Selbstfindung
Palma wusste nicht mehr weiter. Jacob hatte sie so sehr in den Boden gestampft, dass sie sich sicher war, ihn niemals besiegen zu können. Doch Hanna wollte das einfach nicht sehen. „Du kannst das, Palma." „Ein wenig Training, dann bist du stark genug." Natürlich meinte die Rothaarige das nur gut und war sicherlich überzeugt davon, dass Palma stark war. Doch sie war schwach. Würde niemals eine gute Trainerin werden. Niemals an Hanna heranreichen. Dessen war sie sich sicher. Immer und immer wieder versuchte sie, das ihrer Freundin zu erklären. Hanna blockte inzwischen jedoch nur noch genervt ab.
„Blitza, Donnerblitz!", befahlt Palma. Das gegnerische Tauboss wurde von Blitzas Attacke getroffen, trug jedoch nicht einen Kratzer davon. Seelenruhig saß es auf einem großen Stein und putzte sein Gefieder. „Los, Blitza, noch einmal!" Panik schwang in der Stimme des Mädchens mit. Wieder schien die Attacke des Elektropokémon keine Wirkung zu haben. Waren Palma und ihre Pokémon wirklich so schwach? „Tauboss, Ruckzuckhieb!", rief ihr Gegner gelassen und gab damit zum ersten Mal in diesem Kampf einen Befehl. Auch Palma rief ihrem Blitza zu was es tun sollte. Das Tauboss schoss auf Blitza zu und riss ihm mit seinem scharfen Schnabel die komplette Seite auf. Blitza blieb regungslos am Boden liegen. Palma konnte erkennen, dass es nicht mehr am Leben war. Aber es verwandelte sich nicht in ein rotes Licht. So wie Max Rattfratz damals. „Blitza!", schrie Palma mit Tränen in den Augen.
Die Szene hatte sich geändert und die Blondine musste sich erst einmal orientieren. Sie saß aufgeschreckt in ihrem Schlafplatz. Hanna und Hundemon schauten sie erschrocken an. Jetzt erst merkte Palma, dass ihre Wagen feucht waren und sie zitterte. Hanna krabbelte zu ihr und küsste sie. „Es ist alles gut. Du hast scheinbar nur schlecht geträumt."
Leider sollte dies nicht ihr letzter Albtraum gewesen sein und so war sie am nächsten Morgen sehr müde. Ihre Gedanken waren nun noch lauter und negativer als am Vortag.
„Hey, da vorne ist Alabastia, wir sind fast da", freute sich Hanna.
„Das ist noch so weit. Können wir nicht morgen weiter?", quengelte Palma.
„Komm, das schaffst du!"
„Ich schaffe das nicht. Ich schaffe gar nichts. Ich kann nicht einmal einen dämlichen Orden gewinnen! Ich bin nicht wie du. Du kannst alles, schaffst alles, besiegst jeden. Ich hasse dich!", entfuhr es der Blondine aufgebracht. Sie bereute sofort ihre Worte, doch es war zu spät. Hanna war auf der Stelle in Tränen ausgebrochen und lief davon. Palma folgte ihrer Freundin, um sich bei ihr zu entschuldigen. Plötzlich rutschte die Rothaarige auf einer Wurzel aus, schrie laut auf und fiel zu Boden. „Ist alles in Ordnung?", eilte Palma ihr sofort zu Hilfe.
„Lass mich in Ruhe! Du hasst mich doch sowieso!"
„Nein, so war das nicht gemeint!" Palma kamen die Tränen. Sie war eine schreckliche Trainerin. Und nun auch eine schreckliche Freundin.
„Wie dann?" Hannas Stimme hatte noch nie so kalt geklungen wie in diesem Moment. Die Rothaarige versuchte aufzustehen, fiel jedoch wieder hin. „Ich kann nicht auftreten." Palma rief sofort ihr Hundemon hervor und half ihrer Freundin, auf das Pokémon zu steigen. Diese ließ sich nur widerwillig helfen, hatte jedoch keine andere Wahl.
