Eine Frage des Geschmacks
Lauernd standen sich Elb und Zwerg gegenüber. Thrain hielt das Schwert vor sich, leicht breitbeinig stand er, zum Sprung bereit, während er seinen Gegner musterte. Haldir stand ihm vollkommen reglos gegenüber, ohne mit der Wimper zu zucken, das Schwert locker an der Seite herabhängend, sicher wollte er ihn in falsche Sicherheit wiegen. Doch Thrain fiel nicht darauf herein, er erinnerte sich noch gut an die Kämpfe, die seine Eltern mit Haldir gefochten hatten, als sie in Imladris zu Besuch gewesen waren. Er wusste, dass Haldir ein guter Kämpfer war.
Da griff der Elb plötzlich an. Mit einer blitzschnellen Bewegung sauste sein Schwert durch die Luft und er wirbelte auf den Zwerg zu. Dieser riss seine Klinge nach oben und klirrend prallten die beiden Waffen aufeinander.
Thrain nahm die Wucht des Angriffes auf und ließ sein Schwert herum wirbeln, sodass es nun die ungeschützte Flanke des Elben anvisierte. Doch Haldir war viel zu schnell, als dass dieser Angriff Erfolg gehabt hätte. Mit Leichtigkeit blockte er den Angriff ab und ging zum Gegenangriff über.
Mit einem Hagel von Schlägen deckte er den Zwerg ein, der tatsächlich Mühe hatte, jeden einzelnen Hieb zu kontern. Hektisch wich Thrain zurück, setzte sich nur mit Mühe zur Wehr. Lange war es her, dass ihn ein Gegner dermaßen gefordert hatte. Er meinte, die spöttischen Blicke mancher Elben im Nacken zu spüren.
Ein weiterer heftiger Schlag des Elben sauste heran und diesmal versuchte Thrain nicht, abzuwehren. Stattdessen tauchte er unter der gegnerischen Klinge hindurch und rollte sich über die Schulter ab. Hinter Haldir kam er wieder hoch und noch im Aufstehen schlug er nach dessen Beinen.
Offenbar wirklich überrascht von diesem Angriff, schaffte der Elb es nicht rechtzeitig, sein Schwert herum zu reißen, sondern sprang nur in die Höhe, um seine Beine aus der Gefahrenzone zu bringen.
Sofort setzte Thrain nach, den Moment der Überraschung ausnutzend. Wild prallten ihre Schwerter gegeneinander, folgte Angriff auf Abwehr, Konter auf Ausweichen. Nichts mehr nahm Thrain von seiner Umgebung wahr, nur noch seinen Gegner sah er und dessen wirbelnde Klinge.
Ein weiteres Mal schlugen die Schwerter gegeneinander und einen Moment hielten die beiden Kämpfer den Druck der Klingen aufrecht, versuchten jeweils den Anderen aus der Mitte zu drängen. Verbissen kämpfte Thrain gegen die Kraft seines Gegners, seine Augen blitzten und ein leises Knurren entwich ihm.
Da riss Haldir plötzlich das Schwert herum und mit einer geschickten Bewegung schlug er Thrain, der überrascht nach vorne stolperte, das Schwert aus der Hand.
Im nächsten Moment spürte er die Klinge seines Gegners an der Kehle.
„Du kämpfst nicht schlecht, Tarl". stellte Haldir fest, „Tatsächlich erinnerst du mich an einen Zwerg, mit dem ich vor Jahren einst in Imladris die Klinge kreuzte."
Für einen Moment wurde Thrain ganz anders. Er fühlte Haldirs forschenden Blick auf sich und hielt die Augen gesenkt, wohl wissend, wie ähnlich sie denen seines Vaters waren.
Orophin kam heran. „Das war großartig!", rief er grinsend und unterbrach so die Stille.
Er schlug Thrain auf die Schulter und sah seinen Bruder an. „Wir würden uns freuen, wenn du uns auch weiterhin hier besuchst, Tarl.", meinte er.
Haldir nickte zustimmend und die Spur eines Lächelns huschte über sein Gesicht. „Du könntest auf jeden Fall einige meiner Lehrlinge ordentlich ins Schwitzen bringen.", fügte er hinzu. Damit wandte er sich ab und ging zu den wartenden Elbenrekruten zurück.
„Komm Tarl.", sagte Orophin, „Hast du Durst?"
Nebeneinander schlenderten Thrain und Orophin vom Übungsplatz zu einem kleinen Zelt am Fuße eines Mallorn, wo eine Karaffe und Becher bereit standen.
Während der Elb ihnen einschenkte, sah Thrain zurück zu Haldir, der noch mit der Elbin ins Gespräch vertieft war, die eben Thrain so forschend gemustert hatte.
Die nächsten Tage verbrachte Thrain damit, viel in Caras Galadhon spazieren zu gehen. Er erkundete die Stadt und besuchte hin und wieder Haldirs Training. Auf seinen Streifzügen ließ er sich Zeit und oft sah man ihn an einem Bach oder in einem Pavillon sitzend, nachdenklich und in sich gekehrt. Es gab viel, über das er nachzudenken hatte. Doch zum ersten Mal seit längerem war es nicht mehr das verzweifelte Grübeln, in das er immer wieder verfallen war. Ruhig ließ er die letzten Wochen und Monate an sich vorbeiziehen, schwelgte noch einmal im Glück der Erinnerung an Ira, dachte an seine Freundschaften in Nebelgrund und an seinen furchtbaren Zorn auf Arnfast und den Bürgermeister.
Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass er sich selbst verloren hatte. Und zwar weder Thrain den Prinzen oder Tarl den Schmied, sondern etwas, was ihm zu eigen war, egal, ob Prinz oder Schmied. Sonst wäre er nie ein Teil von Martons Schmugglerbande geworden, hätte er nie Arnfast bis zum Tode geprügelt oder Faris erschlagen.
Doch vielleicht, so wagte er zu hoffen, würde er hier sich wiederfinden. Möglicherweise hatte Galadriel genau das gesehen, als sie einander begegnet waren und ihm deswegen vorgeschlagen, hier zu bleiben.
Die Tage vergingen, doch trotz allem, worüber Thrain nachzudenken hatte und was ihn beschäftigte, spürte er, dass ihm langweilig wurde. Er brauchte eine Aufgabe. Untätig herumzusitzen und zu denken, war auf Dauer nicht für ihn.
Orophin kam tatsächlich hin und wieder auf einen Besuch vorbei und gemeinsam spazierten sie durch Caras Galadhon, wobei der Elb freundlicherweise die schmalen Brücken und Treppen hoch in den Bäumen mied.
„Wie ergeht es dir hier, Tarl?", fragte er eines Tages, als sie eben einen Weg entlang schlenderten, vorbei an den riesenhaften Wurzeln eines Mallorn.
„Es tut gut, hier zu sein.", erwiderte Thrain wahrheitsgemäß, „Ich kann über vieles nachdenken, was ich in den letzten Wochen verdrängte."
Wohlwollend nickte der Elb. Einen Moment gingen sie schweigend weiter, bis Thrain sich schließlich überwand, etwas weiteres anzusprechen.
„Ich bin nicht dazu geschaffen, hier in Müßigkeit zu verfallen. Eine Aufgabe zu haben wäre wohltuend.", fügte er hinzu.
Orophin blieb stehen und sah ihn forschend an.
„Und was schwebt dir da vor?", fragte er. Nachdenklich starrte Thrain ins Leere. Ja, was war es, womit er sich beschäftigen wollte? Vor seinem inneren Auge tauchte die kleine Schmiede aus Nebelgrund auf, in der er so viele Wochen und Monate gearbeitet hatte. Zwar war er immer dem Kriegshandwerk näher gewesen als der Schmiedekunst, doch wie schön wäre es, wieder einen Hammer in das Hand zu halten, den Amboss zu betätigen und im gleichmäßigen Rhythmus der Schläge, ein Stück Metall zu bearbeiten.
