Die Geschenke Galadriels
Schweigend liefen Thrain und Gimli wieder in Richtung des Lagers, wo Gimli und seine Gefährten untergebracht waren.
Noch immer herrschte eine gewisse kühle Distanziertheit zwischen ihnen, das alte Vertrauen, das zwischen den Waffenbrüdern einst geherrscht hatte, war deutlich beschädigt. Doch es schien Thrain, als hätte er die Freundschaft Gimlis noch nicht gänzlich verloren, und das stimmte ihn zuversichtlich.
Abrupt blieb Gimli stehen. Verwirrt drehte Thrain den Kopf und stellte fest, dass sein alter Freund ihn voller Schmerz ansah.
„Thrain...", flüsterte Gimli leise, „Balin ist tot... Ori und Oin ebenfalls."
Es war, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weg gerissen. Thrain taumelte. Ungläubig starrte er Gimli an, während er haltsuchend nach dem Baum neben ihm tastete.
„Was...?", brachte er hervor.
Tränen glitzerten in Gimlis Augen und er sah zu Boden.
„Von Imladris aus kommend versuchten wir den Pass des Caradhras zu überwinden. Doch wir schafften es nicht. Also entschieden wir, durch die Minen von Moria zu gehen.", berichtete er.
Thrains Magen verschlang sich zu einem eiskalten Klumpen, während er mit bang pochendem Herzen Gimlis Worten lauschte.
„Keine Siedlung der Zwerge fanden wir dort vor. Nur die Spuren von Kämpfen... Moria war keine Mine mehr, keine Zwergenstadt. Ein Grab öffnete sich vor uns und wir fanden nur die Leichen unseres Volkes, Thrain.", die Stimme Gimlis war schwer vor Kummer.
„Und dort fand ich Balins Grab, Balin, Fundins Sohn, Herr von Moria, stand dort geschrieben. Die Leiche Oris lag daneben, ein Buch hielt er umklammert. Das Buch trage ich nun bei mir, um es dem König zu geben, sollte ich heimkehren. Oin fiel wenige Tage vor Ori, es gibt kein Grab für meinen Onkel..."
Thrain sah fassungslos zu Gimli. Balin... Ori... Oin...
Er konnte sich noch an ihren Aufbruch erinnern, als wäre es gestern gewesen. Und nun würde er sie nie wieder sehen...
Sein Herz krampfte sich vor Trauer zusammen. Sie alle waren Teil seiner Familie gewesen, selbst wenn Ori nicht mit ihm verwandt gewesen war. Der Verlust schnitt tief in sein Herz. Dann dachte er an seine Eltern. Balin war Thorins Mentor gewesen, so wie Gimli der Thrains. Wie würde sein Vater diese Neuigkeit aufnehmen? Und erst Dwalin?
„Danke, dass du mir davon berichtest, Gimli...", flüsterte er, seiner Stimme nicht so recht trauend.
Die beiden tauschten einen langen Blick voller Schmerz und Trauer. Dann sagte Thrain leise: „Sie werden einen ehrenvollen Platz in Mahals Halle eingenommen haben. Dankbar sollten wir dafür sein, sie gekannt zu haben."
Gimli nickte und einander wieder ein klein wenig näher schritten sie zurück zum Lager.
Als sie am Lager ankamen, stellten sie fest, dass mittlerweile auch Merry und Pippin zurück gekommen waren. Die beiden Zwerge setzten sich zu den anderen ans Feuer, nahmen dankend etwas Essen entgegen und lauschten den Berichten Merrys und Pippins, die erzählten, welchen Teil der Stadt sie heute erkundigt hatten.
Sie hatten noch nicht ganz fertig gegessen, als sie Aragorn bemerkten, der sich ihnen näherte. Und zu Thrains großem Erstaunen war Galadriel an seiner Seite.
Sofort erhoben sie sich, als die Elbenfürstin auf sie zukam.
Doch Galadriel bedeutete ihnen mit einem sachten Lächeln, sich wieder zu setzen. Mit ehrfürchtigem Blick zu der Elbin gab Sam seinen Platz auf der Bank frei und setzte sich zu den Füßen Galadriels ins Gras, als diese mit einem dankenden Neigen des Kopfes sich auf seinem Platz niederließ.
Für einen Moment herrschte Schweigen, jeder von ihnen war etwas eingeschüchtert von der plötzlichen Anwesenheit der Herrin.
Dann gab Thrain sich einen Ruck und stellte die eine Frage, die ihn umtrieb, seit er der Gruppe zum ersten Mal begegnet war.
„Warum seid ihr hier? Wohin seid ihr unterwegs?"
Stumme Blicke wurden getauscht und zu Thrains großer Überraschung antwortete Frodo: „Wir reisen mit einem geheimen Auftrag."
„Ah...", machte Thrain. Das war nicht hilfreich. Frodos Antwort war knapp, beinahe feindselig gewesen. Verwirrt sah der Zwerg sich um. Gimli schüttelte leicht den Kopf und auch Boromir mied seinen Blick.
Da begann Galadriel plötzlich zu sprechen:
„Du weißt von dem Ring, den dein Urgroßvater Thror trug und der deinem Großvater Thrain in der Festung Dol Guldur abgenommen wurde?"
Thrain nickte. Natürlich wusste er von dem Ring Thrors!
„Er war einer der sieben Zwergenringe, den Vorfahren der sieben Zwergenvölker anvertraut. Jeder von ihnen war mit großer Macht gesegnet und erlaubte große Taten zu vollbringen.", erwiderte er.
Die Elbin nickte.
„Sauron, der dunkle Herrscher Mordors, ein gefallener Maia, der einst Mairon genannt wurde, versucht seit Jahrhunderten jeden der Ringe der Macht unter seine Kontrolle zu bringen.", fuhr Galadriel fort, „Nur noch der eine Ring fehlt ihm, der eine Ring, den er selbst schmiedete und den nur er allein kontrollieren kann. Erlangt er diesen Ring wieder, wird Mittelerde erneut von Dunkelheit überzogen und alle freien Völker fallen in die Sklaverei. Den einen Ring zu zerstören, ist unsere einzige Hoffnung."
Thrain sah sie ungläubig an. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Endlich wurde ihm das Ausmaß des Krieges klar. Dann fiel sein Blick auf Frodo Beutlin und das Puzzle fügte sich zusammen.
„Bilbos Ring...", sagte er, „Der magische Ring, den Bilbo unter dem Nebelgebirge fand, ist der eine Ring?"
Fragend sah er zu Frodo, der schließlich nickte.
„Wusste Bilbo...?", begann Thrain, doch diesmal schüttelte der Hobbit den Kopf. „Lange ahnten wir nichts davon.", antwortete er, „Erst vor kurzem schöpfte Gandalf Verdacht."
„Gandalf?", fragte Thrain, „Wo ist der Zauberer?" Sicher wäre Gandalf bei einer solchen Unternehmung dabei!
Frodo senkte traurig den Blick. „Er fiel in Moria... Ein Balrog lauerte uns auf.", flüsterte er.
Schockiert sah Thrain ihn an. Gandalf... Der Freund seiner Eltern... Tot? Er konnte es nicht glauben, dass der mächtige Istari gefallen war. Stille kehrte ein, während Thrain versuchte, die unglaublichen Neuigkeiten zu verdauen.
Schließlich fing er sich wieder. „Wo wollt ihr den Ring zerstören?", fragte er.
„Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu zerstören.", antwortete nun Aragorn, „Die Feuer des Schicksalsberges, wo der Ring geschmiedet wurde, haben einzig und allein die Kraft, ihn wieder zu vernichten. Wir ziehen nach Mordor."
Während der nächsten Tage verbrachte Thrain viel Zeit mit den Gefährten. Lenya sowie Haldir und seine Brüder waren noch immer an der Grenze und bewachten das Elbenreich. Tatsächlich war Thrain sogar etwas dankbar dafür, denn er wollte nicht schon wieder jemandem seine wahre Identität erklären.
