Kapitel 61
„Wenn ich nicht bald wieder Kaffee trinken darf, dann werde ich bald ein lautes und ungehaltenes Solo abhalten!", grummelte Hizashi vor sich hin, während er immer wieder an seinem Kakao nippte. Er vermisste den Geschmack des Kaffees am Morgen und die beruhigende, aber auch aufputschende Wirkung, die dieses Getränk auf ihn hatte. Kakao bestand nur aus Zucker und Milch und das brachte ihm nicht die Befriedigung, nach der er suchte. Ganz im Gegenteil machte es ihn sogar unruhig, weil er durch dieses Getränk eine Menge Kalorien zu sich nahm.
„Du hast die Alte doch gehört: Wenn du dich die nächsten Wochen brav an den Essensplan hälts, dann darfst du wieder Kaffee und Energiedrinks in dich reinschütten", antwortete Shota, während er sich zurück lehnte und den Blonden zu sich zog. Eigentlich war es ganz gut, wenn Hizashi von diesen ungesunden Sachen mal etwas Abstand gewann. Auch wen Kaffee ebenso zu Aizawas lebensnotwendigen Dingen zählte, hatte der Dunkelhaarige manchmal das Gefühl, dass der andere ohne diese Aufputschmittel gar nicht mehr funktionieren konnte.
Die beiden hatten es sich auf Minas Bett bequem gemacht, nachdem sie alle ihr Frühstück aufgegessen hatten. Währenddessen hatten die Jugendlichen den Fernseher aus ihrem Versteck geholt und eine Spielkonsole angeschlossen. Schließlich wollten sie Eri unbedingt ein Spiel beibringen, und Yamada musste sich im Augenblick ohnehin erst einmal ausruhen nach dem Essen.
Weiter leise vor sich hin grummelnd, lehnte der Voicehero sich an Aizawas Schulter. „Wieso werde ich eigentlich so bestraft ...", seufzte er. Schnell biss er sich auf die Zunge, um den Satz nicht laut auszusprechen, der ihm durch den Kopf schoss. Wieso nur wurde er bestraft, während Shota ungeschoren mit allem durchkam? Dabei bestrafte der Dunkelhaarige sich ohnehin viel zu oft selbst. Über so etwas sollte er wirklich keine blöden Witze reißen.
Glücklicherweise konnte der Undergroundhero keine Gedanken lesen. Stattdessen lachte er leise ein wenig, ehe er nach seinem Becher griff und einen Schluck nahm, bevor er sich nach unten beugte, was Hizashi dazu brachte, aufzusehen. Ehe er sich versah, küsste Shota ihn. Der Aroma des Kaffees hing noch an seinen Lippen, weswegen Yamada gierig darüber leckte. Diese Geste brachte Aizawa nur noch mehr zum Lachen. „Du hast ein kleines Suchtproblem."
Sofort zog Hizashi eine Schnute. „Als ob ... und wenn überhaupt bin ich nur süchtig nach dir!", kommentierte er gespielt eingeschnappt klingend, ehe er sich wieder an Shota kuschelte. Er war froh, dass der Dunkelhaarige nun wieder zu scherzen aufgelegt war. Den Anblick, den er gestern geboten hatte, war furchteinflößend gewesen. Allein bei dem Gedanken daran, schauderte der Blondschopf leicht, was Aizawa dazu veranlasste ihn näher zu sich zu ziehen und nach der dunklen Decke zu greifen, die Kirishima gestern schon dazu benutzt hatte, um sie zuzudecken. „Möchtest du mir erzählen, was dir gestern durch den Kopf ging?", fragte Yamada leise.
Kurz versteifte sich der Dunkelhaarige, ehe er seufzte und den Kopf schief legte. Eigentlich wollte er nicht wirklich darüber reden, doch er hatte ein Versprechen abgegeben. Während sein Blick starr gerade aus auf den Jugendlichen hing, die Eri gerade den Controller erklärten, holte er Luft. „Es ist albern, aber mein betrunkener Zustand und diese wilden Küssen haben mich an die Nacht mit Joke erinnert." Dabei waren diese Situationen ganz und gar nicht zu vergleichen. Er wusste, dass Hizashi ihm nichts Böses wollte, oder ihn zu etwas gedrängt hatte. Dennoch hatte sein Körper sich auf die drohende Gefahr eingestellt und seinen Kopf abgeschaltet. „Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und habe mich dir gegenüber unfair verhalten. Du warst verletzt und bist verschwunden, danach war es komplett vorbei ... ich ... ich ... ." Wie sollte er den Satz nur beenden? Er wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte, ohne dafür zu sorgen, dass Yamada besorgt war. Vermutlich war es ohnehin sinnlos, etwas zu verschweigen, schließlich hatten ihm die Reaktionen der anderen auf sein Verschwinden deutlich gezeigt, dass sie alle längst besorgt waren. „Ich wollte mich nur noch bestrafen ... bevor du wieder zurück gekommen bist, da ..." Kurz stockte er, weil er sich nicht sicher war, ob er es tatsächlich laut aussprechen sollte. Doch er wollte es mit dem Mann teilen, den er liebte und der versprochen hatte, ihm zu helfen, so wie Shota ihm half. Also nahm er all seinen Mut zusammen. „Irgendwie sind meine Gedanken zu damals gewandert und ... ich dachte, dass es allen besser gehen würde, wenn ich nicht mehr da wäre", erklärte er leise.
