Lebensträume, ein Schulgesetz und Weihnachtsdeko
Luke
Der Sommer neigt sich langsam dem Herbst entgegen, das Laub an den Bäumen färbt sich bunt und die ersten Klassenarbeiten sind auch schon geschrieben. Wie immer natürlich alle auf einmal, das scheint ein international gültiges Schulgesetz zu sein.
Ich nutze die Gunst eines letzten warmen Tages und gehe am See spazieren, als ich schon von weitem Kimberley allein auf einer Bank am Ufer sitzen sehe. Entgegen ihrem sonstigen energiegeladenen, wenn auch manchmal nervigen Selbst scheint sie heute betrübt: Ihre Schultern sind nach vorne gebeugt, der Pferdeschwanz hängt kraftlos herab, und sie starrt regungslos auf ihr Handy.
"Hey, was ist los?", frage ich sie, als ich mich neben sie setze. Statt einer Antwort erhalte ich nur ein tiefes Seufzen.
"Komm schon, erzähls mir", stupse ich sie von der Seite an. Es ist schwer auszuhalten, sie so down zu sehen. Vielleicht kann ich ihr ja helfen, oder mir ihr Leid zumindest anhören.
"Ich hab dir doch mal erzählt, dass ich später gerne Schriftstellerin werden würde", rückt Kimberley schließlich zögernd mit der Sprache heraus. Ich nicke bestätigend, irgendwann hat sie das tatsächlich erwähnt.
"Und naja, ich dachte halt, ich probier mich schon mal so ein bisschen aus. Ich mein, das kann man ja nicht einfach irgendwann von Null auf Hundert starten. Sondern Geschichten schreiben muss man üben, wie alles andere auch."
"Das klingt doch vernünftig. Warum denn jetzt das lange Gesicht?", frage ich weiter. So ganz verstehe ich Kimberleys Problem noch nicht.
Sie hält mir ihr Handy entgegen. "Ich hab ein bisschen was zusammengeschrieben, und dann hab ich das auf so einer Seite hochgeladen. Das ist eigentlich ziemlich cool, da kann man seine Geschichten teilen, die von anderen lesen, und so weiter."
"Und jetzt ist die Seite abgestürzt und hat alle deine Geschichten gelöscht, oder was?"
"Um Himmels Willen, nein!! Nein, ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht!" Den Schock allein beim Gedanken an gelöschte Texte kann man Kimberley trotzdem im Gesicht ablesen. "Nein, weißt du, es ist so: Es gibt auf der Seite Funktionen wie kommentieren und liken und lauter solche Dinge."
Ich nicke wieder. Klingt einleuchtend.
"Nur: Niemand votet für meine Geschichten. Obwohl schon einige sie lesen. Und das verunsichert mich total." Kimberley seufzt tief. "Was ist, wenn meine Geschichten einfach Kacke sind?"
Ich lasse mir ihre Aussage eine Weile durch den Kopf gehen. "Aber wenn deine Geschichten total doof wären, dann würde man sie doch nicht immer weiter lesen, sondern nach den ersten zwei bis drei Kapiteln aufhören, oder? Ich les doch nichts, was ich langweilig finde."
"Das denke ich auch. Nur fällt mir kein anderer Grund ein, weshalb die Leute kein Feedback dalassen. Ich brauch doch auch ne Rückmeldung, um besser zu werden." Kimberleys Stimmung scheint bei ihren Worten noch weiter in den Keller zu sacken.
Ich runzle die Stirn. "Vielleicht wissen die Leute ja auch einfach nicht, wie das geht? Also das mit den Votes und den Kommentaren?"
Kimberleys Gesicht hellt sich auf. "Meinst du? Das heißt, eigentlich lieben alle meine Geschichten? Und haben nur bisher den dicken Stern am Seitenende für Weihnachtsdeko gehalten?"
"Kann doch sein. Manchmal denken Menschen komische Dinge. Lass dich nicht unterkriegen!"
Jetzt hält Kimberley nichts mehr auf der Bank. Vergessen die Melancholie von eben, springt sie voller Tatendrang auf. "Du hast absolut Recht! Ich werde auf keinen Fall aufgeben, sondern meinen Traum weiter verfolgen. Und solange freue ich mich einfach über jedes einzelne Sternchen und alle Personen, die die Kommentarfunktion tatsächlich gefunden und verstanden haben!"
Kimberley will gerade zurück zum Schloss stürmen, wahrscheinlich um gleich die nächste Geschichte zu veröffentlichen, als ich ihr noch hinterherrufe: "Sag mal, kenne ich eigentlich irgendetwas, was du veröffentlicht hast?"
"Kommt drauf an. Kennst du die Harry Potter-Romane?"
Ehrfürchtig sehe ich sie an. "Jaa!?"
"Die sind nicht von mir." Und lachend läuft sie davon.
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