Kapitel 26c
Kian
„Riven", sagt sie mitleidig, aber ernst und hält mich davon ab in einer Misere zu verfallen.
Sie ist der Grund, weshalb ich darauf bestand, nicht länger mit meinem ersten Namen angesprochen zu werden. Die Art, wie sie meinen Namen sagte, löst einen Wall der Gefühle aus. Jedes Mal, wenn ich meinen Namen hörte, musste ich unweigerlich an sie denken. Weshalb ich seit dem Tag, als ich sie des Palastes verwies, darauf bestand, mit Kian angesprochen zu werden. Die Art, wie sie ihn jetzt ausspricht, ist anders. Ernster und etwas ängstlich.
„Sie ist nicht einfach tot. Sie wurde umgebracht. Am Abend der Flucht von Emmelin", sagt sie mitleidig und beobachtet mich eindringlich.
Sie betrachtet meine Reaktion, als würde ich gleich aus allen Wolken brechen. Aber ich verstehe nicht, worauf sie aus ist. Sie wurde umgebracht. Das habe ich mir gedacht. Als Strafe für die Flucht, zumindest habe ich das angenommen. Zaara hat gesagt, an dem Abend. Von dem, was mir Emmelin berichtet hat, konnten sie nicht bis zum Morgen erfahren haben, dass sie entkommen sind. Wieso sollte sie schon am Abend getötet worden sein? Fragend ziehen ihn meine Augenbrauen zusammen. War sie tot, noch bevor Emmelin den Palast verlassen hat? Das hätte Leander, doch wissen müssen.
„Wie konnte der König sie töten? Noch am selben Abend? Wieso hat er es getan? Er konnte nicht wissen, dass Emmelin flüchtet."
„Riven, es war nicht der König. Sie wurde tot auf ihrem Zimmer gefunden, am Morgen nach der Flucht. Sie muss gestorben sein, bevor Emmelin und Willy den Palast verlassen haben", sagt sie sachlich, aber mitfühlend. Wer sonst würde sie töten? Wieso? Was für einen Sinn hat es unsere Mutter umzubringen? Tausende von Fragen stürzen auf mich ein. Ein erneutes Gefühl der Hilflosigkeit und Ratlosigkeit stürzen über mich.
„Riven, wo ist Emmelin? Ist sie sicher?" Meinen Gedanken versuchen noch immer die Puzzleteile zusammenzusetzen. Ich versuche zu verstehen, wieso unsere Mutter umgebracht werden sollte. Wieso so kurz bevor sie endlich wieder frei gewesen wäre? War es einfach nur Zufall? Eine andere Frage schleicht sich über das Getöse.
„Wieso hast du der Königsfamilie nicht gesagt, dass Emmelin am Leben ist?" Zuvor habe ich gedacht, dass Zaara es nicht zurückgeschafft hat, aber sie ist hier mit ihnen. Die Brüder hätten von ihr erfahren, dass wir am Leben sind.
„Ein Leben für ein Leben. Meine Schuld ist bezahlt", sagt sie kurz.
„Sie ist in Sicherheit. Sie ist in Amrox bei Jayden", sage ich gedankenverloren, um ihre Frage zu beantworten.
Als mich einer der Bediensteten in den Saal ruft, löse ich mich aus der Trance und bemerke erst jetzt, dass Zaara nicht mehr bei mir ist. Mit aller Kraft verdränge ich erneut alles. Was dieses Mal nur mit Mühe gelingt. Ich muss einen Kampf nach dem anderen kämpfen. Heute ist es Emmelin für die ich kämpfen muss.
*
Zurück im Ballsaal beobachte ich, wie die Mädchen für die zweite Auslese hineingeführt werden. Ich muss lange im Garten gewesen sein, dass die Vorführungen und Tänze bereits beendet sind, erkenne ich schockiert. Ich betrachte das Geschehen nur aus dem Augenwinkel. Meine Aufmerksamkeit gilt der blauen Kugel in der Hand meines Vaters.
Sie sieht noch genauso aus wie vorhin und schimmert nicht wie früher. Hoffnung steigt in mir auf. Heute Abend kann Emmelin nach Hause kommen. Nachhause. In den Palast, in den sie gehört. Zu den Menschen, zu denen sie gehört. Mit dem Gedanken schleicht sich auch Beynon wieder hinein. Auch er hat einen Anspruch auf Emmelin, was mir einen Schauer über den Rücken jagt.
Als mein Blick auf Beynon fällt, breitet sich eine Gänsehaut auf mir aus. Erleichtert entdecke ich seinen Vater, der überraschend aufgeregt das Geschehen betrachtet. Entlastet, dass er nichts Unüberlegtes vorhat, aber auch verwirrt, weshalb er bei so guter Laune ist, geht mein Blick auf die Suche nach Leander. Seine Reaktion von heute Mittag verwirrt mich. Doch ihn kann ihn nicht entdecken. Als die drei Siegerinnen gewählt werden, wird meine Aufmerksamkeit wieder auf die Zeremonie gelenkt.
Mein Vater mustert mich eindringlich und erst jetzt bemerke ich, dass ich ins Leere gestarrt habe. Schnell setzte ich ein Lächeln auf und trete neben ihn. Wie all die Jahre zuvor, beobachte ich wie die Flammen in den Schalen der Mädchen eine nach der anderen erlischt. Bis nur noch eine brennt. Als das Mädchen auf den Tisch gelegt wird, fällt mein Blick noch einmal auf die blaue Kugel. Jetzt bin ich mir sicher, dass sie nicht so schimmert, wie die Jahre zuvor. Sie wirkt beinah fahl und leblos. Erleichtert atme ich auf. Wir haben es geschafft, Emmelin.
Das Lächeln auf meinem Gesicht wird ehrlicher, wenn auch immer noch der Schleier über den Tod unserer Mutter darüber liegt. Kurz drehe ich mich zur Tür, überlege bereits jetzt zu Emmelin zugehen, um sie endlich unserem Vater vorstellen zu können. Mein Blick bleibt an einer Person hängen, die mich entschuldigend anschaut. Zaara.
Unsere Unterhaltung im Garten war so kurz, dass ich sie schon wieder vergessen habe. Zaghaft lächle ich ihr entgegen, doch ihre Augen werden trüber. Etwas liegt schwer auf ihr, aber ich kann nicht deuten, was es ist. Ich will gerade zu ihr gehen, als ich das Prickeln des blauen Licht-Efeus auf meiner Haut spüre und mich erschrocken, zu dem Geschehen wende. Das sollte nicht passieren. Der Fluch ist gebrochen. Die Ranken sollten nicht wachsen. Oder doch?
Dann sehe ich, wie die Kugel beginnt, rot zu schimmeln. Blut rot. Vielleicht hat es doch funktioniert, sage ich mir selbst. Mein Blick geht zu meinem Vater, der ratlos scheint und dann zum König von Evrem. Eine Euphorie und Vorfreude, wie ich sie noch nie bei ihm gesehen habe, schmückt sein Gesicht. Mit einem Grinsen, das nicht auf sein Gesicht passt, betrachtet er die Kugel. Erwartend, beinah als wüsste er, was als nächstes passiert.
Ein brennen auf meiner Haut, löst meinen Blick von ihm. Ich schiebe mein Hemd nach oben. Zum Vorschein kommen der Efeu und die Blüten, die langsam rot glühen und wie Feuer auf meiner Haut brennen. Auch meinem Vater sehe ich die Veränderung an. Er verzieht sein Gesicht und verkrampft seine Finger. Die Male, der Gäste bleiben Blau.
Die Blicke der Menschen sind weiterhin auf das Mädchen auf dem Tisch gerichtet und ein Raunen erfüllt den Raum. Normalerweise sahen sie eine andere Version. Ein Mädchen, das fröhlich den Raum verlässt. Doch dieses Mal bleiben die Blicke an dem Mädchen auf dem Tisch kleben. Habe ich etwas falsch gemacht? Ich habe mich strikt nach den Anweisungen des Journals gehalten. Jeden Schritt gefolgt. Oder hat es zu bedeuten, dass es funktioniert hat?
Wie ich so viele Male beobachtet habe, zerfällt das Mädchen zu Staub und erschrocken halte ich den Atem an. Ich habe gehofft, erwartete, dass kein weiteres Mädchen ihr Leben lassen muss. Die Menschen beginnen erschrocken aufzuschreien. Die Hoffnung, dass der Fluch gelöst ist, da sich kein Vergessens-Bann über sie legt, flammt in mir auf.
Plötzlich beginnt der Boden zu beben, das Mondlicht verdunkelt sich und ein lautes Krachen füllt die angespannte Atmosphäre. Und ich werde vom Gegenteil überzeugt. Etwas stimmt nicht. Etwas ist schiefgegangen. Ganz und gar schiefgegangen.
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