Die Befreiungsmission
Die Gruppe Zwergenkrieger war die ganze Nacht hindurch geritten. In scharfem Tempo hatten sie ihre Ponys vorbei an Thal zum langen See und weiter nach Westen getrieben.
Nun erhob sich in ihrem Rücken die Sonne und ein weiterer Spätsommertag brach an. Friedliches Vogelgezwitscher erfüllte den Uferwald und Seevögel flogen aus, um auf dem Wasser zu fischen.
Sie hatten das Westufer des Sees erreicht und Fili gab das Signal zum Halten. Es lag immer noch ein weiter Weg nach Südwesten vor ihnen und keiner seiner Männer wäre mehr in der Lage zu kämpfen, würde er ihnen keine Pause gönnen.
Während die Krieger von ihren Reittieren stiegen und sie zum Saufen an das Seeufer führten, fing Fili den Blick seines jüngeren Bruders auf. An Kilis Seite stand Tauriel, die auf ein Pony verzichtet hatte, und stattdessen neben dem Trupp hergelaufen war. Keinerlei Erschöpfung war der Elbin anzusehen.
Fili übergab sein Reittier in die Obhut eines der Krieger, dann entfernte er sich einige Schritt von den Soldaten. Mit einer Geste winkte er Kili und Tauriel heran, die sofort zu ihm kamen. Sie beide sahen ihn mit ernsten Mienen an.
Einen Moment standen die drei schweigend beisammen. Fili betrachtete seine Krieger. Er wusste nicht, was sie erwartete. Wieviele von ihnen würden ihr Leben in dem Versuch lassen, die Königin zu befreien und den Arkenstein zurück zu gewinnen?
„Habt ihr eine Vermutung, wo Lyrann gefangen gehalten werden könnte?", fragte Fili und sah seinen Bruder an.
Kili seufzte und schüttelte den Kopf. „Die Festung ist riesig, Fili.", erwiderte er und ihm war deutlich anzusehen, für wie hoffnungslos er ihr Unterfangen hielt, „Ich kann dir nicht sagen, wo die Verliese sind, oder ob Lyrann überhaupt dort sein wird."
Die Brüder tauschten einen langen Blick. „Wir werden sie finden und wieder nach Hause bringen.", bemühte sich Fili um Zuversicht. Doch er hatte das ungute Gefühl, dass sie einer Übermacht gegenüber stehen würden.
„Tauriel,", wandte er sich an die Elbin, „im Wald sind wir auf deine Führung angewiesen. Falls die Magie Dol Guldurs uns wieder so stark in Mitleidenschaft ziehen wird, musst du uns zur Festung bringen."
Die Rothaarige blickte auf Fili hinab. „Was, wenn ihr nicht kämpfen könnt?", fragte sie. Der Zwerg presste die Lippen zusammen. „Das wird nicht passieren.", erwiderte er. Über diese Möglichkeit hatte er auch schon nachgedacht und beschlossen, dass er sich darüber Sorgen machen würde, falls es soweit kam. Nun brauchte er erstmal einen Plan. Schon seit ihrem Aufbruch zermarterte er sich das Hirn darüber.
„Berichtet mir noch einmal an was vom Aufbau Dol Guldurs ihr euch erinnern könnt. Wo seid ihr in die Festung eingedrungen? Findet ihr diese Stelle wieder?", fragte er, jedes bisschen Information konnte nun möglicherweise über Leben und Tod seiner Männer entscheiden.
Kili und Tauriel hatten eben erst begonnen, ihm die Festung zu beschreiben, als Rufe von den Soldaten laut wurden.
Alarmiert riss Fili den Kopf in die Höhe, seine Hand fuhr zu den Waffen. Neben ihm zückten Kili und Tauriel bereits ihre Bögen.
„General!", rief einer der Krieger und deutete auf einen einzelnen Reiter, der sich ihnen von Osten her näherte.
Irritiert sah Fili der Gestalt entgegen, die auf sie zukam. Es musste sich ohne Zweifel um einen Zwerg handeln, doch wurde das Gesicht von der Mantelkapuze verdeckt.
„Ho da!", rief er und trat einen Schritt vor. Tatsächlich verlangsamte der Reiter sein Pony und lenkte es auf ihn zu. Kurz vor Fili hielt das Tier und der Zwerg schlug seine Hapuze zurück.
„Fenja!", rief Fili entgeistert aus und starrte seine Cousine an.
Die junge Zwergin glitt von ihrem Pony und ging auf ihn zu. „Fili.", grüßte sie ihn, ihre Miene ernst und entschlossen.
„Fenja, was machst du hier?", fragte Tauriel. Sie und Kili tauchten an Filis Seite auf. Hinter ihnen konnte Fili ohne Mühe das Getuschel der Soldaten hören.
Kurz flackerte Fenjas Blick zu der Elbin, dann richtete sie ihn wieder auf Fili. „Ich bin gekommen, um euch bei Mutters Befreiung zu helfen!", verkündete sie.
Oh bei Mahal, das konnte doch nicht wahr sein, ging es Fili durch den Kopf. Es war viel zu gefährlich, um Fenja mitzunehmen. Seine Cousine hatte ihren Vater die ganze Zeit belagert und er konnte sich kaum vorstellen, dass Thorin ihr nun doch noch seine Erlaubnis gegeben hatte. Viel eher hatte das Mädchen sich fortgeschlichen!
„Kommt nicht in Frage!", sagte er kalt und verschränkte die Arme vor der Brust, „Geh nach Hause, Fenja!"
„Ich kann kämpfen und ich werde mitkommen!", rief sie zornig aus.
Entnervt verdrehte Fili die Augen. Fenja stand Thorin in nichts nach. Er packte ihren Oberarm und zog sie weg von den neugierig lauschenden Soldaten.
Im Schutz einiger Bäume drehte er sich zu ihr um, die hellen Augen blitzend vor Wut. „Was denkst du dir eigentlich, Fenja?", knurrte er, „Wir reiten nach Dol Guldur! Dort ist ein Nazgul, ein Ringgeist, der deine Mutter gefangen hält! Und vermutlich lauern dort ganze Legionen von Orks auf uns! Das ist kein Abenteuer, von dem man sicher wieder heimkehrt! Das ist sicherer Selbstmord!"
„Ihr könnt jede Hilfe gebrauchen, die ihr kriegen könnt!", rief die junge Frau unerschrocken.
„Du bist ein Kind, Fenja, noch nicht einmal volljährig.", wandte Fili ein, „Dein Vater häutet mich bei lebendigem Leibe, wenn dir etwas zustößt!"
„Ich war an der Front!", erwiderte seine Cousine mit wachsendem Zorn, „Behandel mich nicht wie das Kind, das ich nicht mehr bin! Du weißt, dass ich kämpfen kann! Du hast selbst gesagt, dass ich gut bin!"
„Auch hiermit?", rief Fili, nun ebenfalls zornig. Vorwurfsvoll packte er ihre verwundete Hand und hob sie in die Höhe.
Es schmerzte ihn, Fenja so deutlich auf die Verstümmelung hinweisen zu müssen. Doch die Angst, ihr könne etwas zustoßen war zu groß. Er selbst wusste, wie es war, schwer verletzt die eigenen Fähigkeiten wieder aufzubauen. Die leere Augenhöhle erinnerte ihn regelmäßig daran. Fenjas Weg war ihm nur zu bekannt.
Tränen sammelten sich in Fenjas Augen und sofort hatte er ein schlechtes Gewissen. „Fili...", flüsterte sie leise, „Bitte ... Ich kann nicht zuhause bleiben, ich werde verrückt. Tag und Nacht habe ich trainiert." Sie senkte den Blick und sah auf ihre verstümmelte mit Lederstreifen umwickelte Hand hinab.
Fili seufzte, während er seine Cousine ansah, die er eigenhändig trainiert hatte und deren unglaubliches Talent ihn schon früh beeindruckt hatte. Wie konnte er sie nur dazu verdammen, zurück zu reiten, wo er sich doch in ihrer Lage genauso fühlen würde?
„Thorin bringt mich um...", murmelte er leise, als er mit einem langsamen Nicken sein Einverständnis gab.