Nach wie vor belagerten ihn Merry und Pippin mit der Bitte, sie zu trainieren und so verbrachten er und Boromir jeden Tag etwas Zeit damit, die beiden jungen Hobbits zu unterrichten. Frodo und Sam beteiligten sich trotz wiederholter Aufforderung ihrer beiden Freunde nicht an diesen Kämpfen, sondern beschränkten sich auf das Zuschauen. Sam schien generell nicht zu verstehen, wie jemand sich freiwillig mit der Kampfkunst auseinander setzen konnte. Thrain schmunzelte regelmäßig bei der Vorstellung, Sam mal mit seiner Schwester bekannt zu machen.
Wer sich auch nicht bei den Kämpfen beteiligte, waren Gimli und Legolas. Oft waren die beiden zusammen in Caras Galadhon unterwegs. Thrain war dankbar, dass Gimli ihn jetzt nicht mehr mit Feindseligkeit bedachte. Doch noch immer herrschte eine gewisse Distanz zwischen ihnen. Vermutlich würde es noch einige Zeit dauern, bis sie einander wieder so nahe waren, wie in ihrer Jugend.
Aragorn hatte sich tatsächlich einmal zu einem Übungskampf mit Thrain überzeugen lassen. Von den Hobbits mit vor Staunen offenen Mündern beobachtet hatten sich die beiden Männer ein Duell geliefert, bei dem Thrain deutlich ins Schwitzen gekommen war. Der Dunedain war ein Meister des Schwertes und hatte den Zwerg arg in Bedrängnis gebracht. Doch Thrain hatte sich gut seiner Haut wehren können und Aragorn das eine oder andere Mal auch in Bedrängnis gebracht.
Wenn er nicht mit der Gemeinschaft trainierte, unterhielt er sich gerne mit manchen. In Boromir hatte er schnell einen guten Gesprächspartner gefunden, doch auch mit Frodo sprach er oft. Dabei erzählte ihm der Hobbit meist vom Auenland und seinem Leben mit Bilbo oder Thrain erzählte von seinen Reisen durch Mittelerde, wobei auch die anderen drei Hobbits gerne zuhörten. Und so sprach Thrain von Gringorns Familie und der Schmiede in Nebelgrund, wobei er seine Zeit bei den Schmugglern sorgfältig ausließ und auch Ira nicht erwähnte. Zu sehr schmerzte der Gedanke an sie.
An einem Abend, mehrere Tage nach seiner Aussprache mit Gimli, ging Thrain nach einem ausgiebigen Abendessen mit den Gefährten, zu seiner Hütte zurück. Er war tief in Gedanken und achtete kaum auf die Elben, denen er begegnete.
Das Zusammentreffen mit Gimli hatte sein altes Leben mit aller Macht wieder zurück geholt. Und nun musste er eine Entscheidung treffen. Was sollte passieren?
All die letzten Wochen hatte er das Gefühl gehabt, auf etwas zu warten. Er hatte nicht gewusst, worauf, doch jetzt war etwas geschehen, was sein ruhiges Leben hier in Lothlorien unterbrochen hatte.
Er war der Gemeinschaft des Ringes begegnet und endlich verstand er die Tragweite des Krieges, der ganz Mittelerde umfangen hielt.
Was sollte er tun?
So wie Thrain es sah, gab es drei unterschiedliche Möglichkeiten für ihn.
Er konnte hier in Caras Galadhon bleiben. Sicher würden ihn die Elben, nun, da seine Wunden verheilt waren, wieder unter ihren Wächtern aufnehmen und er würde weiter an ihrer Seite die Grenzen dieses Reiches verteidigen.
Doch Thrain schüttelte unmerklich den Kopf. Er war kein Elb Lothloriens, er war hier nur ein Gast. Deutlich spürte er, dass seine Zeit unter den Elben vorbei war. Es zog ihn weiter. Nicht mehr länger würde er sich hier verstecken. Es wurde Zeit, dass er eine aktive Rolle in diesem Krieg spielte.
Also, könnte er nach Hause gehen. Kaum hatte er das gedacht, wallte unglaubliche Sehnsucht in Thrain auf. Er sah den Erebor vor sich, meinte schon, den kühlen Stein des Berges unter seinen Fingerkuppen zu fühlen. Wie wunderbar es wäre, wieder zu Hause zu sein! Wie sehr er sich nach der Heimat sehnte, die er so lange nicht mehr gesehen hatte...
