In der Höhle des Sekretärs
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12 Tage vor dem Geburtstag des Primus
„Du musst es ihm sagen." Verzweiflung mischte sich in Caridads lauter werdende Stimme. „Du weißt genau, warum er hier runterkommen würde und das ist bestimmt nicht, weil ein alter Archivar tot aufgefunden wurde."
„Und du weißt so gut wie ich, dass wir damit sein Leben in Gefahr bringen würden", hielt ich in demselben Tonfall dagegen. Der Primus war eindeutig gewesen. Wenn jemand Constantin und mich zusammen sehen würde, war das sein Ende. Das Spiegelkonstrukt besuchte mich in zu vielen Träumen, um dieses Risiko einzugehen.
Mit einem beinahe schon flehenden Blick wandte ich mich an Inspektor Hedox, „Der Prinz weiß irgendetwas über Sir Kenjis Sohn. Ich muss zurück und mit ihm sprechen."
Inspektor Hedox sah aus, als quälten ihn fürchterliche Kopfschmerzen. Mit Daumen und Zeigefinger massierte er den Punkt zwischen seinen Augenbrauen, den Ellenbogen auf den Knien aufgestützt. Er saß vor dem Schreibtisch, Zettel so weit ausgebreitet, dass einige zu Boden gefallen waren.
„Der Primus wird mir kaum Zugriff auf einen Prinzen gewähren", begann er langsam und entknotete die langen Beine. Der Blick, den er mir aus seinen grünen Augen gab, gefiel mir allerdings überhaupt nicht, „Verstehe ich das richtig, dass Constantin Hahlis in den Bereichen der Familie Vanna untergebracht wird?"
Ich verschränkte vorsichtshalber die Arme vor meinem Oberkörper. Mrs. Anteaa hatte es mir heute Morgen bei der Besprechung erzählt. Seine eingeheiratete Beziehung zu der Familie machte diesen Kompromiss ideal. Und ich hatte ihr nicht widersprechen können, weil Cladina die Ley-el kaum wissen konnte, dass Constantin lieber bei der Haushälterin unterm Tisch geschlafen hätte als bei seiner angeheirateten Familie.
„Mrs. Anteaa erwartet, dass ich mich um ihn kümmern werde, weil ich schließlich aus seinem Haushalt komme."
Caridad warf die Arme in die Luft.
„Er wird dich erkennen, Dinah. Und was dann? Hast du ernsthaft Angst, dass er dir die Ermittlungen verbieten wird?"
Ich warf ihm einen wenig freundlichen Blick zu. Wir beide wussten nur zu gut, dass Constantin sowas nicht tat. Er würde mir eher helfen.
„Ist dir bewusst, welche Entscheidung er treffen muss, sobald ich mich zu erkennen gebe?"
Caridad starrte mich ausdruckslos an und so fuhr ich fort.
„Entweder, er muss mich an den Inspektor hier ausliefern, weil ich strafrechtlich gesucht werde-..."
„Das wird er nicht tun."
Ich wischte seine Bemerkung aus dem Raum zwischen uns.
„Oder er gefährdet jeden auf Clevem, den Inspektor und sein eigenes Leben, sollte nur ein Krümel davon herauskommen, dass er sich offen dem Primus widersetzt. Und sag nicht, dass uns niemand erkennen wird, weil wir haben ein ganzes Buch voll anschaulicher Beschreibungen!" Dämliche Steinigel, alle miteinander. Wenn ich herausfinden würde, wer das geschrieben hatte...
Eine Pause folgte meinen Worten.
„Und es ist gar nicht so schlecht", meldete sich Kinir aus ihrer Zelle in die Stille hinein. Sie saß auf einer Bank, die Beine angewinkelt und das Buch in ihrem Schoß. Man hatte ihr die Tür offengelassen, solange der Inspektor im Büro war.
Als sie die unwilligen Blicke in ihre Richtung bemerkte, winkte sie einmal, ehe sie sich wieder ihrer Lektüre widmete.
„Du willst ihn doch sehen", sagte Caridad schließlich ruhiger. Es war keine Frage und ich antwortete ihm nicht.
Natürlich wollte ich ihn sehen. Ich wollte ihm den Kopf für sein schreckliches Timing waschen. Ich wollte ihn gleichzeitig darüber ausfragen, warum jemand wie Lana plötzlich für die Vannas arbeitete, und ihm alles erzählen, was bisher geschehen war. Aber nicht, wenn davon ein Volk in Gefahr gebracht werden würde. Mein Volk. Und er.
Hedox seufzte und erhob sich von seinem Stuhl.
„Wäre es in dem Fall nicht für alle besser, wenn er wieder aus der Stadt verschwinden würde?"