In Alabastia angekommen suchten die Mädchen auf Palmas Drängen hin zuerst einen Arzt auf. Hannas Fußgelenk war heiß und geschwollen.
Palma saß ungeduldig im Wartezimmer. Ihr Kopf war voller Sorgen und Vorwürfe. Wieso nur hatte sie Hanna so angefahren? Wieso hatte sie dem Menschen, der ihr so wichtig war, gesagt, sie würde ihn hassen?
Endlich kam die Rothaarige aus dem Untersuchungszimmer. Gerade so konnte Palma den Drang unterdrücken, Hanna um den Hals zu fallen. „Wie geht es dir? Was hast du?"
„Zum Glück nichts Schlimmes. Nur ein paar überdehnte Bänder. Ich muss meinen Fuß jetzt aber eine Weile schonen", berichtete die Verletzte.
Nach einem Besuch im Sanitätshaus, wo sie der Rothaarigen schicke Krücken besorgten, machten sie sich auf den Weg zum Pokémoncenter. Da die Saison für neue Trainer gerade vorüber war, fanden sie dort auch problemlos einen Schlafplatz.
Am nächsten Tag wurde Palma von ihrer Freundin zum Pokémonlabor geführt, in dem sie ihre Reise begonnen hatten. Dort wurden sie bereits von Clara Tann erwartet, die die beiden in einen kleinen Konferenzraum führte.
„Palma, Hanna hat mir bereits berichtet, dass du mit dem Gedanken spielst, deine Trainerlaufbahn an den Nagel zu hängen. Was ist denn los?"
Die Blondine schluckte; ihr Hals fühlte sich an als sei ein Kloß darin. „Ich bin schwach. Ich habe den Arenakampf in Vertania verloren. Die anderen Orden habe ich auch nur durch Glück gewonnen."
Clara überlegte einen Moment und ließ sich Palmas Trainerpass reichen. Nachdem sie ein paar Daten in das Terminal vor sich eingegeben hatte, wurde ein Bild auf eine der Wände projiziert. „Dann schauen wir uns den Kampf doch mal an."
„Woher...", entfuhr es Palma überrascht.
„Wir haben hier die Aufzeichnungen aller Arenakämpfe aller Trainer. Meistens verstauben sie nur. Aber gerade für Situationen wie diese können sie sehr hilfreich sein."
Palma fiel es unglaublich schwer, die Aufzeichnung ihres Kampfes anzuschauen. Sie gab eine erbärmliche Figur ab. Unsicher hatte sie eines ihrer Pokémon nach dem anderen verheizt.
Als die Aufzeichnung endete, fing sie Hannas mitleidigen Blick auf. Es kostete sie viel Kraft, nicht einfach loszuheulen.
„Hanna, was sagst du zu dem Kampf?", vernahm sie Claras Stimme. Obwohl die Frau fast neben ihr saß, kam es Palma vor als kämen die Worte aus großer Ferne.
„Palma war klar im Nachteil. Sie hat kein Pokémon, das ein Skorgro kontert. Als es Schwerttanz eingesetzt hat war der Kampf praktisch schon entschieden. Durch den Verlust von Kapilz und Quappo waren dann auch alle Pokémon außer Gefecht, die einen Typenvorteil gegenüber Bodenpokémon haben. Palma hatte keine Chance.", führte die Rothaarige aus.
„Also sind meine Pokémon einfach zu schlecht?", kam es aus Palmas Mund. Das Mädchen klammerte sich an den Strohhalm Hoffnung, dass vielleicht doch nicht sie das Problem war.
„Hanna, was meinst du dazu?"
Die Angesprochene war Palma einen entschuldigenden Blick zu, der bei der Blondine alle Dämme brechen ließ. Das Mädchen nahm die betretenen Blicke der beiden anderen wahr und fühlte sich dadurch noch elendiger als zuvor. Als ihre Tränen versiegt waren, antwortete Hanna schließlich auf die Frage, die Clara ihr gestellt hatte: „Palma, du hast Fehler gemacht, die dir nicht passieren dürfen. Als du gemerkt hast, dass es schlecht für dich läuft, hast du deine ganze Konzentration verloren."
„Also bin ich doch eine Versagerin. Eine schlechte Trainerin mit schlechten Pokémon. Ich sollte aufhören, Pokémon zu trainieren und wieder zur Schule gehen."
„Palma, hör mir mal zu", erhob sich Clara von ihrem Stuhl, „du hast das Zeug zu einer großartigen Trainerin. Nur besondere Kinder erhalten ein Pokémon wie dein Evoli von uns. Deine Trainingseinrichtung hat die top Bewertungen gegeben."
„Dann haben die sich eben geirrt!"
„Ausgeschlossen. Ja, manchmal werden Talente verkannt." Bei den letzten Worten warf Frau Tann einen Blick auf Hanna. Wieder schmerzte es Palma, dass ihre Freundin so gut war. „Aber wenn ein Talent als solches erkannt wird, dann ist der Fall eindeutig. Da passieren keine Fehler."
„Aber... wir haben doch gerade alle gesehen, dass ich kein Talent habe!"
„Kein Talent zu haben und sein Talent nicht zu nutzen sind zwei verschiedene Dinge. Gib mir einen Moment."
Die junge Trainerin hegte starke Zweifel an Claras Worten, behielt diese jedoch lieber für sich. Nachdem sie eine Weile überlegt hatte, schlug die Mitarbeiterin der Einrichtung schließlich vor, Palma solle die wichtigsten Stationen ihrer Reise noch einmal besuchen und so zu sich selbst finden.
Zurück in ihrem Zimmer im Pokémoncenter lag Palma eine gefühlte Ewigkeit weinend in Hannas Armen und schlief in diesen erschöpft ein. Wenige Stunden später wachte sie in eben diesen wieder auf. „Geht es dir besser, Liebes?" Palma nickte glücklich, musste jedoch bald wieder an das Gespräch mit Clara denken.
„Sag mal? Meinst du, ich brauche andere Pokémon?"
„Andere vielleicht nicht. Aber mehr würden gerade in Hinblick auf die Kämpfe gegen die Top 4 nicht schaden. Dann hast du mehr Optionen."
„Wo gehen wir als erstes hin?", wollte Palma beim Frühstück wissen.
„Hm? Was meinst du?"
„Na, wenn wir noch einmal wichtige Stationen unserer Reise besuchen."
„Palma, Liebling, diese Reise musst du allein bestreiten. Wenn ich dabei bin, kannst du dich nicht selbst finden."
Daran hatte die Blondine gar nicht gedacht. Sie hatte die ganze Zeit überlegt, was wichtige Stationen von ihnen beiden waren und dabei ganz außer Acht gelassen, dass dies ihre eigene persönliche Selbstfindungsreise sein würde. Schlagartig wurde das Mädchen traurig. Nach einer Weile des Schweigens gestand Palma ihrer Freundin, dass sie nicht allein reisen wollte. Hanna zeigte auf ihren Fuß. „Ich könnte dich im Moment nicht einmal begleiten." Die Freundinnen diskutierten noch eine Weile und einigten sich schließlich darauf, dass Palma wenn möglich jeden zweiten Samstag nach Alabastia fliegen würde, um mit Hanna das Wochenende zu verbringen.
Am Abend vor ihrer Abreise teilte Palma noch ihre Reisepläne mit Hanna. Zunächst wollte sie nach Marmoria City reisen und dort Magdalena und deren Familie besuchen. Dort wollte sie einige Tage verbringen, bevor es weiter nach Azuria City ging, wo sie Liam aufsuchen wollte. Danach wollte sie sich neue Pokémon fangen. Welche das sein würden, verriet sie ihrer Freundin jedoch noch nicht. Die dritte Station ihrer Reise würde Fuchsania City sein. Sie wollte noch einmal Moon sehen und bei dieser Gelegenheit die Safarizone besichtigen.
Hanna erzählte, dass sie in den nächsten Wochen ein Praktikum im Pokémonlabor absolvieren würde. Sie durfte entscheiden, welche Starterpokémon zu den kommenden neuen Trainern passten, damit das Labor diese bestellen konnte.
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