Am Ende
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Meine Welt blieb stehen. Ich wollte zu ihm, aber die Zeit war zu zäh, um sich zu bewegen.
Das gefiederte Ende des Pfeils ragte fremd zwischen seinen Rippen hervor. Als könne er unmöglich wirklich dort drinnen stecken. Als wäre all das ein Fehler. Ein schreckliches Missverständnis mit dem Universum.
Aber dann ging Constantin in die Knie und mir blieb gerade noch Zeit genug, um zu ihm zu stürzen. Im Versuch, ihn aufrecht zu halten, streiften meine Hände seinen blutfeuchten Rücken. Er zitterte. So heftig, dass ich kaum Kontrolle über meine Finger behielt. Ein unverständlicher Strom an Worten verließ meine Lippen.
Er sackte gegen mich. Caridad gab ein unbeherrschtes Geräusch von sich, das mich mehr an seine Hunde erinnerte, und Hedox begann, sich gegen die Soldaten zu wehren.
Dara Sarei eilte neben mich, während Hauptmann Covius sein Schwert zückte und sich hektisch umsah. Der zweite Pfeil traf König Rosem direkt durch den Hals. Sein Aufprall ging mir durch jeden Knochen. Rötlicher Schaum sammelte sich auf seinen Lippen, die Finger nach dem Hauptmann ausgestreckt.
„Das sollte die Frage der Rebellion beantwortet haben", erklang die Stimme des Primus, für mich eine Ewigkeit entfernt, „Dachtet ihr, dass ihr mich in meinem eigenen Heim entthronen würdet?"
Die Enttäuschung in seiner Stimme ließ mich Constantins Hemd fester umklammern.
Blut. Da war so viel Blut. Und Tränen.
Der dritte Pfeil streckte König Vanna nieder. Er knickte unter den hellen Schreien der Gäste ein, aufgefangen durch seinen Diener. Die Leute versuchten, zu fliehen, doch da war kein Platz.
„Dinah", Constantins Stimme war rau wie die seines Bruders. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, verzweifelt bemüht, meinen Blick aufzufangen, „Du musst..." Er brachte den Satz nicht zu Ende. Sein Atem war zu flach. Zu schnell und gleichzeitig nicht effektiv.
Bitte nicht. Bitte, bitte nicht.
Wieder das Geräusch von reißender Luft. Dara Sarei, der über mir gelehnt hatte, packte seinen Arm, aus dem plötzlich Blut schoss. Fluchend wandte er sich ab.
Constantin öffnete noch einmal den Mund, doch es blieb zwecklos.
Ein Aufschrei aus der Menge ließ mich den Kopf heben. Wie eine Katze hatte meine Mutter sich den Soldaten entwendet und einem das Schwert genommen. Der erste Pfeil prallte an den Stufen des Throns ab, die sie hinauf hechtete und den Primus von seinem Stuhl riss.
„HALT", bellte sie durch den Raum, der in plötzlichem Chaos zu versinken drohte. Die Klinge am Kinn des Primus gab ihr die nötige Autorität, „Noch ein Pfeil, der hier runterkommt und wir brauchen keine Rebellion mehr."
Niemand bewegte sich. Teilweise fasziniert, teilweise schockiert, starrten sie alle zu der Frau hoch, die in diesem Moment jünger wirkte, als ich mich fühlte. Aber ihre Worte zeigten Wirkung.
Atemzug nach Atemzug verstrich, doch kein weiterer Pfeil wurde abgeschossen.
„Hauptmann seht nach, ob einer der anderen Könige am Leben ist", schnappte sie nach Covius, der immer noch hoch zur Decke starrte.
Nur zögerlich folgte er ihrem Kommando und trat erst neben den bewegungslosen König Rosem. Ein knappes Kopfschütteln. Ileatats König war tot.
König Vannas Diener bestätigte unter Tränen dasselbe.
Meine Mutter nickte grimmig, wie ein Feldmarschall, der Truppenbestand aufnahm.
„Caridad, Hauptmann. Bringt König Hahlis und Dara Sarei zu einem Medikus."
Die Zwei nickten. Caridads Wachen versicherten sich beim Primus, doch der bedeutete ihnen, den Mann freizulassen.
Ich wollte Constantin nicht loslassen, als sie zu mir kamen. Tränen rannen außer meiner Kontrolle über meine Wangen. Ich konnte ihn nicht verlieren. Nicht, wenn es hieß, dass es dieses Mal wirklich kein nächstes Treffen geben würde.
Caridad versicherte mir mehrfach, dass er auf ihn aufpassen würde, ehe ich mich schließlich aufrichtete. Blut an meiner Kleidung.
„Ich werde ihn nicht sterben lassen. Ich verspreche es dir."
Doch wir beide wussten, dass er das nicht konnte. Er war kein Gott, der so eine Gnade besaß.
Constantins lebloser Körper sackte gegen den seines Bruders, als er herausgetragen wurde, die Augen geschlossen.
Meine Mutter wartete, bis sie draußen waren, ehe sie sich an den Raum wandte:
„Weiß jemand, wer der Nachfolger werden würde, falls diesem hier ein Unfall passiert?" Sie drückte ihre Klinge tiefer in die Haut des Primus, bis Blut hervorquoll.
