Bei Sonnenaufgang
Sommer 3018
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Ira auf das leere Bett, wo Tarl all die Tage gelegen hatte. Ihre Gedanken überschlugen sich und malten bereits bunte Bilder des leichenblassen Schmiedes, der von Frede fortgetragen wurde, trotz all der Hoffnung seinen Verletzungen erlegen. Der Atem der Zwergin stockte und eine eisige Faust schloss sich um ihr ängstlich klopfendes Herz.
„Ira?"
Die raue Stimme, die fragend von der Seite her erklang, entzündete ein wildes Feuerwerk aus Hoffnung und Freude in Iras Herzen. Sie wirbelte herum und da, im Durchgang zum hinteren Teil des Hauses, stand er. Blass und zittrig auf Fredi gestützt, mit nur einem Leinenhemd bekleidet und etwas abgemagert, aber er lebte.
„Tarl!", brach es aus ihr heraus und sie stürzte vor, schlang die Arme um den Schmied und umklammerte ihn so fest, als wolle sie ihn nie mehr los lassen. Kaum merkte sie, wie Tarl bei ihrem Ansturm bedenklich ins Schwanken geriet und sie wohl nur dank seines Lehrlings nicht zu Boden fielen. Mit einem leisen Lachen, das seine Brust vibrieren ließ, erwiderte der Zwerg die Umarmung. Sacht legte er die Arme um sie und voller Glück spürte Ira, wie Tarl sein Gesicht in ihr Haar drückte.
Wildes Glück flutete Iras Herz, während sie den Mann festhielt, den sie beinahe verloren hätte. Sie fühlte, wie er tief und zufrieden einatmete. „Ira.", murmelte er leise.
Dann jedoch begann er mit einem Mal zu zittern. Alarmiert sah Ira zu ihm auf. Jegliches bisschen Farbe war aus seinem Gesicht geschwunden und Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn.
„Ab ins Bett!", erklang Fridas strenge Stimme hinter ihnen. Von Fredi und Ira in die Mitte genommen, ging Tarl schwankend auf das Bett zurück und ließ sich mit einem erleichterten Ausatmen auf die Matratze sinken.
Sofort setzte sich Ira neben ihn an die Bettkante.
„Wie geht es dir?", fragte sie, die Stimme ganz zittrig vor Erleichterung und Freude. Tarl lächelte und schloss kurz die Augen. „Erschöpft.", brummte er, „Aber gut."
Er schlug die Augen wieder auf und sah zu ihr auf. „Frede sagte, du wärst jeden Tag hier gewesen.", fragte er. Ira spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, als sie seinen durchdringenden Blick erwiderte. Ihr Herz klopfte und stolperte aufgeregt. Was sollte sie nur sagen? Die Frage in Tarls hellen Augen wurde noch drängender. „Ich sorgte mich um dich.", erwiderte Ira leise und senkte beschämt den Blick.
Noch etwas langsam, aber zunehmend sicherer, schritt Thrain durch den Raum auf den Tisch zu, wo Frida eben das Essen servierte. Schwerfällig ließ er sich auf einen Stuhl sinken. Frede schöpfte mit einer großen Kelle etwas von dem Hackfleisch Eintopf auf die Teller. Die ganze Familie saß an dem schweren Holztisch, dessen hohes Alter durch unzählige Schrammen bezeugt wurde.
Fril und Frilo, die beiden jüngeren Söhne Fredes, wollten sich bereits auf das Essen stürzen, doch der strenge Blick ihres großen Bruders Fredi hielt sie davon ab. Mutter Frida eilte noch kurz in die Küchenecke, um etwas von dem Kräutertrunk zu holen, den sie jeden Tag frisch zubereitete, um Thrain schneller gesunden zu lassen.