Im Schritt ritten die Zwergenkrieger durch den Wald. Schweigend folgten sie der Elbin Tauriel, die sie stetig nach Südwesten führte.
Ein Gefühl der Beklemmung hatte sich über die Gruppe gelegt, seit sie am Morgen den Wald betreten hatten. Noch hatte dies wenig mit der Magie Dol Guldurs zu tun, da die Festung noch viele Wegstunden von ihnen entfernt lag und sie diese wohl erst am nächsten Morgen erreichen würden. Aber die Aussicht, bald im Schatten dieses verhexten Hügels zu stehen und seinem unheilvollen Einfluss ausgesetzt zu sein, verdüsterte die die Stimmung.
Fenja ritt zwischen ihren beiden Vettern. Sie konnte ihr Glück kaum glauben, dass Fili ihr tatsächlich erlaubt hatte, mitzukommen. Doch war dem General der Missmut darüber deutlich anzusehen. Mit dunkler Miene beobachtete er jede ihrer Bewegungen. Verübeln konnte sie es ihm nicht, im Gegenteil. Schließlich wusste sie, dass seine schlechte Laune vor allem tiefer Zuneigung und Sorge um sie entsprang.
Sie verbrachte eine angespannte Nacht im Wald, in der kaum einer von ihnen ein Auge zu tat. Die Geräusche der Bäume um sie her machte die Zwerge nervös und da sie nun ein gutes Stück bereits nach Süden vorgedrungen waren, spürten sie sie nun deutlich die dunkle Magie, die sich über den Wald legte.
Nur schleichend kamen sie am nächsten Tag voran. Jedes Knistern im Unterholz ließ sie herum fahren. Ständig fühlten sie sich beobachtet, streckten die Bäume ihre langen Zweige nach ihnen aus, um sie zu fesseln? War die Luft schon immer so stickig gewesen?
Fenja erschauderte, als sie ihre Blicke wachsam umher fliegen ließ.
Plötzlich blieb Tauriel stehen. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ins Unterholz zu ihrer Linken. Angestrengt schien sie zu lauschen.
„Was ist?", fragte Fili, doch die Elbin gebot ihm, zu schweigen.
Lautlos verharrten sie, versuchten, ein Geräusch auszumachen. War da etwas? Hörten sie Schritte?
Und da brachen mit einem Mal Elben aus dem Unterholz hervor, die Bögen im Anschlag umkreisten sie die Gruppe.
Reflexartig rissen die Zwerge ihre Waffen hervor, gingen in Angriffsposition.
„Fili! Fenja, Kili! Tauriel! Was treibt ihr hier?"
Eine deutlich kleinere Gestalt schob sich zwischen den Elben hindurch, ebenfalls einen Bogen in Händen haltend und starrte nun vollkommen überrascht auf die Zwerge.
„Rhon!", rief Fenja aus, stieg eilig von ihrem Pony und stürmte auf den kleinen Bruder zu, den sie in eine feste Umarmung zog. Fast hätte sie ihn nicht erkannt, denn er trug elbische Kleidung, in Grün und Braun, die ihn mit dem Wald verschmelzen ließ. Ein weiter Umhang wisperte hinter ihm über den Boden. Ein lederner Brustharnisch und Handschuhe schützten ihn. Wäre er nicht kleiner als die Elben gewesen, hätte er durchaus als einer der ihren gelten können.
„Fenja...", widerholte Rhon immer noch ziemlich verwirrt und schob sie sanft ein Stück von sich weg. Er hob den Blick und sah zu Fili. „Was hat das hier zu bedeuten?", verlangte er zu wissen.
Fenja sah ihren Bruder traurig an. Er wusste es noch gar nicht.
„Mutter ist in Gefahr, Rhon.", sagte sie, „Sie ist auf Dol Guldur gefangen."
„Was?", brach es aus dem schwarzhaarigen jungen Mann hervor. Hinter Fenja nickte Fili bestätigend.
Geschockt setzte sich Rhon auf einen Baumstamm.
„Was machst du überhaupt hier? Ich dachte, du hättest hier rein diplomatische Aufgaben.", fragte Fili und der junge Prinz hob wieder den Blick.
„Seit Wochen leidet das Reich Thranduils unter schweren Angriffen von Süden und Norden. Es wird jeder waffenfähige Mann und jede waffenfähige Frau benötigt, die Grenzen zu sichern. Wir sind seit Tagen auf Patrouillie.", erwiderte Rhon.
„Davon wussten wir gar nichts.", sagte Kili ein wenig perplex.
Rhon erhob sich und musterte seinen Vetter. „Oh ich war ein klein wenig zu beschäftigt, um Berichte für meinen Vater zu schreiben!", knurrte er ungehalten. Sein Blick ging zu Fenja. „Mutter?", bohrte er nach.
In knappen Sätzen fasste Fenja die Ereignisse der letzten Wochen zusammen, der versuchte Diebstahl des Arkensteins, Lyranns Mission und die Forderungen, die der Ringgeist ihnen überbracht hatte.
„Wir reiten nach Dol Guldur.", schloss sie, „Wir werden sie finden und befreien."
„Ihr seid närrisch, wenn ihr denkt, ihr könnt es mit der Macht der Festung aufnehmen!", erklang eine Frauenstimme aus dem Hintergrund. Eine Elbin mit roten Locken schob sich nach vorne und stellte sich neben Rhon. Ihr Blick wanderte über die versammelten Zwerge. „Ihr seid viel zu wenige!", stellte sie fest.
Sie erblickte Tauriel und neigte kurz den Kopf vor ihr. „Tauriel.", grüßte sie die Elbin. „Amaya!", erwiderte diese.
„Wer seid ihr?", verlangte Fili zu wissen.
Amaya erwiderte seinen Blick unbeeindruckt. „Ich bin eine Freundin der Königin unter dem Berge, Zwerg.", sagte sie, „Seid ihr derjenige, der den Befehl über diesen Wahnsinn hier führt? Ihr seid Fili nicht wahr, Neffe und General des Königs? Rhon spricht immer in höchsten Tönen von euch, ich dachte, ihr wärt intelligenter, als derartiges zu versuchen!"
„Würdet ihr etwa eure Freundin in Dol Guldur verrotten lassen?", brauste Fili auf.
Amaya winkte unwirsch ab. „Natürlich nicht! Aber es ist äußerst typisch für Zwerge, in einer irrsinnigen Aktion mit einigen schwer gerüsteten Kriegern die Festung stürmen zu wollen!", erwiderte sie.
„Sie werden nicht allein sein!", warf Rhon da ein. Zu seiner vollen Größe aufgerichtet, trat er an Fenjas Seite. „Wir werden sie begleiten."
„Auf gar keinen Fall!", sagte Fili laut und Fenja konnte in seinem Gesicht schon den Horror sehen, auf zwei Kinder seines Onkels achten zu müssen.
Rhon drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen zu Fili um. „Amaya hat Recht. Ihr seid sehr, sehr wenige. Und ihr könnt Hilfe nur zu gut gebrauchen.", stellte er ruhig fest.
Fili wandt sich. Diese Tatsache ließ sich kaum von der Hand weisen. Zumal Elben unglaublich gut im Verborgenen kämpfen konnten. Wenn jemand eine Chance hatte, ungesehen zu Lyrann vorzudringen, dann die Elben.
„Du kannst nicht mitkommen!", versuchte Fili es noch einmal, „Es ist zu gefährlich!"
Aber Rhon lachte nur. „Vetter Fili,", antwortete er seelenruhig, „die Elben sind meinem und Amayas Befehl unterstellt. Wenn du die Unterstützung willst, wirst du mich mitnehmen müssen."
Finster starrte Fili in Rhons freundlich lächelndes Gesicht. Dann warf er in zorniger Geste die Hände in die Luft. „Machen wir also einen Familienausflug draus!", wetterte er.
„Rhon!", raunte Amaya und eilte an die Seite des jungen Zwerges, „Wir sind immer noch zu wenige!"
Rhon schüttelte den Kopf. „Zu wenige für den offenen Kampf vielleicht, aber darauf werden wir es nicht ankommen lassen.", antwortete er, „Und falls es doch dazu kommt... Laufe zurück, hole Verstärkung!" Kurz ergriff der Zwerg die Hände der Elbin. „Bitte Amaya!", bat er sie eindringlich. Einen Moment sahen die beiden einander an, dann nickte die Elbin schließlich und eilte davon. Wenig später hatte die Dunkelheit unter den Bäumen sie verschluckt.
Lyrann hatte schon lange jegliches Gefühl für Zeit verloren. Um sie herum wurde es heller und wieder dunkler. Sie selbst schwankte zwischen fiebrigen Träumen, Ohnmacht und qualvollem Wachsein hin und her. Hunger und Durst spürte sie schon lange nicht mehr. Und auch die Schmerzen, die wie Feuer durch ihren Körper gebrandet waren, nahm sie kaum noch wahr.
Wie lange hing sie hier schon? Sie wusste es nicht. Man hatte ihr sie nur selten mit Wasser versorgt, sodass sie mittlerweile vollkommen erschöpft war.
Den Arkenstein, den niemand außer ihr berühren konnte, hatte ein Ork mit einem Haken zurück in den Beutel geschoben und ihr wieder umgehängt. Solange sie hier gefangen war, würde auch das Herz des Berges in der Festung bleiben. Sollte sie am Leben gehalten werden, um den Arkenstein für die dunklen Mächte tragen zu können? Eher würde sie sterben, als zu ihrem Instrument werden!
Langsam schlich Fili auf die Festung zu, Tauriel an seiner Seite. Sie führte ihn zu der Stelle an der Außenmauer, durch die sie und Kili in einen der Seitentürme eingedrungen waren. Nacheinander stiegen sie gebeugt durch das Loch in der Steinwand und schlichen die Treppe nach oben.
Angespannet lauschte Fili auf jedes noch so kleine Geräusch, das einen heran nahenden Ork verkünden konnte. Die Luft in den Festungsmauern war eiskalt und ließ ihn erschaudern. Er wollte so rasch wie möglich Lyrann finden und dann von diesem unheilvollen Ort verschwinden. Die bedrohliche Atmosphäre hier in der Festung legte sich wie eine Klaue um sein Herz.
Vollkommen lautlos schlich Tauriel, gemeinsam mit Rhons Elbenkriegern voran, gefolgt von den Zwergen, deren Rüstungen bei aller Vorsicht ein ständiges Knirschen und Klappern von sich gaben.
Fahles Licht fiel plötzlich in den Turm und wenig später fanden sie sich hoch auf den Festungsmauern wieder.
Fili sah sich um. Vor ihnen lag das riesige Labyrinth aus Türmen, Gängen und Höfen von Dol Guldur. Wie sollten sie hier jemals Lyrann finden und dabei unentdeckt bleiben?
„Wir arbeiten uns langsam vor und bleiben hier oben, wo wir einen guten Überblick haben.", zischte er seinen Leuten zu.
„Sollen wir uns aufteilen?", fragte Rhon doch Fili schüttelte den Kopf. „Zu gefährlich...", erwiderte er und machte ein Zeichen, dass sie weiter gehen sollten, „Haltet den Kopf unten!"
Hinter die Zinnen geduckt liefen sie weiter, und hier erwiesen sich die Elben als wahrer Segen. Ohne sich weit von der Gruppe entfernen zu müssen, konnten sie weiter sehen als jeder der hier anwesenden Zwerge.
Mit Handzeichen ließen sie die Krieger anhalten, wenn sie in der Nähe Orks erspähten oder deuteten mit leichtem Kopfschütteln an, wenn sie Lyrann in einem Teil der Burg nicht sehen konnten.
Zum wiederholten Male drückte Fili sich in den Schatten einer Mauer, besorgt durch ein Loch in dieser zu einer Patrouillie Orks hinüber schauend, die auf einer gegenüberliegenden Mauer entlang lief. Niemand wagte einen Mucks. Nicht weit entfernt von ihm schob sich Tauriel auf eine Lücke in der Mauer zu, um einen Blick in den dortigen Bereich der Festung zu werfen.
Sie runzelte konzentriert die Stirn und plötzlich war helle Aufregung in ihrem Gesicht. Stumm formte sie die Worte: „Dort ist jemand!" und deutete auf einen Hof unter ihnen. Fili kroch an ihre Seite und sah nach unten. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ sein Herz bluten.
Vor einer Wand kauerte eine Person, die Kleidung zerfetzt, das Gesicht von dunklem Haar verdeckt. Die Arme der Gefangenen waren mit Handschellen hoch über ihr an die Wand gekettet. Geronnenes Blut klebte an ihrer Haut.
„Amad!", flüsterte Fenja neben Fili fassungslos. Es gab keinen Zweifel. Das war Lyrann.
„Wir müssen runter zu ihr!", sagte Fili, von unglaublicher Wut erfüllt. Was hatte man Lyrann, seiner Freundin, angetan? Sicher war sie gefoltert worden! Doch nun waren sie hier, sie würden Lyrann nach Hause bringen.
„Dort hinten ist eine Treppe!", sagte Rhon und deutete ein Stück hinter sie.
„Los gehts!", befahl Fili. Er warf einen Blick zurück zu den Orks, doch diese waren weg. Kurz zögerte der Zwerg, ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Magengrube breit. Doch die Sorge um Lyrann ließ ihn nicht lange innehalten. „Wir holen sie zurück!", sagte er und eilte den anderen voran.
Schritte kamen auf sie zu. Krächzende Worte in der schwarzen Sprache drangen an Lyranns Ohr. Was wollten sie nun von ihr?
Keuchend öffnete sie die Augen und hob den Kopf. Jede Bewegung fiel ihr schwer. Es dauerte einen Moment, bis sie klar sehen konnte. In letzter Zeit schienen ihre Sinne zunehmend zu versagen.
Eine Gruppe Orks kamen auf sie zu und eiskalte Panik überfiel sie. Vollkommen ausgeliefert versuchte sie ein paar Handbreit auf ihren aufgescheuerten und blutigen Knien nach hinten zu rutschen, doch es brachte ihr nichts. Ihr Herz raste vor Angst und ihr wurde schlecht bei der Erinnerung an die Schläge, die sie hatte erdulden müssen.
Doch sie entkam ihnen nicht. Eine plötzliche Bewegung in ihrem Augenwinkel, sie versuchte den Kopf wegzureißen und plötzlich war da der Zug an ihren Schultern weg.
Wie eine Stoffpuppe sackte sie nach vorne, die Arme klatschten gefühllos auf den kalten Steinboden. Tränen schossen in ihre Augen.
„Aufstehen, Weib!", fuhr jemand sie an. Doch sie konnte nicht, wie sollte sie aufstehen, wenn sie noch nicht einmal die Kraft hatte, sich in eine sitzende Position zu stemmen.
Grobe Hände packten sie und rissen sie in die Höhe. Schmerzerfüllt schrie sie auf, als man sie vorwärts schleifte.
„Amad!", rief Fenja, als sie auf den Hof hinaus lief, in dem sie Lyrann von oben gesehen hatten. Das Herz schien ihr stehen bleiben zu wollen, als sie auf den Fleck sah, wo eben noch ihre Mutter gekniet hatte. Die Kette an die Lyrann gefesselt gewesen war, baumelte noch immer an der Wand.
„Still!", zischte Fili zornig, als er an ihre Seite eilte, „Willst du, dass uns ganz Dol Guldur hört?" Doch der Blick des Generals schoss sorgenvoll und suchend umher. Wo war die Königin?
„Dort hinten!", kam es von einem der Zwergenkrieger und die Blicke aller gingen in die gewiesene Richtung.
Fünf Orks führten ihre Gefangene einen schmalen Gang zwischen hoch aufragenden Mauern entlang. Kaum zwei Zwerge wären in der Lage dort nebeneinander zu laufen. Lyrann wurde mehr geschleift, als dass sie ging. Die Königin schien so geschwächt, dass sie sich nicht auf den Beinen halten konnte. Halb ohnmächtig hing sie im Griff ihrer Peiniger, die eben das Ende des langen Ganges erreichten, um eine Ecke bogen und aus dem Blick verschwanden.
„Amad!", flüsterte Fenja fassungslos und rannte vorwärts, Rhon auf ihren Fersen.
„Fenja! Rhon!", rief Fili in der Hoffnung, die beiden noch zurück zu halten, es roch gerade zu nach einer Falle. Doch sie reagierten nicht. Mit gezückten Waffen stürmten sie ihrer Mutter hinterher.
Und so gab Fili das Zeichen zum Angriff.
Rasch hatte er seine Cousins eingeholt, sie eilten den schmalen Durchgang entlang. Hinter ihnen folgten Kili und Tauriel mit den anderen Kriegern.
Sie erreichten die Biegung, hinter der die Orks verschwunden waren, bogen um die Ecke und standen vor mehreren Dutzend schwerbewaffneter Orks. Am Boden neben diesen kauerte Lyrann eingesunken und leichenblass. Sie sah zu ihnen, schien sie aber nicht zu erkennen.
Fenja stieß einen markerschütternden Schrei aus und warf sich nach vorne. Ihr Schwert wirbelte herum und traf den ersten Ork, bevor dieser wusste, wie ihm geschah.
Rhon und Fili ließen kaum einen Augenschlag vergehen, dann stürzten auch sie sich ins Gefecht. Mit weit ausholenden Schlägen trieb Fili die Orks vor sich her. Die lauten Kampfschreie der zwergischen Krieger echote in den schmalen Gang wieder, als die Zwerge sich auf die Gegner stürzten. Voller Gewandheit und tödlicher Eleganz mischten sich die Elben unter die Kämpfenden. Innerhalb kürzester Zeit wurde der Durchgang zu einem Schlachtfeld.
Fenja schlug einen ihrer Gegner zu Boden. Mit einem Satz überquerte sie die letzte Distanz zwischen sich und ihrer Mutter.
„Amad! Mutter!", rief sie und fiel neben der Verwundeten auf die Knie. Rhon eilte herbei und baute sich über ihnen auf, um sie zu verteidigen.
Fahrig fuhren Fenjas Hände über das zerschundene Gesicht ihrer Mutter, das voller Blut und blauer Flecken war. Die Augen der Halbelbin flatterten und endlich hob sie den Blick zu ihrer Tochter.
„Mutter!", rief Fenja sie erneut. Ein Ork stürzte neben ihnen zu Boden, gefällt von Rhons Schwert.
Endlich schien ihre Mutter sie klar zu sehen. „Fenja?", krächzte sie, die Stimme kaum wiedererkennbar. Tränen der Erleichterung flossen über Fenjas Gesicht, als sie die Arme um ihre Mutter schlang. Diese sackte vollkommen entkräftet in den Armen ihrer Tochter zusammen, erneut von Ohnmacht überwältigt.
Fenja sah sich um. Elben und Zwerge kämpften und noch immer mit den Orks. Die beengten Verhältnisse in dem Gang machten einen richtigen Kampf kaum möglich.Kurz fing Fenja Filis Blick auf, der erleichtert zu bemerken schien, dass die Königin beschützt wurde.
Plötzlich wandten die Orks sich um und rannten davon. Jubel erklang unter den Zwergen. Kili lachte laut auf und drohte den davon eilenden Orks mit dem Schwert.
Da schrie plötzlich einer der Zwerge laut auf und stürzte zu Boden. In seiner Brust steckte der schwarzgefiederte Pfeil eines Orks.
Ein Sirren zerriss die Luft und zwei Elben fielen, sie waren tot, bevor sie am Boden aufschlugen.
„Deckung!", brüllte Fili, er stürzte auf Fenja zu und zerrte sie mitsamt Lyrann und Rhon an die Wand des Ganges.
Ein Pfleilregen ging auf sie nieder. Tauriel schrie auf, als ein Pfeil ihr Bein erwischte. Ihre Krieger stürzten zu Boden, tödlich getroffen. Die wenigen Schilde, die sie bei sich hatten, wurden hektisch hervor gezogen und schutzsuchend kauerten sich Elben und Zwerge darunter zusammen.
