Sehr viel ignoriertes Klopfen
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Erneutes Klopfen dröhnte wie der Gongschlag einer Kapelle durch das Arbeitszimmer, was nur bedeuten konnte, dass entweder Constantin dabei war die Tür einzureißen oder aber ich war leicht nervös.
„Inspektor!" Mein Ex-Mann zog das Wort so in die Länge, dass er zu singen begann.
Hedox und ich tauschten einen Blick. Und jetzt?
Der Inspektor deutete auf die verlassene Zelle, die Worte ‚versteck dich' lautlos mit seinem Mund formend.
Ehrlich, er hätte auch laut sprechen können, so stetig wie Constantin an diese Tür trommelte. Er hatte inzwischen einen ausgeklügelten Takt gefunden, der mich in einer anderen Situation beeindruckt hätte. Jetzt gerade starrte ich stattdessen die Zelle in Horror an. Man hatte mich schon einmal eingesperrt. Die Erinnerungen fesselten mich an Ort und Stelle.
„Constantin?" Kinirs helle Stimme auf dem Gang beendete den Trommelwirbel mit einem Fluch, den ich nicht gehört haben wollte. Constantin ergriff die Flucht, ehe ich oder der Inspektor einen weiteren Blick wechselten.
„Constantin!", rief Kinir dieses Mal lauter und näher, anscheinend auf halbem Weg ihm nachzulaufen, doch dann hielt sie inne.
Er musste entkommen sein, denn sie kehrte zu unserer Tür zurück, die Hedox ihr bereits aufhielt. In einer Wolke aus einem wunderschönen hellblauen Kleid schwebte sie herein und ließ sich auf den Stuhl gegenüber vom Schreibtisch fallen. Ihre blonden Haare waren zu Locken gedreht und in eine kunstvolle Hochsteckfrisur gezwungen worden.
Ziemlich sicher, dass meine Haare in meinem ganzen Leben noch nie so schön ausgesehen hatten. Aber dann wiederum konnte ich auch nicht so dramatisch die Wangen aufplustern, wie es Lady Minetel gerade tat.
„Dinah, du musst etwas unternehmen! Er will sich einfach nicht mit mir treffen. Mada will schon keine Mägde mehr zu ihm schicken, weil er ihnen droht ihre Betten anzusägen."
Ich seufzte und ließ mich auf der Kante des Schreibtisches wieder, Hedox seinen Lieblingsplatz wegnehmend. Wenn Constantin etwas nicht wollte, konnten sich Inseln auf den Kopf stellen und er würde nicht nachgeben.
„Dinah sollte Kontakt mit Constantin auf jeden Fall vermeiden", mischte Hedox sich ein, die Tür geräuschvoll wieder zuziehend. An mich gewandt fuhr er fort, „Wort der Veränderungen an den Chroniken hat den Primus erreicht. Er sucht einen Sündenbock."
Mein Herz machte einen zusätzlichen Schlag. Das war nicht gut. Constantin stand nach den letzten Eskapaden sowieso in keinem guten Buch des Primus. Sollte irgendetwas an diesem Fall mit ihm in Verbindung gebracht werden...
„Aber Dinah kennt Constantin", nörgelte Kinir weiter, mit dem Wimpern klimpernd, „Sie weiß sicherlich, welche Worte sie finden muss-..."
„Ich habe ein Schweigegelübde", unterbrach ich sie, „Und er würde meine Stimme erkennen. Es tut mir leid, Kinir, aber ich kann-..."
Die zusammengekniffenen Augen des Mädchens ließen die Sätze auf meiner Zunge sterben. Ihre Stimme blieb süß, aber das erreichte ihre Bedeutung nicht.
„Es ist doch nur ein Gespräch. Mrs. Anteaa würde mich verstehen. Wo du doch aus seinem Haushalt kommst, Cladina."
Blöde Tröte.
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11 Tage vor dem Geburtstag des Primus
Ich stand vor der Tür und verfluchte leise drei Mal Kinirs Namen. Hedox war außer sich gewesen, als sie sein Büro verlassen hatte. Wir gefährdeten den Fall, wir gefährdeten Constantin und ganz Clevem gleich mit. Nur, damit Lady Kinir Minetel ein Gespräch mit ihm führen konnte.
Mada hatte mich während ihrer Vorbereitungen für ein Picknick informiert, dass Constantin dazu übergegangen war, seine Tür noch nicht einmal mehr für Mägde zu öffnen. Wieso tat ich mir das an? Ein kleiner Teil von mir wusste, dass ich nicht aus Angst vor einer möglichen Entdeckung nervös wurde. Dass ich ihn sehen wollte. Käsegräten-Blödsinn.
Mein Klopfen blieb, wie zu erwarten, unbeantwortet. Fast hätte ich erleichtert aufgeatmet, aber ich hörte ihn in seinem Zimmer hin und her marschieren. Irgendetwas beschäftigte ihn. War es ich? Oder das, worum er Jona so erfolglos gebeten hatte?
Noch ein Klopfen.
