Emma
Hier kommt unsere Geschichte zu ihrem Beginn. Wir treffen Emma. Ein sechszehnjähriges Mädchen, dessen Eltern von Caesars Männern ermordet wurden, als sie noch sehr klein war, nachdem sie sich gegen die Veränderungen gesträubt hatten.
Es waren nur Bücher, dachte Emma manchmal, wenn sie alleine in ihrem Verschlag hockte und versuchte, endlich Schlaf zu finden. Ihr habt mich für Bücher verlassen. Doch dann schämte sie sich augenblicklich für ihre Gedanken. Ihre Eltern hatten schließlich nichts dafür gekonnt und sie garantiert geliebt. Es war äußerst mutig von ihnen gewesen, sich gegen die neuen Prinzipien und Pflichten zu wehren. Sie wünschte nur, sie hätten sie nicht hier allein gelassen.
In zwei Jahren würde Emma als Erwachsen gelten und ihr restliches Leben damit verbringen, sich ebenso wie alle anderen abschuften zu müssen. Es machte ihr große Angst, daran zu denken. Als sie dann eines Tages von dem sogenannten Widerstand hörte - eine Gruppe von Leuten, die sich versteckten und ihre Rache an der neugebildeten Regierung planten - fasste sie Hoffnung. Vermutlich war die Hälfte des Gehörten einzig und allein durch Gerüchte entstandener Tratsch - so erzählte man sich beispielsweise zusätzlich noch, der Widerstand hätte die allzu kostbare Farbe - trotz all dem wollte sie es versuchen. Wenn sie auf den Widerstand treffen würde, könnte sie ein Leben in Sicherheit führen, da war sie sich sicher. Weg von Caesar, seinen Gesetzen und all dem Elend und Leid. Sie beschloss also, den Widerstand ausfindig zu machen.
Als sie auf einmal Lärm auf den Straßen hörte, kroch sie neugierig zu dem kaputten Fenster und spähte vorsichtig zwischen den dreckigen Gardinen nach draußen. Ein Mädchen, etwas älter als sie, lieferte sich einen Kampf mit den Garden Caesars - und besiegte sie! Ohnmächtig und verletzt lagen kurze Zeit später fünf Männer im Dreck und das geheimnisvolle Mädchen wischte sich nur laut seufzend die Hände an der Hose ab, so als hätte sie gerade etwas enorm ekliges berührt. Erst jetzt bemerkte Emma das wohl wichtigste an ihr: die Kleidung des Mädchens war bunt! Kein graues, sackähnliches Oberteil, sondern ein rotes T-shirt und eine enganliegende blaue Hose, aus einem Stoff, den Emma nicht benennen konnte. Plötzlich drehte das Mädchen seinen Kopf und starrte Emma direkt in die Augen. Erschrocken zuckte Emma zusammen und wagte es nicht, sich zu rühren.
"Du!", wurde sie nun von der Fremden abgefahren.
Als sie nicht reagierte, wiederholte das Mädchen es noch mal. "Hey, Du! Kannst du mir ein Glas Wasser geben, ich habe wirklich furchtbaren Durst! Du hast ja keine Ahnung, wie nervig diese Typen sind."
Verwundert wollte Emma gerade nicken und etwas von ihrem kostbaren Trinkwasser für die Fremde vor ihrem Fenster holen, als sie sich gerade noch einmal stoppte. Sie versuchte ihre Stimme fest und sicher klingen zu lassen, als sie eine Gegenfrage stellte und nicht auf die Bitte des anderen Mädchens einging. "W-wie heißt du?", stotterte sie und verfluchte sich innerlich sofort dafür. Verdammt, sie hatte nicht so ängstlich und verwirrt klingen wollen, wie sie sich fühlte. Außerdem gab es andere Dinge, die sie viel dringender wissen wollte. Zum Beispiel, woher ihre farbige Kleidung stammte.
"Maria. Hast du nicht zufällig ein bisschen Wasser?", versuchte sie es erneut.
Doch Emma wollte vorher wenigstens noch eine Frage stellen. "Beantworte mir zuerst noch eine weitere Frage!", forderte sie und hörte sich nun auch endlich selbstsicherer an, als sie es eigentlich war. Die Fremde seufzte kurz und nickte dann. "Was machst du hier? Wer bist du?", fragte Emma, was ihr durch den Kopf ging.
"He, das sind aber zwei Fragen! Na gut. Ich bin hier, um ein paar Kids zu retten; ich komme vom Widerstand."
Ungläubig weiteten sich Emmas Augen und sie versuchte schnell ihre Gedanken zu ordnen. Das war perfekt!
"Wasser?", riss Maria sie aus ihren Gedanken, Emma schüttelte schnell den Kopf und holte dann hastig einen Becher, den sie mit dem verschmutzten Trinkwasser füllte, dass sie in einer Regentonne sammelte.
"Hier", meinte sie und sah dann zu, wie Maria den kalten Inhalt schnell nach hinten stürzte. Sie hatte anscheinend wirklich großen Durst gehabt. Dann sah sie Emma plötzlich merkwürdig abschätzend an. "Kleine, wo sind deine Eltern?", meinte sie nach einigen Augenblicken und Emma wurde es schwer ums Herz. Sie schluckte und versuchte den Klos zu lösen, der sich soeben in ihrem Hals gebildet hatte. "Nein", brachte sie schwer hervor. Maria nickte nur, sie schien die Antwort zu verstehen.
"Kann ich mitkommen?", brach es schließlich endlich aus ihr heraus. "Bitte, ich habe sonst keine Chance!"
Maria nickte erneut, dieses Mal nachdenklich. "Wir werden sehen. Vorher müssen wir noch gucken, dass du wirklich nicht auf Caesars Seite bist. Komm mit, ich werde dir jemanden vorstellen."
Emma schluckte ihren Protest herunter - wie könnte sie eine Anhängerin Caesars sein, wenn er doch ihre Eltern hatte ermorden lassen - und folgte der Fremden durch die dunklen Gassen. Auf dem Weg zu der oder den Personen, die Maria ihr vorstellen konnte, gelang es Emma, sie ein bisschen über den Kampf vorhin auszufragen. Konnten alle aus dem Widerstand so gut kämpfen? Bereitwillig berichtete Maria ihr, sie habe sich auf den Nahkampf spezialisiert und Emma müsse ebenfalls das Kämpfen erlernen, wenn sie mit zum Widerstand gehören wollte. Innerlich haderte Emma mit ihren Gefühlen. Selbstverteidigung war äußert wichtig, doch direkt kämpfen wollte sie eigentlich nicht. Sie wollte und konnte Menschen nicht einfach so weh tun, oder sie gar ermorden, so wie Maria es vorhin vielleicht getan hatte. Denn dann wäre sie ja keinen Deut besser, als Caesar und sein Gefolge, oder? "...jeden Tag vier Stunden Training. Das macht dir hoffentlich nicht allzu viel aus", meinte Maria gerade und Emma ertappte sich dabei, dass sie ihr nicht mehr zugehört hatte. Gedankenverloren verneinte sie. Nein, es machte ihr nichts aus, viel Training zu haben. Das Training an sich mit ihrem Gewissen zu vereinigen, war momentan wohl eher das Problem.
"So, da sind wir", stoppte Maria sie schließlich. Sie betraten eine Ruine und verborgen im Schatten traten plötzlich zwei Männer zu ihnen. So groß und kantig der eine aussah, so schmächtig wirkte der andere. Auch sie trugen farbige Kleidung. "Das ist Bilbo. Er ist unter anderem Boxer", erklärte Maria und wies auf das Muskelpaket. "Und hier haben wir Mario, einen überaus schlauen Professor". Es kam Emma so vor, als würde in Marios Blick etwas listiges lauern und das erste Mal kam ihr die Frage, wie man überhaupt zu überprüfen beabsichtigte, ob sie auf Caesars Seite stand oder nicht. Eingeschüchtert wich sie unauffällig ein Stück zurück. "Jungs, das hier ist-", Maria stoppte, da sie Emmas Namen nicht kannte. "Emma! Ich bin Emma.", ergänzte sie schnell. Bilbo schenkte ihr ein warmes Lächeln und legte eine seiner schweren Pranken auf ihre schmale Schulter. "Du Arme, bist ja ganz abgemagert! Da werden wir dich bei uns wohl ein bisschen aufpäppeln müssen. Aber keine Sorge, das kriegen wir schon hin." Dann lachte er laut und herzlich und bekam dafür einen ärgerlichen Klaps von Maria gegen den Arm. "Wirst du wohl still sein, du Honk! Die im Palast haben dich vielleicht noch nicht gehört!", schimpfte sie leise, ehe sie davon stapfte. Kurz überkam sie die Panik: wollte Maria sie jetzt etwa hier alleine lassen? Bilbo schien zwar ganz nett, aber vor Mario hatte sie noch immer Angst. Bilbo schien zu bemerken, was in ihr vorging und klopfte (bzw. schlug) ihr auf den Rücken. Es gelang ihr gerade noch zu verbergen, wie weh das getan hatte. "Keine Sorge Kleine, wir laufen ihr hinterher. Es gibt einen Treffpunkt, an dem noch andere Kinder und Mitglieder des Widerstands auf uns warten." Erleichtert nickte sie und versuchte sich nun auch an einem Lächeln. Dann folgten die drei Maria. Währenddessen redete Bilbo weiter auf sie ein und nahm ihr damit einen Teil ihrer Angst. "Du hast echt Glück, dass du Maria getroffen hast, weißt du? Denn eigentlich wäre heute Abend keiner von uns in deinem Wohngebiet gewesen. Sie ist wohl durch irgendwas auf Umwege geraten und hat dich dann so getroffen." Mit dem Umweg war vermutlich die Verfolgung der Garde gemeint. Sie waren etwa drei Stunden gelaufen, als Emma langsam unruhig wurde. Erst jetzt dachte sie wieder an ihre Feinde und fragte Bilbo besorgt, ob er denn keine Angst vor Caesars Wachen hätte, doch der schüttelte nur lächelnd den Kopf. "Wir sind gleich da. Dann kann uns eh keiner mehr stoppen."
Mittlerweile waren sie an einen Waldrand angekommen und tatsächlich: dort warteten noch viel mehr Kinder. Sie waren sowohl jünger als auch älter als Emma und starrten sie und die beiden Männer nun neugierig an. Dann rief plötzlich irgendjemand, sie sollten sich alle in eine Reihe aufstellen. Dann hörte sie, wie eine Maria - sie glaubte ihre Stimme zu erkennen - laut die Worte "der Frieden sei mit dir" rief. Dann geschah etwas unglaubliches. Ein gewaltiger Baum spaltete sich in der Mitte und statt eines Hohlraumes innerhalb des Stammes, kam eine metallene Tür zum Vorschein. Es war ein Fahrstuhl! Schnell scheuchte man die Kinder gruppenweise hinein und nacheinander wurden es immer weniger an der Erdoberfläche, bis man schließlich hätte meinen können, es wäre nie jemand an dem Ort vor dem Waldrand gewesen. Unten angekommen folgten alle Mario in einen Raum, wo jeder auf Waffen und Kameras - Mitschnitte verboten, oder was? - geprüft wurden. Dann wurde jedem der Kinder ein Zimmer zugeteilt - alles ging einfach unglaublich später. Nur eine halbe Stunde ließ Emma sich erschöpft auf ihr neues Bett fallen. Ein richtiges Zimmer, mit bunten Möbeln und bunten Wänden. Das Zimmer war ein einziger Traum - so etwas schönes hatte Emma noch nie gesehen! Alles war in einem gemütlichen rot gehalten und mit einer Couch, einem Sessel, einem hohen Tisch und zwei dazugehörigen Stühlen, einem Kleiderschrank und einem vollgestellten Bücherregal ausgestattet. Sie erhob sich von dem weichen Bett und schritt hinüber zu dem Bücherregal. Das waren also die Gegenstände gewesen, für die ihre Eltern sie allein und ihr eigenes Leben gelassen hatten. Ehrfürchtig strich sie mit den Fingerspitzen über die Buchrücken und versuchte die Schrift zu entziffern, doch es wollte ihr nicht gelingen.
Man hatte ihr das Lesen nicht beigebracht, ebenso wie sie noch nie ein Buch gesehen hatte. Kurz wurde sie stutzig. Woher wusste sie dann sofort, dass es sich hier um Bücher handelte? Das gleiche galt für die Farbe rot. Sie hatte sofort gewusst, welche Farbe das T-shirt von Maria oder dieser Raum gehabt hatte.
Sie beschloss, morgen jemanden danach zu fragen.
Doch jetzt genoss sie es erst einmal hier zu sein. Sie war der Freiheit ein Stück näher gekommen-so fühlte es sich jedenfalls an. Reichlich Essen gab es hier vermutlich, nach dem Aussehen der Widerständler zu urteilen.
Das Letzte woran sie dachte, bevor sie ihre Augen schloss, waren die Gesichter ihrer Eltern. Viele Details waren beinahe gänzlich verblasst und das machte sie unglaublich traurig. Hätte sie doch wenigstens ein Foto. Dann schlief sie ein - so gut, wie man es eben in diesen Zeiten konnte.
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