Kapitel 20b
„Wir können jemanden fragen?", schlägt Willy vor. Ich wuscheln ihm durchs Haar und grinse ihm zu. Sein kindlicher Leichtsinn ist süß. Aber wird uns nicht weiterhelfen. Wieder drehe ich mich zu Zaara, jedoch scheint sie über seine Worte nachzudenken.
„Ich glaub, du hast recht, Kleiner." Nun schaue ich überrascht zu ihr und sie lacht kurz. Während Willy sich stolz etwas aufrichtet. „Überlege doch mal. Dein Bruder ist nicht wie diese Leute. Er ist ein Gefangener. Sie würden ihn irgendwo halten, wo er nicht weglaufen könnte. Vielleicht sogar nicht nach Hilfe fragen kann. Wachleute oder eventuell eingesperrt irgendwo. Keiner der Orte, die wir durchsucht haben, bietet so eine Umgebung. Vielleicht weiß jemand, wo sie diese Leute halten", erklärt sie mir ihren Gedankengang. Ihre Worte, versetzen mir einen Schlag in den Magen. Dass er wirklich gefangen gehalten wird oder sogar in einem Kerker sitzt, habe ich mir nicht vorstellen wollen.
„Wieso würden sie uns das sagen?" Zaara grinst kurz und rappelt sich auf.
„Das lass meine Sorge sein. Ich habe meine Wege, an Information zu kommen. Immerhin habe ich Anahtum aus den Seemännern gequetscht", sagt sie augenzwinkernd. Sie befiehlt uns sitzen zu bleiben und verschwindet hinter der Ecke. Fragend schaut Willy zu mir auf, aber ich zucke mit den Schultern. Ich erlaube mir kurz meine Augen zu schließen und damit meine Gedanken zur Ruhe kommen. Dieses Gefühl, das heute anders ist, lässt nicht von mir los.
*
Als jemand an meiner Schulter ruckelt, schrecke ich aus dem Schlaf. Panisch blicke ich mich um. Als ich sehe, dass es Willy ist, der mich geweckt hat, atme ich erleichtert auf. Ich suche nach Zaara, kann sie nirgends sehen.
„Wie lange habe ich geschlafen?", frage ich. Aber werde mir, dem Irrsinn meiner Frage, bewusst. Ohne Uhr ist das schwer zu sagen. Willy zuckt mit den Schultern und ich muss grinsen. Ich schaue an den Nachthimmel. Mein Vater hat mir einst versucht zu erklären, wie ich anhand des Mondes, die Zeit ablesen kann. Aber ich erinnere mich nur grob daran. Es muss etwas zwischen zwei und fünf Stunden her sein, dass ich meine Augen geschlossen habe. Genau weiß ich es nicht. Sicher weiß ich, dass Zaara wieder zurück sein müsste.
Ich rappele mich auf und werfe einen Blick auf die Straße, die inzwischen nicht mehr so belebt ist. Das Hämmern und Stampfen kann ich immer noch hören. Wieder versuchen sich Erinnerungen der Schmiede in Merah an die Oberfläche zu kämpfen. Aber ich bezwinge sie mit einer größeren Sorge. Wo ist Zaara? Ich will gerade auf die Straße treten, als mich eine Stimme schlagartig umdrehen lässt.
„Hab ich nicht gesagt, ihr sollt hier warten?", beschwert sich Zaara energisch und ich zucke zusammen. Im nächsten Moment überfällt mich Erleichterung und ich falle ihr um den Arm. Sie hatte eine Art, der man sich öffnen will und so habe ich sie schnell ins Herz geschlossen. Zumal sie an Kians Rettungsaktion eine große Rolle spielt.
„Wieso warst du so lange weg?", frage ich, als ich mich wieder von ihr löse und sie betrachtet mich verwundert.
„Ich war nur eine halbe Stunde unterwegs. Tut mir leid. Es war schwerer als gedacht." Dreißig Minuten? Also das mit dem Mond und der Zeit muss ich nochmal nachlesen.
Nachdem mir Zaara berichtet, was sie erfahren hat, schlägt mein Herz vor Freude höher. Laut ihrer Information gibt es nur einen Ort, an dem er sein konnte. Ein Ort, an dem wir suchen müssen. Mit einem breiten Lächeln folge ich ihr in die Richtung, des Metallsortierungswerkes. Sofort fällt mir auf, wie das metallische Schlagen abklingt, die Luft weniger rauchig wird und die Straßen leerer. Zaara bleibt abrupt stehen und ich stoße gegen sie.
„Was?", frage ich überrascht und schau mich um. Sie dreht sich um und legt einen Finger auf die Lippen. Ich brauche einen Moment, aber dann höre ich es auch. Schwere schritte. Viele schwere Schritte. Viele schwere Schritte, die im Gleichmarsch gehen. Viele schwere Schritte, die im Gleichmarsch gehen und auf uns zukommen.
Panik wallt in mir auf und mein Herz schlägt schneller. Zwar können wir niemanden sehen. Aber, dass es sich um Soldaten handelt, ist erkenntlich. Schnell zieht sie mich und ich, Willy, in eine Seitenstraße. Von hier haben wir einen Blick auf das Tor, das auf den großen Platz mit Tonnen an Metallschrott führt. Das Metall-Sortierungs-Werk.
Wenige Minuten später marschieren acht bewaffnete Wachmänner an dem Tor vorbei. Sie tragen eine grüne Uniform, genau wie die Männer, die auf und vor der Mauer patrouillieren. Die Wachuniform von Leedah. Ich halte den Atem an, während ich beobachte, wie die Männer in der nächsten Straße verschwinden.
Als eine Kutsche an uns vorbei kommt, schrecke ich hoch. Zaaras Hand legt sich über meinen Mund, bevor der Schrei meine Lippen verlässt. Das herumschleichen und Verstecken beginnen an meinen Nerven zu zerren. Kurz nicke ich ihr zu und sie nimmt die Hand wieder weg.
„Ich glaub es ist besser, wenn ich ihn alleine dort suche", bemerkt Zaara an. Ich schüttele energisch den Kopf und sehe ihr an, wie genervt sie wird.
„Du weißt nicht einmal, wie er aussieht. Außerdem ist er mein Bruder. Ich suche ihn und du bleibst bei Willy", entgegne ich. Jetzt schüttelt sie energisch den Kopf.
„Du schaffst, dass nicht alleine." Sie verschränkt ihre Arme. Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachte ich sie streng. Muss mir aber eingestehen, dass sie recht hat und nicke resigniert. Unsere beiden Blicke gehen gleichzeitig zu Willy. Ist es sicherer ihn hier zu lassen oder mitzunehmen? Wir wissen nicht, was uns dort erwartete. Aber hier ist er auch nicht sicher. Oder doch? Willy schaut uns mit einem verwirrten Lächeln entgegen.
Nach kurzer Überlegung entscheiden wir uns weiterhin zusammenzubleiben. Die Wachleute passieren alle paar Minuten das Tor, aber sonst fallen uns keine anderen Sicherheitsmaßnahmen auf. Wir beschließen auf das Tor zu schleichen und werfen einen Blick hinein. Bis auf Berge von Metallschrott sehen wir nichts. Also treten wir ein, bevor die Wachmänner erneut das Tor passieren. An die Innenseite der dünnen Wand gepresst, schauen wir uns genauer um. Für eine Weile ist es still und nichts bewegt sich.
„Wenn ich noch einmal sehe, dass ihr eine Pause macht, dann bekommt ihr wieder Peitschenhiebe", schreit eine erboste Stimme aus der Entfernung. Kurz darauf stampft ein kleiner dicker Mann von rechts nach links und verschwindet hinter einem der Schrottberge. Dann hören wir, wie Metall auf Metall fällt. Das regelmäßige Klacken nimmt schnell zu, doch sonst bleibt es leise. Mit wem hat er gesprochen? Kian vielleicht? Hoffnung wallt auf und ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Nachdem die Wachleute wieder das Tor passieren, eilen wir auf die andere Seite, um zu sehen, mit wem der Mann gesprochen hat.
Vor mir erstreckt sich ein Bild, dass mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Sieben Männer, deren Rücken teilweise bluten und teilweise vernarbt sind, stehen vor einem Schrottberg. Sie ziehen einzelne Metallteile heraus, welches sie auf vier Tonnen verteilen. Bis auf eine kurze dreckige Hose tragen sie nichts. Barfuß und ohne Handschuhe arbeiten sie sich durch den Metallschrott.
Etwas anderes lässt erneut meinen Atem stocken. Um ihre Knöchel sind Metallfesseln angebracht. Die in der Mitte der Freifläche, an einem Pfosten angebracht sind. Wie Hunde sind sie angebunden. Mein Blick geht musternd über die jungen Männer, die ich nur von hinten sehen kann. Aber bleibt an einem hängen. Obwohl sein Haar kurz geschoren ist, sein Rücken frische Wunden aufweist und er leicht humpelt, erkenne ich Kian sofort.
Scharf ziehe ich die Luft ein und Tränen steigen auf. Willy steht immer noch in der Ecke. Weil ich nicht will, dass er zu den Männern schauen kann. Ich drehe mich von dem Anblick ab und verstecke mein Gesicht in den Händen. Was habe sie mit ihm gemacht?
Zaara betrachtet das Geschehen und die Umgebung. Sie scheint beinah alles zu analysieren und in ihrem Kopf zu kategorisieren. Sie sieht die Männer, aber der Anblick trifft sie nicht so hart wie mich. Oder ist ihre Maske besser als meine? Undurchdringlicher? Ich nehme einen tiefen Atemzug, um das Zittern meiner Hände zu beruhigen. Ich muss stark sein. Stark für Kian.
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