Kapitel 23c
„Das war vor Monaten. Du hast sie gesehen und nichts gesagt", beschwert sich Jayden. Nachdem wir, es war eigentlich nur Avis, ich nicke nur, ihm von unserer kleinen Begegnung in Evrem am Hafen mitgeteilt haben. Avis hat es gut zusammengefasst und es hört sich nicht so an, als sei es das erste Mal. Ich bin froh, dass Jaydens erste Frage nicht ist: weshalb ich in Evrem war. Das kann er sich eventuell auch selbst erklären. Nachdem unbekannte Männer in den Palast einbrechen und ich verschwinde, muss man über eine Verschleppung in ein anderes Land nachdenken.
„Ich wusste nicht, wer sie war. Wusste nicht, dass es deine Emmelin ist. Ich habe dir gesagt, dass ich ein Mädchen in Evrem getroffen habe", versucht sich Avis zu rechtfertigen. Er hat Jayden von unserem Zusammentreffen erzählt?
„Aber du hast mir nicht gesagt, dass sie nach mir gefragt hat. Hast mir nicht gesagt, dass es ein Mädchen aus Merah war; dass es einen Ari war." Entrüstet wedelt Jayden mit den Armen. In seiner Stimme höre ich, wie er sich selbst Vorwürfe macht, damals nicht nachgefragt zu haben. Wie Avis, hab ich mich auf ein paar Steine gesetzt. Nur Jayden ist zu aufgewühlt, um stillzuhalten.
„Das wusste ich nicht. Nicht nur trug sie die Kleidung des Königshauses und war mit dem Thronerben Evrem unterwegs, aber ebenso hat sie keine Brandmale", entgegnet Avis wütend und springt auf. Er konnte es nicht wissen. Ich habe ihm nichts gesagt oder getan, was darauf hingewiesen hätte. Jayden gibt mir nicht die Gelegenheit, es auszusprechen.
„Natürlich hättest du es wissen müssen. Sie hat nicht nur die Zeichen einer Ari, aber auch das des königlichen Hauses. Du hättest eben genauer hinsehen müssen", beschuldigt Jayden wütend seinen Bruder. Bevor ich es bemerke, packt er meinen Arm und schiebt den Ärmel, des Pullovers nach oben. Als sein Blick auf meine Haut trifft, fällt die Wut von ihm ab und Ratlosigkeit übernimmt.
„Aber ... wie ... was?", stammelt Jayden verwirrt, als er meine narbenfreie Haut betrachtet. Schnell entziehe ich ihm meinen Arm und schiebe den Ärmel darüber. Beide blicken mir verwundert entgegen und ich fühle mich splitternackt. Wie erklärst du das jetzt, beschwert sich mein Verstand und ich muss schwer schlucken.
„Emmelin, wie ist das möglich?" Was soll ich ihm sagen? Die Wahrheit? - Das geht nicht. Ich habe mit Kian eine Vereinbarung. Würde Jayden mir überhaupt glauben, wenn ich ihm erzähle, dass eine magische Murmel mit Heilkräfte verliehen hat. Wie erkläre ich etwas, das mir selbst ein Rätsel ist? Wie beantworte ich eine Frage, auf die ich keine Antwort habe?
„Ich weiß es nicht", sage ich kleinlaut und senke meinen Blick. Ich weiß nicht, weshalb die Murmel diese Reaktion bei mir hat. Ich weiß nicht, weshalb gerade ich durch sie heile. Ich habe Vermutungen, aber wissen tue ich nichts.
Verdammte Murmel.
Auf einmal schlagen Bilder von Beynon in mich ein. Gute und schlechte Erinnerungen. Bilder der Wut in seinen Augen und des Glitzern. Bilder vom Abend des Balles und Bilder von der Hütte. Dann Bilder der blauen Murmel. Gefolgt von denen, die ich damals sah, als ich die Kugel des Königs in der Hand hatte. Nur die Rüstung, der Königsfamilie und die Flammen, der Zeremonie, kann fügen, was das Licht der Nacht zerteilt. Nur der zersplitterter Stern kann den Wandel halten, höre ich die tiefe Männerstimme.
„Ich weiß es nicht", wiederhole ich unter Tränen. Die Worte wiederholen sich wie ein Echo in meinem Kopf und werden immer lauter. Jayden schließt mich in eine Umarmung und zieht mich nah an sich. Ich beginne zu zittern und mein Puls zu rasen. Angestrengt, versuche ich mich auf seinen Herzschlag zu konzentrieren und die Frage in meinem Kopf zu übertönen.
Nachdem Jaydens Mutter zum Essen ruft, gelingt es mir, die Erinnerungen und Gefühle abzuschütteln. Aber ich schaffe es nicht, das Gefühl, der Euphorie wiederzuerlangen. Beim Essen bekomme ich nur ein paar Bissen herunter. Dieses Mal ist es das schlechte Gewissen, jenes mich zurückhält und nicht die Schmetterlinge.
Avis und Jayden blicken fragend zu mir und ich sehe die Neugier in ihnen brennen. Sehe die Fragen in ihren Augen blitzen. Auch Kian bemerkt sie und schaut mich verwirrt an, nur dass es andere Fragen sind, die durch seine Gedanken gehen.
Als mich Jayden nach dem Essen erneut beiseite zieht, ist es Nervosität, die über die anderen Gefühle siegt. Ich will zurück in den Moment, bevor Avis uns unterbrochen hat. Zurück zu der Euphorie, die ich dort gespürt habe und die Nähe zu Jayden. Er schaut mir tief in die Augen, doch ich muss meinen Blick abwenden. Diese himmelblauen Augen, die mich mustern, jagen Tränen in meine Augen. Es scheint etwas zwischen uns zu stehen, dass sich in mich frisst.
In meinen Verstand, meine Gedanken und langsam in mein Herz. Sind es wieder Geheimnisse, die zwischen mir und einem geliebten Menschen stehen müssen? Jayden legt seine Hand an mein Kinn und dreht es zu sich. Die Wärme seiner Haut fühlt sich gut an. Doch das Gefühl, dass ich es nicht genießen darf, wallt auf.
„Emmelin", sagt er feste und eine einzelne Träne löst von mir. Die Art, wie er meinen Namen sagt, berührt mein Herz und zerreißt mich. Der Drang ihm nicht die Wahrheit sagen zu dürfen, krallt sich um mich. „Du musst mir nicht sagen, was passiert ist. Du musst nicht darüber sprechen. Aber wenn du willst, höre ich dir zu", sagt er so liebevoll, sanft und ehrlich, dass sich die Krallen lösen. Das schlechte Gewissen abfällt und die Glücksgefühle beginnen wieder aufsprudeln.
Seine Worte lösen die Fesseln, die mich auf den Grund des Ozeans ziehen wollten. Er erwartet keine Erklärung. Noch nicht. Ich muss es ihm nicht verheimlichen, weil er es erst wissen will, wenn ich bereit dazu bin. Die Erkenntnis ist wie ein Atemzug nach einem langen Tauchgang.
Wieder brechen die Tränen aus und ich falle ihm um den Hals. Seine Nähe hat wieder den beruhigenden Effekt und mein Herz schlägt höher. Die Last fällt von meinen Schultern und ich wirke schwerelos.
„Aber eines musst du mir sagen", sagt er ernster und schiebt mich etwas von sich. Habe ich mich zu früh gefreut. „Läuft etwas zwischen dir und dem Prinzen?" Ich muss lachen. Die Anspannung fällt abrupt von mir und die Erleichterung bricht herein. Kian und ich. Der Gedanke ist so absurd. Ich verstehe, dass Jayden nicht wissen kann, dass Kian mein Bruder ist. Ich drücke Jayden einen Kuss auf die Lippen. Kurz, aber intensiv.
„Nein", sage ich fröhlich. „Mein Herz gehört einem anderen", füge ich hinzu, bevor ich weiß, was ich sage. Nun grinst auch Jayden und zieht mich zu einem innigen Kuss.
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