Kapitel 2a
„Zeit zum Aufstehen", höre ich die sanfte Stimme meines Vaters. Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn und setzt sich auf mein Bett. „Komm schon, Prinzesschen." Langsam öffne ich meine Augen und erkenne, dass es noch dunkel ist. Durch das kleine Fenster meines Zimmers scheint lediglich der silberne Schimmer des Mondes.
„Es ist noch mitten in der Nacht", brumme ich müde und drehe mich von ihm weg.
„Nein, es ist Morgen. Früher morgen, aber der neue Tag hat schon begonnen", sagt mein Vater belustigt. „Komm schon, Prinzesschen. Ich will jeden Moment mit dir genießen. Schlafen kannst du heute Nacht wieder", sagt er liebevoll, legt sich aber neben mich. Ich drehe mich zu ihm und lege mich auf seinen Arm. Meinen Kopf auf seiner Brust und dem regelmäßigen Herzschlag lauschend. Der Duft von Fichte gemischt von Getreide steigt mir in die Nase und mit ihm das Gefühl der Geborgenheit.
„Wieso bist du so früh noch hier?", will ich müde wissen. Normalerweise sehe ich ihn erst nach dem Frühstück auf dem Weg zur Schule im Feld.
„Heute mach ich blau", sagte er belustigt und lacht. Die leichte Vibration seiner Stimme kitzelt mein Gesicht und ich richte mich auf, um ihm in Gesicht zu sehen.
„Du machst was?", frage ich verwirrt und sehe wie das Grinsen meines Vaters größer wird.
„Heute gehe ich nicht arbeiten. Heute ist Vater-Tochtertag", verkündet er belustigt.
„Aber ich muss in die Schule." Seine Worte verwirren mich und meine Gedanken sind noch immer von Müdigkeit getränkt.
„Heute nicht." Erneut lacht er auf und mir fällt die ganze Müdigkeit ab. Wie ich dieses Lachen liebe.
„Aber Mutter..."
„Mache dir keine Sorgen. Also was möchte meine achtjährige Prinzessin heute denn gerne machen?", fragt er nachdenklich und steht erneut auf. Er kratzt sich das Kinn und als habe er eine Idee schnippt er mit den Fingern. „Zuerst einmal dem Sonnenaufgang nachjagen", sagt er fröhlich und beginnt mir ein paar Kleider zu reichen. „Also, komm. Anziehen und dann geht es los", hetzt er fröhlich. Kurz drückt er mir einen Kuss auf die Stirn und verlässt mein Zimmer. Schnell schlüpfe ich in die Sachen und finde ihn in der Küche wieder, wo er gerade ein paar Brote schmiert.
Schnell packt er sie in eine Tasche und wirbelt mich herum. Er besteht darauf mich huckepack zu tragen. Mit mir auf dem Rücken springt er aus der Türe und in die kühle Morgenluft, über ein Blumenfeld und einen kleinen Hügel hinauf. Noch beherrschen der Mond und die Sterne den Himmel und ich strahle ihnen glücklich entgegen. Oben angekommen wirbelt er mich gekonnt von seinem Rücken und legt mich auf das Gras. Ohne zu zögern, legt er sich neben mich und zieht mich wieder auf seinen Arm.
„Papa?", frage ich nach einer Weile des Schweigens. Die ersten Sonnenstrahlen haben den Nachthimmel durchbrochen und tauchen ihn in ein Kunstwerk aus Lila, Rot und Orange.
„Ja, mein Prinzesschen." Ich drehe mich zu ihm und schaue in seine graublauen Augen, die vor Liebe zu überfließen scheinen. Er sieht mich an, als sei ich das Wertvollste auf der ganzen Welt, sein Schatz, sein Ein und Alles. Jedes Mal, wenn ich diesen Blick sehe, weiß ich, dass ich mich auf eines immer verlassen kann; mein Vater liebt mich, komme was wolle!
„Ich lieb dich", sage ich mit einem breiten Grinsen. Er kennt mich, weiß, was mich glücklich macht und seine Anwesenheit alleine lässt eine Freude in mir entstehen, wie sonst niemand.
„Ich liebe dich mehr, als es Worte erklären können", sagt er und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Nachdem unsere Mägen beginnen zu grummeln, schlingen wir hastig die Brote hinunter und tollen danach durch die Blumenfelder. Einen ganzen Tag mit meinem Vater hatte ich nicht oft. Er hält mich gerade bei den Armen und wirbelt mich im Kreis, als sich plötzlich das Bild ändert.
Das Meer aus Blume weicht einem großen Zimmer und das Gesicht meines Vaters einem etwa neunjährigen Jungen. Was bleibt ist das Gefühl geliebt zu werden, das so tief und groß ist, dass es unvorstellbar ist. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht wirbelt der Junge mich, wie gerade mein Vater im Kreis.
„Riven, nicht so wild mit deiner kleinen Schwester", höre ich plötzlich, wie meine Mutter den Jungen mahnt. Seine Bewegung wird langsamer und er setzt mich behutsam ab.
„Sitara, gefällt das aber. Nicht wahr?", fragt der kleine Junge mit den smaragdgrünen Augen. Wild nicke ich und rufe, „Nochmal! Nochmal!" Das Grinsen des Jungen wird wieder größer, doch bevor er mich erneut herumwirbeln kann, packt mich meine Mutter und wirft mich in die Luft.
„Guter Versuch, meine Kleine. Aber es ist Zeit fürs Bett", sagt sie ebenfalls mit einem Grinsen im Gesicht. Auch ihre Augen strahlen mir freudig entgegen und ich erkennen, dass der traurige Fleck darin verschwunden ist.
„Nur noch ein bisschen Mama", sagt der kleine Junge flehend.
„Morgen wieder, Riven. Deine Schwester muss jetzt schlafen gehen", sagt sie liebevoll und wuschelt ihm durchs Haar. Behutsam legt sie mich in ein Kinderbett und küsst meine Stirn. Auch der kleine Junge kommt an mein Bett. Behutsam küsst auch er meine Stirn und betrachtet mich mit einem Funkeln in den Augen.
„Ich hab dich lieb, Sitara. Du bist die beste Schwester der Welt und morgen spielen wir wieder", sagt er bevor das Licht ausgeht und es dunkel um mich wird.
„Emmelin? Hörst du mir zu?", fragt meine Mutter besorgt. Nachdem ich wieder aus der Ohnmacht aufgewacht bin, versucht sie mehrmals alles verständlich zu erklären. Kian mein Bruder, der König von Merah mein Vater, Willem nicht, ich in Wirklichkeit eine Prinzessin und mein Leben eine Lüge. Kian sitzt schweigend neben mir und hält meine Hand. Seit seinem Wutausbruch sage er nichts mehr und starrt meine Mutter, ich meine unsere Mutter, eindringlich an. Seinem Gesicht kann ich nichts ablesen. Seine Miene ist eisern. Keine Emotionen, weder schlecht noch gut. Nur ab und zu ein Lächeln, wenn ich ihn ansehe.
„Du hast mich angelogen?", ist alles das ich herausbringe. Mein Ton ist nicht vorwurfsvoll, sondern traurig, enttäuscht. „Wie kann Willem nicht mein Vater sein? Er hat mich geliebt?", frage ich unter Tränen. Das war eine der Tatsachen, denen ich mir immer sicher war. Selbst in diesem Moment zweifle ich nicht an seiner Liebe. Die Worte meiner Mutter klingen ehrlich. Zum ersten Mal hier im Palast sehe ich ihr an, dass sie nichts verheimlicht. „Hat er es gewusst?", frage ich weiter, nachdem sie mir nicht antworte. Meine Mutter reißt erschrocken der Augen auf. „Hat er gewusst, dass ich nicht seine Tochter bin?", will ich drängender wissen. Seine Liebe war so aufrichtig, so ehrlich. Konnte man ein Kind so sehr lieben, wie es mein Vater tat, wenn es nicht das eigne war? Meine Mutter will mir durchs Haar streichen, doch ich weiche aus. Ich kann ihre Berührung im Moment nicht ertragen.
„Ja, mein Schatz. Er wusste es. Natürlich wusste er es. Er traf dich erst, als du drei Jahre alt warst", sagt sie ruhig. Natürlich. Die Erinnerung von Kian in meinem Kinderzimmer im Palast. Ich muss etwa drei gewesen sein. Stück für Stück beginnt mein Verstand das gesagte zu bearbeiten und nicht länger dagegen anzukämpfen.
„Willem war also wirklich nicht mein Papa?" Ich muss es noch einmal hören, bevor ich es glauben kann. Der Mann, der mich fast mein ganzes Leben großgezogen hat. Dessen Liebe nicht größer hätte sein können. Der Mann, den ich Papa nannte und dem ein großer Teil meines Herzens gehört, soll nicht mein Vater sein.
„Emmelin", sagt meine Mutter eindringlich und nimmt mein Gesicht in ihrer Hände. Ich erlaube die Berührung. „Willem hat dich mehr geliebt, als es sonst jemand getan hat. Du warst vielleicht nicht sein Fleisch und Blut, aber das hatte keine Bedeutung für ihn. Er liebte dich. Es erfüllte ihn mit Stolz dich, sein zu nennen. Er wird immer dein Papa sein." Nun flossen auch Tränen über ihre Wangen. Ihre Worte kamen aus dem Herzen und ich weiß, dass sie wahr sind. Er war mein Papa, nur nicht mein Vater. Weinend falle ich meiner Mutter in den Arm, versuche das Ganze in mich einzunehmen und nicht von den übersprudelnden Gefühlen eingenommen zu werden.
Als es an der Türe klopft, fahre ich erschrocken herum. Kian sitzt, wie schon die ganze Zeit, immer noch schweigend neben mir. So vertieft in Gedanken, dass nicht einmal das laute Klopfen ihn herausreißt. Beynon, der immer noch im Raum ist, öffnet sie und spricht kurz mit einem Wachmann. Danach schließt er sie erneut und drehte sich verwirrt um.
„Mein Vater will dich sehen", sagt er verwirrt, mit einem Hauch von Angst. Dann dreht er sich erschrocken zu Leander. „Warst du so dumm und hast ihm etwas über die Flucht gesagt?", beschuldigt er seinen Bruder wütend und ballt seine Hände zu Fäusten.
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