Meine Ohren füllten sich mit Summen. Er hatte Constantin erschossen. Und ich wollte Rache. Mehr denn je.
„Mein Tod wird euch nicht geben, was ihr wollt", gab der Primus zu bedenken.
Es fiel mir schwer, den Blick auf ihn zu fokussieren. Um mich herum schwamm ein Meer aus ängstlichen Gesichtern der Anwesenden. Vor ihnen manifestierte sich das Bild, das ihnen die Kirche so lange gezeichnet hatte: Eine ke-enische Attentäterin, die bereit war vor ihnen allen Blut zu vergießen. Ganz gleich, ob er es zuerst getan hatte.
Wir hatten verloren. Ich hatte verloren.
Aber meine Mutter war nicht so weit.
„Ihr habt heute Eure eigenen Schutzbefohlenen ermorden lassen."
Es blieb bleiern still um uns herum. Oder ich hörte die Leute über meinen eigenen Puls nicht. Ich fühlte mich, als hätte man mich in Blei getaucht. Meine Muskeln waren schwer, meine Gedanken zäh. Ich wollte mich einrollen und gleichzeitig weit von hier weg. Zu Constantin. Ihm sagen, dass ich da war. Dass er nicht gehen durfte, ohne sich zu verabschieden.
„Wollt ihr jeden, der hier Anwesenden erschießen lassen?", bohrte meine Mutter weiter.
„Clevem und diese Inseln brauchten neue Könige", gab der Primus zurück, „Constantin Hahlis war eine eigene fallende Insel- eine Gefahr für alle um ihn herum. Seht, was er mit den Leuten gemacht hat. Glaubt ihr, De wird einem von euch verzeihen?"
„Glaubt Ihr, De wird Euch verzeihen?", fragte König Phito atemlos, seine Tochter und Frau mit seinem Körper schützend. Er wäre der Nächste gewesen, wenn meine Mutter nicht eingeschritten wäre, „Ihr habt einen totkranken Mann ermordet."
Die Stille, die bisher auf meine Ohren gedrückt hatte, wich dem zustimmenden Gemurmel mehrerer Höflinge, das wiederum von wütenden Ausrufen abgelöst wurde.
„Mörder!"
„Verräter!"
„Auf Mord steht der Tod durch den Galgen."
Ich wollte ebenfalls den Mund öffnen, doch da war nichts. Ich war meilenweit von meinem eigenen Körper entfernt.
Die Steine erzitterten unter dem geballten Zorn der Höflinge. Sie wiegelten sich gegenseitig auf, wie Kämpfer in einer Arena, zurückgehalten von den letzten Soldaten des Primus, die bisher unbewegt zugesehen hatten.
Die Miene des Primus blieb ausgeglichen.
„Und welche Königin würde mich verurteilen? Ich bin ein Repräsentant Des."
„Wie wäre es mit der Frau des Mannes, den ihr habt zuerst erschießen lassen?", mischte sich Hedox ein. Rote Flecken hatten sich auf seinem Gesicht verteilt. Er war zorniger, als ich ihn jemals zuvor erlebt hatte.
Aber seine Worte kamen nicht zu mir durch. Was sollte ich ohne Constantin-...
Königin Elira sah mich unverwandt an. Sie hielt ihre kleine Tochter so fest gegen sich gepresst. Das Mädchen war dunkelhaarig und jetzt schon übersäht von Sommersprossen. Beide hatten ihr Leben riskiert, als sie hierhergekommen waren. Um einen Unterschied zu machen. Um in Freiheit und ohne Angst leben zu können.
Mühsam erhob ich mich vom Boden.
Doch es waren die Worte des Primus, die das erste Mal zu mir durchdrangen.
„Und wo ist die Frau von König Hahlis?"
Ich stoppte in meiner Bewegung. Arroganter Mistkerl. ‚Welche Königin würde ihn verurteilen?' Eine, deren Gerechtigkeitssinn nicht an einen hirnlosen Glauben gebunden war.
Bedrohlich langsam drehte ich mich zu ihm um und starrte in seine schwarzen Augen. Die Wirklichkeit kam zu ihm, bevor den Mund öffnete.
„Hier."
Mine Stimme schnitt den wütenden Ausrufen den Sauerstoff ab. Ich musste ein fürchterliches Bild abgeben. Blut auf meiner Kleidung. Die Augen und das Gesicht rot. Gut so. Er sollte sich fürchten.
„Ich enthebe Euch Eures Amtes, bei dem Gesetz des Gottes, dem Ihr geschworen habt zu dienen."
Die Blicke aller Anwesenden kribbelten auf meiner Haut, aber ich hatte nur Augen für den Mann, der mich all mein Glück gekostet hatte.
„Ihr habt die Wahl zwischen Exil oder Hinrichtung."
Der Primus wollte sich bewegen, doch meine Mutter drückte ihr Messer fester an seine Kehle und zwang ihn zurück. Niemand erhob Einwände, oder machte Anstalten, ihm zu helfen.
Kühl starrte mich der Primus an. Er rechnete, kalkulierte. Dann endlich:
„Und welche Insel schlagt Ihr vor, Königin Dinah?"
Meine Finger knackten, als ich sie zur Faust ballte.
„Clevem. Niemand will die Insel versenken, auf deren Boden er steht."
➴♚➶
Happy?
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