Dieser hatte seit seinem Erwachen vor einigen Tagen sich rasch erholt. Die Verbände waren endlich weg und die Wunden größtenteils verheilt. Eine Narbe jedoch war ihm an seinem rechten Oberarm geblieben. Hier war die Verbrennung zu groß gewesen, um gut abzuheilen. Frida hatte gar keine Diskussion darüber aufkommen lassen, dass er wieder in die Schmiede zog. Sie hatte darauf bestanden, dass er bei ihnen blieb.
Thrain hatte dennoch ein schlechtes Gewissen, dass er die Gutherzigkeit von Fredes Familie so in Anspruch nahm. Zumal er nun, da er von Tag zu Tag kräftiger wurde, einen äußerst großen Appetit entwickelte. Das tagelange unfreiwillige Fasten machte sich bemerkbar und so sah er auch jetzt mit grollendem Magen auf den Eintopf vor sich hinab, wohl wissend, dass er mindestens drei Portionen würde essen müssen, um einigermaßen satt zu werden.
Frida setzte sich wieder zu ihnen und stellte den Tonbecher mit Medizin vor Thrain ab. Ihr Mann räusperte sich leise und alle senkten andächtig den Blick, als dieser das Tischgebet intonierte:
„Gogag dat klos un um ut satf bin Aule tnam"*
Hungrig machte sich Thrain über sein Essen her und einige Zeit hörte man nichts außer dem Klappern der Löffel an die Tonteller und das Schlürfen und Pusten der Essenden.
Thrain leerte bereits seinen zweiten Teller, als Frede sich an seine Frau wandte. „Ist Ira in der letzten Zeit wieder hergekommen?"
Ein heißes Stück Fleisch rutschte Thrain in die falsche Röhre bei der Erwähnung der blonden Zwergin. Hustend ließ er seinen Löffel fallen und rang japsend nach Atem. Frede beugte sich vor und klopfte ihm kräftig auf den Rücken, amüsiert grinsend. Mit Tränen in den Augen nahm Thrain ein paar große Schlucke seiner Medizin.
Frida derweil schüttelte ihrem Mann zugewandt den Kopf. Und Thrain senkte schwermütig den Blick, die Gedanken wieder um eine Frage kreisend, die ihn nicht los ließ. Tatsächlich war Ira das letzte Mal an dem Tag, an dem er erwacht war, hier zu Besuch gewesen. Als er noch geschlafen hatte, war sie laut Fredes Familie oft stundenlang bei ihm gewesen. Was war passiert, dass sie nun fern blieb? Hatte er sie gekränkt? Sie schien so unglaublich glücklich, als sie ihm um den Hals gefallen war. Er fuhr sich über die Augen. Wie sollte er das nur verstehen? Und wie sollte er klaren Kopf bewahren, wenn er an Ira dachte, wo doch ihr doch längst sein Herz gehörte?
„Weißt du, warum sie nicht mehr kommt, Tarl?", drehte der Familienvater sich nun zu seinem Gast um. Dieser schüttelte nur müde den Kopf.
„Ich denke, du solltest mal mit ihr sprechen.", fuhr Frede fort. Der Jüngere hob zweifelnd den Blick. „Ich glaube kaum, dass sie das will.", erwiderte er, von tiefer Traurigkeit und Verunsicherung gequält. Doch der Rothaarige lächelte gutmütig. „Sie mag dich, Tarl.", antwortete er schlicht.
Zwei Tage später verabschiedete Thrain sich von Frede und seiner Familie. Zwar war er noch immer geschwächt und würde noch einige Zeit brauchen, um sich gänzlich zu erholen, doch er wollte nicht länger den anderen im Weg sein.
Und so hatte er Frida mehrmals gelobt, seine Schmiede noch eine Weile geschlossen zu halten, bis er wieder völlig bei Kräften war. Außerdem hatte er eingewilligt, dass sie regelmäßig Essen vorbei brachte.
Mit einem letzten Winken drehte er sich zu dem Haus Fredes um, wo die Familie versammelt stand. Dann ging er die Straße entlang zu seinem Zuhause. Als er das gemauerte Haus der Schmiede erblickte, lächelte er glücklich. Er war froh, wieder hier zu sein.
Doch eben als er die Tür aufschließen wollte, erblickte er etwas entfernt eine ihm nur zu bekannte Gestalt, die die Straße entlang lief. In der Bewegung verharrend sah er zu der blonden Zwergin hinüber. Sein Herz klopfte heftig gegen seine Rippen und das vertraute Gefühl der Sehnsucht und Liebe stieg in ihm auf. Doch diesmal war es auch mit Traurigkeit und Resignation vermischt. Kaum hatte er zu hoffen gewagt, dass er ihr etwas bedeutete, da hatte sie ihn schon wieder vergessen.
Doch als er sich eben wieder abwenden wollte, fiel Iras Blick auf ihn. Sie blieb stehen und sah Thrain mit seltsamem Gesichtsausdruck an. Vermutlich wollte sie nicht mit ihm reden. Thrains Herz zog sich kummervoll zusammen. Er verstand nicht, warum sie ihn mit einem Mal mied. Da setzte die Zwergin sich in Bewegung und kam langsam auf ihn zu.
Vor ihm blieb sie stehen, nestelte unruhig an einer Schlaufe ihres Kleides herum. Ihre Kristallaugen sahen kurz zu ihm auf, senkten dann aber wieder den Blick. Die Wangen leicht gerötet, sagte sie: „Du bist also wieder gesund."
„Nicht völlig, aber ich wollte Frida nicht länger belasten.", erwiderte er. Verzweifelt wünschte er, dass sie ihn ansehen möge. Diese zurückhaltende Art kannte er nicht von ihr, es verwirrte ihn. Frede hatte gesagt, dass sie ihn mochte. Aber warum verhielt sie sich dann so seltsam?
„Geht es dir gut, Ira?", fragte er besorgt. Die Zwergin nickte wortlos.
„Habe ich irgendwas getan, was...?", fuhr er hilflos fort. Diesmal schüttelte Ira heftig den Kopf. Sie hob den Blick wieder. „Nein, Tarl.", sagte sie. Ein Lächeln leuchtete über ihr Gesicht. Ira trat noch einen Schritt vor und ergriff seine Hände. „Du hast nichts getan. Mir geht es gut, ehrlich."
Ihr Blick fesselte seine Augen. Sie war ihm so nahe wie schon lange nicht mehr. Mit stockendem Atem sah er zu ihr hinab, fühlte ihre weichen Hände in den seinen, sehnte sich mehr als je zuvor danach, sie zu küssen. Nie hatte er Ira geküsst. Dies war eine Grenze gewesen, die sie gezogen hatte. Egal wie oft er bei ihr gewesen war, sie ihm ihren Körper geschenkt hatte, nie küsste sie einen ihrer Besucher.
Eine Haarsträhne hatte sich aus Iras Zopf gelöst und hing ihr ins Gesicht. Sacht und ohne darüber nachzudenken hob er die Hand und strich der Zwergin das Haar aus der Stirn. Zärtlich verweilten seine Finger an ihrer Schläfe, streichelte sein Daumen über ihr schönes Gesicht.
Zittrig atmete Ira ein. Sie schloss die Augen, schien die Berührung zu genießen. Entgegen jeglicher Erwartung Thrains, zog sie den Kopf nicht zurück, schmiegte sich gar in seine Berührung.
Mit panisch klopfendem Herzen beugte er sich zu ihr hinab. Angst und Hoffnung wirbelten wild durcheinander.
„Ira!"
Eine Frauenstimme gellte über die Straße und die beiden stoben hektisch auseinander.
Nube kam den Weg entlang geschritten. „Was trödelst du? Ich hab dich überall gesucht!", rief sie vorwurfsvoll, das Haar herrschaftlich zurück werfend und sich zu ihrer vollen Größe aufrichtend.
Verwirrt sah Ira zu Thrain hoch, ihren Augen ein Spiegel seiner aufgewühlten Gefühle. Die Zwergin schluckte und drehte sich dann Nube zu. „Ich komme ja!", rief sie und eilte zu ihrer Kollegin.
