Logan's Hände und auch sein gesamter Körper sind angespannt und er presst die Kiefer zusammen. In seinen Augen steht die blanke Wut, aber auch Besorgnis.
Bevor er allerdings etwas sagen kann, rede ich weiter. Das war ja immerhin noch nicht alles.

„Meinem Dad ist also immer öfter die Hand ausgerutscht. Anfangs habe ich das niemanden erzählt, wie denn auch? Wie sagt man jemanden, dass man von seinem Vater geschlagen wird?
Irgendwann haben Isaac und Chris dann bemerkt, dass ich viele blaue Flecken habe. Was auch kein Wunder war, dass sie es rausgefunden haben. Ich habe immer lange Sachen an gehabt und beim Sport nicht mehr mitgemacht. Mit Chris bin ich nie wirklich viel weiter gegangen, als das wir uns küssen, also hat er nie was davon mitbekommen.
Sie wussten, dass mein Dad sich die Kante gibt und haben dann eins und eins zusammen gezählt. Da ging das ganze allerdings schon ein ganzes Jahr so.
Isaac und Chris wollten sofort zur Polizei gehen, aber ich wollte das nicht. Immerhin war es ja mein Dad. Und er hat mich nur geschlagen, wenn er betrunken war. Wenn er mal nüchtern gewesen ist, war es fast so wie immer, bevor Mum gestorben ist.", und jetzt kommen wir zu dem Grund, wieso ich eigentlich hier bin.

„Kurz bevor ich 18 wurde, ist Chris aber plötzlich komisch geworden... aggressiv. Von heute auf morgen hat er sich plötzlich einfach komplett verändert. Früher war er hilfsbereit und ein guter Freund und jetzt ist er total aggressiv, egoistisch und gestört.
Kurz nachdem ich 18 geworden bin, ist die Sache dann eskaliert. Wir hatten grade unseren Abschluss und haben das auch gefeiert. Später am Abend war ich mit Chris alleine bei ihm Zuhause. Naja...eins kam zum anderen...Chris wollte mit mir schlafen, aber ich hab' mich dazu nicht bereit gefühlt. Nicht mit ihm, nachdem er sich so verändert hatte. Und das hat ihm nicht gefallen. Er ist total ausgetickt und hat mich ebenfalls geschlagen. Mit dem Unterschied, dass er nicht betrunken war, sondern einfach nur sauer. Sauer, dass ich nicht bereit war, mit ihm Sex zu haben. Wir haben uns dann noch gestritten und Chris hat wieder versucht, mich dazu zu drängen, mit ihm zu schlafen. Dabei ist er dann ziemlich grob geworden und hätte mich wahrscheinlich auch dazu gezwungen, wenn es nicht an seiner Tür geklingelt hätte, an der die Polizei stand, weil ein Nachbar gehört hat, dass wir uns lauthals streiten. Ich bin dann sofort nach Hause. Chris hat nicht aufgegeben und es immer wieder versucht, auch mit Schlägen und irgendwann habe ich dann mit ihm Schluss gemacht. Davor habe ich mich schon richtig abgekapselt, mit Isaac habe ich nicht mehr gesprochen, weil Chris einfach eifersüchtig auf alles und jeden geworden ist und auch andere verprügelt hat, wenn sie nur mit mir geredet haben.
Nachdem ich mit ihm Schluss gemacht habe, habe ich dann meine Sachen gepackt und bin abgehauen. Mein Dad wollte sich nicht helfen lassen und ich habe auch nicht eingesehen, dass er und Chris mich kaputt machen. Also bin ich einfach weg. Das ist natürlich nicht unbemerkt geblieben. Es wurde eine riesige Suchaktion gestartet. Aber nicht, dass du jetzt denkst, meinem Dad wäre aufgefallen, dass ich weg bin...nein, dass war einer der Bodygards.
Im Haus waren ja keine mehr, sondern ja nur noch draußen. Also hat es eine Woche gedauert, bis es aufgefallen ist, dass ich nicht mehr das Haus verlassen habe und man auch nichts mehr von mir gehört. Das ganze ist in den Nachrichten hoch und runter gelaufen, ziemlich lange sogar. Für Tipps wurde sogar Geld zur Belohnung gegeben. Dieses kam schätze ich von meinem Dad, in einem der wenigen nüchternen Momente. Ich habe auch mal mitbekommen, dass er, falls ich entführt sein sollte, den Entführern viel Geld für meine Freilassung gibt, aber es kam nie eine Antwort, immerhin wurde ich ja auch nicht entführt.", es tut mir eigentlich schon leid, die ganzen Leute nach mir suchen lassen zu haben. Aber ich wollte einfach nicht gefunden werden. Wozu denn auch? Ich will nicht wieder in dieses Leben zurück.

„Es war verdammt schwer, nicht entdeckt zu werden. Einmal bin ich fast in einer Tankstelle erkannt worden, aber ich bin schnell genug wieder angehauen.
Bis ich hier her gekommen bin, war ich in vielen verschiedenen Ländern, aber Chris ist mir immer hinterher oder hat anderst klar gemacht, dass er weiß, wo ich bin, also bin ich immer wieder weiter bis ich hier her kam und von einem LKW angefahren wurde.", bei der Erinnerung muss ich Schmunzeln. Logan sieht mich noch einen Moment an, ohne etwas zu sagen.
„Joe wusste das alles, jetzt verstehe ich so manches ", ich nicke und sehe ihn weiterhin an. Logan dreht uns auf die Seite und legt seine Arme um mich. „Wenn ich könnte, würde ich dafür sorgen, dass dir all das nicht passiert ist.", flüstert er leise. Ich schüttle den Kopf. „Dann hätten wir uns höchstwahrscheinlich nie kennengelernt.", ich würde mich immer wieder zusammenschlagen lassen, wenn das bedeutet, dass ich mit ihm zusammen sein kann. „Und stell' dir mal vor, wo ich wäre, wenn ich dich nicht kennengelernt hätte.", schmunzle ich.

Über Logan's Gesicht huscht ein kleines Grinsen, ehe er sich zu mir beugt und mich leidenschaftlich küsst. Joe hatte Recht, es ist besser, wenn ich mit Logan darüber rede. Es ist, als wäre eine große Last von mir genommen worden, jetzt, wo er endlich bescheid weiß.

Er löst sich von meinen Lippen und sieht mir in die Augen. „Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast. Danke.", er streicht mir mit der Hand durch die Haare. „Ich hätte es dir eh bald erzählt.", mal ganz im Ernst, lange wäre das doch nicht mehr gut gegangen.
„Ich bin froh, dass du trotz allem so bist, wie du bist.", verwirrt ziehe ich eine Augenbraue hoch. Wie meint er das denn jetzt?
Auf meinen Blick hin redest er weiter. „Naja, nicht viele gehen damit so locker um, wenn sie von einem Elternteil geschlagen worden sind und eines verloren haben. Und ich bin froh, dass du dich davon nicht unterkriegen lassen hast."

Kurz herrscht Stille zwischen uns. Ich hab' keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Danke?
„Ähm, find' ich auch?", Logan schüttelt leise lachend den Kopf.
„Wie bist du eigentlich aufgewachsen?", frage ich ihn dann. Wenn er das jetzt alles von mir weiß, dann ist es doch wohl nur fair, wenn er mir auch was von sich erzählt, oder?
„Meine Eltern haben früh geheiratet und mich bekommen. Beide sind aber erfolgreiche Geschäftsführer, also hatte ich immer von allem, was ich wollte genug. Wir waren eigentlich eine richtige Bilderbuchfamilie.", lacht er. „Es gab nie wirklich Probleme, klar, hier und da mal kleinere Differenzen, aber ansonsten nichts.
Dadruch, dass meine Eltern, wie deine, sehr berühmt hier sind, bin ich ebenfalls schon früh mit Fotografen und der Presse und all dem in Berührung gekommen. Ich hatte auch schon eigentlich immer einen Personenschutz. Aber habe mich daran gewöhnt, auch wenn es manchmal total nervt, dass einen jeder kennt.", kurz macht er eine Pause.
„Ich bin auf eine ganz normale Schule gegangen, wo ich auch Joe und Mike kennengelernt habe. Seit wir Kinder sind, sind wir immer zusammen gewesen. Joe's Eltern waren gut mit meinen befreundet, da sie sich alle schon aus ihrer Jugend kannten.", was meint er denn mit 'waren' und 'kannten'? Sind sie etwa...?

Logan nickt auf meinen geschockten Blick hin. „Ja, sie sind schon tot. Sie hatten einen Autounfall als wir 17 waren. Joe war zu der Zeit bei mir. Irgendwann sind dann meine Eltern zu uns gekommen und haben ihm erklärt, dass seine Eltern einen Autounfall hatten und sofort tot waren. Es war schrecklich. Vorallem, da Joe außer ihnen keine Familie mehr hatte.", mit großen Augen sehe ich Logan an. Er schaut trüb zu mir.
„Meine Eltern haben ihn sofort aufgenommen, aber es war natürlich nicht leicht für ihn. Aber er ist darüber hinwegkommen und wieder der alte. Naja, so sehr man halt darüber hinwegkommen kann.", er zuckt leicht mit den Schultern.
„Jedenfalls sind wir zu dritt, also Mike, Joe und ich immer zusammen gewesen. Mike wohnt wie du weißt bei dir gegenüber...seine Mum hat er nie kennengelernt, sie ist abgehauen nachdem sie ihn zur Welt gebracht hat. Mike's Dad war schon immer Alkoholiker und hat auch schon immer Probleme gehabt, sich unter Kontrolle zu halten. Mike hat von klein auf immer nur Schläge bekommen, wollte sich aber nie so richtig helfen lassen. Das er den Job hier im Haus hat, hat er auch nur widerwillig zugelassen, da ich mich darum gekümmert habe, dass er ihn bekommt. Er ist einer meiner besten Freunde.", er lächelt leicht.

„Und wieso ist Joe jetzt dein Bodyguard?", „Als wir uns mit 16 weggeschlichen haben, sind wir nachts in der Stadt unterwegs gewesen. Plötzlich ist vor uns ein Mann mit einer Waffe aufgetaucht und hat speziell mich bedroht, da er wusste, wer ich bin. Der Mann hätte mich auch erschossen, wenn Joe sich nicht dazwischen geworfen hätte.", mir klappt die Kinnlade runter. Joe hat sich für Logan eine Kugel eingefangen?!
Logan lacht und nickt. „Ja, das hat er wirklich gemacht. Sobald der Mann die Kugel abgefeuert hatte, ist er auch sofort abgehauen, wahrscheinlich wollte er gar nicht, dass es so kommt. Joe hat die Kugel in die Schulter bekommen, glatter Durchschuss. Ich bin sofort zu ihm gerannt, erst dachte ich, er stirbt und war kurz vor einem Zusammenbruch. Ich hab' mir lauter Vorwürfe gemacht. Joe hat mich allerdings angeschnautzt, was die Scheiße jetzt soll. In seiner Schulter seien ja keine lebenswichtigen Organe.", Logan lacht bei der Erinnerung. Ich kann mir richtig gut vorstellen, wie Joe ihn angemotzt hat und muss ebenfalls grinsen.
„Trotzdem hat er verdammt viel geblutet. Als ich einen Krankenwagen gerufen hatte, kam hinter uns ein Auto um die Ecke geschossen, einer meiner Bodyguards. Der war vielleicht außer sich, als er uns endlich gefunden hatte. Es war natürlich aufgefallen, dass ich weg war und sofort ist mach mir gesucht worden.
Im Krankenhaus ist Joe dann verarztet worden, wir haben ordentlich Ärger bekommen, Hausarrest und vieles mehr. Nach dieser Aktion hat Joe dann beschlossen mein Bodyguard zu werden um solche Aktionen zu verhindern.", krass. Ich dachte jetzt an was einfacheres. Nicht direkt ans angeschossen werden.

„Ich habe bis ich 21 war bei meinen Eltern gelebt. Dann bin ich mit Joe hier her gezogen, bin mit der Firma reich geworden und bin jetzt da, wo ich jetzt stehe.", er lächelt mich an. „Nicht schlecht.", er zieht belustigt eine Braue hoch. „Nicht schlecht? Was soll das denn jetzt heißen?", ich zucke mit den Schultern. „Hätte schlimmer sein können.", Logan schüttelt den Kopf.

„Also hast du es ihm endlich mal erzählt. Alles.", erschrocken zucke ich zusammen und drehe gleichzeitig mit Logan meinen Kopf zur Treppe. Joe kommt von eben dieser gerade auf uns zu, schubst unsere Beine von der Couch und setzt sich neben uns. Logan seufzt und wir richten uns auf der Couch auf um uns ebenfalls hinzusetzen.
Ich sehe zu Joe und nicke. Er lächelt mich an. „Gut! Wurde auch endlich Zeit.", sagt er.
Aber eine Sache bleibt jetzt noch offen. Michael.

„Wieso hasst ihr und Michael euch so?", sofort ist die Stimmung gekippt und Logan und Joe sehen sich angespannt an. Irgendwann, kurz bevor ich erneut nachfragen will, setzt Logan zum reden an.
„Michael war auch mal ein guter Freund von uns. Eigentlich wollten wir zusammen meine Firma leiten, davor haben wir uns aber zerstritten.", ich runzle die Stirn. Wieso haben sie sich wohl gestritten?
„Es war eigentlich totaler Quatsch, über den wir uns gestritten haben. Naja. So wie man es nimmt. Aber das Ganze hat sich immer weiter hochgeschaukelt und Michael provoziert zu gerne, als dass er es einfach lässt. Wenn es nach mir gehen würde, wäre es vielleicht schon wieder so wie früher, aber Michael lässt nicht mit sich reden und ich bin es leid ihm noch weiter hinterher zu rennen.", erklärt Logan und erhebt wütend kurz seine Stimme. Joe gibt einen spöttischen Ton von sich. Ich drehe meinen Kopf zu ihm und sehe ihn fragend an. „Michael hat es auch nicht verdient, dass wir ihm verzeihen!", sagt er wütend und sieht Logan sauer an. „Und es war kein Quatsch, über den wir uns gestritten haben! Wegen ihm wären wir fast drauf gegangen!", geschockt sehe ich Joe an. Was?!

„Er hat versprochen, uns nach Hause zu fahren und nichts auf der Party zu trinken und trotzdem hatte er was intus und hat uns fast von 'ner Brücke gestürzt!", mit großen Augen sehe ich zwischen Joe und Logan hin und her.
„Ich kann aber nicht glauben, dass er was getrunken hat. Das hätte er nie gemacht...", murmelt Logan leise. „Er hat es aber gemacht! Er hat keinen Grund sauer auf uns zu sein!", wütet Joe weiter. „Nur weil er darauf schwört, nichts getrunken oder genommen zu haben, heißt das noch lange nicht, dass es auch stimmt. Der Test der Polizei sagte da nämlich was anderes!", stinksauer steht Joe auf und läuft in die Küche. Logan bleibt angespannt neben mir sitzen und sieht ihm nach. Er holt tief Luft, schüttelt den Kopf und redet dann weiter.
„Michael schwört darauf, dass er nichts getrunken oder genommen hat. Leider sagten die Tests was anderes. Joe wollte auf ihn losgehen, als er das erfahren hat, da er damals schon mein Bodyguard war. Da waren wir 20. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob Michael nicht doch die Wahrheit gesagt hat, allerdings haben er und Joe sich heftig in die Haare bekommen und seitdem ist er mit uns auf Kriegsfuß. Ich bin erst so richtig sauer auf ihn geworden, als er versucht hat, mir die Firma kaputt zu machen.", sprachlos sehe ich ihn an. Das hab' ich jetzt nicht erwartet.

Joe kommt wieder aus der Küche, hat ein Bier in der Hand und scheint sich wieder beruhigt zu haben. Er setzt sich wieder zu uns und redet, nun entspannter, weiter. „Jedenfalls ist er es aber selbst Schuld, dass wir zerstritten sind.", er trinkt von seinem Bier und lehnt sich auf der Couch zurück.
„Ist ja auch egal.", grummelt Logan und zieht mich in seine Arme während er zum nun eingeschalteten Fernseher sieht.

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„Touch" von „Mattia Cupelli"