Wir werden fast zu Dobermann-Futter
„Ich dachte schon, du kneifst", meinte Anian belustigt, als ich an der alten Hütte ankam. „Das hättest du wohl gern", meinte ich schmunzelnd zurück und stellte mich zu ihm. „Also?", fragte ich anschließend. „Wohin müssen wir?"
„Nach Westen", gab Anian zurück. „Ich habe nach jedem Mann gesucht, der Alexej Kusnezow heißt und in Russland lebt. Du kannst dir sicher vorstellen, wie viele Angaben es dazu gab. Ich habe Stunden gebraucht, bis ich endlich einen Mann gefunden hatte, der es wirklich sein könnte, und wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, bei der ich mir sehr sicher bin, müssen wir Richtung Westen."
Eine Vermutung war nicht viel, aber es war alles, was wir bisher hatten, also vertraute ich darauf, dass Anian den richtigen Mann gefunden hatte und wir ihn bald auffinden würden.
„Hast du irgendetwas gefunden?", fragte Anian hoffnungsvoll.
Meine Hand glitt in meine Hosentasche und umfasste den Anstecker.
Ich zögerte kurz.
„Nein", log ich und fühlte mich danach direkt schuldig, doch ich beließ es dabei. Anian nickte nur und zog etwas aus seinem dunkelgrünen Rucksack. „Hier." Das ist ein Schlafsack. „Wer weiß schon, ob wir immer ein Hotel finden werden." Er lächelte ermutigend und half mir, den Schlafsack außen an meinem Rucksack zu befestigen.
Und schon gingen wir los.
Meine Familie wohnte in der Nähe von Omsk, und wir mussten, ob wohl oder übel, in die Nähe von Oblast Uljanowsk.
Laut Anian lebte dieser Alexej weiter im Gelände, also würden wir wohl auch durch Wälder laufen müssen.
„Wieso können wir nicht einfach mein Auto nehmen?", beschwerte ich mich, als wir schon eine gute halbe Stunde in der Stadt unterwegs waren. „Du weißt doch nicht, wer hinter dir her sein könnte. Es ist besser so, wenn wir immer wieder die Autos wechseln", meinte Anian schlichtweg und sah endlich das, wonach wir die ganze Zeit Ausschau gehalten hatten. In einer abgelegenen Seitengasse stand ein schwarzes Auto. Es war klein, aber fiel dadurch auch kaum auf. Hätte Anian mich nicht dorthin gezerrt, dann hätte ich es niemals gesehen.
„Und was jetzt?", fragte ich ihn.
„Du stehst Schmiere. Ich werde einen Weg finden, wie man das Auto... öffnet und es zum Laufen bringt."
„DU willst das Auto stehlen?!"
Anian zögerte, ehe er mir antwortete. „Ich würde eher sagen, dass ich es mir ausborge, ohne zu fragen." Er lächelte mich schief an, wobei seine Brille ein wenig verutschte.
Ich beschloss, nicht weiter zu diskutieren, und stellte mich ans Ende der Gasse hin.
Keiner war auf den Bürgersteigen zu sehen, und obwohl sonst so viele Menschen draußen waren, wirkte die Stadt wie ausgestorben.
Bis zu dem Zeitpunkt, bis ich einen dicklichen Mann mit seinem Dobermann sah.
Der Hund trug einen Maulkorb und hatte pechschwarzes Fell. Sein Herrchen hatte einen dicken Bauch und passte gerade so nur in seinen roten Strickpullover. Seine Haare waren fettig, wenn man überhaupt noch Haare dazu sagen konnte – er hatte ja kaum welche. Seine dicke Nase war vor Kälte ganz rot, und das Schlimmste war, dass er an unserer Gasse vorbeigehen musste, so wie es mir schien.
„Hey, Anian", rief ich, „da kommt wer."
„Aussehen?"
„Schäbbich mit Dobermann?" Ich wusste nicht ganz, wozu er jetzt eine ausführliche Personenbeschreibung brauchte, aber ich hielt mich einfach kurz.
Die Tür sprang auf, und Anian fluchte: „Scheiße, Russland, komm. Dem Typen gehört das Auto."
Nun läuteten auch meine Alarmglocken, und ich rannte zum Auto. Ohne mich zu fragen woher Anian das wusste rannte ich zum Auto und setzte mich auf den Sitz während ich panisch fragte : „Was jetzt?"
„Beruhig dich, Rus. Lass deine Emotionen jetzt nicht Oberhand nehemen. Das wird schon irgendwie", versicherte mir Anian, doch ich war zu sehr mit Panik schieben beschäftigt.
„Oh Gott, oh Gott, oh Gott", klagte ich. „Ich werde im Knast landen!" Ich schlug die Hände teatralisch über meine Augen und versuchte angestrengt, meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen.
Dabei bekam ich gar nicht mit, was Anian machte, aber es schien so, als würde er irgendwelche Drähte des Autos verbinden.
„Komm schon", murmelte Anian, und ich schätze, der Dobermann-Typ brauchte nur noch wenige Schritte, bis er zur Gasse gelang.
„Egal, was du machst, BEEIL DICH!", befahl ich Anian, der wütend zurückschnappte. „Was glaubst du, was ich hier eigentlich mache?"
„Ist mir egal. MACH. ES. SCHNELLER! Sonst sind wir gleich Hundefutter!"
Und da sprang auf einmal der Motor an.
Anian gab triumphierend einen kleinen Laut von sich, ehe er auf die Rückbank kletterte.
„Was machst du jetzt?", fragte ich verzweifelt, da ich bei meinem besten Willen wirklich nicht verstand, was Anian da die ganze Zeit trieb, doch er zuckte nur mit den Schultern.
„Du musst fahren, ich habe noch keinen Führerschein."
Ich sah ihn entgeistert an, doch beschloss dann, dass ich keine Zeit für Diskussionen hatte, also streifte ich meinen Rucksack ab, legte ihn auf den Beifahrersitz und schmiss mich hinter das Lenkrad.
Mit schnellen Handgriffen fuhren wir geradeaus, und ich betete, dass der Mann nicht jetzt an der Gasse vorbeigehen würde, sonst würde ich ihn anfahren. Doch als wir mit dem schwarzen Auto aus der Gasse schossen, sah ich, dass der Mann zwei Schritte vor der Gasse angehalten hatte, damit sein Hund in Ruhe auf den Weg pinkeln konnte.
„Hey, Moment mal!", hörte ich ihn brüllen, als er sah, wie wir beide mit seinem Auto an ihm vorbeipesten.
„Was jetzt? Er hat uns gesehen!", schrie ich nach hinten zu Anian, doch der machte nur eine nach vorne bewegende Handbewegung und meinte: „Weiter. Fahr einfach weiter!"
Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mich von meinem Adrenalinkick erholt hatte.
Wir fuhren von einer Landstraße auf die andere und immer weiter nach Westen. Zwischendurch war Anian nach vorne geklettert und hatte es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht.
Das Auto hatte vielleicht einen komplett zugemüllten Kofferraum, aber immerhin war vorne und auf der Rückbank alles halbwegs sauber.
„Woher wusstest du, wie man das Auto knackt und den Motor ankriegt?" fragte ich nach einer Weile, die Frage, die mir die ganze Zeit schon auf der Zunge lag.
„Ach..." Anian machte eine wegwerfende Handbewegung. Wenn er redete, bewegte er oft seine Hände. Fast so, als wäre er ein Dirigent, wenn er erstmal in Rage geriet.
„Mein Vater hat mir den ein oder anderen Trick beigebracht."
Ich fragte mich, warum ein Vater seinem Sohn so etwas beibringen würde, ich hatte Anians Vater ja noch nie getroffen, und da Anian so gut wie nie über ihn sprach, wusste ich so gut wie nichts über ihn.
Die Fahrt verbrachten wir schweigend. Anian sah sich Landkarten auf seinem Handy an und suchte nach einem genaureren Ort, wo Alexej leben könnte.
Es wurde schon dunkler, und wir fuhren von der Landstraße ab und hinter große Gebüsche. Hier würde uns die Polizei nicht mal mit einem Helikopter finden können, so zugewuchert war es.
Draußen hätte man unmöglich schlafen können. Dazu war es einfach viel zu kalt, aber wir schafften es, den ganzen Müll aus dem Kofferraum zu räumen und es uns dort gemütlich zu machen.
„Anian?", fragte ich, während alles still war.
„Ja?", meinte er sanft zurück, doch drehte sich nicht zu mir um. Stattdessen blieb er mit dem Rücken zu mir liegen.
„Glaubst du wirklich, dass wir das schaffen können?"
„Willst du doch lieber aufgeben?" fragte Anian zurück und hörte sich schon fast hoffnungsvoll an, doch ich schüttelte den Kopf und meinte: „Nein, aber... Ich weiß einfach nicht, ob das wirklich was bringt."
Nun drehte sich Anian doch zu mir um. „Hör mal, Russland. Das wird schon... Und wenn nicht, dann haben wir immer noch uns beide." Er versuchte sich an ein aufmunterndes Lächeln, aber irgendwas in seinem Blick war komisch, so als könnte er selbst seinen eigenen Worten nicht glauben.
„Du solltest versuchen zu schlafen", lenkte Anian nun das Thema in eine andere Richtung und wand sich von mir ab. „Morgen haben wir eine lange Fahrt."
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