Die Pflichten des Thronfolgers
3017 D.Z.
Die Sonne erhob sich über den Horizont und tauchte die Senke von Thal in goldenes Licht. Ein kühler Herbstwind wehte und strich durch die gefärbten Blätter des Waldes zwischen Thal und Erebor. Vögel zwitscherten in den Bäumen und begrüßten den neuen Tag, während sich der Himmel langsam von tiefblau zu orange färbte.
Thrain stand auf der Mauerkrone über dem Haupttor und schlang seinen Pelzmantel um sich. Es war bereits empfindlich kalt in den Nächten. Er unterdrückte ein Gähnen und sah über die Landschaft, die sich vor ihm erstreckte. Thal wurde gerade von der aufgehenden Sonne angeleuchtet. Seine hellen Mauern strahlten golden.
Seit der Krönung König Brands waren über 20 Jahre vergangen. Mittlerweile schrieben sie das Jahr 3017 des dritten Zeitalters. Der Handel ließ den einsamen Berg, Thal und Esgaroth erblühen. Täglich strömten Händler von den Werkstätten des Berges zu den Städten, um die Ware in Mittelerde zu verbreiten. Manche der Fabrikate, die teilweise auch in Thal hergestellt wurden, wurden sogar bis nach Gondor oder in das Auenland geliefert. Die Zahl der Zwerge, die den einsamen Berg bevölkerten, wuchs stetig und sie stellten Objekte von großer Schönheit her. Die Königin hatte auf der Südseite des Berges Terrassen mit Felder anlegen lassen, damit die Bevölkerung des Berges nicht rein vom Handel abhängig war und sich auch zu einem kleinen Anteil selbst versorgen konnte. Doch sonst hatte sich im Berg nicht viel verändert und das Leben folgte seinem gewohnten Gang.
Thrains Leben jedoch hatte sich vor 10 Jahren stark verändert. Er war nun nicht länger ein Krieger der Steinbärte. Sein Vater hatte ihn aus dem Regiment herausnehmen lassen und ihm andere Aufgaben übertragen. Thrain wäre kein einfacher Krieger des Erebor, sondern der Thronfolger und damit müsse er nun lernen, andere Soldaten zu führen, so hatte Thorin gesagt. Und so war Thrain mit einem Mal eine Gruppe Wachsoldaten unterstellt worden. Er teilte seine Männer nun zu Wachdiensten ein, trainierte sie, schrieb und las Berichte, inspizierte Ausrüstungen und schob selbst Wachdienste auf der Mauer. Anfangs hatte er Schwierigkeiten gehabt, sich an diese neuartige Aufgabe zu gewöhnen. Doch das war mit der Zeit vergangen. Seine Männer respektierten ihn und das nicht nur aufgrund seiner Herkunft.
Zusätzlich hatte Fili ihn noch gebeten, ihn bei dem Training der neuen Steinbärte zu unterstützen. Diese zwei Aufgaben hatten Thrain gut beschäftigt, doch es war immer noch genug Zeit gewesen, hin und wieder sich mit seinen alten Freunden Gimli, Skafid und Jari zu treffen.
Doch seit einigen Jahren war ihm auch das verwehrt. Sein Vater, dessen Ziel es war, ihn gut auf seine zukünftige Rolle als König vorzubereiten, verlangte nun, dass Thrain ihn regelmäßig auf Ratssitzungen begleitete. Auch bei anderen Gelegenheiten begleitete er den König, um zu lernen und beobachten. Und zu allem Überfluss bestand Thorin auch noch auf regelmäßigem Unterricht, den er seinem Sohn gab, seit Balin fort war. Der Unterricht beschränkte sich schon lange nicht mehr nur auf Geographie und die Geschichte der Zwerge. Sein Vater versuchte auch, ihm Strategie und Politik, sowie die Regeln des höfischen Lebens nahe zu bringen.
