Kapitel 20a
Als ich am heutigen Tag aufwache, weiß ich, dass etwas anders ist. Es ist eines dieser Gefühle, die tief drinnen sind. Aber ich komme nicht darauf, was es ist. Ich blinzle der Sonne entgegen und reibe meine Augen. Wir mussten wieder an freier Luft schlafen. Ein Kribbeln auf meinem Arm lässt mich zusammen zucken und ich schiebe den Ärmel des Hemdes nach oben. Als mein Blick auf ihn trifft, halte ich in meiner Bewegung inne. So lange habe ich das Symbol auf meinem Arm ignoriert. Es gab wichtigere Dinge, die meine Gedanken beherrschten.
Erschrocken stelle ich fest, dass der dicke Balken wieder gewachsen ist. Die breite Linie umschließt das Symbol ganz und funkelt stark. Ich streiche über den geschlossenen Kreis. Kurz glüht die Linie erneut auf und passt sich dann dem normalen blauen Schimmer an. Was hat das alles zu bedeuten? Ich erinnere mich an das Buch, dass Kian begonnen hat zu decodieren und will es gerade herausziehen, als ich eine Bewegung in meinem Augenwinkel wahrnehme.
„Guten Morgen", höre ich Zaara fröhlich sagen, deren Abwesenheit mir nicht bewusst war. Mein Blick schreckt zu ihrem. Der mich fragend mustert und meinen Arm betrachtet. Für einen kurzen Moment glaube ich, dass sie es sehen kann. Aber dann reicht sie mir ein Stück Brot und blickt mir wieder in die Augen.
„Die nächste Stadt ist Anahtum. Dort halten sie deinen Bruder. Von den Dorfbewohnern, habe ich mitbekommen, dass es eine Schmied-Stadt ist. Sie produzieren alles möglichen. Von Ankern für die Schiffe bis hin zu Ohrringen wird wohl alles dort produziert. Allerdings ist die Stadt, wie eine Festung, weil dort auch ihre Waffen hergestellt werden. Es wird schwierig sein, dort hereinzukommen", beginnt sie zu berichten. Wir sind bereits drei Tage unterwegs, um an den Ort zu kommen an dem sie Kian verschleppt haben. Anahtum.
„Können wir nicht so tun, als seien wir Arbeiter?", frage ich in der Hoffnung, dass die Antwort tatsächlich so einfach sein kann. Doch ihr Blick geht zu Willy und ich weiß, was sie denkt. Ein sechsjähriger Arbeiter in einem Schmiedewerk.
„Wir sollten alles vor Ort ansehen. Vielleicht fällt uns etwas ein", sagt sie mit einem Unterton von Hoffnungslosigkeit. Den ich aber gekonnt ignoriere. Als auch Willy aus seinem Schlaf erwacht, packen wir unsere Sachen und machen uns an das letzte Stück bis zu Anahtums Stadtmauern.
Erschrocken blicke ich auf die Stadt vor uns. Ich bin mir nicht sicher was ich erwartet habe, aber auf jedenfalls nicht das. Vor uns erstreckt sich, soweit das Auge reicht, eine fünf Meter hohe Stahlmauer. Wachleute, die auf und vor der Mauer patrouillieren und ihre Gewehre gefährlich in Bereitschaft halten. Das große Eingangstor steht offen. Aber sechs bewaffnete Männer betrachten jeden der eintretenden Menschen und überprüfen Papiere. Einfach reinspazieren können wir nicht, gebe ich die Hoffnung vom heutigen Morgen auf.
Aus einer sicheren Entfernung betrachten wir bereits fast eine Stunde das Treiben und versuchen eine Lösung zu finden in die Stadt zu kommen. Als eine Kutsche angerollt kommt. Die Wachmänner betrachten sie kurz und winken sie dann durch. Und da kommt mir ein Gedanke. Zaara dreht sie sich zu mir, mit einem Funkeln in den Augen.
„Die Kutsche", sagen wir gleichzeitig. Es ist das zweite Mal, dass wir beobachtet haben, wie die Kutsche ohne großes Problem durch das Tor rollte. Als Kian und ich an einem Fluchtplan gearbeitet haben, um den Palast von Evrem zu verlassen, hatten wir die Idee uns auf eine zu schmuggeln und so über die Mauer zu kommen. Die Kutsche hat eine große Ladefläche die mit einer Plane abgedeckt ist. Weshalb wir nicht sehen können, was sie geladen hat. Es bedeutet auch, sollte wir uns darauf schleichen, dass wir unentdeckt bleiben.
Wir sitzen am Straßenrand und warten auf die nächste Kutsche. Endlich hören wir das erhoffte Huf klappern, gehen wir in Bereitschaft. Willy erklärten wir, dass es ein Spiel ist und er ist aufgeregt. Als wir die Kutsche sehen, verstecken Willy und ich uns hinter einem Baum. Zaara tritt auf die Straße, als die Kutsche nah genug ist, winkt sie mit den Armen und bringt sie zum Stillstand.
„Entschuldigung, könnten sie mir weiterhelfen?", beginnt Zaara auf den grimmig schauenden Kutscher einzureden. Das ist unser Stichwort. Leise schleichen Willy und ich ans hintere Ende der Kutsche. Darauf bedacht, dass der Kutscher sich nicht umdrehe. Ich höre, wie Zaara weiter auf ihn einredet. Vorsichtig schiebe ich die Plane ein wenig beiseite. Zum Vorschein kommen alle möglichen Metallreste. Zu meiner Erleichterung sind nur drei Viertel der Ladefläche gefüllt. Schnell schiebe ich Willy hoch und husche, selbst auf. Dann ziehe ich die Plane wieder über uns. Genau in dem Moment setzt sich die Kutsche wieder in Bewegung.
„Einen schönen Tag, verehrter Herr", vernehme ich Zaara und ein lautes Schnaufen des Kutschers oder auch des Pferdes. Kurz darauf wird die Plane auf Seite geschoben und ich halte erschrocken die Luft an. Als ich Zaara spitzbübisches Lächeln sehe, atme ich erleichtert auf. Wir wussten, es ist riskant, die Kutsche anzuhalten. Zu dritt, zudem mit Willy, wäre es zu schwierig aufzuspringen. Zudem würden wir größere Gefahr laufen, gesehen zu werden.
Als wir am Tor stehen bleiben, halte ich wieder die Luft an und lege meine Hand über Willys Mund. Ein Stein fällt von meinem Herzen, als wir uns wieder in Bewegung setzten. Wir warten kurz, bevor Zaara hinaus lugt. Als die Luft frei ist, springen wir ab. Kurz schau ich der Kutsche hinterher. Aber dem Mann scheint nichts aufgefallen zu sein. Erleichtert atme ich auf und betrachte die Gegend.
Wieder überrascht mich, was ich sehe. Große Fabriken und mehrere mittelgroße Schmieden stehen dicht gedrängt. Der Rus hat die Steinwände bereits schwarz gefärbt und der Geruch von Rauch lässt meine Augen brennen. Hitze von den vielen Feuer lässt mich schwitzen. Das Geräusch von Metall, das auf Metall schlägt, lässt mich jedes Mal zusammen zucken.
Ein stark brennender Schmerz. Der Geruch von verbranntem Fleisch. Der Anblick von lodernden Flammen. Das Zischen von heißem Metall in Wasser. Der Geschmack von Blut.
In einem Moment werde ich von fünf Männern an allen Extremitäten festgehalten und ein heißes Eisen wird auf meinen ausgestreckten Arm gedrückt; im Nächsten werde ich zur Seite geworfen, als wäre nichts gewesen.
„Emmelin?", höre ich Zaaras besorgte Stimme und werde aus der Erinnerung gerissen. Meine Atmung geht schneller und auch mein Herz hat begonnen zu rasen. Ich spüre wie der Schweiß auf meine Stirn, nicht nur der Hitze zu verdanken ist. Ich brauche einen Moment, um das Gefühl der Hilflosigkeit und des Schmerzes abzuschütteln. Der Tag meiner letzten Auslese. Die zweite Linie von der ich dachte, dass sie für immer meine Haut schänden würde. Gedanken verloren streiche ich über die Stelle, an der einst das heiße Eisen auf meine Haut gedrückt wurde.
„Wir müssen deinen Bruder suchen? Hörst du? Ich weiß nicht, wie lange wir unentdeckt bleiben." Ich nicke ihr zu und setze ein mühevolles Lächeln auf. Die Geschehnisse, der Vergangenheit dürfen nicht meine Zukunft ruinieren.
*
Ich weiß nicht, wie viele Schmieden wir durchsuchen und immer wieder aufs Neue enttäuscht werden. Meine Beine schmerzen, mein Magen grummelt und auch Willy beginnt zu jammern. Müde lassen wir uns an einer Hausmauer nieder. Abseits von den Blicken, der Menschen und dem Trubel. Es arbeiten so viel mehr Menschen hier, als wir gedacht haben. Enttäuscht geht mein Blick nach oben und erst jetzt bemerke ich, dass die Sterne den Himmel übernommen haben. Helle Straßenlaternen und das Getümmel habe mich vergessen lassen, wie spät es ist.
„Was machen wir jetzt?", frage ich erschöpft und hoffnungslos. Ich habe immer noch dieses unerklärliche Gefühl in meinem Magen, dass heute etwas anders ist. Ich kann es einfach nicht deuten, was mich noch mehr frustriert.
„Wir haben noch nicht alles abgesucht", versucht mich Zaara aufzumuntern. Sie weiß so gut wie ich, dass wir ihn bereit übersehen haben können. Es sind einfach so viele Menschen hier, dass wir nicht jeden überblicken können. Tausende von Menschen und wir suchen einen.
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