Ich überprüfte meinen Schleier in einem Spiegel neben seiner Tür. Ich hatte das gesamte Tuch tiefer ins Gesicht gezogen, bis man kaum meine Augen sah. Dann hatte ich ein Zweites darübergelegt. Mit Puder war meine Haut blasser geworden und die Sommersprossen verschwunden. Kriegsbemalung.
Ich gab mir nicht die Mühe ein drittes Mal zu klopfen. Kinir wollte ihn sehen, also würde er mitkommen. Er konnte nicht an einen anderen Hof kommen und sich wie zuhause benehmen. Behutsam drückte ich die Klinke, doch die Tür war verschlossen.
Gut.
Sebastian hatte mir einmal gezeigt, wie man mit solchen Hindernissen umging. Ein verbotener Gedanken. Die Erinnerungen an meinen Freund griffen mit ihren schwarzen Tentakel nach mir und für einen kurzen Moment legte ich die Stirn gegen das glatte Holz. Ich hatte so hart daran gearbeitet nicht an ihn zu denken. Nicht, wenn ich glänzende Helme sah. Nicht, wenn Väter mit ihren kleinen Töchtern spielten. Es funktionierte so gut, dass ich manchmal ein schlechtes Gewissen hatte. Wenn unsere Götter gnädig waren, würden wir uns bald wiedersehen.
Zwischen Caridad, Constantin und mir war es schwierig, herauszufinden, wen sein Verlust am schlimmsten getroffen hatte. Der Schock hatte angehalten, bis Caridad und ich einige Tage aus der Stadt waren. Es war Caridads Weinen gewesen, das mich eine Nacht geweckt und daran erinnert hatte, was ich verloren hatte. Alles, was ich nie wieder tun würde. Und alles, wovon ich nie gewusst hatte, dass es das letzte Mal sein würde. Und jede Erinnerung hatte auf meinen Wangen gebrannt, bis wir beide die Nacht durchgeweint hatten.
Mit einem Ruck löste ich mich von der Tür und nutzte die emotionale Kraft. Es war eigentlich gar nicht so schwer. Nicht Sebastians Vergessen. Das war unmöglich. Aber durch diese Tür kommen. Das war mehr als möglich. Die Palasttüren- besonders im Gästebereich - waren eher dekorativ, wie Jona bewiesen hatte. Dünnes, bemaltes Holz.
Der Tritt musste die Tür nahe dem Schloss treffen, wobei die Ferse als Zweites aufkam und den Hauptkraftpunkt bildete. Und dann dachte man nur noch an tote Freunde und Ex-Männer, die deine Ermittlungen behinderten und schon stand man in ihrem Zimmer. Im Nachbarzimmer schrie eine Frau, aufgeschreckt von dem Lärm, den ich machte.
Constantin hatte nahe einem der bodentiefen Fenster gestanden und in den Garten geblickt, aber eine eingetretene Tür war sogar für seine Verhältnisse schwer zu ignorieren.
„Werde ich jetzt aus meinen eigenen Räumen abgefüh- du."
Ich machte die Tür hinter mir zu, so gut das mit gebrochenem Schloss möglich war.
Er erkannte mich also. Oder zumindest die Ley-el, die ihm am Vortag eine blutige Nase geschlagen hatte. Meine Haut schaffte das physikalische Wunder, gleichzeitig heiß und kalt zu werden, was bestimmt nicht gesund war. Und mein Herzschlag klopfte in keinem erkennbaren Rhythmus mehr.
Constantin sah... aus wie Constantin. Und ich gestand mir ein: Ich hatte ihn vermisst. Seine blonden, schulterlangen Haare, die vielen kleinen Narben auf seiner Haut und die zweifarbigen Augen.
Hätte ich ich selbst sein dürfen, hätte ich den Schleier abgenommen und ihm den Kopf dafür gewaschen, dass er hier runter gekommen war. Sein Volk und seine Insel in Lady Akemiras Händen lassen war unverantwortlich! Was hatte er sich nur dabei geda-... Nichts. Deshalb brauchte er mich. Und ich brauchte ihn.
Aber ich war Cladina. Ley-el des Primus und Angestellte des Palasts. Und dementsprechend hielt ich mich an mir selbst fest und knickste vor ihm tief, ehe ich das Einladungsschreiben von Kinir aus meiner Rocktasche zog.
Constantin stoppte überrascht, fing sich aber genauso schnell wieder. Schatten wanderten über sein Gesicht.
„Richte Lady Minetel aus, dass ich keine Ahnung habe, wo sich mein Bruder aufhält. Und selbst wenn, würde ich zwischen ihnen kein Treffen arrangieren. Sie hat einen intelligenzvermindernden Einfluss auf ihn, den ich bei seiner letzten Quote nicht verantworten kann."
Ich richtete mich wieder auf, weil er mich nicht dazu auffordern würde. Meine Augen fixierten ihn mit einem Blick, der jeden anderen langsam in die Flucht geschlagen hätte. Ich vermisste ihn, aber niemand beleidigte Caridad. Nicht einmal er.