Thrain stöhnte und rieb sich die Augen. Übermüdung war seit Monaten sein ständiger Begleiter. Er erledigte die Arbeit von drei Zwergen... Trainer, Wachhauptmann und Ratsmitglied. Beklagen wollte er sich nicht. Er wusste, dass sein Vater in seinem Alter als Flüchtling ganz anderes ausgehalten hatte. Und war er nicht der Thronfolger und war es nicht seine Pflicht alles zu tun, um sich auf die Herrschaft bestens vorzubereiten? Und dennoch... er vermisste seine Zeit als einfacher Krieger. Wie sehr er seine Freunde beneidete, die er nun seit Jahren schon meist nur aus der Entfernung sah. Ihr Leben war so viel einfacher.
Vom Tor drangen Stimmen zu ihm herauf. Er konnte hören, wie einer seiner Männer rief: „Öffnet das Tor!". Rumpelnd wurde der Mechanismus des Tores in Bewegung gesetzt und Thrain sah hinab, um zu sehen, wer da den Berg verließ. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Nach ihr konnte er wahrlich die Uhr stellen, pünktlich wie immer. Seine kleine Schwester Fenja trieb ihr Pony an und ritt die Straße nach Thal in Richtung Wald.
Jeden Morgen bei Sonnenaufgang ritt sie aus und streifte für mehrere Stunden durch die Umgebung. Thrain seufzte. Für seine Geschwister war das Leben deutlich leichter. Fenja durfte so viel ausreiten und trainieren wie sie wollte. Frerin war meist bei den Goldschmieden und fertigte dort wunderschöne Gegenstände. Und Rhon widmete sich tagelang seinen Studien oder begleitete seinen Vetter Kili in den Düsterwald. Keiner von ihnen wurde vom Vater mit zusätzlichen Aufgaben und Pflichten beladen. Keiner von ihnen kämpfte gegen ständige Müdigkeit und versuchte den Ansprüchen eines übermächtigen Vaters gerecht zu werden. Er war neidisch auf seine Geschwister.
Ein Ruf aus der Vorhalle ließ ihn aufhorchen. Die Ablösung war da. Gähnend streckte er sich und verließ seinen Posten. Vor dem Tor sammelten sich seine Männer. Ihnen gegenüber standen bereits sechs Wachen, bereit sie abzulösen. Die Wachen salutierten als Thrain sich ihnen näherte. Der ranghöchste Zwerg der neuen Wachen, Frin, kam auf ihn zu. „Die Nacht war ruhig.", berichtete Thrain ihm, „Keine besonderen Vorkommnisse." „Die Schmieden haben unsere neuen Waffen geliefert,", erwiderte sein Gegenüber, „Sie lagern in der Waffenkammer." Mit einem Nicken nahm Thrain die Information zur Kenntnis. „Ich werde sie heut Nachmittag inspizieren."
Thrain beobachtete, wie die neuen Zwerge ihre Plätze am Tor einnahmen, in Gedanken schon bei seinem Bett, wo er sich wenigstens ein paar wenige Stunden Schlaf gönnen könnte. Doch gerade als er sich abwandte, hörte er seinen Namen. „Thrain, mein Prinz!" Seufzend drehte er sich um. Ein Zwerg kam auf ihn zugelaufen, eine Rolle Pergament in der Hand. „Eine Botschaft,", keuchte er, „von eurem hohen Vater." Thrain bedankte sich und nahm die Rolle entgegen. Er brach das königliche Siegel und sah auf die Botschaft hinab, die sein Vater ihm geschrieben hatte. Ich wünsche, dass du heute nach der Ratssitzung mich zu den Edelsteinschleifereien begleitest.
Plötzlicher Unmut kam in Thrain auf. Nach der Ratssitzung... Da wollte er die neuen Waffen seiner Männer in Augenschein nehmen. Er zerknüllte das Pergament. Da geht mein Schlaf dahin..., ging es ihm unglücklich durch den Kopf.
Statt in Richtung seiner Kammer wandte er seine Schritte nun zu der Waffenkammer, für Schlaf würde er wann anders Zeit finden müssen.