„Schmieden...", sagte er, mehr zu sich selbst als zu Orophin. Doch dieser hatte ihn bereits gehört und antwortete: „Ich glaube kaum, dass unsere Schmiede dich in ihre Werkstätten lassen. Das Misstrauen gegenüber Zwergen sitzt noch sehr tief, auch wenn ihr sicher einiges voneinander lernen könntet. Doch ich wüsste nicht, was dagegen spricht, dass du dir eine eigene kleine Schmiede einrichtest. Lass mich mit der Herrin reden, vielleicht lässt sich da etwas organisieren."
Viel hatte Thrain von dieser Unterredung nicht erwartet. Was sollte Galadriel sich schon damit befassen, dass der Zwerg, der nun als Gast seit einigen Tagen als Gast hier weilte, sich wieder eine Esse zum Schmieden wünschte? Und er konnte sich kaum vorstellen, dass Orophin mit diesem doch eher banalen Anliegen bis zu der Herrscherin des goldenen Waldes vordringen konnte.
Doch der Elb überraschte ihn.
„Tarl!", rief es zwei Tage nach diesem Gespräch am frühen Morgen von der obersten Stufe herab, die in seine kleine Senke führte. Rasch trat er aus dem Haus und erblickte den blonden Orophin, der ihm winkte, näher zu kommen.
„Komm mit!", sagte der Elb, „Ich habe etwas für dich."
Gespannt folgte Thrain ihm ein Stück der Straße entlang, bis sie an einen kleinen Platz kamen, wo ein großer Karren bereit stand, dessen Last mit einem großen Tuch abgedeckt war.
„Tadaa!", rief Orophin grinsend und schlug die Decke zurück. Staunend trat Thrain näher.
Ein Amboss thronte auf der Ladefläche des Karrens, außerdem ein schlichter Blasebalg und eine kleine Sammlung alter Hämmer und Zangen. Und dann waren da noch einige Ziegel, scheinbar, um sich die Einfassung für eine Esse zu mauern, sowie ein Sack voll Kohle und ein wenig verhüttetes Eisen.
Thrain ließ seine Finger über den Amboss wandern und nahm das Werkzeug in Augenschein. Es war einfach und schien schon recht alt zu sein.
Orophin trat mit einem leisen Seufzer neben ihn. „Es hat mich sehr viel Überzeugungskraft gekostet, unsere Schmiede dazu zu überreden, dir selbst ihre älteste Ausrüstung zu überlassen. Und das, obwohl die Herrin geäußert hat, dass sie deinen Wunsch unterstützt.", erklärte der Elb und die Sturheit seiner Landsleute schien ihm unangenehm.
Doch Thrain sah dankbar zu ihm. „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du dich derart für mich einsetzt.", sagte er fassungslos, „Danke..."
Orophin lächelte. „Es war mir eine Ehre. Doch rechne nicht damit, dass die Bewohner dieser Stadt bei dir Schlange stehen werden.", antwortete er.
Thrain nickte verstehend. Ähnliches hatte er schon erwartet. Da viel sein Blick auf eine kleine Amphore, die bei den Werkzeugen stand. Er griff danach und fand überrascht eine kleine Rolle Pergament daran befestigt. Darauf stand in geschwungener Schrift Eine Gabe an Tarl. „Die Herrin selbst legte eine Amphore unseres Weines für dich hinzu. Normalerweise sind unsere Weine sehr süß, wie wir es mögen, doch sie suchte einen herberen für dich aus.", erläuterte Orophin und gerührt von dem Geschenk legte Thrain die Amphore zurück. Ihm fiel auf, dass Galadriel den Namen Tarl benutzt hatte. Offenbar war sie bereit, seinen wahren Namen geheim zu halten, solange er sich nicht offenbaren wollte. Dies dankte er ihr noch so viel mehr als die Gabe selbst.
Gemeinsam zogen sie den äußerst schweren Karren zu Thrains Senke zurück, wo sie dank der Stufen gezwungen waren, die Ausrüstungsteile einzeln hinab zu tragen.
Nach einer Pause mit ausgedehntem Frühstück, begannen sie die Einfasung für die Esse zu mauern. Den ganzen Tag waren sie damit beschäftigt und platzierten auch direkt den Blasebalg so, dass Thrain ihn an der Esse stehend gut bedienen konnte.
Haldir und Rumil, der von seinem Wachdienst an der Grenze zurück in die Stadt gekommen war, kamen im Verlauf des Tages vorbei und beobachteten skeptisch die zwei arbeitenden Männer, die am Abend endlich das Gemäuer für die Esse fertig hatten.
Am nächsten Tag platzierte Thrain den Amboss und richtete sich fertig ein. Schließlich kippte er die Kohle in seine Feuerstelle und entzündete ein Feuer. Mit einem glücklichen Lächeln blickte er auf die tanzenden Flammen und verharrte kurz im alten Gebet der Schmiede, das ihm mittlerweile Ruhe und Frieden zu schenken vermochte, so oft hatte er es in Nebelgrund gesprochen.
Für den Anfang nahm er sich vor, sich einige neue Zangen zu schmieden. Eine selbstgeschmiedete Zange lag immer am besten in der Hand, so fand er.
Und nur kurze Zeit später erfüllte der metallische Gesang des Hammers und das Schnaufen des Blasebalges seine Senke, während Thrain zum ersten Mal seit Monaten wieder wirklich gut gelaunt bei seiner Arbeit vor sich hin summte.
Doch er war noch nicht allzu lange beschäftigt damit, als ihn das merkwürdige Gefühl überkam, beobachtet zu werden. Er verharrte in der Bewegung und drehte langsam den Kopf. Tatsächlich... Ganz oben auf der Treppe stand eine Elbin. Eben jene Elbin, die ihm schon beim Training mit Haldir und den anderen aufgefallen war.
Langsam schlenderte sie die Treppe hinab und musterte den Zwerg neugierig.
„Ihr seid Tarl.", stellte sie fest, „Der Zwerg, der auf Galadriels Einladung bei uns als Gast weilt." Ihre Augen huschten über das Haus unter den Mallornwurzeln und die behelfsmäßige Schmiedestelle.
Thrain dagegen besah sich die Elbin genauer. Wie alle ihres Volkes war sie deutlich über einen Kopf größer als er. Das lange Haar von erdbrauner Farbe fiel ihr bis auf die Hüfte hinab, lediglich einfache Flechten an den Seiten des Kopfes hielten die Strähnen aus ihrem Sichtfeld. Neugier sprach aus ihren blauen Augen. Über einem schlichten Kleid von blassblauer Farbe trug sie einen silbernen Mantel. Als sie sich zur Seite bewegte, fiel der Mantel zur Seite und offenbarte 3 lange Narben an ihrem linken Oberarm.
„Kann ich euch helfen?", fragte Thrain, dem nicht danach war, von einer neugierigen Elbin begafft zu werden.
Sie jedoch ließ sich von seinem kühlen Ton nicht beirren. „Man sagt Zwergen hohe Fertigkeiten in der Schmiedekunst nach.", begann sie. Thrain erwiderte nichts, sondern wartete ab.
„Ich habe in einem Gefecht an der Grenze meinen Dolch verloren.", fuhr die Elbin fort, „Ich könnte ohne Probleme von unseren Schmieden in Caras Galadhon einen neuen Dolch anfertigen lassen, doch noch nie hatte ich die Gelegenheit, zwergische Arbeit zu sehen."
Ein wenig überrascht zog Thrain die Augenbrauen in die Höhe. Bekam er hier gerade seinen ersten Auftrag?
„Nun, es wundert mich kaum, dass es keine zwergische Waffen oder Waren anderer Art gibt.", erwiderte er, „Habt ihr denn je Lothlorien verlassen?"
Ein wenig betrübt schüttelte die Elbin den Kopf. „Wir verlassen unser Reich nur noch selten.", antwortete sie, „Doch ich habe gehört, dass unsere Völker früher fruchtbare Handelsbeziehungen und Allianzen pflegten. Der Stamm der Noldor, zu denen Frau Galadriel gehört, lernte viel von der Zwergen und lehrte diese auch von ihrem Wissen."
