Der Feind rückt vor
Still lag das Bauerndorf am Ufer der Rotwasser. Es war eines der vielen Ansammlungen an Bauernhöfen, die sich im Gebiet zwischen Thal, Erebor, den Eisenbergen und den beiden Flüssen Rotwasser und Eilend seit der Schlacht der fünf Heere angesiedelt hatten. Das Gebiet hier war fruchtbar, wenn auch das Klima oft rau und windgepeitscht war. Doch auf der schwarzen Vulkanerde, die aus den Zeiten stammte, als der Erebor noch ein feuerspeiender Berg gewesen war, lange vor Menschen, Zwergen und gar Elben, wuchsen im Sommer reichhaltige Wiesen und Äcker voller Feldfrüchte.
Jetzt jedoch wuchs nichts auf den Feldern des Dorfes. Dicker Schnee hatte die Landschaft wie eine weiche Daunendecke überdeckt, Pflanzen und Tiere waren im tiefsten Winterschlaf. Hoch über den Häusern schimmerten die letzten nächtlichen Sterne, das Tiefblau des Himmels wandelte sich langsam in ein helleres Grau und ein schwaches Leuchten am Horizont kündigte den baldigen Tag an.
Aber noch schliefen die Bewohner des Dorfes, Untertanen des Königs Brand von Thal, friedlich in ihren Betten, nichts ahnend, was sich da ihrem Dorf näherte.
Ein kleines Menschenheer versammelte sich eben auf der Ostseite der Rotwasser, die hinter Helmen versteckten Gesichter dem kleinen Dorf zugewandt. Schwarze Mäntel, verziert mit fremden Runen in leuchtendem Gelb, flatterten im Wind. Die knielangen Lederrüstungen aus rotem Leder knirschten leise, als der Trupp zur Überquerung des Flusses ansetzte. Sie näherten sich gegen den Wind, sodass die Wachhunde des Dorfes sie nicht wittern würden. Still wateten sie durch den hier seichten Fluss, achteten darauf, dass die schweren Stiefel kein Geräusch verursachten. Scharfe Augen spähten aus den Sehschlitzen roter Lederhelme hervor. Sie waren alles, was man vom Gesicht der Fremden sehen konnte, Wangenklappen und Nasenschutz verdeckten alles andere. Die Ersten erreichten bereits das Ufer. Sachte wurden Waffen gezogen, Krummschwerter blitzten bedrohlich auf, lange Speere bespickt mit tödlichen Schwertklingen wurden gehoben.
Da hob ein kleines Hündchen im Dorf den Kopf. Ein Geräusch, ein irritierendes Geräusch hatte es aus seinem Schlaf geweckt. Wachsam drehte das Tier den Kopf und erkannte die Gefahr. Schrill bellend sprang es auf die Pfoten, warf sich gegen seine Leine und schlug Alarm.
Alle Vorsicht außer Acht lassend, griffen die Fremden an. Sie stürmten in das Dorf, traten laut schreiend Türen und Fensterläden ein. Dem kleinen Hündchen wurde mitten im Gebell die Kehle durchgeschnitten. Hunde jaulten und kläfften, das Vieh in den Ställen brüllte panisch und nun erklangen auch die ängstlichen Schreie der Menschen, die in ihren Betten aus dem Schlaf gerissen wurden und sich einem Alptraum gegenüber fanden.
Die Ersten stolperten aus ihren Häusern. Kinder, Frauen und Männer riefen panisch durcheinander, versuchten zu erkennen, was vor sich ging. Aus den Häusern klangen die Schreie derjenigen, die den blitzenden Waffen ihrer Angreifer zum Opfer fielen. Der Schnee auf den Straßen des Dorfes färbte sich rot, als die Fremden von der Ostseite des Flusses nun auch die verängstigten Menschen auf den Straßen bedrängten.
Dann herrschte auf einmal Stille. Kein Mensch rief mehr voller Angst in die Morgendämmerung hinaus. Die Angreifer schritten durch das nun stille Dorf, suchten nach letzten Überlebenden. Langsam hob sich die Sonne über den Horizont im Osten und beschien ein Bild des Grauens.
Doch ihre Strahlen fielen auch auf einen einzelnen jungen Mann, gerade erst den Kindesbeinen entwachsen, der sich durch den Schnee kämpfte, fort von dem Dorf. Tränen brannten auf seinem Gesicht, während er von dem Ort seiner Kindheit floh.
Lyrann schlief unruhig. Vermummte Gestalten, Dunkelheit, kreischende Schreie und feurige Berge flochten sich durch ihre Träume. Die Königin unter dem Berge warf sich in dem großen Ehebett hin und her. Im Halbschlaf drückte sie ihr Gesicht in das Kissen, auf das sie ein Hemd Thorins gelegt hatte. Ihre Hand zog unruhig an der Decke. Dann schlug sie die Augen auf.
Schwer atmend und verschwitzt lag Lyrann da und blickte an den Baldachin über ihr. Sie fuhr sich über das Gesicht und versuchte, die Traumbilder zurück zu drängen. Seit Tagen schlief sie nicht mehr gut, nicht seit der Bote Saurons den Berg besucht hatte.
Sie schlug die Decken zurück und stand langsam auf. Ein Mensch wäre in der Dunkelheit des Berges vollkommen orientierungslos gewesen, aber als halbe Zwergin und halbe Elbin war es für Lyrann immer noch möglich, in ihrem dunklen Schlafzimmer etwas zu erkennen. Mühelos fand sie den Weg zu dem kleinen Tisch am Kopfende ihres Bettes, wo Minna jeden Abend eine Karaffe mit frischem Wasser bereit stellte. Lyrann goss sich einen Becher ein und ließ sich auf einen der Stühle neben dem Tisch sinken.
Bedächtig trank sie von dem Wasser, während die Eindrücke des Traumes um sie her langsam verblassten. Sehnsüchtig dachte sie an Thorin. Ihr Mann war vor fünf Tagen zu seinem Vetter Daín in den Eisenbergen aufgebrochen, um ihm die Nachricht von Saurons Boten persönlich zu überbringen. Einen Tag nachdem er fortgeritten war, hatte ein Rabe ihr die Nachricht von seiner Ankunft überbracht. Sie vermutete, dass ihr Mann noch immer bei seinem Vetter war. So wie sie die Beiden einschätzte, hatten sie die bedrohlichen Neuigkeiten erstmal mit einer großen Menge zwergischen Starkbieres herunter gespült und genossen nun die Zeit zusammen, die sie nur selten hatten.
Aber sie vermisste ihn schrecklich. Die Regierungsaufgaben hielten sie gut beschäftigt am Tag, zumal sie nun die Arbeit zweier Herrscher verrichtete. Sie hatte Gloin und seinen Sohn Gimli gemeinsam mit einer Eskorte nach Imladris gesandt, um Rat bei Elrond zu erbeten. Gloin trug zudem noch einen Brief an ihren Bruder mit sich. In ungezählten, ermüdenden Sitzungen mit dem Rat hatte sie sich bemüht, die Bedenken hinsichtlich der Drohungen aus Mordor zu zerstreuen und erneut Fragen nach Thrain ausweichen müssen. Die Sorge um ihren Ältesten hatte sie in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins verbannt. Er würde gut auf sich aufzupassen wissen, er war ein großer Krieger, von den besten ausgebildet. Von Rhon hatte sie Nachricht aus dem Düsterwald erhalten, wo dieser Thranduil unterrichtet hatte. Der Elbenkönig hatte in seiner Nachricht die gemeinsame Allianz mit dem einsamen Berg noch einmal bekräftigt. Und nun war sie umso dankbarer, diese Allianz in die Wege geleitet zu haben.
Seufzend stellte sie ihren Becher ab. Wann Thorin wiederkommen würde, wusste sie nicht. Sie hoffte jedoch, dass er bald wieder da war. Das Bett war ohne ihn furchtbar leer, sie vermisste die langen Gespräche mit ihm, die Vertrautheit seiner Umarmungen, seine Küsse... Ohne ihn fehlte einfach etwas in ihrem Leben. Sie stand auf und ging zurück zu ihrem Bett. Erschöpft ließ sie sich auf die Matratze fallen und kuschelte sich wieder unter die Felldecken.
Sie wurde wieder geweckt, als leise Schritte durch das Gemach hallten, Schwere Stiefel wurden abgestellt und dann senkte sich neben ihr die Matratze. Jemand beugte sich über sie. Ein rauer Bart kratzte sie am Gesicht, dann wurde sie sanft auf die Stirn geküsst.
„Thorin...", murmelte Lyrann im Halbschlaf. Schwerfällig hob sie einen Arm und zog ihren Mann an sich. Ein leises Lachen erklang. Thorin trug noch seinen Reisemantel, der nass und kalt von draußen war. „Wie spät ist es?", fragte sie. „Es dämmert noch nicht.", erwiderte Thorin sacht. Vorsichtig befreite er sich aus ihrer Umklammerung und sie konnte hören, wie er den Mantel ablegte. Offenbar war ihr Mann die Nacht durch geritten.
Wenig später legte er sich zu ihr und schlang nun seinerseits die Arme um sie. Glücklich kuschelte Lyrann sich an seine Brust und genoss das Gefühl der Ruhe, dass sie sofort durchströmte. Doch sie rümpfte die Nase. Ein unangenehmer Geruch nach Pferd, Schweiß, Lagerfeuer und schalem Bier umgab Thorin. Sie schob ihn etwas von sich.
„Du stinkst!", schimpfte sie, „Was haben du und Daín nur gemacht?" Schemenhaft sah sie Thorins Gesicht vor sich. „Ein Bad hast du wohl nicht für nötig erachtet, bevor du heim kommst?", fuhr Lyrann in ihrer Gardinenpredigt fort. Ihr Mann hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. „ich wollte so schnell wie möglich zu dir zurück, mein Edelstein.", antwortete er. In seiner Stimme lag ein Hauch Amüsement über ihre Entrüstung. „Aber wenn du willst...", fuhr er gedehnt fort, „nehme ich jetzt mal ein Bad." Langsam erhob er sich.
Doch das ließ Lyrann nicht zu. „Bleib hier.", sagte sie und zog ihn zurück ins Bett. „Ich habe dich so lange nicht hier gehabt, dass ich dich auch nehme, wenn du riechst, wie ein Stallknecht.", sagte sie und küsste ihn leidenschaftlich. Thorin erwiderte den Kuss und drehte sie so, dass er über ihr lag. „Ich habe dich vermisst, Lyrann.", sagte er rau und ein wenig außer Atem. „Und ich dich...", erwiderte sie, griff in seine Haare und zog ihn wieder zu sich herunter.
Die gewaltige, doppelflügelige Tür aus kunstvoll verziertem Stein, geschmückt mit filigranen Einlegearbeiten aus Gold, Silber und Edelsteinen öffnete sich vor Thorin und gab den Weg frei zum Anlakh'Mahalu*, wie der Komplex aus Hallen genannt wurde, in dem die Goldschmiede, Juweliere und Kunsthandwerker des Erebor erlesenen Schmuck und Zierrat herstellten, der in weite Teile Mittelerdes exportiert wurde.
Thorin durchschritt das Tor und folgte einem Durchgang, der wie ein Tunnel unter einer Empore durchführte und ihn direkt nah ans Zentrum der mittleren Halle brachte. Kurz drehte er sich um und blickte zu der Empore hinauf, wo über dem Tor Mahal selbst als riesige Statue über das Geschehen wachte. Anlakh'Mahalu war eine Gruppe aus insgesamt neun Hallen. Die größte Halle in der Mitte gelegen, in der Thorin nun stand, als großes Neuneck angelegt, mit weiteren acht Hallen darum herum angeordnet.
Und hier erwartet ihn nun Karelia, Mitglied des königlichen Rates und Oberhaupt der Goldschmiede und Juweliere. An ihrer Seite stand Prinz Frerin. Thorin nickte zum Gruß und schenkte seinem Sohn ein warmes Lächeln. Der junge Mann hatte sich in den letzten Monaten stark verändert. Er war ernster geworden, man spürte das Gewicht der Thronfolge auf seinen Schultern, nun da Thrain fort war.
Thorin wandte sich Karelia zu. Die Juweliermeisterin war eine ernste, kluge Frau, die diese Hallen mit strikter Hand führte. Ihre scharfen Augen hinter dem Monokel erwiderten aufmerksam und wach Thorins Blick. Ihre schlichte dunkle Kleidung stand in starken Gegensatz zu dem sie umgebenden Glanz ihres Handwerkes. „Mein König!", grüßte sie ihn kurz und sank in einen knappen Knicks, „Wollen wir beginnen?"
Wenig später folgte Thorin ihr und seinem Sohn durch die Hallen und lauschte ihren Ausführungen über die hier momentan geleistete Arbeit. Stolz erfüllte ihn, als er den Blick umher schweifen ließ. Er hatte vor einigen Jahren diese Hallen neu konzipiert und war stolz auf die Goldschmiedemanufaktur, die nun entstanden war.
Früher hatte jeder Zwerg hier seine eigenen Werke geschaffen, nun führten die meisten von ihnen nur einzelne Schritte aus und gaben das Stück dann an den nächsten Zwerg weiter, wodurch viel schneller gearbeitet werden konnte. Der Export an Schmuck und ähnlichem war in den letzten Jahren stark gestiegen und förderte den Wohlstand seines Volkes.
Karelia führte ihn hoch zu der Empore, wo Mahals Statue über die Halle blickte. Hier fertigten Zeichner die Entwürfe und Pläne für neue Stücke an, nach denen dann gearbeitet werden sollte. Interessiert begutachtete Thorin die Zeichnungen und Entwürfe. Von hier aus gingen sie wieder hinab in das Herz der Haupthalle, wo die Rohstoffe aus den Minen über große Liftanlagen gefördert wurden. Um den Schacht herum, aus dem die Körbe mit Gestein aufstiegen, war eine Kammer errichtet worden, in die die drei Zwerge nun gingen. Dunkelheit herrschte hier, doch Thorins Augen, geschaffen dazu, unter Tage zu sehen, gewöhnten sich rasch an das kaum vorhandene Licht.
Er sah die Körbe, beladen mit Gestein, die aus der Tiefe aufstiegen und von Zwergen, ganz in Schwarz gekleidet, um jedes bisschen überflüssiges Licht zu schlucken, in Empfang genommen wurden. Dies war die Kammer der Stille. Und die Zwerge, die hier arbeiteten, erfüllten die vielleicht wichtigste Aufgabe der Manufaktur. Jedem Zwerg war die Fähigkeit angeboren, in den Stein hinein zu fühlen, seine Kraft, seinen Charakter zu ertasten. Diese Zwerge hier waren die empfindsamsten ihres Volkes und dieser Ort war in derartige Dunkelheit gehüllt, um ihre Sinne noch weiter zu schärfen. Ihre Aufgabe war es, die besten Steine für die Weiterverarbeitung auszuwählen.
Thorin trat an eine der Körbe heran und griff, beobachtet von dem dort arbeitenden Zwerg, hinein. Seine Hand umschloss einen faustgroßen Gesteinsbrocken. Der König unter dem Berge schloss die Augen, lange schon hatte er nicht mehr in Stein hinein gefühlt. Seine Finger ertasteten jede noch so feine Unebenheit des Steins, die Spitzen und Einkerbungen, die raue Haut des Steins, aber auch die flachen, weichen Ebenen auf seiner Oberfläche. Ein Kribbeln durchlief seinen Arm, ausgehend von den Fingern, die über den Stein tasteten. Ein Lächeln breitete sich auf Thorins Gesicht aus, als er die pulsierende Kraft des Gesteins in seiner Hand fühlte. Er konnte sie spüren... unzählige kleinste Diamanten, wie Sterne tief in dem dunklen Stein verborgen.
Ganz sanft, als würde er ein Lebewesen halten, legte er den Stein zurück und sah zu dem Zwerg neben ihm. „Das ist gutes Gestein.", sagte er anerkennend.
Sie verließen die Kammer der Stille und durchschritten die Haupthalle. Karelia schritt durch die erste Tür rechts neben dem Portal, durch das Thorin vorher hereingekommen war. Thorin und sein Sohn folgten ihr. Sie waren nun in der Gusshalle. Starke Hitze von unzähligen Schmelzöfen begrüßte sie. Hier wurden die Metalle, die in Reinform verwendet werden sollten, in unterschiedliche Formen gegossen. Das Fauchen der befeuerten Öfen, vermischte sich mit dem Zischen abkühlenden Metalls. Die Zwerge hoben die Köpfe und beobachteten ihren König, der interessiert die Arbeiten verfolgte.
Von hier aus ging es in die nächste der Nebenhallen, die sich von der Gusshalle kaum unterschied. Dies war die Halle der Legierungen, wo verschiedenste Metalle zusammen eingeschmolzen wurden.
Thorin, Frerin und Karelia folgten einer Gruppe Zwerginnen, die, aufgrund der großen Hitze nur spärlich bekleidet, eine Karren mit den abgekühlten gegossenen Platten durch die nächste Tür in die Walzenhalle gingen. Hier war es wieder deutlich kühler und die Zwerginnen verschwanden wieder rasch durch die Tür zu den Schmelzöfen. Walzen unterschiedlichster Größe dominierten diesen Saal, angetrieben über Keilriemen, die von Zwergen über Pedale bedient wurden. Hier wurden die gegossenen Platten in eine erste Form gebracht. Besorgt wandte sich Thorin Karelia zu. „Wie oft wird hier jemand verwundet?", fragte er. „Nicht oft.", erwiderte die Zwergin, „Die hier arbeitenden Zwerge kennen sich mit den Kräften der Walzen aus."
Lärm unzähliger Hämmer empfing sie in der nächsten Halle, der Halle des Hammers. Karelia wollte ihm etwas zurufen, schüttelte dann jedoch den Kopf. Thorin ließ den Blick umher schweifen. An dutzenden Ambossen standen Zwerge und Zwerginnen und trieben das Metall in die unterschiedlichsten Formen. Ringe wurden hier geformt, Anhänger für Ketten, filigrane Broschen, Schnallen und Spangen, aber auch Fassungen für Bilder, Spiegelumrahmungen, Kerzenständer, Teller, Kelche und Besteck.
Sie verließen die Halle durch eine weitere Tür und betraten die Halle der Edelsteine. Frerins Augen leuchteten begeistert auf, als das Funkeln unzähliger kostbarer Steine sie umgab. Schon war der Prinz von Thorins und Karelias Seite gewichen und an den ersten Arbeitstisch heran getreten, wo ein Zwerg gerade einen Rubin zurecht schliff. In einem kleinen Korb lagen die bereits fertig geschliffenen Steine. Der arbeitende Zwerg begegnete Frerins Blick und neigte respektvoll den Kopf vor seinem Prinzen.
„Er ist ein begabter Handwerker, euer Sohn.", sagte Karelia leise, während die beiden älteren Zwerge den jungen Mann dabei beobachteten, wie er einen der fertigen Rubine liebevoll und sanft mit einem geölten Tuch polierte. Thorin nickte. „Ich weiß.", erwiderte er, „Er verfügt über mehr Feingefühl und Geduld als ich oder ein anderes seiner Geschwister." Schließlich riss Frerin sich von der Arbeit los und eilte mit schuldbewusstem Grinsen zurück an die Seite seines Vaters.
Dieser neigte nur wohlwollend den Kopf und sie gingen weiter zwischen den vielen Zwergen hindurch, die sanft Edelsteine aus dem sie umgebenden Stein befreiten, sie schliffen und polierten, bis sie funkelnd wie Sterne in die nächste Halle, die Lupenhalle, getragen wurden. Die drei Zwerge betraten diese Halle, in der Zwerginnen und Zwerge mit riesigen Vergrößerungsgläsern die feinen Steine in die vorgefertigten Fassungen setzten. Mit feinen Flammen formten sie das Metall, sodass der Edelstein perfekt an den Ring, die Kette oder den Kelch, den sie gerade bearbeiteten passte.
In der vorletzten Halle des Komplexes, der Zierhalle, wurden letzte Verzierungen angebracht und schließlich folgte Thorin Karelia in die letzte Halle, der Halle des Glanzes, wo die fertigen Stücke auf Hochglanz poliert und verpackt wurden, um hier im Berg und in ganz Mittelerde verkauft zu werden. Voller Stolz und zufrieden folgte Thorin Karelia zurück in die Haupthalle. Hier arbeiteten die wenigen Zwerge, die komplett eigene Werke herstellten. Diese Stücke waren meist so kostbar, dass sie nur im Erebor von den Mitgliedern adeliger Familien gekauft wurden.
„Wir haben einen Sonderauftrag bekommen.", sagte Karelia, „Ein Edelmann aus Gondor schickte uns eine Kiste kostbarer Perlen. Daraus soll ein Schmuckstück für seine Frau gefertigt werden." Sie sah zu Frerin. „Ich werde dies eurem Sohn überantworten, wenn er sein eigenes Projekt abgeschlossen hat..." Eine Spur Ungeduld und Tadel war aus ihrer Stimme zu hören, doch sie grinste Frerin wohlwollend zu. Es schien kein Problem darzustellen, dass Frerin seine Zeit mit einem eigenen Projekt aufhielt.
„Was ist das für ein Projekt?", wollte Thorin wissen. Frerin deutete in Richtung seines Arbeitsplatzes und wenig später standen sie vor dem akribisch ordentlichen Tisch Frerins. Auf der Seite stand eine kleine Schatulle mit feinen Perlen, doch in der Mitte des Tisches lag eine halb fertige Brosche. Aus feinem Gold gearbeitet, schlicht und einfach, mit einer begonnenen Einlegearbeit aus kleinen Diamanten. Frerin hob die Brosche hoch und gab sie seinem Vater, der sie vorsichtig entgegennahm. Bewundernd begutachtete er die Arbeit. Das letzte Mal, dass Thorin etwas selbst hergestellt hatte, war die Doppelaxt für Thrain gewesen. Waffen konnte er herstellen, gute und schöne Stücke, todbringend in den richtigen Händen. Doch dies hier... erforderte eine ganz andere Art von Kunst, die er nie beherrschen würde.
„Für wen ist sie?", fragte er leise. Er erkannte, was die Einlegearbeit darstellen sollte, das Wappen Durins, der königlichen Familie. Hatte sein Sohn etwa eine Geliebte? „Für Fenja.", war jedoch die arglose Antwort. Thorin lächelte. „Du meinst, diese wunderschöne Brosche wird sie dazu bringen, Schmuck zu tragen?", fragte er, in Gedanken bei seiner Tochter, die lieber Kettenhemd und Axt als Schmuck trug.
„Mein König!", rief eine Stimme durch die Halle. Thorin drehte sich um. Ein Zwerg der Wache kam auf ihn zu. „König Brand aus Thal ist eben eingetroffen. Mit ihm reitet eine Gruppe Soldaten.", sagte die Wache ein wenig atemlos.
Thorin nickte. Dann drehte er sich Karelia zu. „Es tut mir leid, ich werde gebraucht.", verabschiedete er sich von der Zwergin. Dann folgte er dem Zwerg, Frerin dicht auf seinen Fersen.
Man hatte Brand in das private Audienzzimmer des Königspaares gebracht. Der junge Mann wirkte aufgewühlt. Das Haar war windzerzaust und der Mantel, den er immer noch über den Schultern trug, war vom Schnee durchnässt. „Es ist passiert!", rief er aus, als Thorin und Frerin den Raum betraten.
„Was ist geschehen?", fragte Thorin ruhig und wies auf einen der bereit stehenden Sessel. Was auch immer passiert war, es hatte Brand in höchste Aufregung versetzt. Er wirkte beinahe panisch. Zögernd und immer noch sehr angespannt ließ sich Brand auf den Sessel nieder. Thorin nahm ihm gegenüber Platz. „Sie haben angegriffen... Ein ganzes Dorf! Nur ein Überlebender...", stieß Brand hervor. Thorin runzelte irritiert die Stirn. Wovon sprach Brand?
„Beruhig dich...", sagte er mit tiefer Stimme. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie Frerin, der sich eben einen weiteren Sessel geholt hatte, an die Anrichte ging, eine Karaffe Wein entkorkte und drei Becher füllte. Dankbar lächelte Thorin seinem Sohn zu, als dieser dem Besucher einen Kelch Würzwein in die Hand drückte. Es würde Brand durchwärmen und ihn beruhigen.
Thorin nahm einen tiefen Zug des schweren Roten, schmeckte die vielen Gewürze und beobachtete, wie Brand etwas zittrig einen Schluck nahm. Dann atmete der König von Thal langsam ein und aus, sammelte sich und begann, zu erzählen.
„Heute erreichte ein junger Mann unsere Stadt. Er kam von einem unserer Dörfer an der Rotwasser. Sein Dorf wurde von einem Heer Ostlingen überfallen. Keiner blieb am Leben... Sie haben ein Blutbad unter den Bewohnern angerichtet. Nur dieser eine Mann entkam...", die Stimme Brands verklang voller Grauen.
Thorin sog scharf die Luft ein. Schockiert sah er Brand an, der seinen Blick voller Trauer erwiderte. „Sie wurden im Schlaf überfallen, hatten keine Chance.", flüsterte Brand gequält. Stöhnend vergrub Frerin das Gesicht in den Händen. Einen Moment schwiegen sie. Thorins Geist malte Bilder schreiender Frauen und Kinder, alter Menschen, die verzweifelt versuchten, ihren Mördern zu entkommen. Mahal, dachte er im Stillen, erbarme dich ihrer Seelen.
„Ich reite mit einer Gruppe meiner besten Soldaten an die Rotwasser. Wir werden diese Eindringlinge finden und zur Rechenschaft ziehen.", fuhr Brand fort, nun wieder mit erstarkter Stimme, „Ich wollte euch nur darüber in Kenntnis setzen."
Er erhob sich. „Danke für den Wein.", sagte er. Doch Thorin erhob sich ebenfalls. „Ich reite mit euch, Brand.", sagte er mit fester Stimme, „Die Menschen von Thal sind unsere Freunde und Bundesgenossen. Wer Thal angreift, greift auch den einsamen Berg an."
Dann wandte er sich an Frerin. „Sende Wort an deine Mutter, dass ich Brand an die Rotwasser begleite. Dann lass Dwalin eine Garde Krieger auswählen und mich am Portal treffen." „Ich komme mit dir.", sagte sein Sohn fest. Kurz war Thorin versucht, ihn davon abzubringen. Frerin war ein großartiger Handwerker, aber er war kein sehr guter Kämpfer. Doch dann sah er das fest entschlossene Gesicht seines Sohnes und wieder einmal dämmerte ihm, dass Frerin nun Thrains Platz an seiner Seite einnehmen musste und so nickte er schweren Herzens.
Am Tor erwartete ihn bereits Dwalin. Sein alter Freund war wie immer schwer bewaffnet und sah ihm voller gimmigen Tatendrangs entgegen. Er saß bereits auf seinem Pony und hielt ein weiteres für Thorin und eines für Frerin am Zügel. Hinter ihm saßen zwei Dutzend Krieger der Steinbärte auf ihren Reittieren und erwarteten gebannt das Zeichen zum Aufbruch. Thorins Blick glitt über sie und blieb an zwei jungen Männern hängen, die ihm seltsam bekannt vorkamen. Es brauchte einen Moment, bis ihm einfiel, wer sie waren, Skafid und Jari, die Freunde seines ältesten Sohnes. Wie ihre Kameraden beobachteten sie ihren König und Frerin, die nun ihre Ponys bestiegen.
Brand hatte ebenfalls sein Reittier bestiegen und nickte Thorin zu. Dann trieb er sein Pferd an. Thorin folgte ihm. Kurz dachte er wehmütig an Lyrann. Gerne hätte er Zeit gefunden, sich von ihr zu verabschieden, nun da er in den Kampf und in einen beginnenden Krieg zog.
*Glanz Mahals
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