Und so stand er wenig später in der Waffenkammer seiner Truppe. In seiner Hand hielt er ein Pergament, auf dem der genaue Umfang der Waffenlieferung aufgelistet war. „10 Schilde, 5 neue Helme, ein Dutzend Armbrüste...", murmelte er vor sich hin, während er die Regale abging. Probeweise zog er eine Armbrust hervor und begutachtete sie. Es war gute Arbeit. Er hielt eine schwere, tödliche Waffe in der Hand. Vorsichtig spannte er die Armbrust, legte einen Bolzen auf und zielte auf eine bereit stehende Zielscheibe. Ein Klacken erklang und der Bolzen flog sirrend durch die Luft. Thrain seufzte. Am liebsten hätte er es dabei belassen. Doch er wusste, dass es fahrlässig wäre, seine Männer mit ungeprüften Waffen auszustatten. Diese Waffen sicherten ihr Leben und sie vertrauten darauf, dass ihr Hauptmann diese kontrolliert hatte. Und so zog er die nächste Armbrust hervor, um sie zu testen. Ihm stand noch viel Arbeit bevor.
Stunden später verließ er die Kammer wieder. Ein Gähnen unterdrückend machte er sich gleich auf den Weg in Richtung der Trainingshallen der Krieger.
„Thrain! Thrain, warte!", rief es da hinter ihm, als er eben eine der großen Hallen des Berges durchquerte. Er dreht sich um und sah seine Mutter auf sich zu laufen. Die Zwerge wichen respektvoll vor der Königin zurück. Lyrann blieb vor ihm stehen. „Amad.", sagte Thrain leise und neigte den Kopf vor ihr. „Thrain.", erwiderte sie, „Ich werde nachher mit Rhon zusammen zu Mittag essen. Möchtest du dich uns anschließen?"
Thrain sah sie an und schüttelte den Kopf. „Gerne Mutter, aber ich habe keine Zeit...", sagte er. Besorgt musterte die Königin ihren ältesten Sohn. Ihre dunklen Augen glitten voll Wärme über ihn. Vorsichtig hob sie ihre Hand und strich eine schwarze Haarsträhne hinter Thrains Ohr. „Dein Vater lässt dich zu viel arbeiten, mein Sohn.", flüsterte sie, „Ich sollte mit ihm reden. Ich sehe dich ja kaum noch und meist nur bei offiziellen Anlässen. Wann haben wir beide das letzte Mal wirklich Zeit für ein Gespräch gehabt?"
„Ich weiß es nicht, Mutter.", antwortete Thrain leise, „Aber bitte, sag nichts zu Vater. Ich erfülle nur meine Pflichten und ich will nicht, dass er denkt ich wäre schwach."
Die Königin schüttelte sanft den Kopf. „Er würde nie denken, dass du schwach bist. Thorin vergisst nur manchmal, dass sein Sohn auch mehr ist als der Thronfolger."
„Und trotzdem will ich alles geben, um mich auf die Rolle als König vorzubereiten. Ich weiß, was Vater in meinem Alter erduldet hat. Mach dir keine Sorgen, Mutter, ich schaffe das." Mit diesen Worten küsste er seine Mutter sanft auf die Wange, dann wandte er sich ab und eilte weiter.
„Du bist zu spät!", rief Fili ihm entgegen, als Thrain die Halle betrat, wo eine Gruppe junger Krieger und ihre Mentoren gerade damit beschäftigt waren, sich aufzuwärmen. „Verzeihung...", murmelte Thrain, als er bei seinem Vetter ankam. „Ich habe die Grünschnäbel schon anfangen lassen.", sagte Fili und ruckte mit dem Kopf hinunter zur Halle.
Thrain ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen. Es waren ungefähr zwanzig junge Krieger versammelt.
„Nun,", sagte Fili und zog seine Schwerter, „wollen wir anfangen?" Thrain nickte, griff über seine Schulter und zog seine schwere Doppelaxt. Dann folgte er Fili die letzten Stufen hinab zu den anderen Zwergen. Diese unterbrachen ihr Training sofort, als sie General und Thronfolger auf sich zukommen sahen.
Wie schon bei den vorhergegangenen Trainingseinheiten teilten sich die jungen Krieger auf. Axtkämpfer gingen zu Thrain, während die, die bevorzugt mit dem Schwert kämpften, sich vor Fili versammelten.
„Aufstellung nehmen!", rief Thrain. Seine Hände fassten den Griff seiner Doppelaxt fester. Die jungen Krieger vor ihm stellten sich in einer Reihe vor ihm auf. Der Erste von ihnen trat auf seinen Prinzen zu. Er wirkte nervös, seine Finger krallten sich um den Griff seiner Axt. Doch ein entschlossener Ausdruck, sich zu beweisen, lag in seinen Augen.
Thrain neigte den Kopf, als Zeichen, dass er bereit war. Der Jüngling holte weit aus. Zu weit, dachte Thrain, er ist noch viel zu weit weg, ich kann jetzt schon sehen, was er vor hat. Mit einem lauten Schrei stürzte der Junge auf ihn zu. Thrain reagierte blitzschnell. Er musste kaum nach vorne gehen, seine Axt zuckte vorwärts und der stumpfe Kopf der Axt traf seinen Angreifer wohl dosiert in der ungeschützten Bauchgegend.
Nach Luft japsend taumelte der Jüngling zurück. Thrain zog die Axt zurück und wartete ab, bis sein Schüler sich gesammelt hatte. „Mach deinen Angriff nicht so offensichtlich.", wies er den Jüngeren an, „Warte, bis du wirklich nahe genug bist, dann schlage schnell zu." Der junge Krieger nickte. Thrain arbeitete ein wenig mit ihm zusammen an seiner Angriffstaktik. Nachdem er den Eindruck hatte, dass sein Schüler verstanden hatte, worum es ihm ging, schickte er ihn fort und winkte den nächsten heran.
Verschwitzt vom Training verließ Thrain die Halle. Seine Schritte trugen ihn in die Richtung der königlichen Küche. Für ein richtiges Mittagessen in Ruhe hatte er keine Zeit mehr. Sein Vater erwartete ihn zusammen mit den Ratsmitgliedern in etwas weniger als einer Stunde in der Ratskammer. Diese war direkt hinter dem Thronsaal gelegen und er befand sich an der Ostseite des Berges. Allein der Weg würde einige Zeit in Anspruch nehmen.
Rasch nahm er die Treppen, die ihn in den königlichen Flügel brachten, wo er und seine Familie untergebracht waren. Hier befand sich auch die von Bombur geleitete königliche Küche. Ein Stockwerk unter den Gemächern der Könige lag dieses riesige Gewölbe. Etwas über zwanzig Zwerge versorgten hier täglich die Herrscher des Erebor. Sogar manche Adelige konnten es sich zudem noch leisten, von Bombur und seinen Zwergen bekocht zu werden.
Die meisten Zwerge des Berges kochten für sich in ihren Wohnungen. Außer der königlichen Küche gab es nur wenige andere Großküchen im Berg und diese waren meist tief unten im Berg in der Nähe der Minen und Werkstätten untergebracht, wo sie die Minenarbeiter, Schmiede und Handwerker tagsüber versorgten. Die Reste aus diesen Küchen wurden am Hospital an die Armen des Volkes verteilt.
Thrain öffnete die hölzerne Tür zur Küche. Ein wunderbarer Geruch nach Essen schlug ihm entgegen. Sein Magen röhrte vor Hunger. Kurz ließ er den Blick über die Szenerie schweifen. Vier lange Tische aus dem grünlichen Stein des Berges zogen sich nebeneinander durch die längliche Grotte. An den Wänden brannten mehrere Kochfeuer, über denen Töpfe und Pfannen auf eisernen Gestellen erhitzt wurden. Über einem Feuer hing ein Drehspieß, auf dem gerade zwei Hühnchen geröstet wurden. Töpfe, Pfannen, Kellen, Löffel und verschiedensten weiteres Kochgeschirr baumelten von der Decke. Dutzende Lampen hingen von der Decke und an den Wänden und tauchten die Küche in helles Licht. An der gegenüber liegenden Seite konnte Thrain eine einfache Holztür erkennen. Von dort wurde das fertige Essen über schmale Treppenfluchten in das höhere Stockwerk getragen. Dutzende Zwerge waren gerade an der Arbeit. Thrain sog genüsslich die Luft ein. Es roch nach Gemüsesuppe, gegrilltem Hähnchen, Pilzen und Bomburs bestem Früchtenussbrot.
