5
Es waren ein paar Wochen vergangen und niemand hatte eine Veränderung in unserem Verhalten bemerkt. Wir sahen uns nicht an, genauso wenig, wie vorher auch schon und tauschten weder Textnachrichten noch Briefe oder sonst was aus. Ganz so, als wäre nie etwas zwischen uns geschehen.
Aber ich wusste damals schon, dass etwas Großes auf mich – uns – zusteuerte. An dem Abend der Gala hatte Jamie mir einen Teil seines Plans erklärt. Nun, zumindest sagte er, dass er schießen würde. Ein Kopfschuss, um 'dem Monster' das Gehirn wegzublasen.
Ehrlichgesagt hatte ich Jamie in diesem Moment nicht für impulsiv gehalten, als er sein- na ja, unser baldiges Opfer beleidigte. Auch wenn ich den Grund dafür nicht kannte und auch nicht wusste, wen er meinte. Vielleicht versuchte ich aber auch, meinem Verstand zu erklären, dass weder Jamie noch ich selbst verrückt waren. Schwieriger, das klarzustellen, als ich ursprünglich dachte.
Das, was mich in diesen Wochen aber eigentlich störte, war die Ungewissheit. Wer wusste schon, ob Jamie die Wahrheit erzählte, als er das mit dem Mord sagte? Wer konnte schon beweisen, dass er nicht einfach nur daher gesprochen und mich ausgenutzt hatte? Das Einzige, das ich wusste, war, dass es immer schwieriger für mich wurde, nicht aufzufallen. Ich wollte immer wieder zu ihm gehen und ihn ansprechen oder küssen, aber das konnte ich nicht. Etwas hielt mich davon ab, vielleicht das Wissen, dass es seinem Plan schaden könnte, den er so meisterhaft aufgebaut hatte.
Verzweifelt an einer Sozialkunde-Hausaufgabe sitzend, mit Kopfhörern in den Ohren, hörte ich die Klingel erst, als eine kurze Pause entstand, da das Lied zu Ende war, das der Player gerade abspielte. Blinzelnd entfernte ich die Kopfhörer und lief die Treppen hinunter, um die Tür zu öffnen. Vor dieser stand Jamie. Wer sonst sollte mich auch besuchen?
Nun, er sollte das ja eigentlich auch nicht tun, vor allem nicht auf die Gefahr hin, dass jemand ihn hier sah – vor allem jemand, der sich meine Mutter schimpfte. Das wäre äußerst nachteilhaft gewesen, zumal sie Jamie als schlechten Einfluss gesehen, ihn eigenhändig von der Veranda geworfen und am besten nochmal mit ihren zentimeterhohen Absätzen nachgetreten hätte. In dieser Rolle könnte ich mir meine Mutter jedenfalls besser vorstellen, als in der einer toleranten Gastgeberin.
Als Jamie bemerkte, dass ich in der Tür stand, legte er seine großen Hände auf meine Brust und schob mich ein bisschen in das Haus hinein. Als dann die Tür ins Schloss fiel, überfiel er mich mit seinen Lippen, drehte uns um und presste mich so an das Aluminium der Tür, durch die er eben noch getreten war.
Schwer atmend und immer noch leicht überfordert ließ ich mich von ihm mustern und betasten. Als er scheinbar fertig war, schnappte er sich mein Handgelenk und zog mich zielsicher in mein Zimmer. Woher er wusste, dass es meines war, wäre mir bis heute noch ein Rätsel, wenn die Tür nicht halb geöffnet gewesen wäre und er so sehen konnte, dass jenes Zimmer hinter der Tür das meine war.
"Wir haben ein großes Problem", erklärte er dann in dem Moment sein Auftreten, in dem ich mich neben ihn auf das Bett setzte, auf dem er schon seit geraumer Zeit gesessen und geschwiegen hatte. Mein Kopf drehte sich automatisch zu ihm und wenn ich in der Lage gewesen wäre, eine Augenbraue allein zu heben – ich konnte leider nur beide zusammen hochziehen –, dann hätte ich das in diesem Moment getan.
"Und zwar?", hakte ich dann nach, als er nicht weitersprach. Mir fiel auf, dass er diese dramatischen Auftritte und das darauffolgende Schweigen lieben musste, so oft, wie er das durchzog, aber ich kommentierte es nicht, vermutlich weil ich diese Tatsache an ihm mochte – so wie quasi alles an ihm. Aber das wollte ich mir ja zu dem Zeitpunkt noch nicht eingestehen.
"Wir müssen es heute Nacht durchziehen."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro