Dein Plan hat Lücken
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20 Tage vor dem Geburtstag des Primus
Ich wurde noch am Abend dieses Tages erwartet. Der Vermittler hatte nicht in seiner Ausführung der Hilfebedürftigkeit übertrieben. Er war außerdem so nett gewesen, mir den Weg zur Bedienstetentür zu beschreiben, vor der ich knapp 4 Stunden später stand. Ich hatte die Zeit bis dahin genutzt, mir eine passende Garderobe zuzulegen, mit dem kleinen Geld, das ich Constantin geklaut hatte. Gutaussehend war dabei zweitrangig.
Der Hintereingang war so groß wie das südliche Haupttor des clevischen Palasts. Mit einem Wasserlauf, der darüber führte und zwei Soldaten, die mich unter ihren Helmen kritisch musterten. Ungemütlich zupfte ich an meinem Kleid, dessen dünner Stoff in jedem noch so kleinen Windstoß flatterte.
Es ging mir insgesamt bis zu den Knöcheln und war vorne mittig gerafft. Man sah Teile von meinem Schienbein, dessen Haut nie sonderlich viel Sonne abbekommen hatte und trotzdem mit Sommersprossen glänzte. Allein den Schleier fand ich klasse. Er wandte sich über meinen Kopf und direkt unter meinen Augen entlang, sodass keiner die Grimassen sah, die ich darunter zog, während wir alle auf das Dienstmädchen warteten, das mit meinem Empfehlungsschreiben zur Haushälterin geeilt war.
Als sie zurückkam, sprang ich vor Unruhe hinter ihr her durch das Tor. In hastigen Schritten führte sie mich quer über einen Rasenplatz, den gewundenen Pfad zum Haus und den schimpfenden Gärtner auf seiner Leiter ignorierend. Außer ihm trafen wir niemanden.
Das Haupthaus breitete sich neben uns aus mit riesigen Säulen und wunderschönen Malereien im Giebel, die jeweils eine Szene aus Des Schriften darstellten. Ich hatte lange genug Zeit in meinem eigenen Palast verbracht, dass ich die eine oder andere sogar erkannte.
Doch das Mädchen steuerte mich fort von dem prachtvollen Anblick, der mich anzog, wie eine Motte. Sie sagte kein Wort und ich erinnerte mich daran, dass man von mir fortan ähnliches erwarten würde. Vielleicht war es noch nicht zu spät, zu meiner guten Erziehung zurückzukommen?
Vor dem Bedienstetenhaus, ein eigener Flügel an der Rückseite des Palasts, befand sich eine winzige Auffahrt für Kutschen mit einem trocken gelegten Brunnen. Der Grandeur des Palasts war hier kleiner gehalten und insgesamt von Efeu überwuchert worden. Wenn ich nur ein bisschen schielte, konnte ich mir einbilden, es wären die Schlingpflanzen meiner Insel.
Doch kaum da wir das Gebäude betraten, verflogen sämtliche Ähnlichkeiten. Ein aufwendiges Muster, mit dem die hohen Wände bemalt worden waren, stritt mit den bunten Fliesen darunter. Die Decke war rund und mit mehreren Bögen verziert, die ebenfalls mit Ringen oder Stuck dekoriert waren, was zu einem schwindelerregenden Bild führte.
Ziemlich sicher, dass ich mich übergeben würde, wenn wir hier zu schnell durch hasteten.
„Man gewöhnt sich daran", riss mich eine Stimme aus einem der abzweigenden Gänge aus den Beobachtungen. Sie gehörte zu einer kräftigen Dame und ähnlich dünnschichtigen Kleidern wie meinen. Niemand in Clevem würde so freizügig herumlaufen, schon allein wegen der Sonne. Die schimmernden Stoffe waren lediglich wegen ihrer Menge nicht durchsichtig und oft von einer Halskette oder einer Brosche an der Schulter gehalten.
Die Frau wartete auf mich, die Arme vor ihrem Oberkörper verschränkt und mein Empfehlungsschreiben zwischen den Fingern.
Als unsere Blicke sich trafen, schenkte sie mir ein grimmiges, wenn auch ehrliches Lächeln, das mich an die Kameradschaft unter Soldaten erinnerte, wenn sie gemeinsam auf eine fremde Insel versetzt wurden. „Mein Name ist Mrs. Anteaa. Und du musst Cladina sein?"
Ich nickte, knickste und trat näher, während das Mädchen neben mir schnell in einen anderen Gang huschte.
„Fidei Defensor Gratia hat also doch noch eine gefunden. Aus Clevem kommst du? Ich wusste gar nicht, dass König Constantin Ley-el in seinem Palast beherbergt."
Mrs. Anteaa reichte mir meine Papiere und bedeutete mir zu folgen. „Ich zeige dir erst deine Räumlichkeiten, damit du das Gepäck ablegen kannst, und dann den Rest des Hauses."
Die Erwähnung von Constantins Namen sandte mir einen Schauder über den Rücken. Sollte jemand bei ihm nachfragen, würde ich rennen müssen. Und zwar vor ihm.
„Ich hoffe, du bist der Aufgabe gewachsen. Das hier ist ein größerer Palast als in Clevem. Und wir haben Gäste", informierte mich Mrs. Anteaa, während sie den Gang hinunter marschierte. Ihre dunkelbraunen Haare waren von grauen Strähnen durchwirkt und streng geflochten. „Dein Tagesablauf ist simpel. Du bringst den Leuten morgens ihr Frühstück ans Bett und leistest ihnen falls gewünscht Gesellschaft. Danach bist du bis zum Mittagsessen auf Abruf. Wollen die Damen angekleidet werden, wirst du damit helfen. Wünscht jemand, dass du eine Nachricht überbringst, werden dich die anderen Diener zu den Räumlichkeiten leiten. Während die Herren und Damen ihr Mittagsmahl in der Halle einnehmen, darfst du hinunter zu den Bedienstetenquartieren und dir dort ebenfalls eine Mahlzeit holen. Nach der Mittagsruhe wirst du wieder bei ihnen vorstellig. Niemand darf sich aussuchen, wen er bedient, ihr werdet zugeordnet, ist das klar?"
Die flachen Sandalensohlen der Haushälterin klatschten auf den Boden und erzeugen mit der hohen Decke einen hallenden Rhythmus. Nach einer kurzen Ewigkeit erreichten wir eine Treppe, die hinauf zu einer offenen Galerie führte.
Ich wollte stehenbleiben und mich umsehen, die Bilder von De an den Wänden betrachten oder die aufwendigen Kronleuchter. Doch ich hatte die Haushälterin in ihrer Mittagspause gestört und anscheinend war sie gewillt mit mir kurzen Prozess zu machen.
Vogelgesang war alles, was uns hier oben folgte, ehe sie mir eine weitere Tür öffnete und mich hindurch schob. „Die Ley-el schlafen auf diesem Stockwerk", deutete sie zu einer Reihe Türen auf der linken Seite, „Genau wie die Zofen." Das waren die Türen auf der Rechten. Sie lief zur Siebten und öffnete sie mit einem Schlüssel ihres Bunds. „Selbstverständlich ist kein Männerbesuch erlaubt. Auch niemand von den Gästen des Primus."
Das Zimmer, das sie mir zuwies, war klein und beinahe leer. Ein winziges Bett neben einem Schrank und einem Schreibtisch für Korrespondenz. Aber es hatte ein Fenster hinaus auf die Stadt und ich musste es mir nicht teilen.
„Die Zimmermädchen, Küchen- und Dienstmägde schlafen im dritten Stock; die Diener, Gärtner und Pagen im vierten und die Soldaten und Stalljungen in den Baracken im Ostgebäude", fuhr Mrs. Anteaa fort, während sie einen Schlüssel von ihrem Bund löste und mir reichte.
Ich hatte gerade mein Bündel auf dem Bett abgelegt, als ein Gong meine Zähne erschütterte. Die Haushälterin unterdrückte ein Fluchen und für einen Moment sah sie unsicher aus, was jetzt zu tun sei. Doch ein langer Blick zu mir erübrigte das Problem. „Du siehst passable genug für den Moment aus- Aber die Sommersprossen wirst du abwaschen. Es ist mir egal, ob dieses dämliche Buch und jede junge Dame unter Des Sonne sie für romantisch hält oder nicht- der Primus ist kein Anhänger und wir befinden uns in seinem Haus."
Ein zweiter Gong ertönte und ihre Miene verfinsterte sich weiter. Allerdings nicht so sehr, wie im nächsten Moment, als sich hinter ihr meine Tür öffnete und junger Mann hereingestolpert kam.
Er war schmal, definitiv verwirrt, mit wild abstehenden mausbraunen Haaren und Tintenflecken auf seinem sonst weißen Ärmel. Als sein Blick auf uns fiel, versuchte er hastig, Haltung anzunehmen. „Oh... De verzeih's, ich suche-..."
„Eine Ley-el?", unterbrach ihn Mrs. Anteaa kühl, die Brauen so weit hochgezogen, dass sie in ihrem zweifarbigen Haaransatz verschwanden.
Der junge Mann lief hochrot an. Sein Blick fiel auf seine Füße, die in löchrigen, einst sehr soliden Schuhen steckte. „Äh, nein. Mein Zimmer", gab er schwach an.
Haltung und Tonfall der Haushälterin veränderten sich prompt. Sie schnellte in eine aufrechtere Position, die er eben selbst erstrebt und verfehlt hatte. „Sie sind Gast hier?"
Zugegeben, ich verstand ihren Schock. Er sah in keiner Weise hochgeboren aus, auch wenn seine Kleidung fein und ordentlich war. Abgewetzt und viel getragen.
Hektisch schüttelte er den Kopf und warf nervöse Blicke auf die offene Tür hinter sich, als überlege er, die Flucht zu ergreifen. „Äh... nicht direkt. Also ja. Ich bin Angestellter von seiner Majestät-..."
„Sie sind privates Personal." Mrs. Anteaa atmete sichtbar aus und ihre Schultern sanken zu ihrer ursprünglichen Haltung zurück.
„Richtig. Richtig. Ma'am", nickte er eifrig, ein freundliches Lächeln in meine Richtung werfend.
Just in diesem Moment wurde die Tür in seinem Rücken noch weiter aufgestoßen und verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Ihr folgte eine junge Frau in Dienstkleidung. „Jona? Jo- Oh, da bist du ja. Das hier sind aber nicht-...", sie stockte, als ihr Blick auf uns fiel. Zwei Narben kreuzten sich auf ihrem Gesicht, als hätte jemand versucht, es in vier Teile zu teilen. Genau zwischen ihren braunen Augen trafen sich die unebenen, gezackten Linien und es musste ein Wunder gebraucht haben, dass sie weder ihre Augen noch Nase oder Mund in Mitleidenschaft gezogen hatte.
„Nein. Sind sie nicht", beantwortete Mrs. Anteaa ihren angefangenen Satz eisig, die Hände in die massigen Hüften gestemmt. Auffordernd sah sie von dem jungen Mann zu dem braunhaarigen Mädchen.
Doch diese war nicht halb so verschüchtert, wie ihr Freund. „Vielmalige Verzeihung. Wir sind gestern erst angekommen und viele der Gänge sehen so gleich aus", grinste sie und, als sie meinen neugierigen Blick auf ihrem Gesicht bemerkte, winkte mir freundlich zu.
Mrs. Anteaa warf mir einen kritischen Ausdruck zu, als hätte sie erkannt, wer ich wirklich war, wandte sich dann jedoch den zwei verirrten Bediensteten zu. Ihre Geduld war am Ende, aber sie kratzte einen letzten Krümel für den Charme der beiden zusammen. „Aus welchem Haushalt stammen Sie?"
„Aus dem Königshaus Vanna. Aus Piliee, Ma'am", stotterte der junge Mann, die grauen Augen wieder auf seine Füße gerichtet.
Ich wurde unruhig. Sie waren bereits hier?