Das Singen des Hammers erfüllte die Schmiede, während Thrain Schlag um Schlag das filigrane Werkstück, welches er mit der Zange fixierte, in die richtige Form brachte.
Die Arbeit war äußerst anstrengend für ihn, da er noch immer nicht völlig bei Kräften war. Doch wollte er dieses Stück auf jeden Fall bis zum Abend fertig stellen. Tatsächlich handelte es sich hierbei nicht um eine Auftragsarbeit für Kunden. Die Schmiede war nach wie vor geschlossen, so wie er es Frida versprochen hatte.
Nein, dies war ein Geschenk, ein Geschenk für Ira.
Seit er ihr auf dem Heimweg begegnet war, waren zwei weitere Tage verstrichen, in denen sie einander nur flüchtig gesehen hatten. Keine Möglichkeit hatte sich ergeben, allein mit Ira zu sein. Der Gedanke, wie nahe sie einander gewesen waren, dass er sie beinahe geküsst hätte und sie scheinbar noch nicht mal ihn von sich hatte stoßen wollen, brachte sein Herz zum Vibrieren.
Empfand sie vielleicht doch etwas für ihn? Etwas, das über Freundschaft hinaus ging? Sie hatte seine Berührung genossen. Konnte er tatsächlich hoffen? Durfte sein banges Herz sich der Hoffnung hingeben?
Prüfend betrachtete er das Stück, an dem er schmiedete. Es war ein Anhänger aus Eisen in Form eines Hammers, dem Zeichen Mahals. Thrain besaß bei weitem nicht die Ausrüstung oder die Fertigkeiten, um ein prächtiges und kunstvolles Schmuckstück für Ira zu schaffen. Seufzend dachte er an Frerin, der sicher ohne weiteres einen Anhänger geschmiedet hätte, der Iras Schönheit gerecht geworden wäre.
Thrain hatte lediglich eine dünne Lage Kupfer um den Hammer herum geführt, sodass er von einer leuchtenden Aura umgeben zu sein schien. Nun nahm er feineres Werkzeug zur Hand, um Runen in das Metall zu gravieren.
Stunden später hockte er reichlich erschöpft in seiner Stube, das fertige Werk in der Hand haltend. Durch eine Öse fädelte er ein einfaches Lederband, das er von Frida erbeten hatte. Seufzend besah er sich den Hammer von allen Seiten, dessen Runen nun den Schutz Mahals erbaten. Er war kein Schmied für feine Schmuckgegenstände. Zweifel kamen in ihm auf, ob dies überhaupt eine gute Idee gewesen war. Würde der Anhänger Ira gefallen?
Zerstreut fuhr er sich mit der Hand über die Augen. Seine Gedanken wandten sich dem Plan zu, den er sich für den morgigen Tag zurecht gelegt hatte. Er fühlte sich töricht. Doch er musste sie wiedersehen, mit ihr reden, ihr seine Gefühle offenbaren. Er konnte nicht länger schweigen.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Thrain am nächsten Tag die Schmiede verließ und seine Schritte zu Mhilrams Haus wandte. Über ihm spannte sich der noch dunkle Himmel, lediglich ein schmaler heller Streifen am östlichen Horizont kündigte den nahenden Tag an. Und doch regte sich bereits Leben in Nebelgrund. Die ersten Bewohner erhoben sich aus ihren Betten. Thrain begegnete auf seinem Weg einigen Minenarbeitern, die gerade ihr Heim verließen. Aus dem Schornstein der Bäckerei stieg Rauch auf, scheinbar hatte Jalrek bereits den Ofen befeuert. Fensterläden wurden aufgestoßen und so mancher Blick wandte sich nach Osten, wo bald die Sonne aufgehen würde. Vogelzwitschern vermischte sich mit dem Rauschen des Baches, noch waren dies die vorherrschenden Geräusche in dem erwachenden Dorf.