„Wir sitzen in der Falle!", rief Fili, während Pfeil um Pfeil auf sie niederprasselte und sich in die schützenden Schilde bohrte.
„Wir müssen weg hier!", antwortete Kili, dessen Blick voll Grauen auf die toten Krieger fiel, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten, in Deckung zu gehen. An ihn presste sich Tauriel, das Gesicht schmerzverzerrt. Fenja und Rhon schlangen die Arme um ihre ohnmächtige Mutter, bereit, sie fortzutragen, sollte Fili das Zeichen geben.
Ein weiterer Schrei erklang, als ein Pfeil eine Lücke zwischen den Schilden traf und sich in den Hals des Elben darunter bohrte.
„Wir können hier nicht weg!", rief Rhon, „Sobald wir aus der Deckung hervor kriechen, wird man uns erschießen!"
„Wenn wir hier bleiben, kommen gleich ganze Batallione von Orks!", erwiderte Fili.
Es war hoffnungslos, sie waren umringt und würden nicht entkommen.
Da ließ der Pfeilhagel mit einem Mal nach und hörte plötzlich ganz auf. Einen Wimpernschlag lang starrten die in Deckung kauernden einander an, konnten es nicht glauben und warteten schon auf den nächsten Angriff.
„Worauf wartet ihr?", rief Fili dann, „Lauft!"
Er packte Lyrann und warf sich die Bewusstlose über die Schultern, dann stieß er seine beiden Cousins vorwärts. Die Schilde wurden achtlos beiseite geschleudert, als sie losrannten. Kili stützte Tauriel. So schnell sie konnten, rannten sie den Gang entlang. Kein weiterer Pfeil verfolgte sie, aus der Ferne hörten sie Schreie.
Sie erreichten den Platz, wo man Lyrann gefangen gehalten hatte.
„Los, die Treppe hoch!", rief Fili, als plötzlich Orks in dem Gang auftauchten, den sie eben verlassen hatten. Doch noch während die letzten ihrer Gruppe die Treppe hocheilten, fielen die ersten Orks plötzlich zu Boden, gespickt von Pfeilen.
„Dort!", rief Fenja, als sie den Gang oben auf der Mauer erreichten. Nicht weit entfernt von ihnen stand Amaya, zusammen mit einer Gruppe elbischer Krieger, und deckte ihren Rückzug.
„Los weiter!", rief Fili und so rannten sie den Weg entlang, den sie gekommen waren, Amayas Krieger dicht bei ihnen.
Endlich kamen sie zu dem Turm, durch den sie die Festung betreten hatten. Wütendes Geschrei aus der Festung verfolgte sie, doch dank der Elben schaffte es kein Ork, sich ihnen zu nähern.
Hals über Kopf flohen sie die Treppe hinab und rannten in den Wald hinein. Ungeachtet ihrer Verletzung übernahm Tauriel die Führung und auf Kili und Fili gestützt, führte sie sie tief ins Unterholz, um möglichen Verfolgern zu entgehen.
Wie weit sie gerannt waren, wusste Fenja nicht. Ihre Lunge brannte und es schien ihr, als müssten ihre Beine jeden Moment nachgeben. Doch noch immer folgte sie Tauriel immer tiefer in den Wald, während einer der überlebenden Zwerge neben ihr Lyrann trug.
Endlich hielten sie an und rangen keuchend um Atem. „Ist uns jemand gefolgt?", fragte einer der Soldaten.
„Ja, aber sie werden euch nicht finden.", erklang da Amayas Stimme. Die Elbin tauchte hinter ihnen auf, ein gutes Dutzend Bogenschützen bei sich. „Es schafften zwar einige Orks unserem Pfeilhagel zu entkommen, aber im Wald finden sie sich nicht gut zurecht. Dennoch sollten wir uns beeilen. Sie werden die Königin unter dem Berge euch nicht überlassen wollen und nach euch suchen. Lasst uns weitergehen!"
Und so führte die Elbin sie tiefer in den Wald auf den Rückweg nach Hause.
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