Und wenn er sich die Mühe machen würde, zu Kinirs Treffen zu gehen, würde er herausfinden, dass sie sicherlich etwas anderes fürchterliches geplant hatte. Caridad war nämlich bereits bei ihr. Als persönlich abgestellte Wache von Inspektor Hedox.
Aber Constantin war immun gegen meinen Zorn. Mit einem Schulterzucken wandte er sich wieder den Fenstern zu, aber nicht, ohne mir eines dieser langsamen Grinsen zu schenken, die mich nur noch mehr aufregten.
„Ich versteh dein Schweigegelübde, aber wenn du all die Beleidigungen auf deinen Lippen frei lässt, werde ich dich nicht verraten."
Lügner. Das würde ihm so gefallen.
Nur ein Wort und er wusste, wer ich war. Nur ein Wort und er würde mir den Schleier stehlen und das zerbrochene Schloss bereuen. Aber stattdessen lächelte ich und lief zu seinem Schreibtisch. Dort suchte mir ein leeres Papier und entkorkte sein Tintenfass.
Hinter mir drehte sich Constantin wieder um, sagte jedoch nichts, bis ich mit dem Zettel an ihn herantrat. „Covius?" Entspannt sah er vom Blatt hoch. Aus der Nähe wirkten seine Augen noch unterschiedlicher und ich erkannte die ersten Stoppeln seines Bartes unter seinen hohen Wangenknochen. Wenn er nur nicht so herablassend auf mich nieder starrte.
Meine Finger zuckten an meiner Seite, als wollten sie die Konturen seines Gesichts nachfahren. Ihn fragen, was er hier unten wirklich tat. Ob er mich vermisst hatte und auch die Tage hinunter zählte, bis alles zu spät war. Aber dieser Blick... erinnerte mich eher an das Nahkampftraining mit meinem Vater.
Entspannt zog ich eine Augenbraue hoch. Er hatte Jona nach dem Hauptmann der Palastwache gefragt. Das war Covius.
Er studierte mich so eingehend, dass ich langsam um den Schleier fürchtete. Doch dann sagte er: „Du kannst mir ein Treffen mit dem Hauptmann verschaffen? Wenn nicht einmal ein König zu dem Mann durchgelassen wird?"
Klar. Nach dem Zwischenfall mit meinem Trip hinunter in die Archive, hatte Anteaa sichergestellt, dass ich den Weg zu Covius sogar blind finden würde. Und ich kannte dank Caridad genug Männer in der Wache, um ihm ein Gespräch mit ihm zu verschaffen.
Constantin lachte auf. Ein ehrliches Lachen, das nichts an seiner Gefahr einbüßte, als er näher an mich herantrat und mein Leiden verdoppelte. Er war nicht viel größer als ich, aber wenn kaum noch eine ausgebreitete Hand zwischen uns passte, musste ich trotzdem nach oben schauen, um ihm in die Augen zu sehen. „Und ich gehe davon aus, dass dieser Gefallen zu einem Preis kommt?"
Seine Stimme fiel so tief, dass ich ihn kaum verstand.
Ohne meine Augen von seinen zu nehmen, drückte ich ihm Kinirs Brief vor die Brust. Wenn er dort hinging, würde ich ihn danach zu Covius mitnehmen. Und dann würden wir uns nie wiedersehen.
Wir waren einander nah genug, dass ich ihn riechen konnte und das kleinste Zeichen der Überraschung in seinen Augen sah, als er den Brief entgegennahm.
„Wirklich? Du hast keine eigenen Wünsche?", mit gerunzelter Stirn trat er von mir fort und beraubte mich seiner Körperwärme, „Ich bin ein König, weißt du? Ich habe Möglichkeiten." Er klang beleidigt.
Ich sah bedeutungsvoll zu der Krone, die er, wie immer, auf dem Schrank neben seinem Bett hatte liegen lassen. Ein toller König war er. Man sah es ihm nur nicht an.
Und er wusste sofort, was ich meinte. Mit einer Grimasse riss er den Brief auf.
„Dachte mir, dass dir das entgangen ist, so wie du hier reingekommen bist." Ungeduldig überflog er die Zeilen, mit jedem Herzschlag grimmiger auf das Papier starrend.
Schließlich bemerkte er, wie ich ihn beobachtete.
„Ich werde dich persönlich dafür verantwortlich machen, wenn sie mich über meinen Bruder ausfragt. Der würde dir auch gefallen, ihr könntet euch gegenseitig anschweigen."
Auch? Wie kam er darauf, dass er mir gefiel?
Ich fabrizierte ein säuerliches Lächeln und wandte mich zum Gehen, doch seine Hand auf meiner Schulter hielt mich zurück. „Nanana, so schnell kommst du mir nicht davon. Du darfst mich zu dem Treffen begleiten." Und damit stolzierte er an mir vorbei zur Tür.
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Montags-Update! Wie war euer Wochenende? :D
Heute auf dem Stundenplan: Philosophie!
Glaubt ihr, dass man sich immer wieder in die selben Personen verlieben würde, wenn man die Erinnerung an sie verloren hätte?
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