Thrain wusste, dass Mhilram zu dieser Zeit bereits wach war. Andernfalls hätte er sich wohl nicht getraut, seine Idee in die Tat umzusetzen. Tatsächlich sah er die rothaarige Zwergin eben vor ihre Tür treten, als das Bordell in Sicht kam. Mit einem Eimer in der Hand verschwand sie um die Hausecke und kam wenig später zurück, den Eimer nun scheinbar randvoll mit Wasser gefüllt.
Rasch überbrückte Thrain die restliche Distanz zwischen ihnen. „Mhilram!", rief er, „Lass mich dir helfen!"
Überrascht hob sie den Kopf und zog die Augenbrauen in die Höhe. „Tarl.", sagte sie, „Diese frühe Stunde ist selbst für dich ungewöhnlich." Dennoch überließ sie ihm den Eimer und ging voran ins Haus.
„Ich wecke Ira.", verkündete Mhilram und ihre Mundwinkel zuckten verdächtig. Schon lange fragte sie ihn nicht mehr, welche Wünsche er für seinen Besuch hatte. „Stell den Eimer in die Gaststube.", wies sie ihn an, während sie bereits die Stiege zum oberen Stockwerk erklomm.
In der Gaststube waren die Fenster schon weit geöffnet und die frische Morgenluft wehte herein. Thrain stellte den Eimer ab, als er Schritte auf der Treppe hörte. Er wandte sich zu der Tür um, wo eben Ira erschien, gefolgt von ihrer Mentorin.
Ein warmes Lächeln zog sich über Thrains Gesicht, als er der Zwergin entgegen sah, die mit noch offenem Haar, das ihr wie flüssiges Gold über den Rücken floss, und einem Morgenmantel vor ihm stand.
„Tarl.", begrüßte sie ihn mit überraschtem Tonfall, doch sie schien erfreut zu sein, ihn zu sehen. Ein wenig zögerlich trat sie auf ihn zu. „Ist etwas passiert?", fragte sie.
Er schüttelte den Kopf, plötzlich fiel es ihm schwer zu sprechen. Mit trockenem Mund sah er kurz zu Mhilram hinüber, die eben angefangen hatte, die Theke zu putzen. Die Rothaarige fing seinen Blick auf, seufzte leise und verließ mit raschem Schritt den Raum.
Das machte seine Nervosität kaum besser. Tief einatmend sammelte er sich und richtete den Blick wieder auf Ira, die ihn ruhig musterte. „Möchtest du einen Spaziergang machen?", fragte er voller Anspannung, das Herz pochte ihm bis zum Hals, „Wir könnten den Sonnenaufgang beobachten."
Die Zwergin strahlte ihn freudig an. „Sehr gern!", erwiderte sie, „Warte nur draußen, ich zieh mir schnell was an." Auf dem Absatz drehte sie um und eilte aus dem Raum.
Erleichtert und gleichzeitig noch aufgeregter als vorher atmete Thrain aus und ging in Richtung Haustür. Mhilram kam ihm entgegen, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie schüttelte den Kopf und sah ihn an. „War das so schwer, diese Frage zu stellen?", fragte sie. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie zurück in den Gastraum.
Thrain wartete noch nicht lange vor dem Haus, als die Tür sich öffnete und Ira erschien, das Haar nun wie so oft zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr über den Rücken baumelte. Sie trug ein schlichtes weißes Kleid mit einem blauen, ärmellosen Überwurf. Ihr übliches gelbes Schultertuch trug sie diesmal um ihren Oberkörper geschlungen, wie ein Tragetuch, in dem sich eine deutliche Beule vor ihrem Bauch abzeichnete.
„Ich dachte, ich nehme Musmasum mit.", sagte sie munter und zog die Tuchfalten ein wenig auseinander, dass Thrain auf das Kätzchen hinab schauen konnte. Die Kleine war in den letzten Tagen deutlich gewachsen und blickte ihn aus hellen Augen aufgeweckt an. Sacht fuhr er der Katze über den Kopf.
„Wollen wir?", fragte er und bot Ira seinen Arm an. Lächelnd hakte sie sich bei ihm ein und nebeneinander gingen sie die Straße entlang, die sie nach Osten aus dem Dorf heraus führte. Sie kamen an den Uferwiesen und einigen Feldern vorbei, auf denen bereits neben Rüben, Bohnen und Kartoffeln dicht das Getreide stand.
Bevor sie an den Rand des Waldes kamen, der sich zwischen dem Nebelgebirge und dem Tal des Anduin erstreckte, bog Thrain nach links ab und führte Ira auf einem Pfad auf den Berghang zu. Rasch kletterte dieser auf steinigem Gelände die Anhöhe hinauf. Thrain ging voraus, für Ira den leichtesten Weg zwischen Geröll, Felsbrocken und Büschen suchend.
Sie waren bereits ein gutes Stück über den Wipfeln des Waldes, als ihm ein großer Felsblock ins Auge fiel, auf den er die Zwergin zu führte. Er breitete seinen Mantel auf dem Stein aus und half Ira galant, darauf Platz zu nehmen. Diese hob vorsichtig Musmasum aus dem Tragetuch und setzte sie zu ihren Füßen ins Moos.
Neugierig sah sich das kleine Kätzchen um, hob den Blick zu Ira, um sich zu vergewissern, dass die Zwergin da war, dann tapste sie los, ihre Umgebung zu erkunden, den Schwanz steil in die Höhe gereckt und an allem schnüffelnd, was ihr in den Weg kam. Einen Moment sahen die beiden Zwerge lächelnd auf das kleine Wesen hinab.
„Sie scheint mich für ihre Mutter zu halten.", sagte Ira leise. Thrain lachte sanft und sah die Zwergin liebevoll an. „Nun, sie hätte es kaum besser treffen können."
Ira lächelte erfreut und wandte die Augen nach Osten. Tief atmete sie ein, zog die kühle Morgenluft ein. Thrain folgt ihrem Blick. Zu ihren Füßen breitete sich ein dichter Wald aus, dessen Zweige und Blätter im Wind raschelten. Dahinter erstreckte sich die Flussebene, verdeckt von Dunstschleiern und Nebel, die über dem Anduin hingen. Der Düsterwald war als weiteres dunkles Band zu erkennen und ganz weit am Horizont, nördlich von ihnen gelegen, kaum zu erkennen, reckte ein einsamer Berg sich gen Himmel.
Ein Stich fuhr Thrain ins Herz, als er den Erebor erblickte. Rasch wandte er seine Aufmerksamkeit dem Himmel zu, der sich nun deutlich von einem tiefen Dunkelblau zu einem helleren Blau, durchsetzt mit Grau veränderte. Der leuchtende Streifen im Osten war nun von kräftigem Rosa und Orange. Die letzten Sterne verblassten, nur Eärendil leuchtete noch im Süden, das helle Funkeln des Silmarills ein letzter Bote der vergehenden Nacht.
„Ich habe etwas für dich.", sagte Thrain, nun wieder unsicher und nervös. Unter Iras erstauntem Blick griff er in seine Tasche und holte den geschmiedeten Hammer am Lederband hervor.
Mit leicht zitternden Händen griff Ira nach dem Anhänger. Lautlos formte ihr Mund Worte, als sie die Runen las. Sie sah zu ihm auf, die Augen verräterisch glitzernd. „Er ist für mich?", flüsterte sie. Thrain nickte und vorsichtig streifte er das Lederband über ihren Kopf, sodass der Hammer auf ihrer Brust zum Liegen kam. Fasziniert und voller Ehrfurcht befühlte Ira den Hammer, betrachtete jede Einzelheit, schien sich kaum an ihm satt sehen zu können.
