Kapitel 16
Nun war der Zeiger schon mehrere Runden im Kreis gefahren und die Türe hatte sich nicht geöffnet. Das Lachen des Jungen war verklungen, hallte aber wie ein immerpräsenter Schrei in seinem Kopf.
„Wo ist er? Wo ist der General? Er verspätet sich nie! Er ist immer pünktlich." Er sprach mit sich selbst, als trüge etwas in ihm die Antwort auf diese Fragen. In ihm wuchs etwas heran. Etwas, das den Nährboden der Scham und der Frustration aus Einsamkeit ausnutzte. Zuerst war es ein kleiner Gedanke: „Was, wenn der General verschwindet?", dann wurde dieser Gedanke immer intensiver. Kein Inspektor, keine Regeln, keine Freiheiten oder noch viel besser, er könnte die Regeln bestimmen.
Die Gedanken wurden verschluckt von der sich ausbreitenden Wut. Er kommt nicht, war die Feststellung, die ihn anspannen ließ.
Die Uhr tickte im direkt ins Gehör, als flüsterte sie Worte, die seine Wut noch weiter verstärkte. Tick! Seine Hände ballten sich so fest zu einer Faust, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Sie schmerzten. Doch dieser Schmerz war ein weiterer Motor, der seine Wut verstärkte. Selbsthass. Die Bewegungslosigkeit dieser Tür machte ihn wahnsinnig. Wo bleibt er?
Er nahm einen Stiefel, „soll der General doch davon getroffen werden". Die Tür war übersät mit Dellen und Splittern – stille Schreie aller, die vor ihm hier gescheitert waren. „Bin ich nur der Nächste in der Reihe der Versager?", fragte er sich – dann hob er den Stiefel höher und schmiss ihn mit voller Wucht gegen die Tür, sodass ein Abdruck des Stiefels erkennbar war. Eine neue Kerbe im alten Holz. Der wuchtige Aufschlug verklang im Haus und hüllte es kurz darauf in absoluter Stille. Allein, verloren, verzweifelt stand der Junge da und wusste nicht, was er tun sollte.
Der Junge brach den starren Salut ab. Die Kerze war endgültig zu einer Pfütze aus Wachs geworden. Er irrte ziellos durch das Zimmer, lief auf dem staubfreien Fußboden auf und ab und blieb schließlich vor dem riesigen Eichenschrank stehen. Wütend riss er die Türen auf. Die alten Scharniere kreischten, überdehnten sich und quietschten vor Schmerz. Die Türen schlugen heftig gegen die Wände, polterten laut und das Ungeheuer im obersten Fach versteckte sich sogar, die Spinne zog sich zurück. Als fühle sie die Gefahr, die von dem Jungen in diesem Moment ausgestrahlt wurde. Sie hüllte sich in einen Mantel aus tiefem, alles verschlingendem Schwarz.
Er griff nach der Truhe, umklammerte sie fest mit seinen Händen, dabei fühlte er die Einschnitte seines Namens auf dem Deckel. Das zarte Holz wirkte alt. Wie ein zu warmer Mantel, der abgelegt wird, wenn man das Haus betrat. Die Schachtel hatte ihren Glanz und ihre Mystik verloren. Als er sie öffnete, trat Rauch gepaart mit dem Geruch von verbranntem Holz in seine Nase. Er schaute hinein und hörte die Stimmen der Feen, sie sprachen im Takt, vereint und gleichzeitig. Sie zählten: links, rechts, links, rechts, links, rechts. Zuerst bemerkten sie den neugierigen Besucher nicht, zu sehr waren sie in die gemeinsamen Übungen und das Marschieren im Kreis vertieft. Unter den scharfen Augen der fleißigen Lisa, die keinen Fehler übersah, bewegten sich die Feen mit geschulterten Bögen und gefüllten Köchern in einer Einheit, die der Welt Tod und Verderben bringen könnte. In ihrer Hand trug die fleißige Lisa eine Rassel, die sie immer dann schwang, wenn einer der Feen versehentlich aus der Reihe tanzte. Sie hatte veranlasst, den Übungsplatz zu erweitern. Die umliegenden Häuser, die Kirche, das Krankenhaus, der Kinderspielplatz, der grüne Park und das Blumengeschäft wichen der braunen Erde. Niedergetrampelt und niedergebrannt. Die bunten Blumen verwelkten und warfen ihre grauen Blütenblätter zu Boden. Und auch die Bäume wären von diesem Ort geflohen, hätten sie nicht Wurzeln geschlagen, so waren sie nur stille Beobachter des Treibens.
Die Augen des Jungen kniffen sich zusammen, die Formation der Feen machte es leicht, sie zu zählen - im Gegensatz zu ihrem wirren Gewirr, als er sie zum ersten Mal entdeckt hatte, und doch fehlte eine.
„Kommandant Lisa!", rief er in strengem Ton, kurz und bündig, als wäre er selbst der Generalinspektor. „Eine Fee ist nicht hier. Wo ist sie?"
Die fleißige Lisa blickte zu ihrem General auf. Für einen Moment zuckte sie unter seinem starren Blick zusammen, dann besann sie sich Haltung zu zeigen. Sie streckte die Brust heraus und sah ihm bei jedem Wort in die Augen. „General, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass sich in unseren Reihen ein Deserteur, ein Kriegsdienstverweigerer befindet!"
„Wo ist dieser Feigling?", fragte der Junge erneut.
„General, er versteckt sich. Wir haben schon versucht, ihn ausfindig zu machen. Ich habe einen Suchtrupp zusammengestellt, um ihn zu finden. Wer hätte ahnen können, dass der faule Lutz eines Tages nicht mehr zu den morgendlichen Versammlungen und Übungen erscheinen würde. Er hatte schon öfter Schwäche gezeigt. Er wird für sein Vergehen ordentlich bestraft werden", sagte die fleißige Lisa. In ihren Augen brannte das Feuer der Führung und der Wunsch, den faulen Lutz zu finden und an ihm ein Exempel zu statuieren, damit alle Feen wissen, was passiert, wenn man wegläuft.
Es tat dem Jungen gut, sie so zu sehen. Eine wohltuende Wärme breitete sich in ihm aus. Er nickte zustimmend. Und betrachtete die Formation der Feen. Perfekt und gerade. Ihre geschwungenen Flügel hatten an Buntheit verloren, sie passten sich dem Kaki ihrer Rüstungen an. Die Helme waren aus den Bäumen geschnitzt, die ihnen im Weg standen, und verbargen die Gesichter, die individuellen Züge, die Unterschiede und machten alle bis auf die Größe gleich. Doch der Junge wusste, dass die größte Fee die fleißige Lisa war. Sie führte unter seinem Kommando. Voller Stolz sah er zu, wie die Feen selbstständig, als hätten sie es nie anders gekannt, durch den Schlamm und Dreck krochen, schossen und das frisch blühende Gras unter ihren Füßen zermalmten. „Er grub die Fingernägel in die Truhenkante. Was ist das? Ein Farbrest? Mit seinen Fingernägeln kratzte er dieses verloren wirkende Blau ab. „Grau", dachte er, „Alles muss grau werden". Wie auf Befehl verblassten die letzten blauen Blüten am Rand des Übungsplatzes.
„Bald werdet ihr bereit sein, euch dem Ungeheuer zu stellen", sagte der Junge. Bald seid ihr frei! Ihr macht das sehr gut."
Seine Worte, süße Verführung, und die Uhr, die neben ihm tickte, beruhigte ihn zutiefst. Wie großartig war diese Seite, wie großartig war es, zu führen.
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