Links von ihm schwang eine Tür auf und Bombur kam herein. Der extrem beleibte Zwerg kam gerade aus seinem persönlichen Heiligtum, der Vorratskammer der königlichen Küche, die außer ihm nur ein paar ausgesuchte Gehilfen betreten durften. In seinen Händen hielt er drei große Hasen, die er einem herbei geeilten Koch in die Hand drückte und dann laute Anweisungen durch den Raum brüllte.
Dabei fiel sein Blick auf Thrain, der noch immer in der Tür stand. Er hob kurz die Hand und winkte. Dann rief er: „Wie üblich, Thrain!" Der Prinz nickte ihm dankbar zu, dann wandte er seinen Blick nach rechts. Und tatsächlich, auf einem nur selten genutzten Steintisch stand wie fast jeden Tag eine Portion Essen für ihn bereit. Tatsächlich nahm er meist sein Essen hier ein, da ihm schlicht die Zeit für ein geruhsames Essen in seinem Gemach oder mit seiner Familie zusammen fehlte. Er setzte sich auf den bereitstehenden Hocker und machte sich mit einem Bärenhunger über das Essen her. Bombur hatte eine Schale Gemüsesuppe, ein großes Stück kalten Braten mit Kastanien und etwas Früchtebrot für ihn bereit legen lassen. Nur wenige Augenblicke später waren Suppe und Braten verschwunden. Mit dem Brot in der Hand erhob der Prinz sich wieder. Dankend winkte er Bombur zum Abschied und verließ die Küche wieder. Der Rat wartete auf ihn.
Als er den Ratssaal erreichte, war der König bereits anwesend. „Thrain, da bist du ja!", sagte Thorin und hob mit einem kurzen Lächeln den Blick von seinen Notizen, über denen er bereits brütete. Gekleidet in schwarze, aber reich mit Goldfäden verzierte Kleidung und mit der Rabenkrone auf dem Haupt, strahlte Thorin mit jeder Faser die Macht eines Königs aus.
Thrain schritt auf den Tisch zu und nahm rechts neben seinem Vater Platz. Müde lehnte er sich zurück und nutzte den Moment der Stille, um von dem bisherigen Stress des Tages zu entspannen. Nach und nach betraten die Mitglieder des Rates den Saal.
Zuerst erschien Mim, ein kahler, überheblicher Zwerg. Seine Kleidung überbot an Pracht ohne weiteres die des Königs. Argwöhnisch beäugte Thrain ihn. Selbst nach all der Zeit hatte Mim seine Vorbehalte gegenüber der Königin noch nicht abgelegt. Ihm folgten Krudd, der schwarzhaarige Vertreter der Schmiede und Gloin, der die Händler und Geldwechsler des Berges vertrat.
Die nächsten Zwerge, die den Raum betraten, waren zwei Frauen. Doch waren sie unterschiedlicher, wie man sie sich kaum denken konnte. Die bis an die Zähne bewaffnete, hitzköpfige Nira und die kühle, elegant gekleidete Karelia. Sie war eine geschickte Juweliermeisterin, das Monokel, das sie trug, vergrößerte eines ihrer Augen auf unatürliche Größe.
Dwalin schritt mit verschränkten Armen in den Raum. Seit Balin fort war, vertrat er diesen im Rat. Eine Aufgabe, die dem Krieger wahrlich nicht behagte. Zuletzt folgten der blonde Seran, Forl, und Alrik, der rothaarige Enkel des alten Yori, der vor vielen Jahrzehnten ein Mitglied des Rates war und der uralte Ulther, der trotz seines Alters noch immer hart und unnachgiebig in den Minen arbeitete.
Als alle anwesend waren, erhob Thorin sich. „Hiermit eröffne ich die heutige Ratssitzung.", verkündete er in die Runde. „Bevor wir den üblichen Bericht von Gloin über die Handelsbeziehungen hören, eine Bemerkung vorab. Die Königin wünscht, dass wieder ein Teil der Ernte von den Bergterrassen für das Fest zu Ehren Yavannas und Mahals zurückgehalten wird. Der Rest kann eingelagert werden."
„Sollten wir die überschüssigen Feldfrüchte nicht lieber verkaufen?", fragte Mim und spielte beim Sprechen mit einem seiner vielen Ringe herum. „Diese Ernten waren doch gedacht, unser Volk im Winter unabhängiger zu machen.", warf Seran ruhig ein. „Aber wir haben nach wie vor keine Halle vorgesehen, um diese einzulagern.", wandte Mim ein, „Für die Ernte hat die Königin keinen Platz vorgesehen, als sie die Terrassen plante."
„Zweifelt ihr die Entscheidung der Königin an?", brauste Dwalin auf und lehnte sich über den Tisch in Richtung Mim. Thorin hob eine Hand, um seinen Freund zu beruhigen. „Die Sache ist ganz einfach, Mim. Wenn noch keine Halle für die Einlagerung vorgesehen wurde, dann findet eine... Bis zu unserer nächsten Sitzung solltet ihr ja eine Lösung gefunden haben."
Grummelnd verzog Mim das Gesicht, wagte aber nicht, etwas zu sagen.
Abwartend wandten sich alle Augen Gloin zu, der sich mit einer Schriftrolle erhob und begann, die Handelseinnahmen des Berges zu verlesen. Mit Mühe unterdrückte Thrain ein Stöhnen. Es fiel ihm schwer, sich auf die trockenen Zahlen zu konzentrieren, die Gloin vorlas. Verständnislos sah er zu seinem Vater, der mit großem Interesse Gloins Bericht verfolgte. Wie schaffte Thorin es nur, wach zu bleiben? Er, Thrain, fühlte sich da viel näher an Dwalin, der teilnahmslos auf einem Stück Pergament herum kritzelte, wofür er einen giftigen Blick von Forl kassierte.
Mit halbem Ohr hörte Thrain zu. Abgebaute Edelsteine... verarbeitetes Metall... Auslieferungen an geschmiedetem Gold und Silber... Waffenlieferungen... Die Liste schien nicht enden zu wollen. Endlich rollte Gloin das Pergament zusammen. „Als abschließende Bemerkung noch,", fügte er hinzu, „König Thranduil bestellt zweimal hundert aus Silber geschmiedete Lampenfassungen, verziert mit weißen Edelsteinen, und Lampen, die die Feierlichkeiten zum Fest des Sternenlichtes im nächsten Sommer erleuchten sollen. Die Bezahlung, die er bereit wäre zu leisten, wäre überaus beachtlich."
Fragend wandte er sich Thorin zu. „Es wäre ein leichtes, genügend Silber für diesen Auftrag abzubauen.", warf der weißhaarige Ulther mit raspeliger Stimme ein. Keinen Moment zweifelte der Sprecher der Minen an der Tatkraft seiner Zwerge. Auch Krudd, Oberster der Schmiede, gab mit einem Nicken sein Einverständnis. Lediglich Karelia, die oberste Juwelenmeisterin, schien skeptisch. „Wir müssten mehr Juweliere beschäftigen, um diesen Auftrag auszuführen.", warf sie mit glockenheller Stimme ein. Das Auge hinter ihrem Monokel blitzte scharfsinnig auf. Mit einer Hand strich sie über ihre straffe Frisur, dann sah sie zu Thorin. „Was, wenn wir keine weiteren Aufträge bekommen und die Anzahl neuer Juweliere nicht ausbezahlen können? Was, wenn die gute Auftragslage für unsere Werkstätten nicht anhält?"
„Wenn das eintreffen sollte, haben wir immer noch die Möglichkeit, zu reagieren.", warf Thrain ein.
Thorin nickte und blickte zu Karelia. „Bisher stehen alle Zeichen so, dass wir auch weiterhin gute und ausreichende Aufträge bekommen. Karelia, ich bitte dich, alles Nötige zu veranlassen, dass wir diese Lampen für Thranduil herstellen können.", erwiderte er.
Gloin nickte zufrieden und setzte sich wieder.
„Mein König?", fragte da Nira in die Runde, „Habt ihr Nachricht von Balin aus Khazad-dum erhalten?" Schweigen legte sich über die Versammlung. Alle Augen richteten sich auf den König. Auch Thrain blickte seinen Vater erwartungsvoll an. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Dwalins Gesicht sich verhärtete.
Thorin seufzte und blickte auf seine ineinander verschränkten Hände. „Nein...", sagte er dann sorgenvoll. „Es kommen keine Nachrichten mehr von Balin."
Gemurmel wurde laut. Mit besorgten Gesichtern steckten die Zwerge die Köpfe zusammen. „Wir hätten Balin nie diesen Wahnsinn gestatten sollen...", kam es leise von Karelia. Thrain sah zu Dwalin. Die Miene des Kriegers sprach nur zu deutlich von Sorge um seinen älteren Bruder. „Man sollte eine Expedition nach Khazad-dum schicken, um nach Balin zu suchen.", schlug der junge Alrik vor. Zustimmend nickten einige der Zwerge. Doch es gab auch einige, wie Karelia, die lautstark dagegen protestierten.
„Ruhe!", donnerte Thorin mit einem Mal und erhob sich von seinem Platz. „Ich kann es nicht riskieren, eine weitere Expedition ins Ungewisse zu schicken.", verkündete er mit fester Stimme. Wieder erklangen Proteste.
Mit einem schweren Seufzen lehnte Thrain sich in seinem Stuhl zurück. Es versprach ein langer Nachmittag zu werden.
Es war schon dunkel, als Thrain endlich sein Gemach betrat. Müde stolperte der junge Mann durch die Tür. Er bewohnte das blaue Zimmer im königlichen Flügel, wo mehrere prunkvolle Gemächer die Königsfamilie beherbergten.
Hier hatten die Erbauer dieser Gemächer die Saphir- und Achatadern des Berges herausgearbeitet. Doch Thrain achtete nicht auf das leuchtende Blau an den fast schwarzen Steinwänden. Die kunstfertigt in den Stein gemeißelten Verzierungen, die die eingelagerten Edelsteine noch besser zur Geltung brachten, sah er nicht. Prachtvolle Reliefe in den Wänden, die von den Ruhmestaten seines Volkes erzählten, verziert mit eingelegtem Silber.
Mit schweren Füßen stolperte er durch sein Studierzimmer, den Stapel an Berichten, die er durchsehen musste, ignorierend. Rechts von ihm führte eine Tür in einen kleinen Salon, wo er Gäste empfangen könnte oder seine Mahlzeiten einnehmen, wenn ihm den die Zeit dafür bliebe. Selbst um sich kurz zu waschen, war er zu müde. Der Wachdienst auf der Mauer und die lange Ratssitzung zehrten an seiner Kraft. Er öffnete eine weitere Tür aus dunklem Holz, verziert mit Runen, die den Segen Mahals über den Bewohner dieses Gemaches erbaten.
Im Kamin, der so reich mit Saphiren durchsetzt war, dass er schien als wäre er gänzlich aus blauem Stein gehauen, brannte ein kleines Feuer. Die Kleidung, die er am Vortag einfach auf den Boden hatte fallen lassen, war verschwunden. Thrain lächelte liebevoll. Minna war vermutlich am Tag hier gewesen und hatte hinter ihrem „kleinen Jungen", wie sie Thrain immer noch nannte, aufgeräumt. Thrains Stiefel fielen zu Boden. Ein dicker, flauschiger Teppich, verziert mit dem Wappen seiner Familie, wärmte seine verspannten Füße, als er zum Bett torkelte. Dieses war ein riesiges Himmelbett, auf einem steinernen Podest stehend. Dunkelblaue Vorhänge hingen von einem reich verzierten Baldachin herab. Kunstvolle Einlegearbeiten aus Silber und Saphir erweckten den Anschein unter einem runengeschmückten Sternenhimmel zu schlafen.
Thrain fiel voll bekleidet ins Bett. Kaum hatte er die Augen geschlossen, war er schon eingeschlafen.
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