66.Die Wahrheit
Lesenacht Teil 4
Joe konnte tatsächlich ein Bett auftreiben. Er stellt es neben meines, der Raum ist groß genug für ein zweites Bett. Sobald es steht, deutet er Logan mit einem Nicken sich hinzulegen. Logan zögert erst, geht aber dann doch, als ich ihn mit meiner Hand gegen den Bauch schlage und Joe ihn an der Schulter zum Bett schubst. Seufzend sieht Logan uns Kopfschüttelnd an. „Wenn was ist, dann sagt ihr mir bescheid!”, ich verdrehe die Augen, nicke aber. Logan siegt uns noch kurz an, ehe er sich endlich hinlegt und die Augen schließt.
Erleichtert sehe nach kurzer Zeit zu Joe, als ich mir sicher bin, dass Logan eingeschlafen ist. Joe, der mittlerweile an der Wand angelehnt ist, stößt sich nun von dieser ab und kommt auf mich zu. „Ich gehe mal wieder rüber zu Mike...versuch du auch noch zu schlafen.”, flüstert er und geht dann in Richtung Tür. Bevor er nach dieser greifen kann, klopft es leise und die Tür wird geöffnet. Michael streckt seinen Kopf rein. Joe spannt sich sichtbar an, drängt sich aber ohne ein Wort an ihm vorbei, nachdem er mir noch einen fragenden Blick zugeworfen hat welchen ich mit einem Nicken beantworte. Michael sieht ihm mit ebenfalls angespannter Haltung nach, dann schließt er die Tür. Er kommt auf mich zu und bemerkt jetzt auch Logan, welcher schlafend auf dem Bett neben mir auf der Seite liegt. Michael bleibt stehen und sieht zu ihm. Kurz glaube ich, Michaels Mundwinkel zucken zu sehen, aber so schnell wie sie oben waren, so schnell sind sie auch wieder unten und der Moment schon vorbei. Mit leichtem Kopfschütteln geht Michael wieder weiter und setzt sich auf den Stuhl neben meinem Bett.
Dadurch, dass er ein T-Shirt trägt, sehe ich nun auch den Verband um seinen Oberarm. Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen. „Wie geht's dir?”, fragt er plötzlich aus dem Nichts, darauf bedacht leise zu sprechen und reißt mich aus meinen Gedanken. Blinzelnd sehe ich von seinem Arm hoch in sein Gesicht. „Gut...wie geht's dir? Du bist wegen mir angeschossen worden!”, Michael fängt leise an zu lachen und schüttelt den Kopf. „Die Schusswunde ist ja wohl nichts gegen deine Verletzungen. Mach dir mal keinen Kopf, es hört sich schlimmer an, als es ist.”, winkt er ab. Skeptisch sehe ich ihn an. „Danke.”, kurz ist es still und wir schauen uns schweigend an.
„Kein Problem.”, lächelt er leicht. Ich schüttle den Kopf. „Nein, im Ernst. Du hättest das nicht tun müssen. Ich weiß nicht, wie ich das jemals wieder gut machen kann.”, obwohl Michael am Anfang, als wir uns kennengelernt haben ein richtiges Arschloch war, bin ich ihm dankbar. Ohne ihn wäre ich jetzt immer noch bei Chris, wahrscheinlich schon in einem Flugzeug auf dem Weg über die Grenze und voll am Arsch. Irgendwo in Michael muss also doch ein guter Mensch sein, oder?
„Du musst es nicht wieder gut machen...ich wollte mich außerdem noch entschuldigen...wegen allem, was vorher passiert ist und was ich getan habe. Ich war nur so sauer auf Joe und Logan, dass ich sie durch dich versucht habe zu verletzen.”, überrascht sehe ich ihn an. Michael sieht angespannt zu Boden.
Vorsichtig stelle ich ihm eine Frage. „Hat das was mit dem Unfall damals zu tun?”, sofort schießt sein Kopf zu mir hoch und er sieht mich angespannt an. Er presst seine Kiefer aufeinander und ballt seine Hände zu Fäusten. „Ja...”, presst er zwischen seinen Zähnen hervor. Ich sehe kurz rüber zu Logan, er schläft noch.
„Kannst du mir erzählen, was damals passiert ist? Aus deiner Sicht?”, frage ich ihn leise, als ich meinen Kopf wieder zu ihm drehe. Überrascht sieht er mich an. „Wieso willst du das wissen?”, fragt er dann skeptisch und sauer. „Ich kenne Joe's Version, ich kenne Logan's Version, aber nicht deine. Ich gehe davon aus, dass deine wieder anders sein wird, als die ersten beiden und es würde mich interessieren, was die Wahrheit ist.”, ein paar Minuten ist es still, Michael scheint zu überlegen.
„Na gut.”, stimmt er mir dann missmutig zu. „Vor ein paar Jahren hatten wir ausgemacht, dass ich uns nach einer Party nach Hause fahre, das heißt also, dass ich nichts trinke...”, kurz macht er eine Pause und wirft einen Blick auf den schlafenden Logan. „Wie die Fahrt geendet hat, weißt du ja, aber ich weiß, dass ich damals keinen Alkohol getrunken habe. Mit Drogen hatte und habe ich sowieso nichts zu tun und ich konnte mir lange Zeit nicht erklären, wieso die Polizei dennoch etwas in meinem Blut gefunden hat...Joe ist natürlich ausgerastet, als er erfahren hat, dass ich nicht nüchtern war und dennoch gefahren bin. Mir hat er kein Wort geglaubt, wieso auch? Immerhin kannten wir uns schon seit Jahren, da glaubt man doch eher irgendwelchen Fremden, als seinem besten Freund.”, zischt Michael wütend und steht auf. „Blöd nur, dass ich die Wahrheit gesagt habe. Ich habe an diesem Tag nichts getrunken, nicht willentlich.”, ich sehe ihn fragend an. „Einer von Joe's damaligen wundervollen Freunden hat anderen schon immer gerne geholfen locker zu werden. Ob mit deren Wissen, oder nicht. Jedenfalls hat er mir ein paar Wochen nach der ganzen Aktion gestanden, mir was in den Drink getan zu haben.”, angespannt dreht sich Michael, der nun vor der Tür steht wieder zu mir um. „Wenn du das doch weißt, wieso--”, „Wieso sollte ich versuchen es einem von den beiden zu erklären, wenn Joe sich seine Meinung eh schon gebildet hat und es ihm scheiß egal ist, was ich dazu zu sagen habe?”, unterbricht er mich harsch und sieht mich wütend an. „Aber Logan würde--”, „Es ist mir egal was irgendeiner von beiden würde. Sollen sie doch glauben was sie wollen.”, sagt er bitter, dreht sich um und will durch die Tür verschwinden. „Warte doch verdammt!”, zische ich. Tatsächlich bleibt er auch stehen, dreht sich aber nicht um. „Logan war immer der Meinung, dass du nicht gelogen hast und irgendetwas anderes der Grund für den Unfall gewesen sein muss. Und Joe ist halt darauf getrimmt, Logan zu beschützen. Ich weiß, dass es scheiße von ihm ist, aber versuch doch wenigstens den beiden die Wahrheit zu zeigen. Immerhin saßen sie auch mit im Auto.”, darauf sagt er nichts und verschwindet dann durch die Tür.
Logan liegt noch immer schlafend in dem Bett neben meinem. Nachdem Michael vor einer Stunde wütend abgerauscht ist, war Joe noch einmal kurz da und hat sich versichert, dass alles in Ordnung ist.
Ich schmeiße die Decke von mir und hebe meine Beine vorsichtig über die Bettkante. Wie komme ich jetzt mit einem eingegipsten Bein zu Mike's Zimmer? Hier ist kein Rollstuhl oder Krücken...danke auch. Dann muss ich mich wohl an Möbeln und den Wänden abstützen, oder ich werfe mich auf den Boden und ziehe mich einfach zu Mike...aber dann bekomme ich die Tür nicht auf...also doch humpeln.
Mit einem dumpfen Ton schlägt mein Gipsfuß auf dem Boden auf. Ich versuche nicht zusammenzubrechen, laut 'verfickte scheiße!' zu rufen und wütend auf meinen Gips einzuschlagen. Fuck man, tut das weh!
Zischend atme ich die Luft durch meine zusammengepressten Zähne ein und aus und gehe dann weiter.
Schon völlig außer Atem komme ich endlich an der Tür an und öffne sie leise.
Mike's Zimmer soll gegenüber von meinem sein. Heißt, ich muss ein paar Meter ohne irgendeine Hilfe über den Flur zu seiner Tür. Das kann ja nur schief gehen.
Kaum mache ich den ersten Schritt, wird hinter mir die Tür aufgerissen. Blöderweise habe ich mich noch mit einer Hand an dieser abgestützt. Aus dem Gleichgewicht gebracht falle ich nach hinten, werde aber sofort von zwei Armen aufgefangen und an eine harte Brust gezogen. Bevor ich etwas sagen, machen oder weiter den unwiderstehlichen Geruch von Logan inhalieren kann, dreht er mich auch schon um. „Bist du bescheuert?! Du kannst doch nicht einfach so abhauen! Noch dazu so angezogen und ohne irgendeine Hilfe!”, motzt er mich auch schon gleich aufgebracht an. Mit gerunzelter Stirn sehe ich an mir runter. Ich habe das komische Krankenhaushemd an und eine Boxershorts. Was ist denn daran falsch?
Scheinbar vieles.
„Du legst dich sofort wieder hin und ruhst dich weiter aus! Du--”, „Nein warte! Ich wollte zu Mike! Bitte.”, bittend sehe ich ihn an. Ich bin ja eh schon fast da, da kann er mich auch grade rüberbringen oder?
Seufzend legt Logan sich meinen Arm um die Schultern und stützt mich bis zu Mike's Zimmer.
Er klopft kurz an und geht dann mir durch die Tür. Nur Joe ist außer Mike und jetzt uns im Zimmer. Logan steuert direkt auf einen der Stühle zu und lässt mich dort hinsetzen. Joe sieht mich überrascht an und sieht dann zu Logan. „Solltest du nicht schlafen? Und du solltest dich ausruhen.”, fast schon tadelnd sieht er uns an. Logan seufzt während er sich in Nacken kratzt. „Er war schon auf dem Weg hier her, pass auf ihn auf, ich leg mich wieder hin.”, Joe nickt und sieht ihm hinterher. Kurz sieht es so aus, als wolle er ihm hinterher gehen, muss dann aber schmunzeln und schüttelt den Kopf.
Ich runzle die Stirn und sehe ihn fragend an. Sobald die Tür zu und Logan verschwunden ist, lacht Joe kurz und sieht zu mir.
„Ich bin es gewohnt, auf ihn aufzupassen, immer. Jetzt wollte ich ihm schon hinterher gehen und aufpassen, wenn er schläft.”, schmunzelnd sehe ich ihn an.
Sobald ich Mike anschaue, verschwindet das Schmunzeln von meinen Lippen. Er liegt da wie tot.
Sein gebrochener Arm ist eingegipst, sein Bein, welches bei dem Unfall eingeklemmt war, liegt auf der Decke mit einem dicken Verband darum und in seinem Gesicht sind ebenfalls mehrere Kratzer, Schwellungen und Hämatome.
„Was haben die Ärzte denn gesagt? Wann wacht er auf?”, frage ich Joe leise. „Sie denken in den nächsten Tagen. Hoffentlich.”, antwortet er ohne seinen Blick von Mike's blassen Gesicht abzuwenden.
