Auriel war in wenigen Augenblicken so nah dran, dass beide einen großen, aus Feuer bestehenden Phönix erkennen konnten.

   »Ophelia«, keuchte Victoria, die das schon einmal gesehen hatte.

   »Lumielle«, flüsterte Auriel atemlos, während er nur den riesigen Phönix betrachten konnte. Dessen unstetes Feuer schützte Ophelia, die mit ausgebreiteten Armen vor Fiora stand. Diese lag blutend am Boden. Auriel schlug Angst entgegen und er suchte sofort nach der Ursache.

   Diese entdeckte er recht schnell, denn da war ein riesiges Wesen aus Schatten. Eine Chimäre aus der Hölle.

   »Abaddon«, knurrte der Engel, bevor er die Hand ausstreckte und eine Energiekugel formte.

   Sie bildete sich knisternd an ihrer Handfläche und Victoria starrte sie fasziniert an. Dann feuerte der Engel sie ab. Victoria folgte der Flugbahn und sah gebannt zu, die die Kugel in die Chimäre krachte. Licht flammte auf und verschlang das Wesen vollkommen.

   Von jetzt auf gleich wirkte es, als wäre hier nie etwas gewesen.

   Victorias Herz hämmerte heftig, als der Engel landete, sie absetzte und sofort zu Ophelia rannte. »Bist du verletzt?«, fragte er und nahm ihre Arme. Dabei lief er direkt in den Feuerphönix hinein, der ihn nicht verletzte und jetzt sogar verblasste.

   Ophelia zitterte am ganzen Körper, während sie den Kopf schüttelte. »Fiora«, hauchte sie und riss sich dann von dem Engel los.

   Dieser spürte einen Stich in seinem Herzen, doch er verstand ihre Sorge, weshalb er sich zwang, sich ebenfalls der Grünhaarigen zu widmen.

   Dass Victoria zurückblieb und auf die Szene starrte, während sie immer blasser wurde, bemerkte keiner von ihnen. Sie spürte, wie ihr Herz immer heftiger schlug, während weggesperrt geglaubte Erinnerungen in ihr aufflammten.

   Plötzlich stand sie nicht mehr im Innenhof des Schlosses, sondern zwischen großen, hohen Sandklippen.

   Sie war wieder ein Kind, das nur zusehen konnte, wie ihre beste Freundin den Halt verlor und eine Klippe hinabrutschte. Fiora hechtete hinterher und griff Ophelias Hand, um sie zu halten. Gemeinsam rutschten sie weiter, während sich Victorias kleiner Kinderkörper wie von selbst bewegte. Sie hielt Fioras Bein, doch sie konnte nicht einmal den Fall stoppen. Stattdessen rauschten sie nun alle in die Tiefen der Klippe.

   Victoria spürte die Schmerzen an ihren Seiten und den Sand, der überall auf sie rieselte, bis sie am Boden aufkam.

   Ophelia schrie und weinte, während Fiora sich gar nicht regte.

   Victoria brauchte einen Moment, um etwas zu erkennen.

   Ophelias Bein war seltsam verdreht, während von Fioras Stirn Blut rann.

   Sie fühlte sich so hilflos, während sie hin und her sah, um einen Weg aus der Falle zu finden, in die sie gefallen waren. Aber sie konnte nichts tun.

   Dann flammte Feuer auf, das sie alle umgab und ihre Wunden heilte.

   Jemand griff Victorias Schultern und schüttelte sie. »Hey. Was ist los?«, fragte Auriels eindringliche Stimme, der ihr mit seinen violetten Augen direkt in die Seele zu blicken schien.

   Das zog Victoria aus ihren Erinnerungen und sie kam zurück ins Hier und Jetzt. Ihre Wangen nahmen wieder etwas Farbe an, als sie bemerkte, dass Lilith hier war, um sich um Fiora zu kümmern. »Wie geht es ihr?«, hauchte sie, wobei ihre Stimme leicht brach.

   Obwohl sie bei beiden Malen keine Schuld traf, spürte sie doch Reue, weil sie nichts hatte tun können.

   »Keine Sorge, ihr geht es gut«, versicherte Auriel, der nicht ganz verstand, warum Victoria so reagierte. Sie zitterte noch immer heftig, als wäre sie selbst mittendrin gewesen.

   »Das ist gut«, flüsterte sie und atmete erleichtert aus. Während sie das tat wurde ihr Körper plötzlich ganz schwer und warm. Sterne begannen vor ihren Augen zu tanzen und dann gaben ihre Beine nach, während sich Schwärze vor ihren Augen breit machte.

   Eine weibliche Stimme rief ihren Namen, doch das bekam sie schon nicht mehr mit.