Mit klopfendem Herzen beobachtete Thrain sie. „Gefällt er dir?", fragte er leise. „Gefallen?", echote sie und sah ihn an, „Er ist wunderschön." Fest klammerten sich ihre Finger um den Anhänger, als wolle sie dieses Geschenk nie wieder los lassen. „Danke.", hauchte sie zittrig.
Ein kühler Wind kam auf und die Zwergin fröstelte. Musmasum kam zu ihnen zurück getapst und rollte sich zu ihren Füßen ein. Zögernd hob Thrain den linken Arm und legte ihn um Iras Schultern. Tatsächlich sträubte sie sich nicht, sondern lehnte sich dankbar für die Wärme an ihn.
Stille umgab sie, wie sie da an dem Berghang saßen, nur durchbrochen vom Rauschen des Windes und dem Zwitschern der Vögel. Noch schien alles um sie herum grau und trüb zu sein. Doch da hob sich ganz langsam, fast scheu, die Sonne als leuchtend rote Kugel über den Horizont. Und der Himmel explodierte in einem Meer an Farben. Hellgelb und Orange zogen sich über den Horizont, vermischten sich mit Rosa, Lila und Blau, wo der Nachthimmel noch vorherrschte.
Und mit einem Mal schien alles um sie her zu leuchten, als Pflanzen und Felsen von dem Licht des Tages berührt wurden.
„Es ist wunderschön.", flüsterte Ira neben ihm, sich an Thrains Seite schmiegend, einen Arm um seinen Rücken gelegt. Fast schwebend vor Glück ob ihrer Nähe, sah er auf sie hinab und ihm stockte schier der Atem.
Die Zwergin selbst schien zu strahlen. Ihr blondes Haar leuchtete wie flüssiges Gold, ihr Augen blitzten wie Diamanten, angeleuchtet von dem Licht der aufgehenden Sonne. Noch nie hatte er etwas derartig Schönes gesehen.
Ira hob den Blick und sah zu ihm auf. Ihre Augen nahmen ihn gefangen, vergessen war das atemberaubende Panorama des Sonnenaufgangs. „Du bist wunderschön.", erwiderte er hingerissen.
Iras Mundwinkel zuckten schwach. Sie war ihm so nahe. Langsam beugte er sich zu ihr hinab, eine unausgesprochene Frage in den Augen, die schon seit Monaten in ihm brannte. Doch er stockte, wagte es nicht.
Ira jedoch hob den Kopf und mit einem Mal berührten ihre Lippen die seinen. Etwas in Thrains Herz schien zu explodieren und wie ein Schlag durch seinen ganzen Körper zu fahren. Ganz kurz nur währte der Kuss, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, dann zog die Zwergin sich schon wieder zurück. Ein breites Grinsen fuhr über Thrains Züge, so breit, dass ihm beinahe die Wangen schmerzten. Er sah auf Ira, deren Gesicht nur wenige Handbreit von seinem entfernt war. Sie erwiderte das Grinsen, hob den Kopf erneut und fast schon linkisch stießen ihre Lippen aufeinander und zogen sich wieder zurück.
Thrains Herz raste. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden. Ira kicherte leise. Diesmal beugte er sich hinab und küsste sie erneut, unbeholfen und zitternd, sein Lachen konnte er nicht unter Kontrolle bringen.
Außer Atem zogen sie sich beide ein wenig zurück und sahen einander an, fanden keine Worte, sondern strahlten sich nur an. Thrain schien es, als wäre mit einem Mal auch in ihm eine Sonne aufgegangen, wärmte ihn und erhellte alles um ihn herum. Leicht wie eine Feder und trunken vor Glück fühlte er sich.
Keiner von ihnen bemerkte, wie die Sonne höher kletterte, das letzte Dunkel der Nacht verschwand und die Welt um sie her voller Farbe zu leuchten schien. Sanft zog Thrain die Zwergin an sich und beide versanken in einem erneuten Kuss, während der neue Tag anbrach.
*Segne dieses Essen und die, die wir in Aules Namen im Herzen tragen.
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