Kapitel 23b
Mit schweren Schritten trete ich in den Garten, in dem Jayden auf mich wartet. Er wippt nervös von einem Bein aufs andere und knetet seine Hände. Was gerade durch seinen Kopf geht? Kians Worte liegen noch immer schwer in meinem Magen. Nachdem er das Offensichtlich ausgesprochen hat, haben wir versucht uns zu ordnen und einen weiteren Plan zu überlegen. Als wir nach einer Stunde nichts Brauchbares haben, verschiebe ich das weitere Grübeln auf heute Abend. Über eines sind wir uns einig: vorerst sollten wir hier bleiben.
Jayden hat mich noch nicht bemerkt und seine Nervosität beginnt mich anzustecken. Mit einem Räuspern löse ich den Kloß in meinem Hals und bekomme gleichzeitig seine Aufmerksamkeit. Erschrocken dreht er sich um. Seine Augen sind weit aufgerissen. Als er mich erkennt, legt sich ein Lächeln auf die Lippen. Im nächsten Moment zieht er mich in eine Umarmung und streicht mir über den Rücken.
„Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Ich dachte, du seist tot. Als der König den Tod des Prinzen verkündet hat, habe ich alle Hoffnung verloren. Emmelin, es tut mir so leid." In seiner Stimme höre ich, dass er gegen die Tränen kämpft. Was meine von mir löst und wie Wasserfälle über meine Wange läuft.
„Ich habe dich gesehen. Du hast dich nicht bewegt und das Blut", schluchze ich. „Ich dachte, du bist tot." Eine Weile stehen wir umschlungen und weinend im Garten. Ich bin mir nicht sicher, ob Jayden Tränen vergießt, aber ich spüre seine leichte Schnappatmung. Das Zittern legt sich langsam und als es abklingt lösen wir uns.
Sachte nimmt er mein Gesicht in seine Hand. Seine Wärme auf meiner Haut ist beruhigend und ich schließe meine Augen. Um den Moment festzuhalten, das Gefühl zu umklammern und die innere Ruhe zu genießen. Als sich seine Lippen auf meine legen, berauscht mich das Gefühl von Euphorie erneut. Diese grenzenlose Glückseligkeit und Freiheit. Als sei alles gut in der Welt. Alles richtig und alles so, wie es sein soll.
Der Kuss ist zärtlicher, befangener und vorsichtiger als der zuvor. Aber auch tröstender. Als sich plötzlich ein Bild von Beynon an die Oberfläche kämpft, schrecke ich zurück. Nicht jetzt. Nicht hier. Jayden blickt mir entschuldigend entgegen. Als ich ihm ein Lächeln schenke, kehrt die Wärme zurück in seine Augen.
Ich verschränke meine Finger in seine und beobachte wie sie sich ineinander schmiegen. Meine Augen finden wieder zu seinen himmelblauen und ich sehe dieselben Gefühle in seinen Blitzen, wie die in mir. Mit seiner freien Hand wischt er die Freudenträne, die sich lösen, von meinem Gesicht und streicht über meine Wange. Mein Herz schlägt ruhig, aber kräftig und meine Lungen füllen sich regelmäßig, aber tief. Keine Aufregung, absolute Geborgenheit.
„Jayden?", wispere ich. Meine Augen sind mit seinen verschmolzen und ich beobachte, wie ein wildes Brausen in ihnen entsteht. Seine Mundwinkel zucken und sein Lächeln wird noch größer. Wie ich, ist er komplett in diesem Moment gefangen und alles um uns verschwindet.
„Ja?" Ich beiße mir auf die Unterlippe und meine Augen weiten sich vor Aufregung. Mein Herz schlägt einen Takt schneller. Erwartend blickt er mir entgegen. Das Brausen in seinen Augen wird stürmischer und verlangender. Ich nehme einen tiefen Atemzug, um die Nervosität zu unterdrücken. „Liebst du mich?", höre ich in meinem Kopf die Frage, die ich so viele Nächte in meinen Träumen gestellt habe. Bevor ich die Worte frei lassen kann, bevor ich sie endlich aussprechen kann und bevor ich eine wahre Antwort erhalten kann, reißt mich eine andere Stimme aus dem Moment.