Doch da tauchte Gimlis Gesicht vor seinem inneren Auge auf. Wütend schrie sein Freund ihn an.
Wenn Gimli schon so reagiert hatte, wie würde dann sein Vater ihn begrüßen? Was würden die Geschwister sagen, seine Mutter? Würden sie ihn überhaupt wieder aufnehmen? Ihn, den verräterrischen Sohn?
Sein Magen krampfte sich vor Angst und Scham zusammen und er ballte die Fäuste. Wie konnte er ihnen unter die Augen treten? Thrain presste die Lippen aufeinander. Er wagte es nicht. Er verdiente es nicht. Verspielt hatte er jegliches Anrecht auf eine Heimkehr in die offenen Arme seiner Familie.
Und was sollte er dort schon ausrichten? Er war nur ein weiterer Zwerg, ein weiterer Krieger, der den Erebor verteidigen würde...
Doch tief in seinem Inneren wusste Thrain, dass der einzige Grund, warum er die Heimkehr so weit von sich schob, seine Angst war, wie seine Familie auf ihn reagieren würde. Er hatte schlicht und ergreifend Angst.
Es gab also nur eine Möglichkeit, wohin er sich wenden konnte.
Er würde sich der Gemeinschaft des Ringes anschließen. Die Gefährten hatten Gandalf verloren, würde er sich ihnen anschließen, wären sie wieder neun. Er war ein guter Kämpfer und sicher würden sie jede Unterstützung benötigen, die sie bekommen konnten.
Frodo hatte einen gefährlichen Auftrag zu erfüllen und er, Thrain, würde ihm helfen, diesen in die Tat umzusetzen. So würde er seiner Familie und seiner Heimat besser helfen können, als hier in Caras Galadhon oder wenn er einfach nur einer von hunderten Kriegern wäre, die den Erebor schützten.
Mit frischem Mut und dem Gefühl, endlich wieder zu wissen, wohin sein Pfad ihn führen würde, ging Thrain weiter. Gemeinsam mit den Gefährten würde er Lothlorien gen Süden verlassen und nach Mordor reisen.
„Ich werde mit euch nach Süden ziehen.", verkündete Thrain, als er am nächsten Tag das Lager der Gemeinschaft betrat.
„Was?", brach es aus Gimli heraus. Die acht Freunde saßen eben bei einem Frühstück zusammen und blickten verwirrt zu dem Zwerg, der sich ihnen näherte. Der Ausdruck in ihren Gesichtern schwankte zwischen Verwirrung, Erstaunen und Freude.
Merry und Pippin grinsten breit, auch Boromir und Frodo schienen überrascht aber froh zu sein. Gimli starrte Thrain vollkommen überrumpelt an, Sam zog die Stirn in Falten, Legolas und Aragorn dagegen musterten Thrain mit nachdenklicher Miene.
Thrain wandte sich dem Dunedain zu.
„In Moria habt ihr einen eurer Gefährten verloren. Ich kann Gandalf nicht ersetzen, niemals wäre ich so arrogant, dies zu behaupten. Aber ihr wisst, dass ich ein fähiger Kämpfer bin. Drum erlaubt mir, mich euch anzuschließen und den Ringträger auf seinem Weg zu beschützen.", sagte er mit bittender Miene zu Aragorn und ließ sich auf ein Knie herab, um mit den sitzenden Gefährten auf einer Höhe zu sein.
„Thrain!", warf Gimli da ein, „Deine Familie braucht dich eher als wir! Du solltest zum Erebor zurück kehren und dich nicht uns anschließen bei einer Aufgabe, die nicht die deine ist!"
Langsam wandte sich Thrain dem alten Freund zu, der ihn kritisch beäugte.
„Ich wäre nur einer von vielen Zwergen, die den einsamen Bergen verteidigen. Und egal, wie viele Krieger dort im Norden kämpfen werden, unser aller Schicksal liegt in den Händen dieser Gemeinschaft.", erwiderte er, sein Blick ging zu Frodo, „Ich möchte helfen. Lasst mich euch begleiten auf eurer Reise nach Mordor, so kann ich mehr für mein Land und meine Familie bewirken."