Später am Abend wird plötzlich die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen und mein Vater stürmt herein. Sobald er mich sieht, rennt er auf mich zu und zieht mich in seine Arme. Erst versteife ich mich, ehe ich langsam die Umarmung erwiedere und ihn an mich drücke. „Ich bin so froh, dass sie dich gefunden haben! Ich bin so schnell ich konnte her gekommen, als sie mir Bescheid gegeben haben. Wie geht's dir?”, er löst die Umarmung und sieht mich an. Schmunzelnd sage ich ihm, dass es mir gut geht, den Umständen entsprechend und sehe zu Logan. Dieser ist mittlerweile wieder wach und sieht uns angespannt an. Er ist sich immer noch nicht einig, ob er meinem Vater die Zähne ausschlagen, oder ihn nur mit dem Auto überfahren soll.
Auch Tage später ist Mike noch immer nicht aufgewacht. Während wir uns langsam von den Folgen des Unfalls und der Entführung erholen, liegt Mike immer noch regungslos im Krankenhausbett.
Ich kann mittlerweile das Krankenhaus verlassen, bin jetzt aber dennoch wieder auf dem Weg dorthin. Mit Joe und Logan zusammen gehe ich wieder zu Mike, wie die letzten Tage auch. Seine Werte sind immer besser geworden und die Ärzte sagen das er jeden Moment aufwachen kann.
Mit Krücken betrete ich Mike's Zimmer und lasse mich sofort in den ersten Stuhl fallen, den ich sehe. Logan und Joe verteilen sich auf die anderen beiden Stühle. Schweigend sehen wir alle zu Mike. So langsam hat er doch wohl mal genug geschlafen oder? „Du könntest ruhig mal bald aufwachen. Alle sind voll deprimiert, dass geht mir auf die Nerven, also mach mal hinne!”, dabei beuge ich mich vor und steche mit meinem Zeigefinger ein paar Mal in seine Wange. Logan und Joe lachen und sehen mich an, als wäre ich nicht mehr ganz bei Sinnen.
Eine halbe Stunde später verschwinden Joe und Logan nach unten in die Cafeteria um uns etwas zu trinken und zu essen zu holen.
Ich sehe kurz gelangweilt durchs Zimmer und lande wieder bei Mike. „Heilige scheiße!”, erschrocken zucke ich zusammen, als Mike mich anstarrt. „Du bist wach!”, schreie ich dann noch lauter. Mike verzieht daraufhin das Gesicht. „Und gleich auch noch taub.”, beleidigt sehe ich ihn an. „Kaum wach und schon am motzen.”, er fängt an zu lachen, hält sich aber sofort eine Hand auf die Brust und verzieht erneut das Gesicht. Ich beuge mich vor und drücke auf die Klingel, damit eine Schwester oder so kommt.
„Willst du was trinken?”, frage ich ihn, als anfängt zu husten. Er nickt nur.
Mehr schlecht als recht trinkt er dann aus dem Glas mit Wasser welches hier immer steht.
Die Tür geht auf und eine Schwester kommt herein gestürzt. Sobald sie sieht, dass Mike wach ist, ruft sie etwas in den Flur, was ich aber nicht genau verstehe. Dann kommt auch schon ein Arzt und fragt Mike wie es ihm geht, ob er Schmerzen hat und gibt ihm dann Tabletten.
Kaum sind die Ärzte aus der Tür raus, fliegt sie erneut auf und Joe und Logan kommen herein. Ungläubig sehen sie zu Mike, der sie nur blöd angrinst.
Sofort stürzen sie weiter in den Raum, knallen laut die Tür zu und fangen fröhlich mit Mike ein Gespräch an, über alles, was passiert ist und was er verpasst hat.
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„Let It Go (Acoustic)” von „Hailee Steinfeld”
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