Prolog
„Ich möchte aber bei Sitara schlafen", bettelt der kleine Junge.
„Nicht heute Abend, Riven." Ich kann die Tränen beinah nicht unterdrücken. Was ich heute Nacht tun muss, bricht mir bereits jetzt das Herz. Was bin ich für eine Mutter? Doch genau deshalb muss ich es tun. Aus Liebe zu meinen Kindern. Ich habe keine Wahl.
„Bitte Mama, ich habe Angst", höre ich den Kleinen mit zittriger Stimme sagen. Eine Träne bahnt sich ihren Weg über seine Wange und droht auch mir eine zu entlocken. Vorsichtig streiche ich sie ihm beiseite und ziehe ihn in eine feste Umarmung. Eine letzte Umarmung. Ein letztes Mal gute Nacht sagen. Ein letztes Mal seine Stirn küssen.
„Nur wer Angst hat, kann mutig sein", flüstere ich Riven leise zu und löse mich von ihm. Tief schaue ich in seine Augen, die mir traurig entgegenblicken. Sie glitzern von den Tränen und sind leicht gerötet. Ich drücke ihm einen Kuss auf die Stirn und begleite ihn in sein eigenes Zimmer. Behutsam decke ich ihn zu und beobachte wie er schnell in den Schlaf fällt.
Eine ganze Weile betrachte ich meinen schlafenden Sohn. Seine Atmung geht regelmäßig und ein leichtes Lächeln liegt auf seinen Lippen. Als die Uhr Mitternacht schlägt, löse ich mich von seinem Anblick. Einen letzten Kuss auf die Stirn, bevor ich mich im Stillen von meinem Sohn verabschiede und bete, dass er mir verzeihen kann. „Ich liebe dich. Das werde ich für immer, mein geliebter Riven", flüstere ich bevor ich die Türe schließe.
Mit einer Kerze in der Hand schreite ich leise über den Flur in das Kinderzimmer von Sitara. Auch ihre Atmung geht regelmäßig und wie ihr Bruder hat sie ein Lächeln auf den Lippen. So unschuldig liegt sie in ihrem kleinen Kinderbettchen und so unwissend träumt sie. Nicht ahnend, dass sich heute ihre ganze Welt auf den Kopf stellen wird. Sie ihren Bruder nie wieder sehen wird und ihren Vater nie wirklich kennenlernen kann.
Behutsam hebe ich das kleine Mädchen auf meinen Arm. Werfe einen letzten Blick durch das Zimmer und lasse die Kerze in meiner Hand auf ihr Bettchen fallen. Innerhalb von Sekunden beginnt der Stoff zu brennen und lodert gefährlich. Kurz hält mich der Anblick gefangen. Zweifel stürzen auf mich ein. Doch als mein Blick auf meinen Arm fällt, auf das blau leuchtende Symbol, weiß ich, dass ich das richtige tue. Ich tue es für sie.
Eine Träne rollt über mein Gesicht und mit einem tiefen Atemzug verjage ich die letzten Zweifel. Verabschiede mich in Gedanken von meinem Mann, der Riven ein guter Vater sein wird und bete, dass ihn die Trauer nicht verbittert. Leise schließe ich die Türe hinter mir. Ich eile den Flur entlang, aus der Türe und hinter die Mauern. Als plötzlich ein lauter Alarmton mich noch ein letztes Mal zurückblicken lässt. Die Flammen sind sogar aus dieser Entfernung sichtbar und ich hoffe, dass sie lediglich das Kinderzimmer vernichten. Mächtig und gefährlich leuchten sie gelb-orange in der sonst so dunklen Nacht.
Das Geräusch einer ins Schloss fallenden Türe reißt mich aus meinem Albtraum. Einem Albtraum, der mich Tag täglich begleitete. Der Tag, an dem ich meinen Sohn zurückließ, um das Leben meiner Tochter zu retten. Nur um ein paar Jahre später auch sie zu verlieren. Zuerst glaube ich mir das Geräusch nur eingebildet zu haben. Als ich plötzlich einen Schatten neben meinem Bett erkenne, schrecke ich hoch. Um diese Uhrzeit sollte niemand in meinem Zimmer sein. Doch es ist zu spät, um zu entweichen.
Bevor ich mich auf die Beine stellen kann, springt die Person auf mich und drückt mich zurück auf mein Bett. Ich will gerade nach Hilfe schreien, als sich eine Hand über meinen Mund legen. Feste drücken sie gegen meinen Mund und der Geschmack von Metall lässt mich würgen. Wild greife ich nach dem Arm des Mannes und versuche ihn von mir zu ziehen. Kralle mich in seine Hand, um ihn zu zwingen, von mir abzulassen. Mein Herzschlag schießt ins unermessliche, meine Atmung wird schwerer und meine Sicht trüber. Das Adrenalin rauscht im Überfluss durch meinen Körper. Aber es gelingt mir trotzdem nicht mich zu befreien.
Der Mann, der über mich beugt, trägt eine Maske und ich kann ihn nicht erkennen. Nicht sehen, wer es ist. Was will er von mir? Erfolglos versuche ich mich aus seinem Griff zu befreien. Je mehr ich mich winde, umso fester wird der Griff. Es wird immer schwerer die Luft durch meine Nase zu ziehen und eine gewisse Todesangst breitet sich in mir aus. Wild strampele ich mit den Beinen und Armen. Dann legt sich seine zweite Hand über meine Nase und entzieht mir den Sauerstoff gänzlich. Eine neue Welle der Panik übernimmt. Er bringt mich um!
Ich beginne nach ihm zu greifen. Nach allem, was ich fassen kann. Alles was ich zu erwischen bekomme, ist der Kragen seines T-Shirts. Als ich es zerreiße, kommen ein muskulöser Oberkörper und ein Tattoo auf der rechten Brust zum Vorschein. Das Wappen des Königshauses von Evrem. Es ist das Letzte, was ich sehe, bevor die Dunkelheit über mich hereinbricht und der Sauerstoffmangel mich in die Tiefe reißt.
Es tut mir leid, ist mein letzter Gedanke.
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