„Galadriel vertraut dir.", sagte Aragorn da und die beiden Männer tauschten einen langen Blick. „Daher hast du auch mein Vertrauen. Doch was sagt der Ringträger?"
Frodo blickte zu Boden und deutlich konnte Thrain die Kette erkennen, die um den Hals des Halblings lag. Wie schwer das Gewicht des Ringes auf seinen Schultern lasten musste und wie viel schwerer die Aufgabe, die ihm bevorstand und von der das Schicksal ganz Mittelerdes abhing.
„Bilbo fand den Ring, als er mit meinem Vater zum Erebor zog.", sagte Thrain, nun einzig an den Hobbit gewandt, „Weil dein Verwandter meinem Vater, meinem Volk, half, ihre Heimat zurück zu gewinnen, kam der eine Ring in deine Familie. Nun bist du mit der Aufgabe betraut, die uns alle retten soll. Lass mich dir helfen, Frodo. Lass einen Durin und einen Beutlin erneut Seite an Seite stehen, um das zu beenden, was vor sechzig Jahren begonnen wurde."
Die Augen Frodos wandten sich Thrain zu und langsam nickte der Hobbit.
„Es wäre mir eine Ehre, Thorins Sohn bei mir zu wissen.", antwortete Frodo, „Du sollst uns nach Mordor begleiten, Thrain."
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Die meiste Zeit verbrachte Thrain nun damit, seine Reiseausrüstung wieder zu überarbeiten, nun, da er wusste, dass er bald aufbrechen würde. Und so waren die Gefährten bald einen ganzen Monat in Lothlorien. Der Winter hatte seinen Höhepuntk überschritten. Die Schneeschmelze hatte in den Niederungen des Andui bereits eingesetzt und rasch war der Schnee um Lothlorien herum weg geschmolzen. Es würde noch einige Wochen dauern, bis der Frühling einsetzte, aber der Winter hatte das Land nicht mehr fest im Griff. Die Abreise stand nun kurz bevor.
Laut den Hobbits war es ein Tag Ende des Monats Februar, als die Gefährten ihre Sachen für die Weiterreise packten. Auch Thrain schnürte sein Reisebündel und schärfte die Axt ein letztes Mal vor dem Aufbruch.
Für Lenya, Haldir und die anderen ließ er einen Brief zurück, in dem er erklärte, dass er mit der Gemeinschaft gen Süden zog und ihnen alles Glück der Welt wünschte. Es schmerzte ihn, keine Gelegenheit für eine Verabschiedung zu haben und hoffte, sie vielleicht irgendwann wieder zu sehen.
Und so stand er dann eines Morgens in dem Haus, das ihm den Winter ein Zuhause geboten hatte und ließ ein letztes Mal den Blick schweifen. Kurz klopfte er auf das Holz des Kamins, dann ging er nach draußen und schloss die Tür hinter sich.
Die Sonne erhob sich eben erst über den Horizont, als er das Lager der Gefährten erreichte, wo er schon erwartet wurde. Aragorn, Boromir, Legolas, Gimli und die Hobbits sahen ihm reisefertig entgegen. Eine Gruppe elbischer Krieger war bei ihnen. Mit einem Nicken grüßte Thrain seine Reisegefährten und reihte sich zwischen Boromir und Legolas ein.
„Die Herren Galadriel und Celeborn erwarten euch.", sagte einer der Elben und setzte sich in Bewegung. Sie folgten den Elbenkriegern die Straße entlang und verließen so die Elbenstadt.
Man führte sie einige Zeit lang durch den erwachenden Wald. Schweigend liefen sie hintereinander her.
Thrains Gedanken waren auf die ihnen bevorstehende Reise gerichtet. Mordor... Was würde ihnen in den nächsten Tagen und Wochen begegnen? Was würde in dem dunklen Land auf sie warten? Er konnte es nicht wissen. Sachte fuhr seine Hand über die Axt an seinem Gürtel. Was auch immer geschehen würde, er war gewappnet.
Sie erreichten das Ufer eines Flusses, ein Seitenarm des Anduin, wie Thrain vermutete, wo mehrere Boote vertäut lagen. Vor allem Sam beäugte die Boote kritisch, als sie nacheinander hinein kletterten. Sachte schwappte das Wasser gegen das sandige Ufer und ließ die Boote leicht hin und her schaukeln.
Geschickt stießen die Elben die Boote vom Ufer ab und lenkten sie in die Strömung, die sie sanft fort trug. Thrain sah sich um. So ganz wohl war auch ihm in dem Boot nicht. Er sah Gimli, der sich genau wie Sam am Bootsrand festhielt. Merry dagegen strahlte. Der Hobbit schien sich über die Bootsfahrt zu freuen.
Die Sonne näherte sich ihrem Zenit, als plötzlich der Klang von Harfen und Gesang über das Wasser zu ihnen wehte. Ein weißes Boot, geformt wie ein riesiger Schwan, kam ihnen entgegen. Dort standen Galadriel und Celeborn Seite an Seite, ein schwaches Licht schien um sie her zu sein.
Das Schwanenboot schwenkte herum und fuhr an ihrer Seite. Nebeneinander näherten sie sich einer Insel, wo die Boote an einem Holzsteg festgemacht wurden.
Als die Gefährten ausstiegen, fanden sie sich auf einer Wiese wieder. Eine lang gezogene, niedrige Tafel mit Sitzkissen war dort vorbereitet. Speisen und Getränke standen für sie bereit. Das Licht der Mittagssonne glitzerte auf den silbernen Kelchen und Tellern. Sanfte Flötenmelodien und Harfenklänge schwebten in der Luft.
„Setzt euch!", forderte Celeborn sie auf, „Stärkt euch ein letztes Mal vor eurem Aufbruch."
Und so ließen sie sich auf den Kissen nieder und begannen zu essen. Fast niemand sprach, sie alle waren in Gedanken bei den kommenden Tagen und der Ungewissheit, die sie erwartete.
Schließlich waren die Teller leer und die Elben begannen, die Boote mit Wegzehrung und neuen Decken für die Gemeinschaft zu beladen.
Aragorn ließ den Blick über den Tisch schweifen. Schließlich sah er zu Frodo und die beiden nickten einander kaum merklich zu.
„Es ist soweit.", sagte der Dunedain und erhob sich. Auch die anderen standen nun auf.
„Geschenke habe ich für euch.", sagte Galadriel, „Sie mögen euch auf euren Reisen nützen."
Auf einen Wink der Herrin traten neun Elben vor, graugrüne Mäntel aus fließend weichem Stoff trugen sie über den Armen. Ein jeder von ihnen ging auf einen der Gefährten zu. Auch eine silberhaarige Elbin näherte sich Thrain und legte ihm den Umhang um die Schultern. Verschlossen wurde er mit einer Brosche in Form eines silbergrünen Blattes.
„Gewebt wurden diese Mäntel von der Herrin Galadriel selbst.", erklärte Celeborn, „Sie sollen euch wärmen bei Nacht und Kälte und schützen vor der Hitze der Sonne. Doch vor allem vermögen sie es, euch vor unfreundlichen Blicken zu verbergen."
Staunend ließ Thrain die Hand über den Stoff des Mantels gleiten, der sich leicht wie Wasser und weich wie frisches Moos anfühlte.
Nun trat Galadriel selbst nach vorne und übergab die Geschenke, die sie vorbereitet hatte.
Sam übergab sie ein Kästchen mit Erde aus ihrem Garten und ein Seil, Merry und Pippin wurden Dolche überreicht, Frodo übergab sie eine Phiole mit dem Licht Eärendils und Legolas erhielt einen Bogen.
Dann trat sie vor Thrain.
Auf einen Wink von ihr trat ein Elb vor, der einen langen, in ein Tuch eingeschlagenen Gegenstand bei sich trug. Galadriel nahm es entgegen und blickte darauf hinab.
„Vor langer Zeit fand mein Volk dies hier an den Ufern des Anduin.", begann sie und schlug das Tuch zurück. Darunter kam eine lederne Schwertscheide zum Vorschein. Unverkennbar war sie elbischen Ursprungs, doch der Griff der daraus hervor ragte, war der eines Zwergenschwertes, wie Thrain sofort erkannte. Scheinbar war die Schwerthülle hier in Lothlorien für das gefundene Schwert angefertigt worden.
Galadriel übergab Thrain die Waffe, der neugierig das Schwert zog und erstarrte. Es gab keinen Zweifel, was er da in Händen hielt. So oft hatte er die Legende gehört und sie auch selbst erzählt.
Uralt war die Waffe, doch immer noch scharf. Leicht geschwungen war die sonst bei Zwergen so eckige Klinge, dem weichen Körper einer Frau entlehnt. Doch das, was schließlich die letzten Zweifel hinweg fegte, war die Inschrift, die auf dem Schwert eingraviert war: Herz und Seele richten klüger als Wille und Macht
Er hielt das legendäre Schwert Gna in den Händen. Die Waffe, mit der der Meisterschmied Hanarr seinen Sohn Faljr richtete, nachdem dieser unvorstellbare Grausamkeiten verübt hatte. Die Klinge, die die Essenz von Hanarrs Frau Gna in sich trug. Kaum eine berühmtere Waffe gab es in den Legenden der Zwerge, außer vielleicht Mahals Hammer selbst.
Mit offenem Mund starrte er zu Galadriel hoch, die sanft lächelte. „Ich kann das nicht annehmen...", flüsterte Thrain, „Nicht würdig bin ich einer solchen Klinge."
Er wollte es der Elbin zurückgeben. Mit bebenden Händen streckte er ihr das Schwert entgegen. Aus den Augenwinkeln sah er Gimli, der auf die Waffe in Thrains Händen sah. Dem Zwerg schien es die Sprache verschlagen zu haben. Sicher hatte auch er Gna erkannt.
Galadriel jedoch legte die Finger um Thrains Hände und festigte seinen Griff um das Schwert. „Ich übergebe es dir, Thrain. Es wird Zeit, dass das Schwert Gna seinen Weg zurück zu deinem Volk findet. Du wirst einen Krieger finden, der diese Waffe führen soll, um die Grausamkeiten des Krieges zu rächen.", erwiderte sie sanft.
Thrain schluckte schwer, nickte aber und schnallte sich das Schwert an sein Reisegepäck.
Er erwartete, dass Galadriel weiter gehen würde, doch stattdessen zog sie eine Kette hervor, an der eine gläserne Phiole befestigt war. Blauer Nebel waberte in dem kleinen Gefäß, das kaum größer als Thrains Daumen war. Zarte Federn waren in das Glas graviert. Vorsichtig nahm Thrain die Phiole entgegen.
„Die Zeit deiner Entscheidung steht dir noch bevor.", sagte Galadriel leise und eindringlich. „Du wirst Hilfe benötigen, Thrain, Thorins Sohn. Wenn die Zeit reif ist, zerbreche dieses Glas. Doch nutze es weise, denn nur einmal wird Hilfe zu dir eilen können."
Nachdenklich sah Thrain auf die Phiole in seiner Hand. Er verstand nicht so ganz, was Galadriels Worte bedeuten sollten.
Doch er neigte dankbar den Kopf vor ihr und hing sich die Kette um den Hals. Die Phiole schob er unter seine Kleidung, wo sie geschützt an seiner Brust ruhte.
Die letzten Worte waren gesprochen. Die Boote standen bereit. Unter den wachsamen Blicken der Elben stiegen die Gefährten in ihre Boote.
Gimli und Legolas saßen mit Merry in einem Boot. Aragorn half Frodo und Sam in das nächste, bevor er ebenfalls hinein stieg. Pippin saß zwischen Boromir und Thrain.
Mit einem sachten Schubs des Paddels stießen sie sich vom Steg ab und überließen sich der Strömung, die sie schnell und behutsam fort trug.
Schnell entfernte die Insel sich, auf der sie mit Galadriel und Celeborn gespeist hatten. Und auch die Musik verklang.
Ein letztes Mal wandte Thrain sich um und sah dort am Steg Galadriel stehen. Ihr reinweißes Kleid leuchtete in der Sonne und sie hob die Hand zum Gruß. Etwas funkelte an ihrem Finger, als ob ein Diamant oder Stern dort aufleuchtete, doch es konnte auch ein Reflex des Tageslichtes sein.
Der Anduin floss um eine Biegung und Galadriel verschwand aus Thrains Blick.
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