Epilog
"Für Anton, bitte."
"Mhm ... für Anton. Hier, bitte sehr."
John hielt dem Mann das Buch hin, der nahm es und der nächste kam.
"Für Annika."
John signierte das Buch und händigte es der jungen Frau wieder aus. Die Schlange war recht lang und es würde noch eine ganze Weile dauern, bis John alle Bücher signiert hatte. Es war seine erste Lesung mit anschließender Autogrammstunde. Sein Handgelenk tat bereits weh, denn er schrieb seine Manuskripte ausschließlich am Laptop. Da war er das Schreiben von Hand beinahe nicht mehr gewohnt.
Aus dem ursprünglich als Biografie konzipierten Manuskript hatte John einen Roman gemacht. Schnell war ihm klar geworden, dass er keine zufrieden stellende Biografie schreiben konnte, ohne Tara darin zu erwähnen. Außerdem war ihm die Idee mit der Biografie zusehends seltsamer vorgekommen, denn er war vor kurzem erst dreißig Jahre alt geworden und wer schrieb denn schon in dem Alter eine Biografie? Wenn man sein ganzes Leben noch vor sich hatte, was konnte man dann schon groß erzählen?
Also hatte er das Manuskript umgeschrieben. Er hatte einen Ich-Erzähler eingeführt. Tatsächlich erzählte er die Begebenheiten so, wie sie passiert waren, nur anstelle von Tara setzte er eine andere Figur ein. Er schrieb alles so, dass man keine Rückschlüsse auf die echten Personen ziehen konnte. John wollte niemanden in Schwierigkeiten bringen. So war es schlussendlich ein missgünstiger Kollege aus seiner ehemaligen Arbeit, der Johns Ich-Erzähler mit den Steckbriefen ins Ausland jagte. Wer John nahe stand, wusste natürlich, wer hinter dem missgünstigen Kollegen steckte.
Zu Johns Freude verkaufte sich sein erster Roman ganz gut. Er hatte das auch gehofft, hatte aber nicht damit gerechnet, dass es doch so ein Erfolg werden würde. Und nun saß er hier, im städtischen Buchhaus, und signierte sein eigenes Werk. Auch wenn er es mittlerweile realisiert hatte, dass es wirklich sein selbstgeschriebenes Buch war, so kam es ihm doch manchmal so vor, als hätte es jemand anderes geschrieben.
Meine ehemaligen Deutschlehrer würden Augen machen, dachte sich John, nachdem er das letzte Buch signiert hatte. Er gab es der älteren Dame, die Ähnlichkeit mit der Frau aus der Unterkunft in Frankreich hatte, mit einem unsicheren Lächeln wieder zurück. John sah sie einen Moment länger an, dann merkte er, dass es nicht dieselbe Frau war. Wieso auch? Wieso sollte es dieselbe Frau sein, die siebenhundert Kilometer entfernt lebte und eine ganz andere Sprache sprach als John?
Gerade wollte er aufstehen und sich auf den Weg machen, da kam eine junge Frau angelaufen und rief: "Herr Hellwer, einen Moment!"
Schnaufend blieb sie vor ihm stehen. John rechnete damit, dass sie ein Autogramm haben wollte, es aber nicht mehr rechtzeitig geschafft hatte. Sie musste ganz schön gerannt sein, auf ihren Wangen bildeten sich rote Flecken. Als sie zu Atem gekommen war, sagte sie: "Hätten Sie kurz Zeit für ein kleines Interview für die städtische Zeitung?"
"Sie sind Journalistin?", fragte John.
"Ja. Lena Weiß. Von der städtischen Zeitung. Wäre das möglich?"
John warf einen Blick auf seine Uhr. Er hatte schon eine halbe Stunde länger gebraucht als geplant. Eigentlich musste er so schnell wie möglich los, um nicht den nachfolgenden Termin zu verpassen.
"Heute ist schlecht. Aber wenden Sie sich an meine ... Managerin. Sie wird Ihnen einen Termin geben. Gerne machen wir dann das Interview", sagte John und kramte in seiner Hosentasche nach einem kleinen Kärtchen. Er reichte es der jungen Frau.
"Danke sehr. Dann sehen wir uns wahrscheinlich recht bald", sagte sie und hob die Hand zum Abschied.
Kaum war die Journalistin durch die Tür verschwunden, trat eine andere Frau ein. Sie war elegant gekleidet in ihrer dunkelblauen Hose, dem gleichfarbigen Blazer und dem weißen Hemd. Ihre kurzen dunklen Haare hatte sie mit Gel fixiert. Mit ihr hätte man ein Fotoshooting für einen Katalog mit Businessmode machen können.
"Wer war das?", fragte sie John.
"Eine Journalistin. Ich hab' ihr deine Nummer gegeben. Sie wird sich bei dir melden wegen eines Interviews", sagte John.
"Na gut. Mal sehen, wann wir das unterbringen. Du weißt, dass du in ...", die Frau warf einen kurzen Blick auf ihr Handy, "... in einer halben Stunde einen Termin bei deinem Verleger hast?"
John nickte. Die Frau spielte ungeduldig an dem Autoschlüssel herum, den sie in der Hand hielt. Sie würde John zu dem Termin fahren, so wie sie John zu allen seinen Terminen fuhr. Wenn er seinen Führerschein wieder haben würde, das hatte John ihr versprochen, dann würde er sie überall hin kutschieren, wohin sie auch wollte.
"Du siehst fantastisch aus heute", sagte er. Die junge Frau lächelte. So sah ihr Gesicht am schönsten aus.
"Das hast du mir heute, glaube ich, schon einmal gesagt", sagte sie, errötete aber doch ein wenig.
"Dann, komm, lass uns gehen", sagte John, nahm sie an der Hand und gemeinsam gingen sie nach draußen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro