Kapitel 22
Als Victoria in den Spiegel blickte, hätte sie am liebsten geseufzt. Sie sah schrecklich aus. Das pompöse Kleid, das Ivira für sie rausgesucht hatte, war definitiv keines von denen, die sie gekauft hatte. Es war bunt, hatte seltsame, moderne Muster und einen Schnitt, der erotisch sein sollte. Dazu kam eine Frisur, die unbequem und voller Schmuck war. Wieder hatte Ivira haufenweise Blumen benutzt, um ihre Haarfarbe zu verstecken.
Was Victoria allerdings am meisten störte, war die Schminke, die zu extrem war.
Als es leise an der Tür klopfte, zuckte sie zusammen, während Ivira strahlend auf die Tür zu rannte und diese öffnete. Dann erstarrte sie und machte mehrere Schritte rückwärts. Ihr Gesicht war bleich, als sie die Frau hinter der Tür erkannte. »L-Lady«, brachte Ivira hervor, die leicht zitterte.
Als Victoria den Blick drehte, sah sie Mirielle langsam in den Raum gehen. Stirnrunzelnd blickte sie zu Ivira und fragte sich, warum diese solche Angst hatte. »Du kannst den Raum verlassen«, sagte Victoria zu Ivira, die nickend sofort flüchtete, als Mirielle ihr den Platz ließ.
Diese seufzte leise und schloss die Tür. »Diese dämlichen Gerüchte«, brummte Mirielle, bevor sie sich Victoria zuwandte. Erst war ihr Lächeln strahlend, doch als sie Victoria betrachtete, wurden ihre Augen groß. »Himmel. Was trägst du denn da?«
Victoria zuckte die Schultern und blickte Mirielle hilfesuchend an. Mittlerweile wusste sie sehr gut, dass Mirielle und Auriel noch immer eine sehr innige Beziehung hatten. Daher ging Victoria auch davon aus, dass Mirielle wusste, was Auriel mochte.
»Ich helf dir«, sagte Mirielle schnell, bevor sie begann, Victoria das Kleid förmlich vom Körper zu reißen. Dieses warf sie ungeachtet auf das Bett und begann dann, ihr die Haare zu lösen und zu kämmen.
Erneut klopfte es leise, bevor die Tür einfach auf ging und Orion in den Raum kam. »Wo bleibst du ... denn«, sagte er und starrte dann Victoria an, die nackt auf dem Stuhl saß und sich von Mirielle die Haare machen ließ.
Mirielle machte ein scheuchendes Geräusch, doch Orion ging nicht nach draußen, sondern blieb im Raum stehen. Er schloss lediglich die Tür.
»Spanner«, knurrte Mirielle, die jedoch weiter Victorias Haare machte.
Orion winkte ab. »Ich habe sie schon in viel unvorteilhafteren Posen gesehen«, sagte er grinsend, was bei Victoria dafür sorgte, dass sie rot wurde und ihre Brüste mit den Händen bedeckte. Es war ihr unangenehm und trotzdem kribbelte ihr Bauch aufgeregt, da sie unwillkürlich an den Abend denken musste, als Auriel und die anderen mit ihr gespielt hatten.
Mirielle seufzte leise. »Stör uns aber nicht«, sagte sie und machte Victorias Haare zu einem einfachen Zopf, in den sie einige wenige Blumen und Bänder einflocht. Dann lief sie auf den Schrank zu, riss ihn auf und überflog die Kleider. »Du hast hier so viele Schöne hängen. Warum hat dein Dienstmädchen dieses Ding da ausgesucht?«, fragte Mirielle kopfschüttelnd.
»Gibt es Probleme?«, fragte Orion, doch bevor Mirielle antworten konnte, schüttelte Victoria den Kopf. Sie wollte wirklich keine Probleme.
Mirielle kam mit einem einfachen, dunkelgrünen Kleid zurück, das einen schön bestickten Kragen hatte.
Als Victoria schließlich zurechtgemacht war, entschied Mirielle sich dazu, sie wieder abzuschminken und ihr nur ein wenig goldenes Puder auf die Lider zu machen.
Victoria ließ sie machen, auch wenn sie sich eher wie eine Anziehpuppe fühlte. »Danke«, murmelte sie schließlich und blickte kurz in den Spiegel. »Seid ihr beiden heute dabei?«, fragte sie und wandte sich an Mirielle und Orion. Sie wusste nicht warum, doch obwohl sie die beide nicht gut kannte, fühlte sie sich in ihrer Gegenwart wohl und wollte Zeit mit ihnen verbringen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass diese sie vor den anderen verteidigen würden.
»Ich soll dich nur hinbringen«, erwiderte Orion, der ihr einen Arm reichte.
Mirielle schenkt ihr ein entschuldigendes Lächeln. »Nein, die anderen Haremsdamen haben Angst vor mir. Ich wollte nur herkommen, um dir zu helfen.«
Victoria spürte, wie ihr kalt wurde und sie Angst bekam. Zumindest würde Auriel da sein. Ein kleiner Lichtblick.
»Du musst keine Angst haben. Deine einzige Aufgabe wird es sein, neben Lord Auriel zu sitzen und die Geschenke der Haremsfrauen entgegenzunehmen«, erwiderte Mirielle, die langsam neben ihr und Orion herlief.
Victoria blickte fragend zu ihr. »Was meinst du mit Geschenken?«, fragte sie unsicher.
»Es ist Pflicht, dass die aktuellen Haremsdamen jeder neuen einige Geschenke machen, um sie willkommen zu heißen«, erklärte Mirielle mit einem Schmunzeln, bevor ihr Gesichtsausdruck düster wurde. »Aber pass gut auf. Nicht alle sind dir wohlgesonnen.«
Das hatte sie bereits befürchtet, trotzdem nickte sie.
Als Orion schließlich vor einem großen Tor ankam, wurde Victoria unruhig. Auf dem Weg hatte sie niemanden gesehen. Entweder sie waren alle schon da oder aber sie kamen erst später. Victoria war es egal. So oder so würde die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Die beiden Wachen vor dem Tor blickten kurz zu Orion und dann zu Mirielle. Beide erhielten ein würdevolles Kopfsenken zur Begrüßung, doch erst, als sie gingen, wurde Victoria die Tür geöffnet.
Der Raum war fast leer. Lediglich Auriel, der auf einer Art Thron auf einem Podest saß, war da.
Victoria trat zögerlich ein und sah sich um. War sie zu spät? Zu zeitig kam nicht in der Frage, denn dank Ivira hatten sie sehr lange gebraucht, um ein neues Kleid anzulegen.
Auriel musterte Victoria und deutete stumm auf den Platz neben sich. Der Sitz, der dort stand, war wesentlich kleiner und nicht sonderlich prunkvoll, dafür aber gemütlich. »Du bist ziemlich spät«, bemerkte er, während Victoria darauf zu ging.
Erst, als diese sich vergewissert hatte, dass sie wirklich noch allein waren, antwortete sie: »Ich hatte ein wenig Probleme mit der Kleiderwahl.« Ihre Stimme war leise genug, dass nur der Engel, dem sie nun sehr nah war, es hören konnte.
Auriel musterte sie, während sich Victoria setzte. Sofort fühlte sie sich unwohl. »Die Wahl gefällt mir«, entschied Auriel, was Victoria leicht lächeln ließ.
In dem Moment öffnete sich die Tür und Villisca betrat den Raum. Sie stolperte mit hoch erhobenem Haupt und einer ganzen Gefolgschaft ein.
Victoria verspannte sich sofort. Es war, als würde ihr Körper das Raubtier erkennen, das in schillernde Gewänder gekleidet war.
Villisca ging direkt auf Auriel zu und knickste. »Mylord«, grüßte sie mit seidiger Stimme.
Auriel nickte und sie erhob sich, bevor sie zu Victoria blickte und ein gekünsteltes Lächeln aufsetzte. »Victoria. Willkommen im Harem des Lord. Ich hoffe sehr, dass wir gut miteinander auskommen«, sagte sie, doch ihre Augen sprachen etwas anderes. Dann deutete sie einer Frau, die ihr gefolgt war, mit einer Handbewegung an, Victoria etwas zu geben.
Die Frau, die wohl Villisca Dienstmädchen war, kam auf Victoria zu, ging auf die Knie und präsentierte einen goldenen Haarschmuck.
Er war übersät mit Perlen und so riesig, dass Victoria allein vom Ansehen Kopfschmerzen bekam. Wie sollte sie so etwas tragen? Allerdings konnte sie auch die Arbeit sehen, die hineingesteckt worden war. Sicherlich war der Haarschmuck sehr wertvoll.
»Vielen Dank«, erwiderte Victoria gezwungen höflich und mit einem Lächeln.
»Ihr kennt euch?«, erklang Auriels fragende Stimme. Villisca erstarrte für einen Moment, fing sich aber schnell wieder.
Victoria, die nicht wusste, ob sie einfach so sprechen durfte, schwieg und ließ Villisca den Vortritt. »Wir sind uns bereits auf den Gängen begegnet, Mylord«, sagte sie sehr höflich und unterwürfig.
Victoria irritierte das. Sie war doch seine Favoritin. Wieso dann diese Zurückhaltung. Oder war das Pflicht? Das würde sie nicht hinbekommen, da war sie sich sicher. Immerhin war der Engel ihr gegenüber immer sehr umgänglich gewesen. Oder war das falsch? Hatte sie damit vielleicht schon einen Fehler gemacht? Victoria hoffte nicht. Sicherlich hätte jemand sie darauf hingewiesen.
Heute und in der Öffentlichkeit würde sie jedoch die Höflichkeit wahren.
Auriel blickte kurz zu Victoria, denn davon hatte er auch schon gehört. Allerdings nicht von dieser, daher wusste er auch nicht, über was sie gesprochen hatten. »Ich hoffe, die Begegnung war erfreulich«, sagte er, was Villisca leicht knicksen ließ.
Damit erhielt sie seine Aufmerksamkeit. »Natürlich. Ich habe ihr nur ein paar Dinge über den Harem erklärt«, sagte Villisca, die langsam etwas aufzutauen schien. Als hätte sie die erste Schockstarre überwunden.
Victoria verzog nicht einmal den Mund, während sie Villisca ansah. Sie hatte schon erwartet, dass diese log. Auch wenn es nur eine halbe Lüge war.
Auriel, der von Victoria aus leicht feindliche Gefühle spüren konnte, blickte noch einmal zu Villisca. Deren Gefühle waren seicht und eigneten sich nur zum Verzehr, wenn sie wirklich stark waren. Von ihr konnte er also nichts wahrnehmen, was ihn alarmiert hätte. Vermutlich mochte sie Victoria nicht, hasste sie aber nicht so stark, dass es ihm auffallen würde, ohne, dass er nachforschte.
Was Victorias Gefühle betraf, war er sich nicht sicher.
Sie waren zwar deutlich zu spüren, aber auch unklar, da sie stark mit anderen Gefühlen vermischt waren. Unter anderem Angst und Aufregung. Gefühle, die er erwartet hatte. Es überraschte ihn jedoch, dass ihre Gefühle durch die Angst nicht bitter schmeckten. Etwas, was sonst durch negative Gefühle schnell geschah.
Ein Gefühl war den Engel nicht einfach nur geschmacklos. Im Gegenteil. Angst konnte bei jeder Person anders schmecken. Allerdings hatte er noch nie bemerkt, dass selbst Angst bei ein und derselben Person unterschiedliche Noten hatte. Bei Victoria glaubte er das jedoch.
Abgelenkt von ihrer Gegenwart zwang sich Auriel dazu, wieder zu Villisca zu blicken. Dann nickte er ihr zu und sie ließ sich auf seiner anderen Seite auf den bequemen Stuhl nieder.
Kaum saß sie, traten weitere Frauen an Victoria heran, stellten sich vor und beschenkten sie.
Diese versuchte sich alle Namen zu merken und die Geschenke gut zu betrachten. Es waren meist Stoffe und Schmuck. Nur drei Damen schenkten ihr Creme und Heilkräuter.
Victoria wusste noch nicht, was sie davon halten sollte, doch zumindest blieben ihr so die Damen im Gedächtnis.
Der Abend verging recht rasch und da Victoria such nicht wusste, was sie tun sollte, saß sie einfach da und wartete auf Anweisungen.
Die Haremsdamen unterhielten sich und einige trauten sich such an Victoria, doch ein böser Blick von Villisca hielt sie oft genug davon ab.
»Villisca, Liebes«, sagte Auriel sanft, was bei Victoria sämtliche Nackenhärchen aufstellte. Ihr Körper rief Gefahr.
»Mylord?«, fragte sie, als wüsste sie nicht, was er wollte.
»Gibt es einen Grund für dich, eifersüchtig zu sein?«, fragte er, als würde es ihn wirklich interessieren. Dabei wollte er nur einfach nicht, dass sie weiter so schlechte Laune verbreitete und den anderen Angst machte. Victoria sollte nicht zu isoliert sein, doch bisher schien genau das ein Problem. Ähnlich wie damals bei Mirielle.
»Würdet Ihr mir erklären, warum sie bereits ein Geschenk von Euch erhalten hat?«, fragte Villisca unschuldig und mit großen Augen. »Habt Ihr nicht einmal gesagt, Geschenke gibt es nicht vor der offiziellen Einführung?«
Auriel wusste sehr genau, worauf sie anspielte.
Ihr gegenüber hatte er das damals als Ausrede genutzt, daher verstand er gut, dass sie vielleicht eifersüchtig war.
Er überlegte, ob er lügen und sagen sollte, dass es von Mirielle kam, aber was würde das bringen?
»Es war eine Belohnung für ihre gute Arbeit«, sagte er stattdessen, was sogar Victoria verwirrte.
»Was meint Ihr damit, Mylord?«, fragte Villisca irritiert nach, während Victoria spürte, wie allein der Gedanke an die Nacht Wärme in ihr auslöste.
Und als wäre das nicht schon genug, spürte sie Finger über ihren Rücken wandern und sie streicheln.
Als Victoria jedoch nach der Quelle suchte, bemerkte sie, dass Auriel seine Hände im Schoß gefaltet hatte. Dabei war sie sich ziemlich sicher gewesen, dass er es war.
Als sie es schaffte, mach hinten zu schielen, erkannte sie, dass dort niemand war. Keiner der Anwesenden war nah genug, um sie zu berühren.
Was war das?
Fragend blickte sie zu Auriel, der lediglich leise lächelte und gerade mit einer Haremsdame redete.
Es ging um belanglose Dinge, weshalb Victoria bereits abgeschaltet hatte.
Nun wandte Auriel allerdings ihr seine Aufmerksamkeit zu. »Stimmt etwas nicht?«, fragte er in dem Moment, wo sie sanfte Berührungen an ihren Brüsten spürte. Sofort zuckte sie, hielt sich aber tapfer und versuchte, nicht zu zeigen, wie sehr ihr Körper darauf reagierte.
»Es ist alles in Ordnung«, versicherte sie, denn sie wollte ihm die Genugtuung nicht geben. Zudem traute sie ihm zu, sie hier, vor all den Leuten, vorzuführen.
»Dann bin ich beruhigt«, sagte er und schmunzelte. »Kannst du tanzen?«
Überrascht über diese Frage, blickte Victoria zu Auriel, der tatsächlich mit ihr sprach. Zögerlich schielte sie zu Villisca, bevor sie nickte.
Der Engel lächelte und erhob sich, bevor er ihr die Hand reichte.
Victoria nahm die Hand entgegen und ging dann mit den Engel in die Menge, die sofort Platz machte. Dabei spürte sie Villisca hasserfüllten Blick auf sich.
Auriel, der das auch spürte, ignorierte Villisca jedoch und legte stattdessen Victorias Hände an die richtigen Stellen, bevor er der kleinen Gruppe, die für die Musik sorgte, zunickte.
Victoria war sie bisher nicht aufgefallen, da sie sich zu sehr auf die Haremsfrauen konzentriert hatte.
Als die Musik begann, bewegte sich der Engel und Victoria ließ sich führen. Es war gut, dass sie in jungen Jahren Tanzen gelernt hatte. Sonst hätte sie sich hier vermutlich sehr blamiert.
»Sag mir die Wahrheit: War euer erstes Treffen unangenehm?«, fragte Auriel, während er mit ihr über die Tanzfläche schwebte.
Seine eleganten Bewegungen und das sanfte Rauschen seiner Flügel zog Victoria förmlich in seinen Bann. Darum verstand sie die Frage auch nicht sofort.
»Sie hat mir gezeigt, wo mein Platz ist«, murmelte Victoria, die nicht laut sprechen wollte, um die Atmosphäre nicht zu stören.
Auriel senkte seine Lider. »Und wo ist dein Platz, ihrer Meinung nach?«, fragte er, doch Victoria wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
»Unter ihr und den anderen«, sagte sie schließlich. Das war immerhin das, was Villisca gemeint hatte. »Laut ihr bin ich nur eine Eurer Launen, die bald verfliegt«, fügte sie hinzu, unfähig, auch nur richtig über die Fragen nachzudenken.
Was daran lag, dass sie noch immer das Gefühl hatte, da wanderten Finger über ihren Körper.
Mittlerweile hatte sie schon ein Kribbeln im Bauch und die Wärme sammelte sich zwischen ihren Beinen, was das Tanzen nicht gerade angenehm machte.
»So ist das also«, murmelte Auriel mit einem leisen Seufzen. Er hatte seine Gründe, warum er Villisca zu seiner Favoritin gemacht hatte. Immerhin gehörte sie einer einflussreichen Familie an. Außerdem schmeckte sie auch recht gut, doch nicht so sehr, dass er dafür Ärger auf sich nehmen würde.
Im Grunde war Villisca diejenige, die einer Laune entsprungen den Posten der Favoritin bekommen hatte. Früher hatte sie einen gewissen Charme versprüht und weil Mirielle ihn gebeten hatte, sie nicht mehr als Favoritin den Harem leiten zu lassen, hatte er sie gewählt. Seitdem hatte er gewartet. Auf die neue Musterung.
Victoria senkte ihren Blick und gab sich nun ganz dem Tanz hin. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart sehr geborgen und wohl, obwohl sie Angst davor hatte, was auf sie zukommen würde. Mit diesem Abend war sie offiziell Teil des Harems und davor hatte sie Angst.
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