13. Kutscher und Anker
"Pedro im Ausland, Stefano in unserer Zelle, der Kutscher im Koma", zählte Gotthart vasta Rax auf. "Ich schätze, wir kommen so nicht weiter."
Vitus stand mit verschränkten Armen im Türrahmen zur Schreibstube des Prinzipals. Diese war - im Gegensatz zu den spärlich eingerichteten Arbeitszimmern der untergebenen Gendarmen - geradezu pompös. Hauchdünne Schleier blähten sich vor dem bodentiefen Fenster in einer Brise. Am Morgen musste man die kühle Luft einfangen, ehe es zur Mittagsstunde warm und stickig werden würde. Dicke, hellblaue Samtvorhänge umrahmten die Sprossenfenster.
"Wer war nochmal Pedro?", fragte Vitus beiläufig. Irgendeiner der Drogenhändler, von Stefano verraten, aber die genauen Zusammenhänge hatte er gerade nicht im Kopf, schon gar nicht jetzt, da seine Gedanken umherwirbelten wie lose Papierseiten im Wind. Irgendwelche absonderlichen Gestalten hatten Annabella bedroht und wenn es stimmte, was Vitus glaubte... Er schauderte.
Der kleine Mann, der das große Amt des Prinzipals der Gendarmerie innehatte, zwirbelte seinen weißen Schnauzbart. "Stefanos Bruder. Warum er ihn so leichtfertig verraten hat ..." Er zuckte mit den Schultern.
"Wenn Stefano sogar schon seinen eigenen Bruder ans Messer liefert, wird er keine weiteren Informationen mehr haben", sagte Vitus. Er schloss die Tür hinter sich und ging vor Gottharts Schreibtisch.
Das Leder des beigefarbigen Sessels knarzte, als sich der Prinzipal zurücklehnte. "An welchem Punkt willst du weiter ermitteln? Oder willst du warten, bis Pedro in die Kolonie überführt wurde?"
Vitus schüttelte den Kopf. "Das dauert zu lange." Er setzte sich auf den lackierten Rundlehnenstuhl gegenüber seines Vorgesetzten, um von seinen Plänen zu berichten. "Wir müssen den Zustrom des Lahschas in die Stadt unterbinden - durchschauen, wo es herkommt, über welche Wege es reingespült wird. Und wenn wir wissen, wie es reinkommt, sind wir dem Baron einen Schritt näher."
Gotthart bekam große Augen, als hätte er soeben von der abwegigsten Methode gehört. "Also willst du alle Wägen und Lieferungen kontrollieren, ehe sie die Stadtgrenze des äußeren Rings passieren?"
"So ist es. Jeder Mann und jede Kutsche. Das Lahscha kursiert mittlerweile sogar schon in der Innenstadt, ganz zu schweigen von der Abhängigkeit der Makha." Die Entschlossenheit quoll in ihm über und das Feuer eines leidenschaftlichen Kriminalbeamten loderte in seinen Adern.
In dem Moment hätte er beinahe die Gestalten vergessen, denen er gestern in der Mine begegnet war. Eigentlich hatte er Gotthart darüber unterrichten wollen, doch solange Vitus nicht sicher war, was er gesehen hatte, wollte er keine Pferde scheu machen.
Geduldig lauschte der Prinzipal den Worten seines Untergebenen. Schließlich entfaltete er seine Hände, nur um sie dann in seinen Schoß fallen zu lassen. "Aber bedenke, dass deine vorgesehenen Maßnahmen Unmengen an Personal binden. Ich bin mir nicht sicher, ob wir mit diesen absonderlichen Morden an Freimoor, Danbei und einigen anderen Kolonisten eine so umfangreiche Durchsuchung stemmen können. Die Mordermittlungen gehen vor und leider gibt es keinerlei Anhaltspunkte zu irgendwelchen Verdächtigen. Ich schätze, wir müssen abwarten, bis Pedro nach Tarragoss ausgeliefert wird."
"Diese Morde ...", setzte Vitus an und seine Zähnen mahlten. Die dünnen Streben des Stuhls drückten sich in seinen Rücken, als er sich zurücklehnte und mit einer Hand am Kinn laut nachdachte. "Was ist an ihnen so ungewöhnlich?"