„Was macht sie hier?" Eine Stimme, die ich zuvor nicht oft gehört habe, aber trotzdem sofort erkenne. Die Person, von der ich einst dachte, sie sei meine Rettung. Von der ich dachte, die Antwort auf meine Gebete zu sein. Jedoch bitter fallen gelassen wurde. Erschrocken drehe ich mich um und sehe wie er wütend auf uns zu gestampft kommt. Er packt mich am Arm und zieht mich von Jayden. Feuer lodert in seinen Augen. Was ist los? Was habe ich ihm getan? Die plötzliche entrissene Hand reißt mich ganz aus dem innigen Moment.
„Avis, was fällt dir ein?", brüllt Jayden entrüstet und will zu mir eilen. Avis hält ihn mit der freien Hand ab und sein Blick bleibt bedrohlich an mir hängen. Warum ist er wütend auf mich? Weiß er, dass ich für Jaydens Verletzungen verantwortlich bin? Hat er Angst, ich könnte seinen Bruder erneut in Gefahr bringen?
„Was machst du hier, habe ich gefragt?", fragt Avis erbost und ich zucke unter der Strenge seiner Worte zusammen. Jayden versucht weiterhin seinen Bruder von mir zu ziehen. In einem Versuch, Jayden abzuwehren, macht er eine ruckartige Bewegung. Ich stolpere und lande hart auf dem Boden. Der Sturz lässt Avis aus der Bahn fallen, sodass Jayden es gelingt sich zu mir zu beugend und schützende vor mich kniet.
„Avis! WAS IST DEIN PROBLEM!?", schreit er so wütend, wie ich es noch nie von ihm gehört habe. Sein Gesicht ist von Wut gerötet und seine Hände zu Fäusten geballt. Avis formt seine Augen zu schlitze und blickt mich gefährlich an. Wenn Blicke töten könnten ...
„Mein Problem?", fragt er bedrohlich. Aber ruhiger als Jayden. „Sie!", sagt er sauer und deutet auf mich. Meine Gedanken ergeben keinen Sinn und kein Wort will über meine Lippen kommen. Was habe ich schreckliches getan?
„Was hat dir Emmelin getan? Du kennst sie doch nicht!", schreit Jayden und baut sich vor seinem Bruder auf. Die Hände so fest gepresst, dass die Knöchel sich weiß färben und leicht zittern. Bei der Erwähnung meines Namens zuckt Avis und die Wut weicht abrupt.
„Emmelin?", fragt er verdutzt und schaut erschrocken zu mir. Seine geraden, noch schmalen Augen vergrößern sich auf das dreifache. Er wiederholt meinen Namen und schaut zu Jayden. „Das ist Emmelin?" Auch Jayden lockert sich und löst seine Fäuste. Er dreht sich zu mir, hilft mir auf und legt schützend einen Arm um meine Schulter. Er mustert Avis noch einmal, um sicherzugehen, dass er mich nicht noch einmal angreift. Avis blickt wie erstarrt zu mir. „Deine Emmelin?", fragt er ungläubig und Jayden nickt. Deine Emmelin? Die Art und weiße, wie er es sagt, lässt mich rätseln, wie viel Avis übers Jaydens Gefühle weiß. Weiß er von dem Kuss im Palast?
„Schön dich wiederzusehen, Avis", sage ich schüchtern, als sich die Starre von mir löst. Jayden dreht sich schlagartig zu mir und spannt sich an. Er weiß, dass wir uns noch nie begegnet sind, zumindest nicht in Merah. Nun ist es Jayden, der mich ungläubig mustert.
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