aufkommende Sorge zu überspielen, die sich in ausbreitete. Thorin würde nicht ohne triftigen Grund so überstürzt aufbrechen.
Der ernste Blick in seinen hellen Augen traf sie daher nicht unvorbereitet. Dennoch spürte sie, wie sich ihre Eingeweiden zusammen zogen.
„Lyrann,", flüsterte ihr Mann und nahm ihre Hände in die seinen, „Brand hat seinen Männern befohlen, sich zurück zu ziehen. Und das tat er auch noch entlang der gesamten Frontlinie."
„Was?", hauchte Lyrann entsetzt. Thorin brauchte ihr nicht zu erklären, wie desaströs das für den Verlauf des Krieges war. Nur mit viel Mühe hatte man es geschafft, nicht noch mehr Land an die Ostlinge zu verlieren.
„Ist dir in Thal irgendetwas aufgefallen?", fragte Thorin sanft.
„Tatsächlich haben wir Soldaten gesehen, die nach Thal marschieren. Doch ich dachte mir nichts dabei. Ich ging davon aus, dass alles mit dir abgesprochen wäre.", erwiderte Lyrann nachdenklich.
Frustriert schüttelte Thorin den Kopf. Dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und löste ihre ineinander verschlungenen Hände.
„Ich muss sofort zu Brand reiten.", sagte er und wandte sich eben ab, als Lyrann nach seiner Schulter griff.
„Thorin...", sprach sie leise ihren Mann an, „Du bist lange durchgeritten und erschöpft. Es ist Abend. Die Soldaten werden nicht vor morgen aufbrechen, selbst wenn du heute noch mit Brand sprichst. Komm heim, deine Schwester und dein Sohn haben dich so lange nicht mehr gesehen."
Langsam drehte Thorin sich wieder zu ihr um und sie konnte deutlich den Konflikt in seinen Augen sehen. Pflichtbewusstsein und die Sehnsucht nach seiner Familie rangen miteinander.
Bestimmt griff Lyrann nach seiner Hand. „Komm, Thorin.", forderte sie ihn auf. Heute würde ihr Mann nicht mehr viel erreichen und es war wichtig, dass er sich ausruhte. Auch wenn er das gerne vergaß.
Mit einem leisen Seufzen gab Thorin nach und folgte seiner Gattin, ein nachsichtiges Lächeln auf den Lippen.
Der Geruch von gebratenem Hammelfleisch und frisch gebackenem Brot hing in der Luft. Mit einem warmen Lächeln sah Lyrann sich in der kleinen Runde ihrer Familie um. Thorin stopfte sich satt und zufrieden eine Pfeife. Es war eine gute Idee gewesen, ihn zum Bleiben zu überreden. Endlich wirkte ihr Mann einigermaßen entspannt.
Frerin war unglaublich glücklich gewesen, den Vater wieder zu sehen. Die Last, Thorin zu vertreten, ruhte nach wie vor schwer auf seinen Schultern.
Dís hatte ihren Bruder stürmisch umarmt und dann ihn mit Fragen zu ihren Söhnen und Tauriel, die sie wie eine Tochter behandelte, bedrängt.
Doch nun war Ruhe eingekehrt. Die leeren Teller standen vor ihnen auf dem Tisch und allein das Prasseln des Kaminfeuers war noch zu hören.
„Ich verstehe einfach nicht, Vater.", nahm Frerin da den Gesprächsfaden von vorhin wieder auf, „Brand hat seine Truppen abgezogen? Warum?"
Thorin, der mittlerweile seine Pfeife angesteckt hatte, nahm einen tiefen Zug daraus, bließ den Rauch aus und zuckte dann bedauernd mit den Schultern.
„Ich kann es mir nicht erklären, Frerin.", erwiderte er, „Sobald die Sonne morgen aufgeht, reite ich nach Thal und spreche mit ihm. Vielleicht ist ja etwas passiert, was uns entgangen ist..."
„Das bezweifel ich stark!", warf Dís ein, „Es gibt doch kaum Geschehenisse an der Front, die Lyrann und Frerin entgehen!"
„So...", machte Thorin und sah seinen Sohn aufmerksam an, „Ist das so?"
Frerin wog den Kopf hin und her, scheinbar um eine Antwort verlegen, doch Dís legte sachte eine Hand auf die Schulter ihres Neffen und sagte: „Dein Sohn leistet Großartiges hier, Thorin."
„Daran habe ich nie gezweifelt.", erwiderte Thorin und seine Augen blitzten voller Stolz, als er Frerin musterte.
Einen Moment herrschte Schweigen, während dem Frerin offensichtlich nicht so ganz wusste, wo er hin gucken sollte.
„Wann habt ihr das letzte Mal mit Brand gesprochen?", fragte Thorin in die Runde.
Lyrann dachte nach. „Kurz nachdem er aus den Eisenbergen zurück kam muss das gewesen sein.", sagte sie langsam, „Er wirkte in sich gekehrt. Doch das ist sicher nicht unverständlich. Die Lage ist bedrohlich, auch im Norden. Wie wir hörten, hat die Festung Gundabad nun auch Truppen mobilisiert."
„Hoffen wir, dass es daran lag.", erwiderte Thorin.
„Mit Kelra hatte ich vor kurzem gesprochen.", fuhr Lyrann fort, „Sie hat uns mit einer Lieferung an Lebensmitteln aus einer schwierigen Situation geholfen."
Thorin nickte. „Nun, ich bin gespannt, was Brand mir morgen sagt.", bemerkte er und nahm einen weiteren Zug aus seiner Pfeife.
Wenig später lagen Thorin und Lyrann Arm in Arm im Bett. Schon reichlich schläfrig kuschelte Lyrann sich an ihren Mann und inhalierte den ihr so vertrauten Geruch.
„Denkst du, Brand wird seine Truppen wieder zur Rotwasser schicken?", fragte sie leise in die Dunkelheit hinein.
„Mmmh...", Thorins Stimme vibrierte unter ihr, „Eines steht fest: Ich werde keine Ruhe geben, bis er uns wieder unterstützt."
Sie schwiegen einen Moment.
„Schlaf gut, Liebste...", flüsterte Thorin sanft und küsste sie auf die Stirn. Liebevoll zog er sie noch ein wenig dichter an sich und entspannt schloss Lyrann die Augen.
Die Sonne schob gerade die ersten Strahlen über den Horizont im Osten, die Welt war noch in graue Farben gehüllt. Erst langsam erwachte das Land um den einsamen Berg, als bereits ein einsamer Reiter auf die Stadttore von Thal zu ritt.
Thorin war ungeduldig gewesen. Tatsächlich hatte er in der Nacht nur äußerst wenig geschlafen. Stattdessen hatte er Lyranns ruhigen Atemzügen gelauscht und es zutiefst genossen, wieder zuhause zu sein. Und er hatte nachgedacht. Immer und immer wieder waren seine Gedanken um den König von Thal gekreist und was ihn dazu bewegt haben könnte, einfach seine Soldaten abzuziehen.
Es hatte eine große Lücke in ihre Verteidigung gerissen. Und Thorin sah keine andere Möglichkeit, ihre Truppen zu retten, als Brands Soldaten wieder nach Osten zu schicken.
Er war tief in Gedanken, als endlich die Tore Thals vor ihm auftauchten. Thorin zügelte sein Reittier und ließ die Kriegsziege im Schritt auf die wachhabenden Soldaten zu gehen, die ihn mit einer Verbeugung begrüßten.
„Ich wünsche mit König Brand zu sprechen!", rief er mit gebieterischer Stimme, „Unterrichtet ihn, dass ich angekommen bin."
Normalerweise wandte sich nach dieser Ankündigung einer der Soldaten ab und eilte Thorin voran in die Stadt hinein, um ihn bei Brand anzukündigen.
Doch nicht heute. Die zwei Wachen warfen sich einen unangenehm berührten Blick zu. Dann begann der eine: „Verzeiht mein Herr, aber König Brand empfängt bis auf weiteres keine Besucher mehr für eine Audienz."
„Bitte was?", erwiderte Thorin scharf. Er konnte nicht glauben, was er da hörte! Was fiel diesem Mann ein? Erst zog er alle Truppen ab und dann weigerte er sich, Besuch zu empfangen?
Der Soldat nickte nachdrücklich. „König Brand gab vor einigen Tagen den Befehl, dass er nicht gestört werden möchte.", bestätigte er.
Thorin schnaubte. „Und woran arbeitet er, dass er keine Störung erlauben kann?", fragte er mit zunehmender Ungeduld in der Stimme.
„Das weiß ich nicht, Herr...", erwiderte die Wache.
„Lasst mich vorbei!", forderte Thorin. Er glaubte nicht, dass Brand ihn abweisen würde. Die beiden Männer traten beiseite und Thorin trieb seine Kriegsziege an.
Die Hufe des Tieres knallten laut auf dem Straßenpflaster, das Echo verstärkte sich dutzendfach an den Steinmauern der umgebenden Häuser. Die Einwohner hatten die Straßen bereits in Vorbereitung auf das Fest der Wintersonnenwende geschmückt.
Niemand hielt den König unter dem Berge auf, als er rasch auf den großen Marktplatz ritt, wo das Haus stand, das Brands Familie seit den Tagen Bards des Drachentöters bewohnte. Schwungvoll stieg Thorin ab und schritt auf das Portal des Hauses zu, das von zwei weiteren Soldaten bewacht wurde.
Diese vertraten Thorin den Weg, die Mienen entschuldigend, aber entschlossen.
„Ich möchte mit König Brand sprechen.", sagte Thorin fest, „Es geht um eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit."
Doch die zwei Männer schüttelten den Kopf. „Es tut uns leid, König Thorin, aber unser König wünscht, nicht in seinen Studien gestört zu werden.", erklärte einer von ihnen.
Thorin zog die Augenbrauen zusammen und fixierte den Mann, der es tatsächlich schaffte, seinem zornigen Blick stand zu halten. „Und für seine Studien würde Brand selbst seinen Verbündeten und Freund, den König unter dem Berge, aus seinem Haus verbannen? Nie wurde ich hier abgewiesen, immer waren wir in Brands Haus willkommen!", fragte er vorwurfsvoll.
Der Soldat zuckte mit den Schultern. „Unser Herr trug uns auf, niemanden, der nicht zu seiner Familie gehört, in dieses Haus zu lassen.", erwiderte er.
„Das ist eine Unverschämtheit!", rief Thorin zornig aus. „Lasst mich ein! Ich bin sicher, Brand wird hören wollen, was ich ihm zu berichten habe!"
Er machte einen Schritt nach vorne, um sich zwischen den beiden Männern hindurch zu schieben. Doch da wurde er tatsächlich an der Schulter gepackt und zurück gehalten.
„Du wagst es, mich festzuhalten?", schäumte Thorin und er riss sich los, „Weißt du Knabe eigentlich wer vor dir steht?"
„Bitte, mein Herr," erwiderte der Soldat etwas versöhnlicher, doch seine Hand lag am Schwertgriff, eine unmissverständliche Geste, wie ernst es ihm war, „wir werden unserem Herrn sagen, dass ihr hier ward. Doch nun müssen wir euch bitten, zu gehen."
Einen Moment erwiderte Thorin schweigend und brodelnd vor Zorn den Blick des jungen Mannes. Dann drehte er auf dem Absatz um und ging davon.
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