Kapitel 4b
„Worüber denkst du nach?", fragt mich Kian neugierig. Wir liegen beide auf dem Bett, unsere Blicke an die Decke gerichtet und unseren Gedanken nachtragend.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich noch vor meinem achtzehnten Geburtstag heiraten werde", sage ich lachend und drehe mich zu ihm. Wieder flammt die Besorgnis in seinen Augen auf. „Kian, höher damit auf", sage ich streng, mit einem Lächeln.
„Womit?"
„Dem Mitleid, Selbstzweifel und dir für alles die Schuld zu geben. Wenn ich eines über die letzten zwei Tage gelernt habe, ist der einzige Grund, weshalb du hier bist, meine Schuld. Der König wollte nie dich. Immer schon mich. Ohne mich wärst du nicht einmal hier. Also hör auf dich verantwortlich zu fühlen." Ich richte meinen Blick wieder an die Decke. Ich weiß, meine Worte werden ihn nicht beruhigen. Aber ich muss es laut aussprechen, dass er es einmal hört.
„Aber ich sollte ..." Ich unterbreche ihn erneut mit einem strengen Blick. „Wie kannst du so ruhig bleiben?", will er nach einer Weile wissen.
„Glaub mir, in mir tobt ein Tornado. Doch ich weiß, weshalb ich das alles tue. - Liebe ist stärke", sage ich feste. Liebe ist stärke. Es hat lange gedauert. Zu lange. Aber jetzt bin ich mir sicher. Für meine Familie würde ich durch Feuer gehen. Wenn das Schlimmste, das ich tun muss, Leander zu heiraten ist, dann habe ich es ziemlich gut. Er ist ein guter Mensch. Zumindest hoffe ich das.
Irgendwann muss ich eingeschlafen sein. Als ich wieder die Augen öffne, liegt eine Decke über mir und ich höre Kians leises Schnarchen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es kurz nach zwei Uhr ist. Obwohl ich viel zu wenig Schlaf hatte, scheint mich die Nervosität wach zu halten. Leise schlüpfe ich in einen Pullover und schleiche zur Türe. Die Wachmänner blicken mir misstrauisch entgegen.
„Emm ... darf ich aufs Dach gehen?", frage ich leise und unsicher. Die beiden Männer schauen sich kurz an und scheinen ein Gedankengespräch zu führen. Das einzige, was ich sehe, ist wie sich ihre Augenbrauen etwas bewegen, dann einer mir zunickt und mich passieren lässt. Der Mann, der mir zugenickt hat, folgt mir mit Abstand aufs Dach.
Er tritt mit auf den Balkon, stellt sich neben die Tür und gibt mir etwas Freiraum. Mein Teleskop steht immer noch an seinen Platz und ich gehe freudig darauf zu. Ohne zu zögern werde ich in den Nachthimmel getragen. Ich weiß nicht, wie lange ich in den Sternen träume, als mich ein Geräusch aufblicken lässt. Eine Kutsche fährt auf das Haupttor zu und verlässt den Palast. Kurz verwirrt mich, dass um diese Zeit noch eine Kutsche unterwegs ist, aber schiebe den Gedanken beiseite.
Zurück im Zimmer ist die Nervosität kleiner und mir gelingt es erneut in einen Schlaf zu fallen.
Als ich das nächste Mal aufwache, scheint die Sonne bereits grell durchs Fenster. Die Uhr verrät mir, dass es lange nach acht Uhr ist. Erschrocken fahre ich hoch und entdecke Kian, der auf der Couch sitzt und sich genüsslich Rührei in den Mund schiebt. Erst als ich mich räuspere, blickt er zu mir.
„Guten Morgen, Emmelin", sagt er beinah fröhlich, sein Unbehagen bleibt nicht ganz unentdeckt.
„Wieso hast du mich nicht geweckt?" Ich befreie mich von den Unmengen an Decken und springe auf die Beine.
„Ich wollte dich ausschlafen lassen", sagt er amüsiert, doch ich kann seine Anspannung hören. Heute Nachmittag ist die Hochzeit und es gibt keinen weg darum, erinnert mich mein Verstand. Minerva und die anderen müssen sich die Haare raufen, dass ich noch nicht bei ihnen bin. Ich genieße den kleinen Triumph des heutigen Tages. Der einzige voraussichtlich.
„Danke", rufe ich ihm zu, verschwinde im Badezimmer und trete unter die Dusche. Eine der Lotionen, musste bis heute Morgen auf meiner Haut bleiben und darf erst jetzt abgewaschen werden. Weshalb das alles notwendig ist, verstehe ich nicht ganz. Meinem neuen Motto zu liebe, lasse ich alle über mich übergehen, mit so wenig murren wie möglich. Die Dusche löst die letzte Müdigkeit von mir.
Ein Blick in den Spiegel lässt mich sehen, dass mein Lächeln die Beengung nicht überdecken kann. Auch erkenne ich noch einen leichten rot-blauen Schatten von den Schlägen von Beynon, die meinem Gesicht eine traurigere Note aufsetzen. Es wäre gelogen, wenn ich sage, dass ich alles akzeptiert habe. Aber ich lasse mich selbst in dem Glauben, um mich nicht unnötig zu quälen.
Die Haare in einem Turban und den Bademantel den Minerva gestern noch vorbei gebracht hat, trete ich ins Zimmer und setze mich zu Kian aufs Sofa. Kurz betrachtet er mich belustigt. Der knall-pinke Bademantel ist nicht mein Style, aber er ist weich und bodenlang, weshalb er angenehm an mir liegt.
Ich lasse mir das Essen schmecken und bin überrascht, dass ich beinah die ganze Portion verschlinge. Nach einer knappen halben Stunde steht Minerva ungeduldig vor meiner Türe. Kian besteht darauf, uns zu begleiten und nach einigem diskutieren, lässt sie es zu. Ich bin froh, dass Kian mir beiseite steht und mit seinen komischen Kommentaren mir ab und zu ein Lächeln auf die Lippen zaubert.
Wie damals in Merah, vor dem jährlichen-Ball, wuseln mehrere Stylisten um mich herum. Zerren, ziepen und pinseln, als sei ich eine Puppe. Kian bietet die perfekte Ablenkung und so gelingt es mir alles im Weitestgehenden zu ignorieren.
„Musstest du in Merah das auch alles durchlaufen?", fragt er nach zwei Stunden, während immer noch jemand an mir herum herumhantiert.
„Ja, in etwa. Ganz schön aufwendig. Nicht wahr?" Augenblicklich taucht Kaleas Gesicht vor mir auf, wie sie alles genoss und Rosalee wie sie genervt ein Kommentar unterdrückt.
„Tut mir leid, dass ich dich das durchmachen lassen habe", sagt er bedrückt. Kian hatte mich damals als seine Ballbegleitung gewählt, weshalb ich wie heute von Stylisten verschönert wurde.
„Wieso hattest du dich für mich entschieden? Warum werden Ari für den Ball gewählt?" Ich habe ihm schon einmal diese Frage gestellt, doch damals gab er mir keine Antwort.
„Ich weiß es nicht. Mein Vater will nicht, dass die Gäste sich womöglich noch in eine Bürgerin Merahs verlieben und die Gefahr ist bei einer Ari, zumal angestellten des Palastes, nicht gegeben. Da sie nicht einfach das Land verlassen würden. Und du. Als ich dich das erste Mal in Nima auf der Bühne gesehen habe, wusste ich, dass etwas an dir anders ist. Als ich dir in die Augen gesehen habe, wusste ich, dass es gibt, dass uns verbindet. Konnte es nur nicht bestimmen. Das hat dich so interessant gemacht und gleichzeitig mysteriös." Ich muss lachen. Anfangs war er aufdringlich und ich hatte das Gefühl, er verfolge mich. Seine Anwesenheit bereitete mir Unwohl.
„Du weißt, dass du am Anfang ein richtiger Fiesling warst und die Arroganz triefte dir aus allen Poren", gebe ich amüsiert zurück. „Aua", rufe ich, als der Mann, der gerade an meinen Haaren arbeitet, zu feste zieht.
„Ich? Ein Fiesling? Ich bin der geborene Gentleman."
„Mehr als einmal hatte ich Angst, dass du mich des Palastes verweist. Und die schrecklichen Gerüchte über dich habe ich auch zu Anfang geglaubt." Das Schwelgen in vergangener Zeit lässt mich meinen Herzschlag kontrollieren und die Gedanken an die bevorstehende Hochzeit vertreiben. Jetzt blickt mir Kian tatsächlich überrascht entgegen. Hat er nicht gewusst, wie viel Unbehagen ich am Anfang bei ihm hatte? Erneut muss ich lachen. Wenn ich damals gewusst hätte, dass er mein Bruder ist, hätte ich ihm mehr als einmal in den Hintern getreten.
„Was für ein Gerücht?", will er neugierig, aber etwas besorgt wissen.
„Nun ja welches. Da gab es viele." Ich muss wieder lachen. „Zwei der Mädchen aus meiner Auslese wurden des Palastes verwiesen. Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst. Auf jedenfalls gab es das Gerücht, dass sie dir bestimmte Gefälligkeiten ablehnten. Andere wiederum meinten, dass sie die Anstandsregeln vergessen haben und du wütend wurdest", erinnere ich mich. Jetzt ist Kian entsetzt und mein Lachen wird leiser. Er springt auf und stemmt die Hände auf die Hüfte.
„Natürlich erinnere ich mich. Das hatte absolut nichts mit mir zu tun. Eines der Mädchen hatte sich unsittlich verhalten und die Frau des besagten Abgeordneten hat sie erwischt. Im Versuch, die Frau abzulenken, kam es zu einem weiteren Zwischenfall, zwischen ihr und dem anderen Mädchen. Mein Vater hat sie sofort verwiesen. Ich habe versucht sie am Hof zu behalten und nur eine Stelle mit weniger Kontakt zu den Oberen zuzuteilen", erklärt Kian hastig. Ihn trifft das Gerücht hart.
„Keine Angst, mir brauchst du nichts zu erklären. Das Gerücht, was deine Ballbegleitung angeht, hat mich ganz schön in Angst zittern lassen." Ich erkenne, dass ich lieber meinen Mund halten sollte. Kians Sorgenfalten werden größer.
„Was hat es damit auf sich?", will er wissen.
„Es ist eigentlich egal. Aber ich weiß, du wirst nicht locker lassen. Es hieß, dass die Mädchen, die du auswählst, nach dem Abend dein Bett mit dir teilt müssen. Ob sie wollen oder nicht. Wenn du weißt, was ich meine." Kians schnauft ungläubig auf und seine Stimme wird laut.
„So etwas würde ich niemals tun!" Er zieht verärgerte Blicke der Stylisten auf sich und versucht sich schnell wieder zu beruhigen, um nicht herausgeworfen zu werden. Sie beginnen mit dem Make-up, weshalb ich zu ihnen gedreht werde und Kian den Rücken zuwende.
„Wer behauptet denn so etwas?", höre ich ihn hinter mir gedankenverloren fragen, kann auch eine Vorahnung in seiner Stimme hören.
„Ich weiß nicht viele haben das gesagt..."
„Nicht sprechen. Außer du möchtest wie eine Hexe aussehen", mahnt mich eine Männerstimme, die sich gerade an mein Augen-Make-up macht. Ich höre Kian verärgert murmeln und muss innerlich lachen. Es ist süß, dass ihn das Ganze so beschäftigt.
Nach dem letzten Pinselstrich darf ich wieder die Augen öffnen und drehe mich zu Kian. Der mich mit großen Augen mustert und bestaunend zu mir blickt.
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