2]Schatten, Blitz und Donner
Robida musste nicht lange alleine in ihrer Ecke schlummern, nachdem die drei roten Einhornstreichler die Beine in die Hand genommen hatten. So sehr dieser Draganov im Wahn seiner Gehirnerschütterung auch einen imaginären Gesprächspartner an Robidas Stelle fantasierte, wendete er sich auf seiner Récamiere um und übergoss sie mit einem langen Monolog.
Irgendwann nach der Analyse der Fiskalpolitik Iryzons und der Militärdoktrin des Sultanat Te'gredem hatte sie nur noch mit einem ihrer putzigen kleinen Öhrchen zugehört.
"...Und deswegen, mein Feldmarschall Robida", lallte der Oberst, während seine Iriden desorientiert durch den Güldenen Bär zuckte. "Sind Finiences antagonischte Partikularinteressen eine große Gefahr für uns. Diese Fehde droht erneut zu entzünden, gerade wenn wir bald bei dieser tollen Parade einen Fehler machen. Obwohl dieser ach so grandiose Imperator gerne eine Backpfeife von einem der Kresnikninas bekommen könnte. Oder gleich einen Blitz in den Schädel. Der kann gerne einen auf Ignés machen und den Märtyrertod sterben. Das wäre das einzige nützliche, was jemand wie er hinbekommt. Und wenn er das macht und ein Krieg ausbricht, kann ich seine Soldaten direkt zu ihm ins Viraj schicken. Klingt das nicht famos?"
Robida brummte etwas unverständliches - und war froh, dass Menschen mit ihren beschränkten Hirnkapazitäten sie nicht verstehen konnten.
"Wusste ich doch, dass Sie meine Einstellung teilen, Marschall", nuschelte der Blonde weiter. "Das ist doch bestimmt eine Beförderung wert, nicht? Wenigstens eine Versetzung?"
Für einen Moment drohte er aus dem Stuhl zu kippen.
Robida wollte sich gerade erheben und den Armen Offizier zurück in das Polster stupsen, da veränderte sich die Atmosphäre des Raumes schlagartig.
Die Flammen der Petroleumlampen flackerten, drohten für einen Moment zu erlischen, als fürchteten sie sich selbst vor den Gestalten, die im perfekten Unisono in die Wärme des Raumes einbrachen und schneidende Kälte hineinspülten.
An ihrer Spitze war die einzige Frau der Truppe, die sich trotzdem in die perfekte Masse aus schwarzen Uniformen einfügte. Eine Wand aus Macht und Dunkelheit.
Und obwohl das Wetter draußen keinen Lichtstrahl durch die dicke Wolkendecke und den strömenden Regen drang, zog Ergena Zatsepina in einer makellos einstudierten Geste eine Sonnenbrille von ihrem Gesicht.
Glücklicherweise verzichtete sie dieses Mal auf die das magisch erzeugte Lichtspektakel, das bei dem letzten Einzug der Kresniknina im Güldenen Bär mehrere Gäste in Ohnmacht oder Panik hatte verfallen lassen.
Trotz- so behauptete Draganov zumindest immer- Zatsepinas Sadismus, denn nach der Aktion hatte das Abschrecken ihrer Gäste Nevena zu einer solchen Moralpredigt veranlasst, die selbst der Magiergilde mehr Schrecken eingejagt hatte als jeder Scheiterhaufen.
Besser als Nevenas feurige Tänze war es ohnehin nicht gewesen.
Dennoch reichte dieser Auftritt aus, um Draganov wie einen Upyr aus seinem
nahezu tot anmutenden Zustand zu reißen.
"Ergena Tarasovna", knurrte er fast schon instinktiv und Robida war von dieser Knurr-Imitation tatsächlich beeindruckt. "Welch netter Zufall! An der Militärakademie hätte ich Sie ja fast übersehen, wo all Ihre Schüler heulend in der Ecke liegen..."
Das kalte Kichern der Magierin klirrte selbst in Robidas Knochen. "Oberst! Endlich sehe ich also auch einmal Ihre ... Kriegserfahrungen. Sie tapferer, verwundeter Held." Ihr Säuseln wurde begleitet von einer Geste zu ihrer Stirn. Genau an die Stelle, wo die Platzwunde von Draganovs "Tanzunfall" prangte.
Beinahe konnte man schon meinen, ihre spitzen Fingernägel müssten ihre eigene zarte Haut aufschlitzen.
"Ich wollte mich einfach nur einmal wie eine Aufschneiderin wie Sie fühlen", zischte er zurück und hatte nun offiziell das "passiv" aus passiv-aggressiv gestrichen.
Trotz den wenigen Metern Distanz konnte er noch ihr lautes Zähneknirschen hören.
"Sie wissen gar nicht, wie viele Kämpfe ich schon austragen musste, um an meine Position zu kommen. Aber Ihre Arroganz ist nichts anderes als Unverständnis für Leute mit echten Problemen zu erwarten."
"Entschuldigung?", stieß Draganov aus. "Ich hab es voll schlimm, ich werde vom Altadel total diskriminiert und bin nur ein Oberst. Ein Oberst! Ist dass nicht peinlich? Nur fast-General. Wie soll ich so meinen Eltern unter die Augen treten, wenn ich nur Subalternoffiziere schikanieren darf?"
"Hallo, was soll ich sagen? Die einzige Frau in den kämpfenden Streitkräften? Dazu noch Magierin? Ist ja nicht so, als würde ich mit meinem Offizierspatent, dem Reichtum meiner Familie und Stellung in de Kresniknina ein besseres Leben führen als so 95% der Gesellschaft."
"Also ich find' mein Leben eigentlich voll toll. Wenn ich nur noch eine private Pferderennbahn hätte", warf Valentin schulterzuckend ein und schlürfte genüsslich seinen Tee, dem ihm Robida gerade am Servieren war. Dann klimperte der Graf verwirrt mit den Augen."Was guckt Ihr denn so?"
"Immer diese privilegierten Lisitsyns", murrte Draganov. "Merken gar nicht, wie schwer wir es alle haben! Und wie gut es Ihnen im Gegensatz geht."
"Ach ne, wie schlimm! Was sollen Personen dagegen sagen, nachdem sie ins Lagerhaus abgeschoben, fast ersoffen, verkauft, in Sklaverei gezwungen und auf die Abschussliste des Zaren gesetzt wurde! Die Glücklichen! Also rein theoretisch nur natürlich. Als zufälliges Fallbeispiel."
Die fremde Stimme ließ die Blicke der fünf - Robida, Valentin, Nevena, Ergena und Mikhail -herumwirbeln.
Dort, hinter dem Vorhang, der in die Untiefen des Boxkellers führte, stand eine rothaarige Frau, deren blutige, abgebundenen Knöchel schon erzählten, was sie darin gerade getrieben hatte.
"Ähm...", setzte Lisitsyn an und beugte sich etwas herab, um Robida zu kraulen. "Das klingt gerade seltsam spezifisch."
"Ne, überhaupt nicht", meinte die Fremde, die Robida zweifelsfrei als Nevenas mürrisch Freundin Zarja identifizierte. Genau die schritt aber gerade ein, um die Diskussion noch weiter in gefährliche Gewässer abdriften zu lassen:
"Ach, Liebes, du stehst ja ganz im Schatten. Willst du was trinken? Geht auch aufs Haus."
"Ja, in Jaromirs", brummte die nur gerade mit der Freude eines Iskra-Genossen in zaristischer Gefangenschaft. Immerhin wurden die da ja voll nach Menschenrechten und so behandelt. Bestimmt.
Doch da merkte Robida, wie die drei rich Kids sich vielsagende Blicke zuwarfen. Die ein oder andere Augenbraue schnellte hoch, bis Draganov ausspie:"Jaromir, was? Der Verbrecher?"
"Nein, der liebe Bäcker von nebenan."
Leicht verdrehte die Rothaarige die Augen. Dann tat sie so, als würde ihre Taschenuhr ihr etwas sehr wichtiges mitteilen wollen.
"Oh, nein, wie schrecklich. Ich habe da noch einen ganz wichtigen Termin, den ich keinesfalls verpassen darf. Überhaupt nicht. Wie ungünstig. "
Und so verschwand sie schon hinter dem Vorhang, der das Spielzimmer und den Rest des Güldenen Bären trennte, da sich die drei zu sehr dazu hingerissen fühlten, zu lästern, als den verdächtigen Worten weiter Gehör zu schenken.
"Ich liebe mein Leben einfach", stöhnte die Unbekannte noch, bevor sie vollkommen verschwunden war.
"Immer diese armen Menschen", meinte Zatsepina mit gerümpfter Nase, und Lisitsyn erwidert:"Vielleicht kann ich einen von denen ja einmal zum Duell herausfordern? Lustig wäre es bestimmt."
"Also ich würde liebendgerne zusehen", lachte Ergena und trank einen langen Zug aus Valentins Glas - das natürlichste die teuerste Flüssigkeit enthielt, die Altingrad zu bieten hatte. Für ihn war das wohl aber eher wie ein läppischer Schluck Wasser. Deswegen oder weil er die Magierin so gerne mochte, geriet er bei ihrer Handlung in ein breites Grinsen, das selbst seinen Schnurrbart zu krümmen schien.
Nach all dem Drama dieses Abends ging das Draganov gehörig auf den Geist.
"Das Leben ist kein Spiel, Herr Graf", ermahnte er Lisitsyn. Er hatte des Schicksals Bitterkeit selbst oft genug geschmeckt. Und oftmals gab es nicht einmal Gewinner, nur Verlierer.
"Mein lieber Draganov", hörte er aber nur die nahezu quietschfidele Stimme des Braunhaarigen. "Das ganze Leben ist ein Spiel. Aber Spiele müssen nicht fair sein. Mal gewinnt man, mal verlieren die anderen... Und manchmal muss man eben betrügen. Krieg, Liebe, Politik - all das sollte eigentlich Regeln, Sieger und Verlierer haben. Trotzdem wird nach Strich und Faden betrogen."
Robida wusste nicht einmal mehr, ob diese Pseudophilosophie ernst gemeint oder nur ein Produkt Lisitsyn wilden Exzesses war, aber es reichte dem Oberst, um zu erwidern:"Krieg? Ein Spiel? Es geht um Tod. Sie können unmöglich behaupten, dass-"
"Dass es ein Spiel ist?", vollendete Valentin seinen Satz und einer seiner Finger zwirbelte keck die Enden seines Bartes.
"Mein lieber Draganov, auch der Tod-"
"Sagen Sie es nicht-", warnte der Neuadlige noch, aber es hielt Lisitsyn nicht auf.
"-ist Teil eines Spiels. Denn jeder verliert einmal. Mal früher, mal später. Und der Tod ist der größte aller Verluste."
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Girlboss des Tages:
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