Mrs. Anteaa murmelt etwas davon, dass man merke, dass keine Frau mehr in diesem Palast für Ordnung sorge. Doch dann richtete sie sich auf wie ein Feldwebel vor der Schlacht und schritt an den beiden vorbei zur Tür. „Bitte, folgen Sie mir. Cladina, du kannst ebenfalls mitkommen und dich mit deiner Umgebung besser vertraut machen." Sie machte eine ruppige Handbewegung und wir drei setzten uns in Bewegung. Auf dem Flur wandte sie sich wieder an Jona, „Haben Sie inzwischen irgendwelche Informationen, ob ihr Hausherr und ebenfalls noch beehrend wird?"
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Ich verbrachte den letzten Rest des Tages, mich mit meiner neuen Umgebung vertraut zu machen. In diesem Zug lernte ich eine erstaunliche Menge an Dienstmädchen, Dienern, Pagen und Wachen kennen, die ich mit Händen und Füße nach dem Weg zurückfragen musste. Dabei stellte ich fest, dass Constantin von hier seine Inspiration für Caridads Zeichensprache genommen hatte.
Aber als der Palastgong die Abendruhe ausrief und Mrs. Anteaa mich zurück auf mein Zimmer schickte, war ich mir leider nicht zu sicher, wie ich zu den Baracken der Wachen kommen würde. Zeit war ein wichtiger Faktor. Wenn die Vannas hier waren, war meine Doppelgängerin vielleicht auch da. Ich konnte nur hoffen, dass ich Caridad bei den anderen Soldaten antraf und wir von dort aus weitere Pläne machten. Schließlich hatte er mehr Erfahrung darin, einen Palast zu infiltrieren, als ich.
Der Mond erhob sich hinter den Dächern der Stadt und warf sein blasses Licht durch die Fenster, als ich meine Schlafzimmertür wieder öffnete und mich hinaus auf den Gang stahl. Er lag friedlich und verlassen vor mir, sein gemusterter Boden blank poliert.
Leider musste ich Jona und dem Dienstmädchen recht geben: Vieles sah gleich im Bedienstetenhaus aus. Schön, sommerlich und ordentlich- aber gleich.
Ich nahm einen tiefen Zug der milden Luft und setzte mich in Bewegung. Die Sandalen, Teil meiner neuen Uniform, trug ich in den Händen, sonst hätte ich sofort den ganzen Palast geweckt. Mein Ziel war der westliche Eingang des Hauses, der hinaus in den Garten des Primus führte. Dazu musste ich in das schmale Treppenhaus, hinunter bis ins Erdgeschoss, dort ungesehen zwei Flure durchqueren und-...
Im Foyer stand eine Wache. Ein Mann, der neben der Tür an der Wand lehnte und in einem kleinen Buch las. Er würde mich sicherlich nicht bemerken, wenn ich nicht ausgerechnet durch seine Tür hinausgewollt hätte. Mehrere Ausreden flatterten durch meinen Kopf, warum ich mitten in der Nacht das Haus verlassen wolle, doch ich verwarf sie alle prompt wieder.
Es gab nur eine Möglichkeit. Und ich konnte mir zu gut das Lachen von Constantin vorstellen, als ich meinen ersten Schritt aus der Sicherheit des Flurs ins Foyer tat. Ich kam bis zur Tür- öffnete sie sogar.
Doch das leiseste Klicken riss den Wachmann aus seiner Lektüre wie einen schlafenden Hund. Er war jung und definitiv zu langsam, als ich schnell die verzierte rote Türe aufriss und hinausschlüpfte. „Ma'am! Halt!", eilte er mir hinterher, sein Helm verrutscht und die Lanze verkehrt herum, die er vorhin neben sich an die Wand gelehnt hatte. „Halten Sie an, oder ich muss Sie festnehmen!"
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"Drückt die Sternchen, damit die armen Soldaten nachts mehr Licht haben, um ihre verlorenen Ley-el wiederzufinden." - unbekannter Soldat
Extra langes Kapitel. Manchmal, wenn man sich schlecht fühlt, muss man für andere etwas Gutes tun <3
Ich weiß, ihr seid immer lieb, aber heute habt extra Geduld mit mir. Wir haben den besten Goldie der Welt eingeschläfert.
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