Als Hizashi diese Worte vernahm, setzte er sich auf und wandte den Blick zu dem Dunkelhaarigen, den es sichtbar Überwindung kostete, seinem Blick nicht auszuweichen und weiter zu sprechen. Auch wenn er es befürchtet hatte, erfüllten Shotas ehrliche Worte ihn mit Angst. Aufmerksam beobachtete er ihn, während der andere Mann fortfuhr und seine Miene einen traurigen Ausdruck annahm. „Dieser Gedanke hat mich so ruhig und zufrieden werden lassen, dass ich danach Angst davor bekam, Hizashi. Ich habe wirklich darüber nachgedacht, was die beste Möglichkeit wäre, um es zu tun ... aber dann warst du da ... und heute Morgen ..."
„Shota ... hast du heute Morgen auch darüber nachgedacht, dir etwas anzutun?", unterbrach Hizashi ihn ernstklingend. Aufmerksam musterte er sein Gesicht weiterhin und versuchte nicht sofort in Tränen auszubrechen. Sein mieses Gefühl war doch berechtigt gewesen. Die Angst, die ihn bereits seit Jahren quälte. Dass er eines Morgens aufwachte und jemand ihm erzählte, dass Aizawa tot war. Diese Befürchtung raubte ihm den Atem.
Schuldbewusst wich der Dunkelhaarige den grünen Augen aus. „Nicht so ganz ... nur kurz ... als ich dich, Eri und alle anderen schlafend daliegen sah, habe ich an die vergangenen Tage gedacht. Ich wollte dir nicht noch mehr antun. Dir und den Kindern nicht ... Ist das selbstsüchtig?", fragte er verwirrt. Immerhin zwang er seine Existenz weiterhin unschuldigen Menschen auf.
„Nein, ist es nicht", versicherte Hizashi ihm, während er wieder näher an Shota heranrutschte, und ihn sanft küsste. Ein wenig war er stolz auf Shota, weil er ihm davon erzählt hatte und weil er es geschafft hatte, sich gegen solche dunklen Gedanken zu behaupten. Dennoch stimmte es ihn traurig, dass sein Verhalten überhaupt erst dazu geführt hatte. „In Zukunft musst du mir bitte sofort mitteilen, wenn dir irgendetwas unangenehm ist. Damit es nicht mehr zu so einer Situation kommt wie gestern ... ich war wirklich verletzt, aber ich will nicht, dass du dich deswegen selbst verletzt! Wenn du mir gleich gesagt hättest, was los ist, wäre es nicht so weit gekommen", seufzte Yamada leise, ehe ihm plötzlich etwas einfiel, „wie wäre es mit einem Safe-Word?"
Argwöhnisch zog Shota eine Augenbraue nach oben. „Safe-Word?" Hatte das nicht normalerweise irgendetwas mit Sex zu tun? Seine Wangen färbten sich sofort rot.
„Genau! Immer, wenn es zu einer Situation kommt, in der du dich unwohl fühlst, sprichst du es aus und ich weiß sofort Bescheid. Ein einzelnes Wort bekommt man selbst in brenzligen Lagen über die Lippen!", erklärte Yamada aufgeregt, weil ihm die Idee gefiel. Er hätte viel früher daran denken müssen. Immerhin war ihm schon einmal aufgefallen, dass Shota immer dann anfing zu stammeln und kaum gerade Sätze raus brachte, oder lieber komplett schwieg, wenn er sich extrem unwohl fühlte und die Situation eskaliert war. Ein einzelnes Wort, um anzuzeigen, dass es ihm genug war, half da gewiss. „Sagen wir einfach ... wenn du dich unwohl fühlst, dann flüsterst du mir das Wort ‚Wolke' ins Ohr! Ganz einfach!", legte der Blondschopf fest. Natürlich konnte Shota dieses Wort auch rausbrüllen, Hauptsache er benutzte es.
