Ich bereue gar nic-... oh-oh.
➴♚➶
Er war zu intelligent für seine eigene Sicherheit. Das Dokument war gültig, weil niemand nachgelesen hatte, welche Namen er eingetragen hatte. Constantin Hahlis und Akemira Vanna. Ich hatte meine Unterschrift unter ihre Scheidung gesetzt.
Prompt kam ich wieder in Bewegung. Ich musste mit ihm reden, gleich nachdem ich mit Jochanan fertig war. Solche Spiele waren gefährlich und das wusste er! Er hatte einen direkten Befehl des Primus ignoriert und so hingedreht, dass er genau das Gegenteil getan hatte. Genau sowas hatte ich gemeint!
Warum freute ich mich dann so?
„Werden Sie mir helfen?", trippelte Akemira hinter mir her. Langsam erklärten sich mir ihre vielen Besuche in der Kapelle. Das Dokument war bindend. Sollte Constantin das durchziehen, würde sie ins Exil geschickt werden. Nicht nach Hause zu ihrem widerlichen Zwillingsbruder, sondern fort.
Ich erreichte Jochanans Zimmertür und drehte mich zu ihr um.
Ein langsames, deutliches Kopfschütteln versprach, sie wegzuschicken, doch ich wurde enttäuscht.
„Bitte! Ich weiß nicht, wen ich sonst fragen soll!"
Jeden anderen, nur nicht mich. Du hast mich einmal aus Eifersucht in eine Zelle geworfen.
Demonstrativ klopfte ich an die Zimmertür. Audienz beendet. Verschwi-...
Ich hatte angenommen, ich hätte an dem Abend mein Maß an Überraschungen ausgeschöpft. So dachte ich mir nichts dabei, als schnelle Schritte hinter der Tür erklangen. Aber ich änderte meine Meinung, als sie mit so einer Wucht aufgestoßen wurde, dass mich ihr massives Holz quer am Kopf traf.
Ein weiterer Grund, dankbar für starke Verschleierung zu sein: Sie dämpfte grobe Attacken ab. Leider schützte sie nicht vor Gleichgewichtsverlust. Weshalb ich- während Akemira die Inseln über uns wach schrie- rückwärts zu Boden ging.
Eine dunkel gekleidete Figur hechtete über mich drüber. Ihr Mantel streifte meine Wange. Sie sprintete auf das Ende des Ganges zu, in die Schatten der Sturmnacht.
Ich kam wieder auf die Beine und setzte zur Verfolgung an, doch...
Akemira Vanna hielt mich am Oberarm zurück, einen zitternden Finger in das Zimmer deutend.
„Er hat ihn erstochen!"
Jochanan Kenji lag in seinem eigenen Blut vor dem Bett, angeschienen durch das silberne Licht des Mondes. Doch sein Brustkorb bewegte sich.
Ich hatte keine Zeit für aufwendige Zeichen. Sollte Akemira meine Stimme erkennen, würde Constantin sich um sie kümmern. Grob packte ich sie an den Schultern, damit sie mich ansehen musste.
„Hilf ihm! Nimm Stoff und press ihn auf die Wunde."
Ich wartete nicht darauf, ob sie verstand. Hastig wollte ich um sie herum, doch-...
Sie hielt mich wieder fest. Und zwar stärker als ich ihr zugetraut hätte. Dumme, nutzlose Tränen standen ihr in den Augen.
„Du kannst nicht weglaufen! Ich will das Blut nicht anfassen."
Nein, nein, NEIN.
„Ich könnte den Täter erwi-..."
„Bitte." Ihre Finger bohrten sich in meinen Oberarm und ich sah zu Jochanan.
Sie war sowas von nutzlos!
„Geh Hilfe holen", fauchte ich sie an, überrascht dass ihr Geschrei noch nicht jeden aus dem Bett geholt hatte. Voll Selbsthass gab ich die Verfolgung des Täters auf und beeilte mich zu Jochanan zu kommen.
Er hatte eine Bauchwunde, die er schwach umklammert hielt. Seine Augen waren halb geschlossen und seine Haut aschfahl. Aber er atmete. Rau und langsam.
Ich zog an einem Ende seiner dünnen Bettdecke und presste es auf die Wunde. Dann kam mir der Gedanke, dass sie nicht die Einzige sein könne, und schob das Hemd hoch, das er zur Nacht getragen hatte.
Soweit ich sah, war er ansonsten unverletzt. Wieder keine Abwehrspuren. Hatte er seinen Angreifer gekannt? Doch meine Finger stießen auf etwas anderes. Ein Bündel Narben, kurz oberhalb seiner linken Hüfte. Sie formten ein Symbol, das ich schon einmal gesehen hatte.
Das Zeichen einer verbotenen Gilde.
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Ich vergaß, wie lange ich neben Jochanan Kenji saß, bis der erste Medikus kam. Und dann noch einer. Und dann noch einer. Sie füllten das Zimmer und drängten mich hinaus. Der ganze Flur war voll von Vannas und Bediensteten, die alle mit Horror auf die offene Zimmertür starrten.
‚Haben die Wachen den Täter abgefangen?', hatte ich Mada gefragt, die mit Jona zusammen nahe der Treppe stand. Beide schüttelten den Kopf.
Im Licht des nächsten Morgens war klar, dass Akemira und ich durch unsere nächtlichen Eskapaden dem charmanten Senator das Leben gerettet hatten. Auch, wenn der Primus das Attentat als Missverständnis bezeichnete und um Ruhe bat. Und auch, wenn Lady Vanna das meiste Lob für ihren Einsatz bekam.
Ich war wütend auf sie und auf mich. Ich hätte den Täter schnappen können, wenn ich sie ignoriert hätte. Und so fand ich mich vormittags in der Kapelle wieder. Nicht, um De um Verzeihung zu bitten, sondern längst überfällige Antworten von jemand anderem einzufordern.
Ich wartete auf der zweiten Bank, bis die Diener Des sich zum Frühstück verabschiedeten. Und kaum da die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, tauchte meine Doppelgängerin vor dem Altar auf.
Es war das erste Mal, dass ich einen guten Blick auf sie bekam. Der Sturm der Nacht hatte sämtliche Wolken vertrieben und warmes Licht suchte sich seinen Weg durch die bunten Scheiben. Ich stand auf und kam näher, mit jedem Schritt mehr Unterschiede zwischen uns findend.
Als uns nur noch wenige Längen trennten, blieb ich stehen. Blut hatte Flecken auf meinem Kleid hinterlassen, aber ich hatte nicht die Zeit gefunden, mich umzuziehen. Ich war erschöpfter denn je und meine Muskeln schmerzten. Kein sonderlich bedrohlicher Anblick, aber das brauchte ich auch nicht mehr. Lächerlich, was ich mir bei unserem letzten Treffen eingebildet hatte.
„Ich weiß, wer du bist", sagte ich schließlich.
Der Geist eines Lächelns fand seinen Weg auf ihre Lippen und sie kam zwei Stufen zu mir herunter.
Im Gegensatz zu mir waren ihre Augen grün, ihre Haare weniger rötlich. Aber sie hatte dieselbe Unmenge an Sommersprossen, die sich bewegten, als sie sprach.
„Du bist groß geworden."
Zu meiner eigenen Überraschung war ich nicht wütend auf sie. Vielleicht war ich jetzt gerade zu müde davor. Aber ich war auch davor nie wütend gewesen. Mein Vater hatte mich besseres gelehrt.
„Siebzehn Jahre mussten irgendwie genutzt werden, Mutter."
Oh, das klang falsch.
Bei der familiären Ansprache zog sie die Nase kraus. Sicherlich kein Titel, den sie häufig zu hören bekam. Und auch keiner, den sie verdient hatte. Aber unsere Verwandtschaft ließ sich nicht abstreiten. Sie hatte sich jung gehalten. Nur achtzehn Jahre älter als ich, wäre sie ohne Probleme als meine Schwester durchgegangen. Ich hätte gerne Erinnerungen an sie aus meiner Kindheit als Vergleich gehabt, doch da waren keine.
Sie machte keine Anstalten mich in den Arm zu nehmen oder sonst irgendwie zu berühren. Aber ihre Augen glühten vor Wärme und so etwas wie Stolz.
„Du siehst aus wie dein Vater", brachte sie hervor.
Meine Müdigkeit erlaubte mir, zu Schnauben. Gute Erziehung war für bessere Tage. Und ich bezweifelte, dass ich noch viele von denen vor mir hatte.
„Ich sehe aus wie du, abzüglich der netten Narbe, die du da hast", ich deutete auf ihren Arm, „Willst du mir erklären, warum unser Opfer dieselbe trägt?"
Mit einem stillen, wenn auch traurigeren Lächeln ließ sie sich auf die Altartreppe nieder und klopfte neben sich. Als ich endlich saß- mit Abstand aber dankbar, dass ich nicht länger stehen musste- erklärte sie: „Jochanan Kenji ist Teil derselben Organisation wie ich."
Kopfschmerzen breiteten sich hinter meiner Stirn aus, doch ich versuchte, ihr zu folgen.
„Du meinst, er ist ein Auftragsmörder?" Es war der Grund, warum meine Mutter meinen Vater und mich damals verlassen hatte. Ein neuer Auftrag, von dem sie nie zurückgekommen war. Bis mein Vater sie irgendwann für tot erklärt hatte. Und ich hatte die Lüge übernommen.
Dass ich so eindeutig Bescheid wusste, ließ sie die Brauen zusammenschieben und für den Moment hoffte ich, dass ich nicht genauso aussah, wenn ich das tat.
„Er hatte eine andere Rolle", sie war ruhig und gefasst, „Du warst auch Teil dieser Organisation, wenn Dara Sarei nicht so ein alter Narr gewesen wäre."
Neben meinen Kopfschmerzen entzündete sich ein Licht. Deshalb hatte ich das Symbol vorher erkannt. Dara Sarei hatte es in den Katakomben aufgemalt. Jochanan war ein beliebter Senator auf Janar. Er hatte Einfluss...
„Er ist wie ich..."
„Ja", bestätigte meine Mutter sanft, „Wir platzieren Ke-enen in wichtigen Rollen überall auf den Inseln. Gute Menschen, die beliebt bei ihrem Volk sind."
Ein bitterer Geschmack schlich sich auf meine Zunge.
„Damit ihr irgendwann die Macht übernehmt?" Dara Sarei hatte das gewollt, mehr als er seine Familie geliebt hatte. Ich wusste nicht, wo er jetzt war, doch die Vorstellung jemandem wie ihm wieder gegenüber zu treten, erfüllte mich mit müdem Ärger.
„Damit es für den Primus schwierig wird, sie verschwinden zu lassen", korrigierte sie mich sanft, „Wir sind keine Fanatiker, Dinah. Ich hoffe, dein Vater hat dich nicht dazu erzogen. Wir wollen keine Inseln übernehmen und Andersgläubige ausrotten. Wir wollen befreien, damit Hochzeiten wie deine und Constantins halten, ohne dass irgendeiner fürchten muss im freien Fall zu enden."
Sie sprach nicht nur von Königen und Königinnen. Aber wenn meine Ehe gehalten hätte, hätte jeder Ke-ene in Clevem ein Stück Freiheit zurückbekommen. Sie hätten offen mit mir sprechen können. Hätten nicht den ungerechten Hass der Religionen erdulden müssen.
Aber ich hatte sie enttäuscht. Ich hatte Dara Sarei und jeden Ke-enen, den ich kannte aufgefordert die Insel zu verlassen, aus ihren Häusern vertrieben, weil ich selbst nicht bleiben konnte.
Mein Kopf fiel in die ausgestreckten Hände und ich vergrub mich in ihnen. Jochanan war Ke-ene und gestern Nacht hatte jemand versucht ihn dafür umzubringen.
„Du hast bei unserem letzten Treffen gesagt, du wolltest die Dokumente zurücklegen? Wie wusstest du davon?", nuschelte ich durch die Hände hindurch.
Sanft berührte sie mich an der Schulter, bis ich wieder zu ihr aufsah. Sie hatte ein nettes Gesicht, warm und gütig. Definitiv freundlicher, als meines.
„Das gestern war nicht das erste Attentat auf Jochanan. Noch vor dem Wintereinbruch hatten wir eines abgefangen, als er nach einem Besuch aus Piliee zurückkehrte."
„Davon hat er nichts gesagt."
„Ich denke, er wird es nicht mitbekommen haben."
Ich runzelte die Stirn.
„Wie oft habt ihr Anschläge auf mich-..."
„Willst du das wirklich wissen?" Ihr kleines Grinsen sagte eindeutig ‚nein' und ich schloss mich dem an.
Geduldig kehrte sie zu ihrer Erklärung zurück.
