Kapitel 7a
Ein leises Klopfen weckt mich auch an diesem Morgen. Ich muss Minerva sagen, sie soll lauter klopfen, wenn sie in Zukunft nicht für mehrere Minuten warten will, merke ich an und öffne langsam meine Augen. Ich strecke mich müde und gähne laut auf. Als mich ein leises Lachen herumfahren lässt. Meine Augen stoßen auf die eisblauen von Beynon. Er war jeden Morgen, schon aus dem Zimmer bis Minerva kam. Wo genau weiß ich nicht. Aber er war nicht hier.
„Beynon!", rufe ich erschrocken und falle bei dem Versuch von ihm abzurutschen beinah vom Bett. Im letzten Moment schnappt er sich meinen Arm, zieht mich zurück und lässt los, sobald ich wieder sicher liege. Ich brauche einen Moment, um mich daran zu erinnern, dass ich ihm erlaubt habe im Bett zu schlafen. Allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass er mich im Schlaf beobachten wird.
„Was machst du?", frage ich noch etwas unter Schock. Sein Blick ist ruhig. Zu ruhig. Wie ein Raubtier, das seine Beute beobachtet. Unangenehm.
„Nichts." Er lacht und springt aus dem Bett aufs Badezimmer zu.
„Machst du nichts, jeden Morgen, während ich schlafe?" Das Unwohl macht sich breit. Er zuckt mit den Schultern und mit einem spitzbübischen Lachen verschwindet er hinter der Tür. Ein Schauer läuft mir den Rücken hinab, bei dem Gedanken, dass Beynon jeden Morgen, mein schlafendes Ich beobachtet. Irgendwie gruselig. Um den Gedanken zu vergessen, öffne ich Minerva und Zoya die Tür, die sich augenblicklich an Make-up und Haare machen. Sie schauen überrascht als Beynon aus dem Badezimmer kommt und machen hastig einen Knicks.
„Bis gleich", sagt er mit einem Zwinkern, bevor er das Zimmer verlässt. Das Gespräch auf dem Dach hat ihm ganz schön viel Hoffnung gemacht.
„Guten Morgen, Jamie", begrüße ich denn netter Wachmann, als ich mich auf den Weg zum Essenssaal mache. Dort warten bereits Kian. Schnell berichte ich von dem Handel, den ich mit Beynon geschlossen habe. Seiner Meinung nach hätte ich es nicht machen sollen. Ich versichere ihm, dass ich weiß, was ich tue. Als unsere Mutter und Willy hineinkommen, wechseln wir das Thema.
„Ich möchte, aber nicht Klavier spielen", meckert Willy, als er in den Raum tritt. Unsere Mutter versucht auf den kleinen einzureden, aber ohne Erfolg.
„Kian spielt Klavier. Vielleicht macht es dir Spaß, wenn du mit ihm übst", schlage ich vor. Mir ist aufgefallen, dass der Kleinen einen Narren an Kian gefressen hat und wahrscheinlich alles tun würde, wenn Kian ihn bittet. Da ich nie das Klavierspiel gelernt habe, würde es mich freuen, wenn Willy die Chance dazu bekommt.
„Okay, dann kann ich es mal probieren." Er strahlt Kian mit großen Augen entgegen. Mir ist bewusst, dass ich heute viel Zeit mit Beynon verbringen werde, um seine Aufzeichnungen anzusehen und ich möchte nicht, dass Kian den ganzen Tag in dem Zimmer eingesperrt ist. Nicht jetzt, wo er es nicht mehr muss. Als auch Beynon zu uns stößt, lassen wir uns das Essen schmecken.
Gemeinsam mit Beynon gehe ich in sein Arbeitszimmer. Er macht mir Platz auf einem kleinen Beistelltisch, der neben einem großen bequem aussehenden Sessel steht. Nachdem er mich bittet, Platz zu nehmen, geht er zu seinem Schreibtisch. Holt einen kleinen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnet die Schubladen. Wusste ich doch, dass er das Zeug dort aufbewahrt, merkt mein Verstand an. Er stellt einen riesigen Stapel Bücher, Aufzeichnungen und lose Blätter auf den Tisch ab. Schnappt Caspian Journal und legt es nach ganz oben.
„Das ist alles, was ich zum Fluch von Merah habe. Schau es dir an und wenn du Fragen hast, sag Bescheid. Ich muss an ein paar anderen Dingen arbeiten, aber sobald ich Zeit habe, helfe ich dir weiter", sagt er mit einem Lächeln und setzt sich hinter seinen Schreibtisch. Ich bin überrascht, weil ich davon überzeugt war, dass er nicht wirklich sein Wissen mit mir teilen würde.
Kurz schaut er zu mir und richtet dann seinen Blick auf einen Stapel Papiere vor ihm. Kurz darauf ist er komplett in seiner Arbeit vertieft und durchstöbert Bücher, macht sich Notizen und heftet Dinge ab. Fasziniert beobachte ich ihn kurz. Ich habe mich gefragt, was er den ganzen Tag machte, das ihn so beschäftigt hielt. Als er kurz aufsieht, wende ich meinen Blick schnell ab und an die Bücher, die sich vor mir stapeln.
Zuerst bringe ich etwas Ordnung in das Chaos und trenne die Bücher, von den handgeschriebenen Aufzeichnungen und den losen Blättern, mit Notizen, die Beynon geschrieben haben muss. Ganz schön viel Zeug für einen Fluch, der eventuell nur ein Märchen ist. Nach einer gefühlten Ewigkeit greife ich nach dem ersten Buch, welches sofort meine Aufmerksamkeit fordert. Es ist ein Ahnenlinienbuch der Königsfamilie Merahs. Deiner Familie, bemerkt mein Verstand an. Schon die erste Seite lässt mir den Atem stoppen.
Der Mann, der auf dem Familienporträt abgebildet ist, kommt mir bekannt vor. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Rundes Gesicht, eine Knollennase, dicke Wangen, kleine Ohren und rehbraune Augen. Der Mann aus der Erinnerung, der Arabella, das erste Mädchen, tötete. Erschrocken schaue ich auf das Bild. Es besteht kein Zweifel, dass es sich um denselben Mann handelt. Neben ihm stehen eine zierliche Dame und ein junger Mann.
Die Bildbeschreibung liest: der erste König von Merah, Magnus Kingston mit seinem Sohn Caspian Kingston und seiner Frau Samira Kingston. Gefolgt von Geburt und Sterbedaten und einer kurzen Erklärung der Regentschaft. Ich finde nichts über Arabella auf den wenigen Seiten. Ich blättere weiter durch das dicke Buch. Erkenne ein jeden König aus den Erinnerungen, die ich gesehen haben, als ich die blaue Glaskugel des Königs in der Hand hielt. Manche wirken älter, manch jünger, als ich sie in Erinnerung behalten habe. Was mich wundert ist, dass für keine der Königsfamilien die Töchter gelistet sind. Nur die Söhne.
Es kann nicht sein, dass sie alle keine Töchter hatten? Schneller blättere ich durch die Seiten. Auch als ich am Ende ankomme und das Bild von König Julius und Kian entdecke, ist nirgends etwas über Lilly oder mich angemerkt. Vielleicht ist es nicht üblich, die weiblichen Kinder zu erwähnen, entschuldige ich die Tatsache und schnappe mir das nächste Buch. Ein Geschichtsbuch über mehrere Angriffe auf Merah, die jedes Mal scheiterten. Gefolgt von Fabel Büchern und Kindergeschichten, die von einem Fluch berichten und einer Kraft der Sterne.
Aufmerksam lese ich sie, doch irgendwann hört sich eine wie die andere an und jede wirkt mehr wie ein Märchen. Erschöpft und etwas enttäuscht lehne ich mich in dem Sessel zurück. Er ist so bequem, wie er aussieht. Bis jetzt bin ich noch nicht schlauer geworden. Du hättest mit den handschriftlichen Aufschriften anfangen sollen, bemerkt mein Verstand. Ich habe erwartet, dass die Bücher mehr Antworten enthalten. Mein Blick geht zu Beynon, der im selben Moment aufsieht. Ich sehe, wie etwas in ihm auftaut, von dem ich nicht wusste, dass es gefroren war.
„Zeit fürs Mittagessen", sagt er mit einem Lächeln und der Blick auf die Uhr bestätigt es. Nach dem Mittagessen begleite ich ihn wieder zurück in sein Arbeitszimmer.
Dieses Mal, nehme ich mir die Aufzeichnungen vor und ignoriere die Bücher. Bei dem Journal, dass ich zur Hand nehme, handelt es sich, um das eines von Beynons Vorfahren. Er berichtet von Zeiten des Krieges, als Merah Evrem und die anderen Nationen gegeneinander standen. Aus Schulzeiten weiß ich, dass unsere Länder früher im konstanten Krieg standen, doch mehr weiß ich nicht. Es hat mich nie interessiert. Der Verfasser, der namentlich nicht genannt ist, gelang es den Kronprinzen Merahs zu kidnappen und folterte ihn für Tage. Bis er das Geheimnis Merah freigab und von einem Fluch berichtete, der dem König, die Macht gibt zu triumphieren, egal wie groß der Feind. Zuerst schrieben sie die Aussage ab und machten den Wahnsinn der Folter dafür verantwortlich, dass er wirre Worte sprach.
Es gelang dem Autor des Journals, an Unterlagen des Königs zu kommen, welche über einen solchen Fluch sprachen. Jedoch beherrschte er die Sprache nicht, in der es geschrieben war. Über die Jahre studierte er die Worte und andere Schriften, die er geborgen hatte. Seine eigenen Landsleute erklärten ihn für verrückt und der König verstießen ihn. Der Autor arbeitete weiter, solange, bis er einem Wahnsinn erlag. Nach einer Weile sind seine Einträge nur noch verrückte, zusammenhanglose Wörter.
Wieder komme ich ins Zweifeln, ob es sich nicht nur um ein Märchen handelt. Alles was ich gelesen habe beweist nichts. Und wenn dann das Gegenteil von der Existenz eines solchen Fluches.
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