Gotthart legte seine Ellenbogen auf den Tisch. "Auf alle wurde mit einem uralten Pfeil geschossen. So alt, dass sie eigentlich gar nicht mehr existieren dürften. Das Holz der Pfeile entstammt dem Ursprungsbaum, dem Kumulau'kahiko, den die Kolonisten vor gut dreißig Jahren mittels Abholzung ausgerottet haben. Die Metallspitzen entsprechen demselben Alter, wobei ich mich frage, warum sie nicht zur Gänze verrostet sind."
"Pfeile, wie sie die Ulakas im Kampf gegen die Kolonisten verwendet haben", sagte Vitus tonlos, sodass der Prinzipal ihn wohl kaum gehört hatte.
Der sprach ohne Umschweife weiter: "Außerdem sind die Opfer nicht ausgeraubt worden. Ihre Portemonnaies samt Inhalt waren in ihren Taschen, weswegen ein Raubüberfall ausgeschlossen ist. Verzeih, aber im Makha-Viertel ist das äußerst ungewöhnlich."
Dann zog Gotthart ein Blatt unter seinen Papierstapeln hervor und musterte es. "Wobei die dunklen Nächte bei Neumond, an denen die Morde jeweils stattgefunden haben, sich für einen Raubüberfall geradezu anbieten. Unentdeckt, versteckt in der Dunkelheit. Du weißt schon."
"Alle Taten an Neumond?", wiederholte Vitus den Fakt und seine Augen wurden größer, ehe er murmelte: "Das ist bedenklich."
"Inwiefern?", fragte der Prinzipal und reckte das Kinn.
Vitus sprang auf. "Ich lese noch einmal nach, aber ich fürchte, wir haben es mit etwas Schlimmeren als einem Neumond-Serienmörder zu tun!"
Fassungslos kniff Gotthart die Augen zusammen. "Aber was könnte schlimmer sein?"
Ehe Vitus antworten konnte, riss jemand unter lautem Gerumpel die Tür zur Schreibstube auf, so als wäre derjenige geradewegs dagegen geflogen.
"Herr vasta Rax. Herr Arlstein." Es war der schlacksige Tarsan, der die Botengänge tätigte und somit von sämtlichen Neuigkeiten zu berichten wusste. Wenn er so hereingestürmt kam, war es wichtig.
Vitus hielt inne. "Was ist los?"
"Der Kutscher ist aufgewacht!"
***
Auf die ablehnende Haltung - immerhin wäre der Patient noch zu schwach - des Arztes nahm Vitus keine Rücksicht. Die Zeit drängte und so konnte er keine weitere Sekunde verstreichen lassen, den Kutscher nicht zu verhören. Tommas Molena war sein Name. Das hatte Vitus von den Pflegerinnen an der Rezeption erfahren.
Außerdem war der Kutscher in den letzten Wochen über eine Nasensonde ernährt und am Leben gehalten worden. Vitus wunderte sich stets über die medizinischen Möglichkeiten, die man in der heutigen Zeit hatte. Und vor allem darüber, wie die Gelehrten auf solche Ideen gekommen waren. Dass diese Ideen dann auch noch funktionierten und einen Menschen aus einer Situation retteten, die in grauer Vorzeit seinen Tod bedeutet hätte, glich aus Vitus´ Sicht einem Wunder.
Jetzt fand er sich in einem abgeschotteten Krankenzimmer wieder, das so trostlos und kahl eingerichtet war wie seine Schreibstube.
Tommas war an den Händen mit Stricken an den Bettpfosten festgebunden worden. Das Personal des Hospitals hielt sich wahrhaft vorbildlich an Vitus Anweisung von vor gut vier Wochen.
"Herr Molena." Vitus räusperte sich. "Erkennt Ihr mich wieder?"
Einzig Tommas Augen bewegten sich. "Eure Strangulationswunde scheint gut verheilt zu sein."
"Eure Kopfwunde wohl auch", gab Vitus zurück und war erleichtert, dass sich der Verdächtige nach so einer Schädelverletzung überhaupt noch an etwas erinnern konnte.