„Wir vermuteten, dass seine Religion entdeckt worden war", sie machte eine kurze Pause, „Früher war es deutlich verbreiteter Ke-enen aus dem Familienstammbaum zu streichen, wenn sie gefunden wurden. Also reiste ich nach Piliee, um das Archiv zu kontrollieren. Und unsere Befürchtungen wurden bestätigt."
„Habt ihr einen Verdacht, wer hinter dem ersten Attentat und den Änderungen in den Archiven steckt?"
Meine Doppelgängerin schüttelte den Kopf.
„Wir hätten die Person ausgeschaltet. Das war mein Auftrag. Aber bisher hatte sich noch nie jemand die Mühe gemacht, die primalen Archive ebenfalls zu ändern. Ich erfuhr erst davon, als der Archivar tot war."
Wir verfielen beide in Schweigen, jede ihren eigenen Gedanken nachhängend. Ich hatte mir in meiner Zeit in der Mädchenschule, mehrfach ausgemalt, wie es sein würde, wenn meine Mutter am Leben wäre und für mich zurückkommen würde. Hierauf war ich nicht gekommen. Falls doch, würde ich sofort zu einer Religion konvertieren, egal welcher.
Was den Fall anging, musste ich zumindest nicht mehr Jochanan nach seinem Geheimnis fragen.
Ke-ene. Kein Wunder, dass die Mädchen es mir gegenüber nicht einmal erwähnt hatten. Und er war ein Vanna, was bedeutete, dass bei König Vannas Tod...
Ich tauchte wieder aus meinen Händen auf.
„Würde ein Testament den zusätzlichen Aufwand erklären?" Ein Testament, das bestätigte, dass das Vermögen in der Familie blieb. In der ganzen Familie. Auch bei den Ungläubigen. Niemand hätte gerichtlich anzweifeln können, dass König Vanna seinem Lieblings...neffen(?) einen Teil zusprach.
Meine Mutter wog nachdenklich den Kopf von links nach rechts.
„Möglich. Aber es zieht viel Aufmerksamkeit auf etwas, was sonst nur ein symbolischer Schritt war und geheim gehalten werden sollte."
Natürlich. Erfuhr der Primus von einem Ke-enen im Palast, hatte man gute Chancen, dass die Insel aus dem Himmel geholt werden würde. Da durfte sich jeder sicher sein, seit Constantin und meinem Debakel.
„Ich denke, unser Täter hatte mit der Reise nach Imperia einfach die Gelegenheit."
Und ich wusste auch, wer aus der Vanna Familie von Jochanans Geheimnis wusste und Ke-enen genug hasste, um so etwas durchzuziehen.
Mit einem Ruck stand ich. Ich musste mit Hedox sprechen. Sofort.
Meine Mutter erhob sich ebenfalls.
„Dinah...", sie zögerte, doch schließlich gab sie sich einen Ruck, „Es war gut, dich zu sehen."
Und etwas in mir regte sich. Eine Angst, die ich schon viel zu lange mit mir herumtrug und die langsam von innen an mir nagte. Vielleicht sah ich ihr nicht einfach nur ähnlich.
„Bereust du manchmal, dass du damals den Auftrag angenommen hast?" Dass du zu ihnen zurückgekehrt bist und deine Familie verlassen hast? Mann und Kind?
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort, doch dieses Mal gab es dort kein Zögern. Kein Zeichen von Unsicherheit. „Meine Leute brauchten mich." Die Muskeln unter ihrer Kleidung dehnten und streckten sich. Das hier war ihr Leben. Ihre Berufung. Und ich konnte es ihr nicht übelnehmen, dass sie als Mutter nicht glücklich gewesen wäre. Ich wünschte nur, sie hätte sich das überlegt, bevor ich geboren worden war.
Und dann sah ich es doch. Das Flackern in ihren grünen Augen. Sie drängte es zurück mit der Entschlossenheit, mit der ich Constantin aus meinen Gedanken verbannte. Aber das hieß nicht, dass es nicht da war. Und meine Sorge kehrte mit voller Wucht zurück: Was, wenn ich in zwanzig Jahren meine Entscheidung bereuen würde?
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Wir nähern uns dem Ende :D
Wisst ihr, wen Dinah im Verdacht hat, einen Mord zu begehen, nur um keinen Ke-enen im Testament zu haben? :D
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