„Nun,", sagte Thrain und warf einen abschätzenden Blick auf die Hände der Elbin, um eine Vorstellung von ihrer Größe zu bekommen, „ich werde euch einen Dolch nach Art meines Volkes schmieden, angepasst an die etwas anders geformten Hände eurer Sippe."
Erfreut nickte die Elbin. „Ich werde in einigen Tagen wiederkommen.", erwiderte sie und wandte sich zum Gehen.
Als sie die Treppe erreichte, blieb sie noch einmal stehen. „Mein Name ist Lenya.", sagte sie noch und stieg die Stufen empor.
Es dauerte einige Zeit, bis Thrain so weit mit seiner provisorischen Schmiede klar kam, dass er in der Lage war, den Schmiedeauftrag anzugehen. Für den Dolch selbst ließ er sich Zeit, denn er wollte eine gute Waffe anfertigen und er musste Lenyas Größe mit bedenken, wodurch er auch Griff und Schwerpunkt des Dolches anders gestalten musste.
Doch schließlich war die Waffe fertig. Sie war etwas länger als gewöhnlich, einschneidig und zwergentypisch eckig geformt. Der Griff war nicht so kurz und breit, wie er von Zwergen bevorzugt wurde, sondern länglich und schmal, beinahe filigran. Mit schlichtem Leder hatte Thrain ihn umwickelt und auf die Klinge hatte er in mühseliger Arbeit Runen eingraviert, die dem Träger der Waffe Glück in der Schlacht bringen sollten.
Lenya jedoch blieb seinem Haus mehrere Tage fern. Ihm kam zu Ohren, dass unter der Führung Haldirs einige Elben an die Grenze gezogen waren, um dort zu patroullieren. Er vermutete daher, dass die Elbin unter diesen Kämpfern war.
Orophin übernahm die Ausbildung der jungen Krieger nun anstelle seines Bruders und auch wenn Thrain bei diesen Trainingseinheiten willkommen war, verbrachte er viel Zeit für sich.
An einem Abend, gerade nachdem er fertig gegessen hatte, beschloss er, den Wein von Galadriel zu öffnen. Zwar hätte er ihn lieber mit Orophin geteilt, aber der Elb war in den letzten Tagen sehr beschäftigt gewesen. Und so nahm er die Amphore und einen Trinkkelch mit nach draußen auf die Wiese vor seinem Haus, wo er es sich eben gemütlich machte, als er Schritte zu seiner Linken hörte.
Er drehte sich um und erblickte Lenya, die, noch in der Rüstung der Krieger Lothloriens, die Treppe zu seiner Senke hinab eilte.
„Guten Abend Tarl!", rief sie und kam auf ihn zu.
„Ah, Lenya.", erwiderte er und erhob sich, „Guten Abend. Der Dolch ist fertig und bereit abgeholt zu werden."
Mit einer Geste bedeutete er der Elbin, zu warten und ging zurück in sein Haus, wo er den Dolch auf einem Fensterbrett bereit liegen hatte.
Er ging wieder nach draußen, wo Lenya mittig in der kleinen Lichtung stand, und überreichte mit einer knappen Verbeugung die Waffe.
Vorsichtig nahm Lenya den Dolch entgegen, hielt in prüfend erst in der einen, dann der anderen Hand, fuhr sachte mit den Fingerspitzen über die Lederwicklung des Griffes, die einseitig geschliffene Klinge und die eingravierten Runen. Staunend betrachtete sie die für sie durch die kantige Schneide sicher sehr fremdartig aussehende Waffe. Sie trat einige Schritt zurück und ließ den Dolch mit einer einfachen Drehung des Handgelenkes im Kreis sausen. Sirrend durchschnitt er die Luft.
Anerkennend blickte die Elbin erst auf den Dolch, dann auf Thrain. „Eine wunderbare Waffe.", sagte sie anerkennend, „Trotz der einfachen Umstände gut verarbeitet, soweit ich das beurteilen kann. Und sie liegt großartig in der Hand." Noch einmal befühlte die Elbin den Griff, der sich perfekt in ihre Finger schmiegte.
Lächelnd neigte Thrain den Kopf, er freute sich über die Würdigung seiner Arbeit.
„Er ist etwas anders gearbeitet, als die für Zwerge üblichen Dolche, länger und schmaler, da er sich so besser an euch anpassen ließ.", erklärte er.
Die Elbin steckte den Dolch an ihren Gürtel und verneigte sich. „Ich danke euch für eure Arbeit, Tarl."
„Es war mir eine Ehre.", erwiderte der Zwerg.
Ein etwas merkwürdiges Schweigen folgte, in dem keiner der beiden so recht wusste, was man nun sagen sollte. Lenya sah sich etwas unentschlossen um. Sie schien nicht einfach so gehen zu wollen. Und Thrain war sich reichlich unsicher, ob er der Elbin nun einfach den Rücken zudrehen sollte oder ob das nicht unhöflich war. Zumal ihm eine angenehme Unterhaltung auch durchaus willkommen wäre.
Sein Blick fiel zur Seite und auf die Weinamphore mit dem einsamen Trinkbecher. Eine Idee schoß ihm durch den Kopf.
„Ich... ich wollte eben etwas von dem Wein trinken, den die Herrin Galadriel mir schickte. Würdet ihr mir Gesellschaft leisten und etwas von eurem Leben hier in Caras Galdhon erzählen? Die Stadt ist mir so fremd...", fragte er, reichlich unsicher, wie Lenya auf die Einladung reagieren würde.
Doch die Elbin strahlte ihn erfreut an und nickte. „Aber gerne doch!", erwiderte sie.
Und so wandte Thrain sich ab, um rasch aus seinem Haus einen zweiten Trinkbecher und ein weiteres Sitzkissen zu holen. Als er wieder nach draußen trat, saß die Elbin schon auf der Wiese bei dem bereit stehenden Wein.
Mit einem wohligen Seufzen ließ sich Thrain neben ihr nieder und entkorkte die Amphore. Dann schenkte er ihnen beiden ein.
„Das ist eine große Ehre, von Frau Galadriel beschenkt zu werden.", stellte Lenya fest, als sie mit einem dankbaren Neigen des Kopfes ihren Becher entgegen nahm. Thrain nickte lächelnd. „Orophin erwähnte bereits, dass die Herrin eigenhändig aus ihrem Weinvorrat aussuchte.", erwiderte er.
Sie stießen an und Thrain hob den Kelch an die Lippen. Ein voller Geruch nach Beeren und Trauben stieg ihm in die Nase. Gespannt nahm er einen Schluck... und verzog angewidert das Gesicht. Was eine widerlich süße und klebrige Pampe! Er schluckte den Wein hinunter und konnte nicht verhindern, dass er sich schüttelte. Und das sollte ein herber Wein sein? Hatte Galadriel daneben gegriffen?
Neben ihm erklang ein Husten und er drehte sich zu Lenya um. Die Elbin wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. „Ah...", machte sie, „Der ist ja furchtbar sauer!"
„Sauer?", echote Thrain und starrte sie an. „Ich hab noch nie etwas derart grausam süßes getrunken, das als Wein bezeichnet wurde!", rief er aus und nun sah die Elbin ihn entgeistert an.
Verdattert sahen sie einander an, dann richtete Thrain den Blick auf die dunkelrote Flüssigkeit, die in seinem Kelch schwappte. „Orophin sagte,...", begann er langsam, „dass elbische Weine recht süß seien, daher habe die Herrin eine herbe Sorte für mich ausgesucht." Langsam verstand er.
„Herb trifft es...", murmelte Lenya und blickte missmutig auf die Amphore zwischen ihnen. „Was machen wir damit jetzt?", fragte sie. „Er schmeckt widerlich...", sagte Thrain leise. „Ekelhaft...", stimmte ihm Lenya zu. Ihre Blicke trafen einander wieder. „Es ist ein Geschenk Galadriels.", seufzte Thrain, „Eine große Ehre..." Die Elbin nickte verstehend und mit einem Blick, als hätte er ihr eben eröffnet, faulige Suppe trinken zu müssen. „Wir können ihn nicht wegschütten.", sagte sie.
„Also dann!", sagte Thrain und schenkte ihnen beiden schwungvoll nach. „Auf die Herrin Galadriel!"
Mit einem giggelnden Quietschen kippte Lenya fast hintenüber, sich den Bauch haltend vor Lachen. Nach Luft japsend wischte Thrain sich Tränen aus den Augen.
Einige Stunden waren vergangen und es war bereits Nacht geworden im goldenen Wald. Von den Gesängen der Elben, die schwerelos durch die Luft schwebten, bekamen weder Thrain noch Lenya viel mit. Die Amphore war fast völlig geleert und Thrain hatte feststellen müssen, dass dieser Wein ihm stärker zu Kopfe stieg, als es jedes andere zwergische Gebräu je vermocht hatte.
„Also ganz ehrlich...", sagte er mit bereits deutlich vernehmbarem Nuscheln, „Ich habe noch nie einen derart lächerlichen Dolch geschmiedet wie deinen... Lenya..." Er wedelte mit der Hand nach der Waffe, die vor ihnen beiden im Gras lag.
„Ich mein... Er ist so lang für eine zwergische Waffe und dann doch so klein... Also für Elben so klein." Umständlich gestikulierend versuchte er, die Größe der Waffe richtig anzuzeigen, während er von dem nächsten Lachkrampf geschüttelt wurde.
„Richtig winzig!", giggelte Lenya und nahm einen weiteren Schluck. Sie schüttelte sich. „Bah... Das ist reiner Essig!" Kichernd beugte sie sich vor und teilte den letzten Rest aus der Amphore zwischen ihnen auf.
„Ein Geschenk Galadriels!", rief Thrain und kam mühselig auf die Füße. Wie zum Toast schwenkte er den Kelch in die Höhe. „Es ist eine Ehre der Sache... Nein... Eine Sache der Ehre."
„Trinken sollen wir den Wein...", begann Lenya in einem undeutlichen Singsang, „eine Ehre wird dies sein!" Rasch kippte sie sich den letzten Wein in den Mund.
„Das Geschenk der Herrin Galadriel...", nahm Thrain den Reim auf, tat es ihr nach und hielt verdutzt inne. Leicht schwankend sah er zu der Elbin, die vorsichtshalber sitzen geblieben war. „Was reimt sich auf Galadriel?", fragte er.
Stille herrschte, dann prusteten beide los. Thrain ließ sich auf die Knie fallen und kichernd sahen sie einander an.
„Galadriel... Maladriel... Faladriel... Laraaadadiel...", experimentierte Thrain mit den Lauten, während Lenya mittlerweile vor Lachem auf dem Boden lag. „Da gibt es einfach nichts!", brachte die Elbin zwischen zwei überdrehten Lachern hervor.
Es dauerte lange, bis beider Kichern verebbte. Lenya holte tief Luft, wie um sich wieder zu beruhigen. „Galadaaael... Galadrie... Lalafallaaa...", murmelte sie leise mit verklingender Stimme. „Gala... dariel..."
Tiefe Atemzüge erfüllten mit einem Mal die nächtliche Luft. Lenya war eingeschlafen. Einen kurzen Moment sah Thrain auf die Schlafende neben ihm, noch immer giggelte er leise vor sich hin. Er dachte an sein Bett im Haus unter den Wurzeln, doch schon allein der Versuch aufzustehen, gestaltete sich als so anstrengend, dass er sich kurzerhand neben Lenya ausstreckte. Sein Blick wanderte hoch zu den Sternen am nächtlichen Himmel, dann war er auch schon eingeschlafen.
Der leere Trinkkelch rollte unschuldig über die Wiese.
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