
Kapitel 14
„Gebt ihm doch etwas Luft zum Atmen!", bat Iida und scheuchte die Schüler ein wenig zur Seite, die sich um den Schwarzhaarigen versammelt hatten, der am Boden lag. Sie hatten eine Jacke zusammengeknüllt unter seinen Kopf gelegt und starrten besorgt zu ihm hinab.
„Sollten wir lieber Recovery Girl holen? Er ist immerhin schon ziemlich lange weggetreten", meinte Denki besorgt, „vielleicht hilft auch eine kleine Starthilfe." Vorsicht ging er in die Knie und streckte einen Finger aus. Ein kleiner Stromschlag hatte schon immer Schlafende geweckt und war ein guter Partygag.
„Lass das", murmelte Shota mürrisch, während auch ein paar andere Schüler protestierten, die ihn umringten. Langsam schlug der Mann seine Augen auf und starrte in die besorgten Mienen seiner Schüler. Zum Glück waren es gerade mal eine Handvoll, doch das war ihm bereits zu viel. Im Moment wollte er keinen einzigen von ihnen sehen. Er war viel zu wütend auf diese Kinder. Sie hatten für Chaos gesorgt. „Verschwindet", fügte er barsch an und rappelte sich hoch. Sein Kopf dröhnte, und er könnte schwören, das seine Stirn an einer Stelle ganz besonders pochte. Vermutlich hatte er sich den Kopf angeschlagen, als er zu Boden gegangen war.
„Sie sollten lieber liegen bleiben. Ihr Gesicht ist total bleich und Sie bekommen ne riesengroße Beule", stellte Midoriya unnötigerweise fest und hatte tatsächlich die dumme Idee, seine Hand danach auszustrecken.
Ihn böse anfunkelnd, schlug Aizawa seinen Arm weg. „Ich sagte, verschwindet", zischte er erneut und stemmte sich vom Boden hoch. Dabei schwankte er kurzzeitig so bedrohlich, dass er fast umkippte. Vielleicht hatte er es mit dem Training doch etwas übertrieben, vor allem auf leerem Magen. Als erneut Hände nach ihm griffen, um ihn zu stützen, wich er ihnen aus. „Verpisst euch ins Wohnheim und packt eure beschissenen Koffer. Das könnt ihr auch den anderen ausrichten: Ihr seid alle ab sofort keine Schüler an der UA mehr", verkündete er ihnen. Tatsächlich hatte er vorgehabt, alles viel sachlicher auszudrücken und weniger emotional zu reagieren, doch ihre plötzliche Anwesenheit schürte seine Wut nur noch mehr. Wenn ihm nicht so verdammt schwindlig wäre, und er sein Fangtuch dabei hätte, würde er sie alle fesseln und als Trainingsboxsäcke verwenden. Doch stattdessen stand er nur in seiner Freizeitkleidung vor ihnen. In seiner pinken Trainingshose und einem simplen dunklen T-Shirt wirkte er wohl kaum bedrohlich auf sie.
Vollkommen regungslos starrten sie ihn an, als ob er ihnen gerade ins Gesicht geschlagen hätte. „Aber ... wieso?", wollte Mina fassungslos wissen. Sie hatten ihren Lehrer soeben in die stabile Seitenlage gebracht, und nun wollte er sie dafür bestrafen? Das war doch nicht fair.
Doch der Grund war ein anderer. „Ihr habt eure neugierigen Nasen in Angelegenheiten gesteckt, die euch nichts angehen", fuhr er das Mädchen wütend an. Bisher hatten sie ihn noch nie so erlebt. Für gewöhnlich schaffte Shota es stets, seinen Ärger im Zaum zu halten und sie auf andere Weise spüren zu lassen, dass er sauer und wütend war. Aus diesem Grund schreckten sie auch sofort zurück vor ihm. Diese Art von Gefühlsausbruch von ihrem Klassenlehrer war neu für sie. Aber auch für ihn. „Packt alle eure Koffer. Auf der Stelle. Morgen seid ihr weg", fügte er an, als ihm klar wurde, wie verschreckt Mina ihn anstarrte, weil er sie so angefahren war. Shota wartete keine weiteren Widerworte ab, sondern drängelte sich sofort zwischen den Schülern vorbei. Er musste schließlich zu Nedzu, um sich 20 Formulare für Schulverweise zu holen. Vielleicht würde Papierkram ihn ja besser ablenken als das Training.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief er auf die Schule zu. Vermutlich hatte er sie genug eingeschüchtert, damit sie ihm nicht folgten. Nun würde er sie loswerden und konnte seine Ruhe haben. Zumindest hatte er dann für den Rest des Jahres ein wenig mehr Freizeit, um diese für Training zu nutzen. So konnte er hoffentlich wieder alles ins Lot bringen, was sich nun verschoben hatte. Er brauchte dringend die Kontrolle über alles zurück. Über seinen Kopf, sein Herz, seine Gefühle. Sein gesamter Körper schien ins Ungleichgewicht geraten zu sein, oder lag das nur daran, dass er sich den Kopf angeschlagen hatte? So geladen und völlig neben sich stehend konnte er kaum in das Büro des Direktors stürmen. Am Ende würde Nedzu ihn entlassen, oder schlimmer noch: Ihm einen Vortrag halten.
Seine Beine trugen ihn ohnehin nicht zum Büro der Maus. Ohne es zu bemerken war er längst auf dem Weg zu einem anderen Ort, an den er seit seiner Jugend immer wieder zurückkam, wenn er sich verloren fühlte. Früher war es ihr Treffpunkt gewesen, heute verkroch er sich nur mehr hierher, wenn sein Leben nicht so glatt lief, wie er es sich gerne wünschte. Mit langen Schritten erklomm er die Treppe und stieß die Tür auf. Der Ausblick, den das Schuldach bot, erstreckte sich vor ihm, während er auf die Brüstung zuging, gegen die er sich lehnen wollte. Das Adrenalin seines Zorns verflog langsam und ihm wurde erneut schwindelig. Er hatte es übertrieben mit dem Training und die kalte Luft tat ihm nicht gut, brannte auf seiner Haut und in seinem Hals mit jedem Atemzug.
Als hinter ihm die Tür ins Schloss fiel, war er längst beim Geländer und stützte sich darauf ab. Hier oben fühlte er sich für gewöhnlich wohl, doch diesmal blieb das Gefühl der Geborgenheit aus. Es war kalt und windig, sodass er schnell zu zittern begann und sich für diese dumme Angewohnheit, hierher zu kommen, schallt. Heute war einfach nicht sein Tag.
„Ah, nein die Tür!", hörte er in seiner Nähe eine Stimme rufen. Doch es war längst zu spät, die Tür war zugefallen und hatte ein beunruhigendes Klicken von sich gegeben. Natürlich. Man konnte sie nur von innen öffnen, wenn man keinen Schlüssel dabei hatte, oder etwas in den Spalt legte. Genau in diesem Moment wurde Shota sein Fehler bewusst, als er herumfuhr und sich nach der Quelle des Rufs umsah. Hizashi kam auf ihn zu, sah halberfroren aus, die dünnen Arme fest um seinen Oberkörper geschlungen, um sich etwas warm zu halten. Obwohl er einen Mantel trug, waren seine Lippen bereits bläulich blass und seine Wangen vom scharfen Wind rot gefärbt. Eben jener Wind ließ auch seine blonden Strähnen in der Luft tanzen und lenkten Shota kurz ab. Er sah fast aus wie ein Geist.
„Du hast nicht zufällig einen Schlüssel dabei?", fragte Yamada nervös lächelnd, und musterte den Dunkelhaarigen von oben bis unten. Er kannte die Antwort bereits, immerhin war Aizawa zuvor Hals über Kopf davon gelaufen und hatte zuvor bestimmt nichts in seine Hosentasche gesteckt. Schließlich trug er nicht einmal eine Jacke und begann bereits zu zittern. „Ich leider auch nicht", seufzte er schwer, nachdem der andere leicht den Kopf geschüttelt hatte.
Stille entstand zwischen den beiden, während jeder versuchte einen Punkt weit in der Ferne anzustarren, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Als Shota schließlich seine Arme um seinen Oberkörper schlang, kam Hizashi näher auf ihn zu, öffnete seinen Mantel und umarmte den anderen so, dass sie beide von dem Stoff des Kleidungsstücks bedeckt waren. Dem Blondschopf blieb nicht verborgen, dass Shota sofort rot anlief, doch er stieß ihn nicht weg, sondern schmiegte sich an ihn, auch wenn jede Faser seines Körpers angespannt wirkte. „Das vorhin tut mir leid ...", murmelte Yamada schließlich, „ich habe mich von Gefühlen überwältigen lassen. Es war unfair dir gegenüber, dich damit zu überfallen und ich werde es ruhen lassen." Er hatte stundenlang diese Entschuldigung geprobt, während er hier oben festsaß. Es war einfacher für ihn, alles auf sich zu nehmen und es wieder zu verschließen, als Shota weiter zu belagern. Er würde ja doch nie eine Antwort aus ihm herausbekommen. So war Aizawa nun einmal. Sein Herz war eine uneinnehmbare Festung, die von seinem Verstand geschützt wurde, der der Meinung war, logisch zu agieren.
„Hm ...", machte der Dunkelhaarige nur, und entspannte sich etwas. Er war froh darüber, dass Hizashi keine Antworten mehr verlangte und wollte auch nicht weiter darüber reden. Das Thema war für ihn nun beendet.
„Wieso bist du eigentlich hierhergekommen? Es ist doch verdammt kalt und du hast kaum etwas an!", stellte Yamada fest und versuchte ein wenig zu Lächeln, was Shota allerdings nicht sehen konnte, da sein Blick starr auf das Schlüsselbein des anderen gerichtet war.
„Ich ... wollte nachdenken und das Training hat nicht geholfen", erklärte Aizawa leise und lehnte sich ein wenig mehr gegen Hizashi. Ihm war so verdammt schwindelig und kalt. Nur zu gerne würde er seine Augen schließen und auf der Stelle einschlafen. Vielleicht war all das ja nur ein Traum. Das bisschen Wärme, das die schmale Brust des anderen abgab, lullte ihn ein wenig ein.
„Training? So kurz nach deiner Genesung? Nicht gerade die beste Idee", stellte der Blonde fest und blickte besorgt nach unten, als er merkte, dass Shota langsam einknickte, „ist alles in Ordnung bei dir? Sho?" Sofort sah sich der Voicehero nach einer Sitzbank um, und lotste seinen Freund dorthin. Schnell setzte er sich und zog den Dunkelhaarigen auf seinen Schoß, um ihn weiter zu wärmen, während er an ihn gelehnt war.
„Es ist so kalt ... und alles dreht sich", murmelte Shota leise vor sich hin, während er alles einfach geschehen ließ. Wie sollte er sich auch dagegen wehren? Würde er sich auch nur einen Millimeter bewegen, würde er mit Sicherheit umkippen. Seufzend legte er seinen Kopf auf Hizashis Schulter. Eigentlich war genau das eine Geste, die Gefühle hervorrief, der er unterdrücken wollte, doch im Moment war er nicht dazu im Stande, etwas dagegen zu unternehmen. Er fühlte sich schwach und war froh, dass der Blondschopf bei ihm war, auf ihn aufpasste und ihm etwas Wärme schenkte.
Besorgt zog Hizashi den anderen noch näher an sich, als er das hörte. „Wenn ich nur mein dämliches Handy dabei hätte ...", meinte er und kuschelte sich an Shota, „du hast nicht gefrühstückt, und dein Kreislauf ist bestimmt im Keller nach der Anstrengung. Wenn du etwas isst, geht es dir wieder besser und dir wird auch wieder warm." Langsam begann er über Shotas Rücken zu streichen. Die letzten Tage hatte er sich gewünscht, ihm nahe zu sein, und mit ihm über alles zu reden, herauszufinden, wie er empfand. Doch Hizashi hatte vergessen, dass Aizawas Stärke nicht in den Worten sondern in seinen Taten lag. Denn obwohl er niemals verbal zugeben würde, dass er noch Gefühle für Yamada hatte, sprach die Tatsache, dass er nichts dagegen hatte, sich umarmen und umsorgen zu lassen, Bände. Er hätte früher daran denken müssen, wie wichtig es war, es langsam anzugehen, anstatt ihn zu überrumpeln. In Zukunft würde er sich einfach daran halten. „Hast du irgendeine Idee, wie wir hier runterkommen? Wir haben keine Möglichkeit, uns abzuseilen. Klettern fällt flach, weil ich darin zu schlecht bin und du nicht in der Verfassung dazu bist. Wir haben weder Schlüssel noch Handys dabei ...", begann Yamada alles aufzuzählen, was ihnen verwehrt war, während sie auf der Bank saßen und kuschelten. Wenn es nicht so verdammt kalt wäre, würde es für ihn nichts Schöneres geben, als weiterhin hierzubleiben. Doch Shota war erst krank gewesen und er selbst wollte auch nicht wieder eine Grippe bekommen.
Erneut grummelte der Dunkelhaarige. „Du bist doch der mit der Stimmenmacke", erinnerte er ihn und legte eine Hand auf den Brustkorb des Blonden, während er vorsichtig aufsah, „wenn ich mir die Ohren zu halte, kannst du um Hilfe rufen." Auch wenn das wenig helfen würde, um Kopfschmerzen vorzubeugen. Aber besser als nichts. Doch Yamada schien wenig begeistert von der Idee, einfach um Hilfe zu rufen. Immerhin müssten die beiden dann zugeben, dass sie sich hier eingesperrt hatten. Es würde ziemlich peinlich werden. „Oder wir gehen zur Tür und ich versuche das Schloss zu knacken. Hast du eine Haarklammer oder irgendetwas Ähnliches?", fügte er schließlich an und sah das leichte Lächeln, dass sich auf Hizashis Lippen stahl. Die Idee schien ihm besser zu gefallen.
„Wie es der Zufall so will, habe ich ein paar Klammern in der Jackentasche", gab er erleichtert von sich, „dann lass uns mal von hier wegkommen, bevor wir erfrieren oder du verhungerst!" Langsam erhoben sie sich, immer darauf bedacht beisammen zu bleiben, um einander Wärme zu schenken. Sie hatten schon einmal einen ähnlichen Fall, doch damals waren sie von einem Schurken ins Kühlhaus gesperrt worden, und so eine Tür bekam man wirklich selten einfach auf. Am Ende musste Hizashi seine Macke einsetzen, um die Glasscheibe zu zerbrechen, durch die Shota schließlich geklettert war. Seither hatte er eine feine Narbe über der Hüfte, von der nur Hizashi wusste. Diesmal würde es hoffentlich ohne Probleme funktionieren, hier wegzukommen.
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