Leise schnaubend legte Aizawa den Kopf schief. Wieso musste es unbedingt dieses Wort sein? Immerhin hatten Wolken für die beiden immer noch eine etwas andere Bedeutung als für andere Menschen. Er hatte Hizashi zwar noch nie gefragt, doch er war sich sicher, dass er ebenso stets an Shirakumo denken musste, wenn er in den Himmel blickte und die Wolken betrachtete. Shota zumindest tat es.
Da der Blonde wenig Begeisterung in Aizawas Miene fand, atmete er langezogen und geräuschvoll aus. „Na schön, du bist ein harter Verhandlungspartner", fuhr er fort, ohne dass Shota etwas zu dem Gespräch beigetragen hatte, „ich werde das Wort ebenso benutzen, wenn ich mich unwohl fühle, okay?" Immerhin gab es ebenso Situationen, aus denen Hizashi gerne verschwinden wollte. Somit konnten sie einander aufmerksam machen, wenn sie Hilfe brauchten, oder einfach Ruhe brauchten. Schließlich war es für beide oft nicht einfach.
„Das heißt, wenn ich in meinen Gedanken versinke, oder du dir zu viele Vorwürfe wegen des Essens machst, sagt derjenige einfach Wolke und wir helfen einander?", hackte der Dunkelhaarige noch einmal nach, ehe er kurz belustigt grunzte, „wir sind ja so richtig verantwortungsbewusste Erwachsene."
„Mach dich nicht über meine super Idee lustig!", beschwerte Hizashi sich und gab sich beleidigt. Doch da er ein leichtes Schmunzeln kaum verbergen konnte, war es ziemlich eindeutig, dass er dem Undergroundhero nicht wirklich böse war. „Wirst schon sehen, dass sich das noch bezahlt machen wird!", versicherte er ihm, und küsste ihn auf die Wange. Auch wenn Shota nicht verbal zugestimmt hatte, und sich nur über seinen Einfall lustig machte, wusste Yamada doch, dass er zumindest darüber nachdenken würde. Dabei war sich der Blonde ziemlich sicher, weswegen er nicht mehr länger nachhakte, sondern sich wieder an den Dunkelhaarigen lehnte und sich ankuschelte. „Wie fühlst du dich jetzt? Sind diese Gedanken noch immer da?" Schließlich wollte der Voicehero genau wissen, wie es dem Mann, den er liebte, im Augenblick ging.
Grummelnd, versteifte Shota sich ein wenig, während er leicht unruhig herumrutschte. „Wolke", murrte er leise, was Hizashi dazu veranlasste mit hochgezogener Augenbraue aufzusehen, und Aizawa nur kurz seufzen ließ. Irgendwie hatte er gehofft, dass es funktionieren würde, doch Yamadas Blick sprach Bände. Er sollte ihr gemeinsames Safe-Word nicht sofort missbrauchen. „Es geht mir besser als gestern", begann er zu erzählen, „aber die Gedanken sind auch nicht komplett weg. Es ist wie bei dir, mit deiner Stimme, die dir einredet, dass du nichts essen darfst. Ich konzentriere mich einfach auf dich und Eri. Auf das hier und jetzt, und versuche mir einzureden, dass ich euch nicht wehtun möchte." Verlegen starrte er an die Wand ihm gegenüber.
Erst als Hizashi nach seiner Hand griff und sie fest drückte, wanderten Shotas dunkle Augen nach unten. „Du solltest es dir nicht einreden. Es ist nun einmal so! Aber ich verstehe, was du meinst ..." Es war schwer aus diesem Teufelskreis auszubrechen, aber solange sie einander halfen, hatten sie jemanden, auf den sie vertrauen und der sie retten konnte. Schlimm wurde es allerdings dann, wenn jemals der Tag eintreten sollte und sie beide gleichzeitig in dem Sumpf versanken, der in ihren Gedanken lauerte. Hoffentlich würde es jedoch niemals dazu kommen, allerdings hatten sie zumindest in den letzten Tagen und Wochen erfahren, dass es wundervolle Menschen gab, die ihnen aus der Patsche halfen. Nun, da Shota sich Mühe gab, niemanden mehr einfach von sich zu stoßen, waren sie auf dem richtigen Weg.
Ein zustimmendes Geräusch von sich gebend, zog Aizawa den Blonden näher zu sich und legte beide Arme um ihn, um ihm Wärme zu spenden. Genauso konnte jedes Wochenende aussehen. Die beiden kuschelnd auf dem Bett oder Sofa, während sie Eri beim Spielen zusahen. Ohne dramatische Situationen. Leider würde es jedoch nur mehr selten zu solchen ruhigen Wochenenden kommen, sobald sie beide wieder ihren Jobs als Helden nachgingen. Sich langsam entspannend lehnte Shota seinen Kopf zurück und schloss die Augen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro