34. Tänzelnde Fuchsschimmel
Die beiden Fuchsschimmel tänzelten um das Palmenrondell herum, als sie die Kutsche samt Drogenbaronin zum Kerker brachten. Sogar die Pferde freuen sich, dachte Vitus mit einem verkniffenen Grinsen.
Vor dem Gouverneurshaus drängten sich die Gäste entlang der Hauswand aneinander - um den besten Zuschauerplatz kämpfend und sich lang machend - fast wie bei einer Hinrichtung auf dem Marktplatz. In gewisser Weise traf das auch zu, denn gesellschaftlich war Regina vasta Thalbach am Ende. Zu viele hatten von dem Spektakel gehört, das sich heute Nacht zugetragen hatte und spätestens übermorgen würde es in der Zeitung zu lesen sein.
Erleichtert seufzte Vitus, als die Kutsche über die Brücke verschwunden und nicht mehr zu sehen war. Es war vorbei. Er wollte zu Annabella, doch vermutlich wurde sie noch von den Gendarmen zu den Geschehnissen befragt. Seine Kameraden und der Prinzipal waren herbeigeeilt, nachdem Vitus der Drogenbaronin die Handschellen angelegt hatte. Auf seinen knappen Bericht hin hatte Gotthart alle weiteren Ermittlungen in die Wege geleitet - und seither hatte Vitus Annabella nicht mehr gesehen.
Der Weg zurück ins Gouverneurshaus war blockiert von den Menschen, die noch nicht kapierten, dass es nichts mehr zu sehen gab. Nach seinem Geschmack war das zu viel Trubel und Vitus ergriff die Flucht.
Er folgte einem Weg, der am Hausende um die Ecke bog. Der Kies knirschte unter seinen Schritten und die Fackelfeuer malten groteske, züngelnde Schatten an die groben Gemäuer. Schließlich erreichte Vitus den Garten des Anwesens.
Die zunehmende Mondsichel war noch schmal in dieser vergleichsweise kalten Nacht und Vitus schauderte. Ob vor Kälte oder wegen seines plötzlichen Gedankens an die Nachtwanderer wusste er nicht.
Wärmesuchend stellte sich Vitus an einen Fackelkorb, in dem niederbrennende Holzscheite knisterten und glühende Funken in die Höhe stoben. Zur Hälfte war er eben doch ein Ulaka, ein Ureinwohner, verbunden mit der Insel und an die heißen klimatischen Bedingungen gewöhnt.
Wie hypnotisiert starrte Vitus in die Flammen und versuchte zu realisieren, was heute Nacht geschehen war. Bitterer Rauch biss in seine Nase, als der Wind für einen kurzen Moment drehte und er in der Wolke stand.
Er hatte es geschafft. Er hatte der Schlange den Kopf abgeschlagen und den Drogenring lahmgelegt. Was ihm jedoch noch unbegreifbarer war, dass Annabella ihm geholfen hatte. Bei dem Gedanken liefen Ameisen über seinen Magen und sein Herz schlug höher. Sie hatte sich trotz aller Umstände auf seine Seite gestellt. Vitus wollte zu ihr, sie umarmen und küssen und ihr sagen, wie er empfand. Noch nie hatte solche Entschlossenheit in ihm gelodert, er ballte die Fäuste und nickte für sich selbst, um sich Mut zu machen.
"Wie geht es deinem Arm?"
Aus seinen Gedanken gerissen zuckte Vitus zusammen und wandte sich um. Ihre Stimme. Unter der überdachten Terrasse sah er zuerst den hellblauen Tüll von Annabellas ausladendem Kleid. Erst, als sie aus dem Schatten trat, sah er ihr hübsches, vom warmen Feuer beschienenes Gesicht.
"Ganz gut, denke ich", antwortete Vitus und fasste an besagten Oberarm. Eine dumme Idee, denn die Quittung dafür war ein pulsierendes Stechen, das durch seine Nervenbahnen jagte. "Petrell hat ihn zusammengenäht."
"Der Leichenbeschauer?", fragte Annabella mit verdutzter Miene.
Er nickte. "Man merkt, dass er sonst nicht an Lebenden arbeitet. Der Verband sitzt viel zu streng." Hinfort war die Entschlossenheit und statt dass Vitus ihr seine Gefühle beichtete, erzählte er ihr von einem unbegabten Leichenbeschauer. "Du kannst das wesentlich besser", sagte Vitus schließlich, um das Gespräch wenigstens in die richtige Richtung zu lenken.
Zumindest schien es ihr ein wenig zu schmeicheln, denn ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Lippen. "Unser erstes Rendezvous", murmelte sie versonnen, dann wurde sie sarkastisch: "Warum wirst du eigentlich ständig aufgeschlitzt? Springst du gern in irgendwelche Klingen?"
"Wenn es um dich geht schon", antwortete er, was selbst in seinen Ohren reichlich kitschig klang.
Annabella trat neben ihn ans Feuer, den Blick in die Flammen gesenkt. "Dann sehen wir mal, wie viele Pfeile dieser Nachtwanderer du für mich abfangen kannst, wenn sie mich holen wollen. Obwohl ... eigentlich wäre ein schnelles Ende vermutlich besser als der Kerker, der mir blüht."
"Warum solltest du in den Kerker?", fragte Vitus.
Ihr Blick schnellte zu ihm. "Du bist Kriminalbeamter und hast das schwerste Motiv gegen mich in der Hand, das je auf der Insel existiert hat. Es wäre eine Amtspflichtverletzung, würdest du nicht die Ermittlungen gegen mich einleiten."
"Strenggenommen begehe ich eine Amtspflichtverletzung, seit wir unsere erste Vereinbarung getroffen haben: Ein Rendezvous gegen eine unterlassene Ermittlung", sagte Vitus. Die kalte Meeresbrise nagte an seiner Haut und die Bäume raschelten unter ihrer Kraft.
In Erkenntnis glättete sich Annabellas Stirn. "Ist das dein Ernst? Wenn das rauskommt, kann dich das dein Amt kosten."
Vitus zog die Schultern an und gab sich gleichgültig. "Und wenn schon." Dabei war sein Beruf alles, was er hatte - abgesehen von Loah, der immer noch nicht aufgetaucht war, und Annabella, die ihn eigentlich nicht mochte.
Verbrecher zu jagen war das, was er konnte und das ihm das Gefühl gab, etwas Nützliches zu tun. Es war etwas, das seinem Leben einen Sinn verlieh. Für Vitus würde mehr als eine Welt zusammenbrechen, würde er von seinem Posten suspendiert werden, nur, weil er Annabellas Motiv verschleiert hatte.
Aber sie hätte ihn lautlos aus dem Weg räumen lassen können und nach allem, was sie gemeinsam erlebt hatten, war es das Mindeste, das er für sie tun konnte. "Von mir wird niemand erfahren, dass Gustav ermordet wurde", versprach Vitus. "Den einzigen Beweis dafür hast du ohnehin schon."
"Aber du weißt von dem Mord und der Leichenbeschauer könnte das problemlos bestätigen", erwiderte sie und presste die Lippen zusammen. Ihr schien mehr als ihm klar zu sein, dass Vitus sie in der Hand hatte.
Er schüttelte den Kopf. "Nichts dergleichen wird passieren. Ich verspreche es." Zittrig griff Vitus in die Innentasche seines Jacketts und holte ein paar Blätter Papier hervor. Beschwichtigend hob er beide Hände. "Ich will nicht, dass du dich weiterhin abhängig von mir fühlst. Ich will die Beweise nicht vernichten, aber ich will dich auch nicht vor Gericht bringen. Und damit du dich darauf verlassen kannst ..." Vitus hielt ihr die Papiere unter die Nase. "... will ich, dass du sie nimmst. Ich werde nicht die Position deines Großvaters einnehmen und über dein Leben bestimmen."
Wie in Zeitlupe, offenbar gelähmt von der Fassungslosigkeit, griff Annabella nach dem Ehevertrag und der Exmatrikulationserklärung. Als sie die Dokumente hatte, entfaltete und prüfte sie diese.
"Und glaube nicht, dass du mir irgendwas schuldig bist deswegen. Von mir erfährt niemand was, darauf hast du mein Wort", versprach Vitus erneut und streckte nun beide Hände dem Fackelkorb entgegen.
Annabella trat wortlos an ihn heran und umschlang mit beiden Armen seine Taille. Sie drückte ihre Wange an seine Brust und mumelte: "Danke."
Vitus umfasste ihren wohlgeformten Körper und legte sein Kinn auf ihrem Kopf ab. Der Duft von Kokosöl, mit dem sie scheinbar ihre Haarpracht pflegte, stieg ihm in die Nase.
Eine Weile verharrten die beiden in der Umarmung, verloren sich im Schweigen und das Einzige, das sprach, war das Knistern des Feuers.
Unzählige Gedanken kreisten in Vitus' Kopf, keiner davon wirklich greifbar. Am Ende brachten ihn seine Überlegungen ohnehin an den Punkt zurück, wo er versuchte zu realisieren, dass Annabella ihm bei der Überführung der Drogenbaronin geholfen hatte. Und dass sie ihm offenbar genug vertraut hatte, ihn trotz der Beweise gegen sie aus der Misere zu retten. Annabellas selbstloses Handeln konnte eigentlich nur einer Motivation entspringen. Und da Vitus nicht wusste, wie er beginnen sollte, über seine Gefühle zu reden, fing er mit ihren Gefühlen an. "Weißt du, was ich nicht begreife?"
"Hm?"
"Dass du dich für mich entschieden hast", raunte Vitus und runzelte die Stirn, weil er diese Erkenntnis nicht ohne Verblüffung aussprechen konnte.
Scheinbar war Annabella überhaupt nicht mit einer solchen Unterstellung einverstanden und sie löste sich von ihm, ihre Lippen zu einem Schmollmund verzogen. "Ich ..." Dann verschränkte sie die Arme. "... hab mich überhaupt nicht für dich entschieden. Ich hab mich gegen Rikki entschieden. Nicht mehr und nicht weniger, damit das klar ist. Darauf brauchst du dir gar nichts einzubilden."
Vitus schaffte es nicht, sie nicht zu provozieren, und so bohrte er im Spott nach: "So wie ich mir schon nichts darauf einzubilden brauche, dass du mich in dein Bett gebeten hast?"
Mit ihrem zu einem O geformten Mund schnappte sie nach Luft und streckte ihre Fäuste in Richtung Boden. "Wir hatten das geklärt."
"Ich glaub, zwischen uns ist gar nichts geklärt", sagte er und wandte sich Annabella ganz und gar zu. Sein Blick fing den ihren auf. Aus goldenen Augen starrte sie ihm entgegen. Sein Herz raste und Blut rauschte in seinen Ohren, als ihm bewusst wurde, dass es jetzt keine Umkehr mehr gab. Dabei war Vitus noch nie gut darin gewesen, die passenden Worte zu finden, um seine Gefühlswelt auszudrücken.
Um der erwartungsvollen Spannung zwischen den beiden gerecht zu werden, begann er: "Ich ... vor langer Zeit ... da ....", stammelte Vitus und bemerkte selbst, dass er sich mal wieder um Kopf und Kragen redete. Diese Unfähigkeit war ein Romantikkiller.
Noch dazu wusste er Annabellas seltsamen Blick - konsterniert, abwehrend oder pikiert? - nicht wirklich zu deuten. Auf jeden Fall war keins seiner Worte das, was sie sich erhofft hatte.
Vitus fuhr sich durch die Haare und wandte seinen Kopf gen Himmel. Der von Wolkenschleiern umhüllte, bleiche Mond erinnerte ihn an die gemeinsame Neumondnacht und an die Zuversicht, die damals in ihm aufgeblüht war. Er müsste es nur richtig anstellen. Von richtig war er mit seinem hilflosen Gestammel allerdings weit entfernt. Eine andere Herangehensweise war erforderlich - ahnungslos, ob diese funktionierte.
Fast schon verzweifelt ließ Vitus seinen Arm fallen, genauso verzweifelt musste auch das Lächeln aussehen, das auf seinen Lippen lag, als er sich abermals Annabella zuwandte.
Immer noch regungslos stand sie da, wollte ihm nicht helfen oder entgegenkommen. Was erwartete er auch? Er war der Mann, er musste sie erorbern. Jetzt oder nie. Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, als wollte es sein Gefängnis aus Rippen sprengen.
Vitus hob seine Hand und legte sie sachte auf Annabellas Wange. Unter seiner Berührung schienen ihre Augen noch größer zu werden. Als er dann noch einen Schritt auf sie zutrat, um die letzte Lücke zu schließen, schien nicht nur Vitus die Luft anzuhalten, sondern auch Annabella.
Er neigte seinen Kopf nach unten, ihre rosigen Wangen und ihre glänzenden Augen warm vom Feuer beschienen. Dann senkte er seinen Blick auf ihren spaltbreit geöffneten Mund, der ihn geradezu zu einem Kuss einlud. Es war ein Signal, das Vitus die Sicherheit gab, es zu wagen. Zaghaft legte er seine Lippen auf die ihren, bedacht darauf, Annabella die Möglichkeit zur Flucht zu lassen, sollte er sich irren.
Doch er irrte sich nicht. Ohne zu zögern erwiderte sie seinen Kuss, legte eine Hand in seinen Nacken und zog sich näher an Vitus heran. Annabella begehrte ihn, hatte offenbar schon lange auf diesen Schritt gewartet. Für Vitus war es unbegreiflich. Wann war es um sie geschehen?
Erfüllt vom höchsten Glück schien durch seinen Bauch ein Kolibrischwarm zu flattern. Im Rausch der Unwirklichkeit verschmolzen ihre Körper und Seelen miteinander und Vitus gab ihr innerlich das Versprechen, für Annabella einzustehen, komme was wolle.
Er war benommen und Schwindel umhüllte seine Sinne, als sich Annabella von ihm löste. Zufrieden schien sie, als sie ihn anlächelte. Vitus wollte gar nicht wissen, wie dämlich er sie anblickte. Wie der verliebteste Volltonto weit und breit.
Annabella war die Erste, die das Wort ergriff. "Ich fürchte, du müsstest mich nicht mehr für ein Rendezvous erpressen. Die einzige Bedingung wäre: Keine Versetzung und keine Drogenermittlung."
"Das sind aber zwei Bedingungen", bemerkte er.
Sie grunzte. "Und zwei Bedingungen sind es dir nicht wert, mit mir auszugehen?"
"Das hab ich nicht gesagt", erwiderte Vitus mit einem Schulterzucken.
"Dann frag mich gefälligst nach einem Rendezvous!"
***
Ich möchte mich für die Updateverzögerung entschuldigen. Mein Hausbau hat mich seit letzter Woche wieder fest im Griff und irgendwie hab ich nun doch entschieden, dass die zwei sich hier mal küssen sollen xD (die Ursprungsfassung war kusslos, aber irgendwie kam es mir dann doch seltsam vor, nachdem sie schon ziemlich aufeinander stehen. Daher hat die Überarbeitung auch noch länger gedauert. Gefühle und so).
However. Ich bin jetzt dann wieder auf der Baustelle, also nicht wundern, wenn ich auf Kommentare in der nächsten Zeit nicht antworte T.T
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