Zumindest in der Hinsicht waren Caridad und ich uns einig: „Nein."
Der Inspektor hob sofort die Hände, doch ich sah Caridads flüchtigen Seitenblick zu Kinir, den sie mit einem Lächeln erwiderte. Ihr Mann war auf dem Weg hierher und wir hofften sie zu befreien, bevor er von dieser fürchterlichen Affäre erfuhr.
Auch Hedox fing die non-verbale Kommunikation ab und sah zu mir. Er hatte meine Religion und Caridads Hochverrat zuzüglich Flucht nicht noch einmal erwähnt.
„Was Lady Minetels Fall anbelangt, haben wir im übrigen Fortschritte gemacht." Er fischte einen Zettel von seinem Schreibtisch, mit einer Präzision, die mich an Ordnung in dem Chaos glauben ließ.
„Ihr habt den Brief gefunden?", Kinir sprang von ihrer Pritsche und hastete zu der offenstehenden Tür. Vor ihrer Schwelle hielt sie jedoch inne und zögerte. Herauskommen durfte sie erst, wenn wir Beweise gegen ihre Verwicklung aufgedeckt hatten. Und etwas in dem Tonfall ließ uns alle zum Inspektor sehen.
„Jemand anderes hatte bereits in Ihrem Zimmer gesucht. Zu unserem Glück hat er Ihre Schatulle nicht ohne Schlüssel öffnen können und dann versucht, sie im Müll des Bediensteten-Hauses verschwinden zu lassen."
Ich schürzte die Lippen. Meine Doppelgängerin, keine Frage. Ohne den Brief hätte der Primus Kinir verurteilen können. Ohne Beweise hätte ihm keine Richterin widersprochen. Sein Geburtstag wäre wieder friedlich, sein bester Freund gerächt.
Doch zu ihrem Pech waren die Männer des Inspektors clever und aufmerksam.
Beinahe behutsam strich Hedox das Papier glatt und reichte es mir. Es sah aus wie-...
„Ein offizielles Schreiben von König Vanna?" Caridad hatte die Brille abgenommen und linste über meine Schulter. Im Gegensatz zu seinem Bruder war er ein beachtliches Stück größer als ich und musste sich herunterbeugen, um die feine, ordentliche Handschrift zu lesen.
Welches Interesse hatte der König von Piliee an der Entfernung eines unbedeutenden Adelsmannes? Einer ohne Anspruch auf den Thron, der nicht einmal mehr auf seiner Insel lebte?
Ich faltete den Brief wieder zusammen. Das machte noch weniger Sinn als meine Spur zu Sir Kenjis Sohn und dessen angedeutetem Geheimnis durch den Prinzen.
„Ich könnte den Sekretär von König Vanna fragen, ob er es für ein Original hält."
„Und was willst du tun, wenn du Constantin über den Weg läufst?" Caridad war beinahe schon aufwieglerisch gelaunt. So kannte ich ihn kaum.
„Nett winken", erwiderte ich sarkastisch, „Er wird mich niemals erkennen, wenn ich freundlich zu ihm bin."
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Ich traf statt Lana eine andere Magd aus dem Vanna Haushalt bei ihrem allmorgendlichen Gang, die Handtücher in den Bädern zu wechseln. Sie begleitete mich zu Jonas winzigem Zimmer, nicht weit der leeren Gemächer König Vannas entfernt. Und nicht zum ersten Mal fragte ich mich, welche Krankheit ihn auf seiner Insel hielt und was er mit den Vorkommnissen zu tun hatte.
Jonas Zimmer war mehr eine fensterlose Abstellkammer, in die ironischerweise nicht einmal ein Schreibtisch passte. Er war gerade dabei, sein Halstuch zu binden, als ich gegen den Rahmen der offenen Tür klopfte.
„Sag Mada, ich bin sofort draußen. Ich muss nur noch-..." Er knotete sich die Finger seiner linken Hand an den Hals.
Ein Lachen unterdrückend, kam ich zu ihm ins Zimmer und stoppte seine hampelnden Versuche, sich zu befreien. Nur wenige Griffe und das Tuch saß da, wo es hinsollte, doch Jona war bereits in Schweiß ausgebrochen. Dabei fiel mir eine goldene Kette auf, die er unter seinem Halstuch trug.
„Eine Glaubenskette. Ich trage De gerne bei mir", erklärte er mit einem schüchternen Lächeln, „Ähnlich wie deine, nicht wahr?"
Unbewusst fasste ich dorthin, wo der Verschluss meiner eigenen Kette zu sehen war. Ah ja. Das Geschenk meines Vaters. Die sollte ich besser verstecken.
Stattdessen nickte ich und reichte ihm seine Jacke.
‚Tatsächlich schickt mich nicht Mada, sondern der Inspektor', erklärte ich, kaum da er vollständig angezogen war.
Überrascht hoben sich seine Brauen und er sah hinter mich, als erwarte er den hochgewachsenen Mann auf dem Flur stehend. Sorge und Zerstreutheit, wechselten sich auf seinem Gesicht ab.
Ich schüttelte den Kopf und zog aus meiner Rocktasche den Brief, den Hedox mir mitgegeben hatte. Er warf nur einen kurzen wandernden Blick darauf, ehe er ein tiefes Seufzen entließ.
„Das müssten wir überprüfen können."
Ohne ein weiteres Wort ging er hinaus auf den Gang und vor die breite Flügeltür der königlichen Gemächer.
Einen Blick nach links und nach rechts werfend, stemmte er sich mit einer Schulter gegen die eine Tür und hebelte sie am Griff ein Stück nach oben.
Ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, schob sich das Schloss zurück und der Eingang wurde frei.
Zugegeben, das hatte ich dem schüchternen Sekretär nicht zugetraut. Aber er zog mich so schnell in das Innere des Raumes, dass ich das kaum zu ihm sagen konnte.
„Mada hat den Schlüssel am zweiten Tag verloren und der Nächste würde nur König Vanna ausgestellt. Lana hat mir gezeigt, wie sie hier reinkommt, damit ich meine Arbeit machen kann", entschuldigte er sich, „Wäre schön, wenn du das vor dem Primus nicht erwähnst? Unsere Haushälterin hat so schon genug Ärger."
Mit dem Brief in der Hand wanderte er zu einem ausladenden Schreibtisch, der im Zentrum des Foyers stand. Zweifelsohne sein eigentlich angedachter Arbeitsplatz.
‚Lana?', zeichnete ich verwirrt in die Luft.
Jona nickte. „Hat ein paar Monate in Keltar verbracht. Sagt, seitdem kommt sie ungesehen in jeden Raum hinein, wenn sie das will."
Das war... merkwürdig.
Ich nutzte den Moment, in dem er mehrere Schubladen öffnete, um mich in dem Zimmer umzusehen. Links befanden sich zwei Türen, die vermutlich zu einem ähnlich verschwenderischen Schlafzimmer und einem Bad führten. Das Foyer hatte eine hohe, wundervoll bemalte Decke und blank polierten Marmor, der sich auch in den massiven Säulen wiederfand.
„Ah ja, das dachte ich mir bereits", unterbrach Jona meine Beobachtung und winkte mich zu sich herüber in die Nähe eines der bodentiefen Fenster. Goldenes Morgenlicht filterte durch die Scheiben und erhellte seine braunen Haare bis zu einem rötlichen Ton.
„Es ist eine sehr gute Kopie. Siegel und Handschrift sind ähnlich. Anschreiben und Formalität stimmen ebenfalls. Aber am Ende eben nur eine Kopie. Siehst du den Schlenker bei jedem großen G?" Seine tintenbespritzten Finger wanderten über die Zeilen. Mit der anderen Hand deutete er auf ein Dokument, das er aus den Schubladen geholt hatte.
„Ich bin der offizielle Schreiber seiner Majestät und ich habe bei seiner Diktiergeschwindigkeit keine Zeit für Schlenker."
Er sah so zufrieden drein, dass ich ebenfalls lächeln musste. Leider gab mir das keine neuen Verdächtigen. Es sei denn...
‚Weißt du jemanden, der bei euch daheim Zugang zu den Dokumenten hätte, um so ein Schreiben effektiv zu fälschen?' Zufällig eine Frau, die genauso aussah wie ich ohne Schleier?
Jona verzog das Gesicht und wie zur Antwort öffnete sich hinter uns die Tür zu den Schlafgemächern des Königs. Mit einem hellen Schrei sprang der Sekretär über den Schreibtisch, blieb mit einem Fuß hängen und machte einen Kopfsprung gegen den Marmor.
Ich dagegen hatte mich instinktiv mit dem Papierbeschwerer bewaffnet, den ich über meinen Kopf hielt...
... erstarrt im Anblick einer verschlafenen und verstrubbelten Lana. Diese blinzelte mehrfach, ehe sie mich oder den leise stöhnenden Jona erkannte.
„Cladina?" Sie knifft die Augen zusammen und schlurfte näher, „Was macht ihr beide hier drinnen?" Ungemütlich zog sie eine silbrige Morgenrobe enger um ihre Taille.
Hatte sie... im Bett des Königs geschlafen? Vorsichtshalber versuchte ich, an ihr vorbei zu linsen, doch ich hörte keine zweite Person. Stattdessen erhaschte ich unter dem Morgenmantel einen Blick auf ihre tadellose Uniform. Das war noch merkwürdiger...
Lana winkte müde ab.
„Mach dir darum keine Gedanken. Das Bett muss ich ohnehin nochmal machen, falls unsere Majestät zu uns herunterkommt."
„Lana!" Der Verwurf sprang von Jonas Lippen, noch bevor er sich zurück auf die Füße gekämpft hatte, „Das ist respektlos."
Ich musste ein Lachen unterdrücken, so erbost kam er um den Schreibtisch herum. Er musste gerade was sagen. Er brach hier genauso ein. Auch wenn sie ihm gezeigt hatte wie.
Lana fühlte sich nicht sonderlich gescholten.
„Es ist respektlos, dass dieses wundervolle breite Bett unbenutzt dort steht, während ich mir mit drei anderen Mägden ein Zimmer teilen muss", mit dem Ärmel wischte sie sich über die braunen Reh-Augen, „Wenn du Überzeugung brauchst, darfst du gerne mit mir darin schlafen. Glaub mir, wir haben so viel Platz darin, es wäre nicht einmal unschicklich."
Es war beeindruckend, wie glatt sie für eine überraschte Person log.
Bei diesem Vorschlag lief Jona so rot an, dass Lana ihm im Vorbeischlendern einen Kuss auf die Wange drückte und geradewegs in das königliche Bad marschierte, den Morgenmantel wie eine Schleppe hinter sich herziehend.
Ich wandte mich an den überforderten Sekretär.
‚Müsste sie nicht schon längst Mada zur Hand gehen?'
Jona brauchte mehrere Anläufe, bis er auf meine Hände sah und dann noch länger, um mir zu antworten.
„Ach", seufzte er, „Mada bekommt für die erste Hälfte des Tages so viele unterschiedliche Anweisungen, dass alle Arbeit ohnehin umsonst ist." Vollkommen unnötigerweise zog er an seinem Halstuch und seufzte noch einmal. „Aber zumindest beantwortet das deine Frage. Im Palast läuft es nicht sonderlich anders. Jeder, der unserer Schrift mächtig ist, hätte in mein Büro laufen und den Brief verfassen können. Wahrscheinlich würden sogar genug solcher Schreiben herum liegen, um den Stil zu kopieren."
Ich kaute auf meiner Unterlippe. Das grenzte es auf die im palast-lebende Vanna-Familie ein. Gedankenverloren wanderte ich zu dem Schreibtisch zurück und griff den Brief. Das Schreiben darunter, das Jona mir als Vergleich gezeigt hatte, flatterte zu Boden und ich bückte mich danach.
Meine Finger stoppten, als ich den Kopf des Briefs sah. Meine Brauen verdichteten sich und ich hörte nicht, was Jona hinter mir sagte. Es war ein Testament. Unterschrieben vom König höchst persönlich.
Mit spitzen Fingern legte ich es zurück. Ich hatte von sowas nur von Constantins Senatoren gehört. Könige schrieben keine Testamente. Nicht, wenn sie Erben hatten. Nicht, wenn sie wegen einer einfachen Krankheit mit einigen Tagen Verspätung zu den Feierlichkeiten des Primus kommen würden.
War es möglich, dass Sir Kenji Teil des Testaments war?
Ich musste Hedox dringend danach fragen.
Jona begleitete mich zur Tür, mir gleich mehrere Versprechen abringend, dass ich Vorsicht walten lassen würde. Eine Person, die unschuldige Archivare ermordete und Briefe des Königs fälschte, wäre zu allem fähig. Ich versuchte, ihn so gut es geht zu beruhigen, die Tür bereits geöffnet und in meiner Hand.
„Und ich werde natürlich auch mit Lana über ihr... Verhalten sprechen", versicherte er mir und ich warf einen sehnsüchtigen Blick auf den verlassenen Gang.
Eine Gestalt in der Tracht der Palastdienerinnen lief vorbei, ein silbernes Tablett tragend. Rot-braune Haare zu einem Knoten gebunden, freie sommersprossige Arme, die ich definitiv verdeckt hätte. Sie drehte sich in unsere Richtung und...
Schnell schloss ich die Tür, nur um sie im nächsten Moment wieder aufzureißen und Jona effektiv das Word abzuschneiden.
Hatte sie ein rundes Narben-Tattoo auf ihrem Arm gehabt?
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"Drückt das Sternchen, wenn ihr auch lieber bei Mrs. Anteaa unterm Tisch schlafen würdet als bei den Vannas."- Constantin, kann überall schlafen.
So. Kranker König, jemand fälscht Briefe, Dinahs Doppelgängerin und ein 'Niemand' wird aus den Chroniken gelöscht. Wer von euch hat das Rätsel schon gelöst? :D
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