"Herr Molena, Ihr seid Drogenkurier und Ihr hattet großes Interesse daran, mir die Luft abzuwürgen. Ich nehme an, dass Ihr tief im Ring dabei seid. Deswegen muss ich Euch Fragen stellen. Wer ist Euer Anführer? Wie werden die Drogen in die Stadt geschafft und wie wird das Lahscha umgeschlagen? Wo ist der Sitz, Euer Treffpunkt?"
Tommas rührte sich nicht. Er schwieg, seine Augen starrten ins Leere als bestünde sein Kopf aus Luft.
"Herr Molena?", fragte Vitus leise nach, wollte er ihn doch sanft daran erinnern, dass er sprechen musste.
Als wären irgendwelche Hirnwindungen wieder eingerastet, wandte der Kutscher plötzlich seinen bandagierten Kopf zu Vitus. Die Halbglatze reflektierte dort, wo sie nicht mit Verband bedeckt war, das Sonnenlicht. "Wie habt Ihr das geschafft?"
Vitus schob verdutzt die Augenbrauen zusammen. "Was geschafft?"
"Na das?", antwortete Molena und deutete mit einer vagen Geste auf seinen Kopf. "Ein Fußtritt von einem Totgeweihten kann doch niemals so stark sein, dass jemand vier Wochen ins Koma fällt!"
"Gerade von einem Totgeweihten, schätze ich", gab Vitus zurück. Er erinnerte sich gut an die Kraft, die ihm seine Panik im Augenblick der Strangulation geschenkt hatte. Doch abgesehen davon gab es da noch diesen mysteriösen Fremden, der ihm damals geholfen hatte.
"Äh", entfuhr es Tommas. "Aber mein Schädel ist rechts im hinteren Bereich kaputt. Euer Fuß hätte doch die Stirn verletzen müssen, oder nicht?"
"Wann seid Ihr aus dem Koma erwacht?", fragte Vitus voller Erstaunen darüber, dass jemand, der vier Wochen geistig abwesend gewesen war, so schnell die richtigen Schlüsse ziehen konnte. Der Kutscher war klüger als er aussah. Im Drogenring musste er mehr sein als ein einfacher Kutscher respektive Kurierfahrer.
"Vor eineinhalb Stunden."
"Verratet mir, wo der Hauptsitz des Drogenrings ist und ich sage Euch, wie Ihr zu der Verletzung gekommen seid." So genau konnte Vitus das zwar auch nicht sagen - immerhin wusste er nicht, wer ihm geholfen hatte - aber man konnte ja mal schwindeln und von einem einfachen Passanten sprechen.
"Und nur zu Eurer Information: Solltet Ihr jegliche Information verwehren, werdet Ihr bis zum Tag, an dem Dagar Euch zu sich holt, im Kerker schmoren. Der Tötungsversuch an einem Kriminalbeamten ist mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe bewehrt, also ..." Vitus senkte den Kopf und zog die Augenbrauen hoch.
Tommas grinste schief. "Wenn ich Euch irgendwas verrate, bin ich tot."
Vitus hatte ihn beinahe so weit. Nur noch ein kleiner Schubs in die richtige Richtung. "Nur eine Adresse oder einen Namen, irgendwas", sagte Vitus. Er würde jetzt nicht aufgeben und versprach: "Es wird nicht in den Ermittlungsakten auftauchen, doch unter der Hand werde ich dem Richter von Eurer Kooperationsbereitschaft erzählen. Niemand wird davon erfahren."
Es kostete den Kutscher sichtlich viel Mühe, seinen Kloß hinunterzuschlucken. Dann bedeutete er Vitus, näher heranzukommen. Der Kriminalbeamte steckte seinen Kopf zu Tommas, der nur drei Worte flüsterte: "Der Krumme Anker."
***
Zugegeben, vermutlich ist das nicht die erfüllendste Stelle, an der es weitergeht, aber ich kann Vitus ja schlecht alle Geheimnisse jetzt schon ausplaudern lassen (irgendwie ist die abgeschiedene Lage in der Kolonie echt ein wenig kompliziert, Dinge können nicht Schlag auf Schlag ablaufen, weil Informationen über Wochen transportiert werden müssen xD Deswegen ist Vitus einfach zurückhaltender und vorsichtiger mit dem, was er denkt zu wissen ... Außerdem sind ihm die Drogen wichtiger :D
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