Der erste Schnee
Kapitel 20
Der erste Schnee
Als Ginny das nächste Mal erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel und zum ersten Mal konnte Ginny den Raum sehen, in dem sie sich befand. Hohe Wände, helle Farben und leichte Möbel, also eigentlich alles, was man nicht an einem Ort wie Darkheaven erwartet hätte. Aufmerksam ließ Ginny ihren Blick durch den Raum wandern, bis sie ein kleines Mädchen entdeckte, das im Schatten neben einem der Fenster stand und sie beobachtete.
Entsetzt hielt Ginny die Luft an, sprang aus dem Bett und lief auf die Kleine zu.
„Emma!", rief sie entsetzt und ging auf die Knie. Das durfte nicht wahr sein! Das sie gefangen genommen worden war, war vielleicht noch zu ertragen, aber nicht die kleine Emma Potter!
Erst als das Mädchen zurückwich und sie aus großen Augen entsetzt anstarrte, wurde Ginny bewusst, dass ihr ein Fehler unterlaufen war. Die Augen der Kleinen waren nicht grün, sondern blau.
„Ihr Name ist Kyra.", ertönte Zaris Stimme von der Tür her, durch die er den Raum gestern betreten hatte. Zielstrebig ging er nach vorne und nahm das Mädchen auf den Arm.
„Sie... Sie sieht fast genauso aus wie Emma.", stotterte Ginny verwirrt und starrte Kyra unverwandt an. Sie war 17, vielleicht 18 Monate alt, hatte rabenschwarze Haare und den gleichen zarten Körperbau.
„Nun ja, stell dir meine Überraschung vor, als ich ins Haus der Potters kam und dort ein kleines Mädchen vorfand, das meiner Kyra zum Verwechseln ähnelte.", antwortete Zari vergnügt und lächelte Ginny freundlich an.
„Ist sie... ist sie deine Tochter?", fragte Ginny vorsichtig.
„Ja, das ist sie.", meinte Zari stolz und strich seiner Tochter liebevoll über die dunklen Locken.
„Aber... aber...", begann Ginny ohne direkt zu wissen, was sie eigentlich sagen sollte.
„Aber was?", fragte Zari angriffslustig, „Als wäre ich der erste, der jemals mit 16 Vater geworden ist."
„Das meine ich nicht.", beeilte sich Ginny zu versichern, „Naja, vielleicht doch, aber ich war nur so... überrascht, dass sie Emma so ähnlich sieht. Die beiden könnten als Zwillinge durchgehen. Wenn die Augen nicht wären."
„Kyra ist nur fünf Tage älter als Emma und die beiden sind ja auch verwandt oder etwa nicht?", fragte Zari amüsiert. Mit seiner Tochter auf dem Arm ging Zari in den Nebenraum, aus dem er eben erst gekommen war. Wie betäubt folgte Ginny ihm und sah zu, wie Zari Kyra in einem Meer von Spielsachen absetzte. Erstaunt blickte Ginny sich um. Das Kinderzimmer war voll von Spielsachen und Bildern, an der gegenüberliegenden Wand stand ein riesiges Kinderbett und die weiten, hohen Fenster ließen den Raum in warmen Licht erstrahlen.
„Unglaublich.", dachte Ginny, je mehr sie von Zari sah, desto weniger Sinn ergab das alles.
Erst jetzt, als sie über das nachdachte, was sie über Zari wusste fielen ihr die gestrigen Ereignisse wieder vollends ein: „Du hast ihn getötet.", murmelte sie entsetzt und starrte Zari an, der aufblickte und wieder auf sie zuschritt.
„Ich weiß nicht, wen du im Moment meinst, aber vermutlich hast du mit deiner Aussage recht.", antwortete er lässig und ließ sich in einen Schaukelstuhl fallen.
„Gestern Abend. Der Mann... du... hast ihn einfach getötet.", stotterte Ginny und wich ein Stück vor Zari zurück.
„Ja. Wenn es dir lieber gewesen wäre, dann hätte ich dich natürlich auch bei ihm lassen können. Ich dachte, ich tue dir eventuell einen Gefallen.", sagte Zari mit scharfer Stimme.
„Nein! Ich meine ja... Ich meine... Du hast ihn einfach getötet, du hättest auch einen anderen Weg finden können.", rief Ginny verzweifelt, noch immer den kalten, leblosen Blick Seymores vor Augen.
„Du meinst, ich hätte ihn auch einfach schocken können?", fragte Zari ruhig und beherrscht, „Dann wäre er noch am Leben, aber dich hätte ich trotzdem gerettet."
„Genau.", flüsterte Ginny betreten.
„Mh, sicher. Aber sag mir: Wer hätte das nächste Mädchen beschützt?", fragte Zari noch immer völlig ruhig.
Mit offenem Mund starrte Ginny ihn einen Moment lang an, bevor er fortfuhr: „Du wärst nicht das erste Mädchen gewesen, Ginny. Und sicherlich auch nicht das letzte."
„Und wieso interessiert dich das?", rief Ginny plötzlich wütend, „All die Dinge, die ich über dich gehört habe, seit du Hogwarts verlassen hast. Du hast gefoltert und getötet, warum interessiert es dich, was einer von DEINEN Leuten mit euren Feinden tut?!"
Zari lachte nur freudlos, dann blickte er Ginny direkt in die Augen und sagte: „Alles was ich tue, tue ich für meine Tochter. Und die Mädchen, die Seymore vergewaltigte waren auch irgendjemandes Töchter. Also ja, es interessiert mich, was meine Leute tun. Wir führen einen Krieg und es gibt Verluste auf beiden Seiten, aber es gibt auch Dinge, die ich niemals tolerieren werde." Mit diesen Worten stand er auf, ging zu einem der Fenster und blickte stumm nach draußen.
Sprachlos starrte Ginny auf seinen Rücken. Ihre Gedanken rasten. Nach einer Weile stellte sie sich neben ihn und blickte ebenfalls hinaus, während Kyra hinter ihnen friedvoll spielte.
„Kann ich jemals wieder nach Hause?", fragte Ginny hoffnungsvoll, obwohl sie die Antwort auf diese Frage eigentlich schon kannte.
„Nein.", war alles, was Zari sagte, doch Ginny meinte Mitleid aus seiner Stimme heraus zu hören.
„Und jetzt? Soll ich etwa den Rest meines Lebens hier bleiben?"
„Ich habe den Hauselfen bereits aufgetragen dir ein Zimmer neben Kyras einzurichten. Du kannst natürlich auch irgendwo anders im Schloss bleiben, aber ich vermute, dass du es bei uns wohl am besten haben wirst.", entgegnete Zari ruhig.
„Und dann bin ich was? Das Kindermädchen?", hakte Ginny leise nach.
Zari nickte nur und blickte zum mittlerweile grauen Himmel hinauf.
„Es hat angefangen zu schneien.", sagte Ginny sehr leise ohne Zari anzusehen.
„Ja", erwiderte er ruhig, „Der erste Schnee dieses Jahr."
„Nimm dir das, was Percy gesagt hat nicht zu sehr zu Herzen.", sagte Remus und ließ sich neben Sirius aufs Sofa fallen. In die Rumteiberhöhle zurückzukehren war ein sehr seltsames Gefühl gewesen. Obwohl sich eigentlich nichts geändert hatte, schien doch alles anders zu sein und die Stimmung war äußerst gedrückt. Besonders Sirius sah man die Spuren der letzten Wochen deutlich an.
„Wieso denn nicht? Er hat ja recht.", antwortete Sirius trostlos.
„Du konntest es doch überhaupt nicht wissen.", versicherte Remus ihm.
„Das ändert nichts daran, dass ich Phoenix so sehr vertraut habe, dass ich ihr sogar aus Versehen eins unserer wichtigsten Geheimnisse verraten habe!", antwortete Sirius heftig.
„Wir haben ihr alle vertraut, Sirius. Wir haben sie in unser Leben gelassen und ihr blind vertraut, sie durfte ja sogar auf die Kinder aufpassen.", erinnerte Remus ihn.
„Ja.", schnaubte Sirius, „Wir sollten dankbar sein, dass sie ihnen nichts getan hat!"
„Ich glaube nicht, dass sie sowas getan hätte. Sie schien die Kinder doch wirklich gern zu haben."
„Vielleicht war sie auch nur eine verdammt gute Schauspielerin.", sagte Sirius und starrte betreten auf seine Hände.
„Das macht doch überhaupt keinen Sinn!", sprach Remus das aus, was ihm schon so lange zu schaffen machte, „Du hast sie doch schon Monate bevor wir Harry fassten kennengelernt."
„Und wenn Harry geplant hatte sich fangen zu lassen, dann war das vielleicht schon monatelang so.", erwiderte Sirius.
„Ja schon, aber du hast sie doch in einem Muggelclub kennengelernt, in den du sonst nie gehst, also woher sollte sie wissen, dass du da sein würdest?", hakte Remus nach.
„Vielleicht hat Harry mich ja beschatten lassen.", schlug Sirius zerknirscht vor.
„Und wieso hat sie Harry dann nicht gleich frei gelassen, als du ihr das Passwort verraten hast? Wieso hat sie noch Wochen lang gewartet?", fuhr Remus mit seinen Gedanken fort.
„Merlin, Moony! Ich weiß es wirklich nicht. Können wir nicht einfach das Thema wechseln?!", rief Sirius verzweifelt.
„Okay...", begann Remus gedehnt, „Wie geht es Aurora?"
„Wie geht es dir?", fragte Jack vorsichtig, als er Aurora endlich fand. Er hatte sie schon ewig gesucht und sie nun endlich draußen im Baumhaus gefunden.
„Wie soll es mir schon gehen? Ich habe meinen Freund belogen und verletzt.", antwortete Aurora geistesabwesend.
„Das kriegt ihr schon wieder hin.", versuchte Jack Aurora aufzuheitern.
„Nein. Das verzeiht er mir nie und ich bin auch nicht sicher, ob ich das überhaupt will.", entgegnete Aurora ruhig.
„Was meinst du damit?", fragte Jack überrascht und setzte sich neben sie.
„Wenn ich ehrlich bin, dann glaube ich, dass es besser so ist. Neville ist toll und alles, aber ich glaube nicht, dass das mit uns wirklich jemals funktionieren kann."
„Wieso nicht?", hakte Jack stirnrunzelnd nach, während sein Inneres sich anfühlte, als würde ein Ballon voll Hoffnung anschwellen.
„Weil ich schon sehr lange einen anderen mag.", gestand Aurora leise und Jack spürte, wie der Ballon in seinem Inneren vor Enttäuschung zerplatzte.
„Oh...", hauchte er, „Wen?"
Ohne zu blinzeln sah Aurora ihn an und wie durch einen Nebel sah Jack, wie ihr Gesicht dem seinen immer näher kam. Mittlerweile war sie ihm so nahe gekommen, dass Jack jede einzelne ihrer Wimpern erkennen konnte.
„Dich.", wisperte sie leise und sah ihn unsicher an. Einen endlosen Moment lang starrte Jack sie einfach wie betäubt an, dann beugte er sich noch ein kleines Stück vor und küsste sie vorsichtig, während es um die beiden herum zum ersten Mal in diesem Jahr zu schneien anfing.
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