Kapitel 14c
Der Tag verläuft überraschend schnell. Immer wieder frage ich Beynon nach Kian. Die Antwort bleibt dieselbe vom Vortag. Ich versuche zu erkennen, ob er mir etwas verheimlicht oder mich anlügt. Aber ich kann einfach nichts erkenne. Er ist ein besserer Lügner als gedacht. Auch meine Mutter verhält sich überraschend normal. Ob Leander schon mit ihr gesprochen hat?
Beim Mittagessen vermeide ich Blickkontakt zu Leander, aus Angst, Beynon könnte etwa bemerken. Dieses Mal wird er mich nicht erwischen. Kurz vor dem Abendessen, gelingt es mir das Sedativum, in Beynons Wasserglas zu schütten. Genau rechtzeitig, denn ich höre, wie sich die Tür hinter mir öffnet.
„Du bist schon da?", sagt Beynon fröhlich und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Das schlechte Gewissen plagt mich schon den ganzen Tag. Jedes Mal, wenn ich das Lächeln in seinen Augen sehe, versetzte es mir einen weiteren Stoß. Ich werde ihn heute Abend verlassen. Am Morgen einfach verschwunden sein. Und das Schlimmste, so auch Leander. Wie kann ich ihm das antun? Mein Blick geht zu dem goldenen Ring an meinem Finger. Es wird ihn zerstören. Aber ich muss es tun. Für Kian.
„Ist alles in Ordnung?" Beynons Frage reißt mich aus den Gedanken. Ich blicke schnell auf und lächle ihm entgegen.
„Ich mache mir Sorgen um Kian", sage ich, um meine Trauer zu erklären. Zu einem gewissen Punkt stimmt es.
„Emmelin, ich verspreche dir, ich finde heraus, was los ist. Dann sorge ich dafür, dass er zurückgebracht wird." Seine Worte klingen aufrichtig. Aber ich weiß, dass er lügt. Leander hat es mir gesagt. Ich nicke zur Bestätigung und blicke zu ihm.
Als er sein Wasserglas ansetzt, halte ich kurz den Atem an. Ob das Mittel einen Geschmack hat? Wird er es bemerken? Er setzt es ab, als sei nichts falsch und grinst zu mir. Die restliche Zeit sprechen wir über Verschiedenes, Kleinigkeiten meistens. Ich sehe Beynon an, dass er die Unterhaltung genoss. Doch mit jeder verstrichenen Minute wird sein Blick ernster, bis er dann gedrückt wirkt.
„Weißt du, wie ich dich damals auf deiner Flucht erwischen konnte?", fragt er plötzlich und mir bleibt der Atem stehen. Beinah verschlucke ich mich am Nachtisch und schaue ihm mit aufgerissenen Augen entgegen. Er weiß es! Brüllt mein Verstand panisch.
Ich schlucke und schüttele den Kopf, unfähig nur ein Wort zu sprechen. Zuerst hatte ich meine Mutter vermutete und dann Alistair. Als sich meine Vermutung als falsch herausstellte, fiel mir keine andere Option mehr ein und verschob die Frage in den Hintergrund.
„Ich konnte es dir ansehen. Konnte sehen, dass du etwas im Schilde führst. Als du am Dock auf den Händler von Merah trafst, änderte sich etwas in deinen Augen. Als hätte das Zusammentreffen dich aus einem Schlaf geholt. Dann erfuhr ich, dass das Schiff in zwei Tagen ablegen würde. Sie haben keinen Brief oder Nachricht von dir erhalten. Da konnte ich es mir denken. Und dann beim Abendessen. Die Trauer, die in deinen Augen stand, die du versuchtest, mit einem Lächle zu überschatten. Ich konnte dir ansehen, dass es eine Art Trauer ist, die nicht nur von der Anwesenheit hier verursacht wurde. Nein, es war die Art Trauer, die jemand verspürt, bevor er etwas verliert, dass einem wichtig ist." Er hält kurz inne und schaut mir tief in die Augen.
Wenn er es weiß, wird er uns stoppen. Kian wäre für immer verloren und das Vertrauen zwischen uns vernichtet.
„Denselben Ausdruck hast du jetzt in den Augen. Denselben Ausdruck wie damals. Habe ich dir etwas getan? Was habe ich falsch gemacht, Emmelin? Ich kann das Funkeln noch in deinen Augen sehen. Sehen, dass es noch nicht ganz erloschen ist." Eine Träne rollt über seine Wange und auch meine Augen beginnen zu brennen. „Willst du mich wirklich verlassen? Wirst du wirklich gehen? Ich kann dich nicht gehen lassen", sagt er mit zittriger Stimme und stemmt sich auf. Nicht bedrohlich, aber gepackt von Furcht. Ihm wird schwindelig und er muss sich am Stuhl halten.
„Emmelin?" So viel Schmerz und Enttäuschung bei der Erwähnung meines Namens habe ich noch nie gehört. Ohne zu zögern, springe ich auf und zerre ihn zum Bett. Das Sedativum beginnt zu wirken und ich habe Angst, dass er stürzt. „Weshalb?" Er hat größerer Schwierigkeit zu sprechen und streicht mir liebevoll übers Gesicht. Auch mir rollen Tränen die Wangen hinunter. Für einen Moment frage ich, ob ich das Richtige tue.
„Es tut mir leid", flüstere ich leise. „Ich muss es tun. Für Kian. Ich muss ihn retten, bevor ich ihn für immer verliere." Beynons Augen fixieren immer noch meine. Ich sehe wie stark er kämpft bei Bewusstsein zu bleiben.
„Verlass mich nicht." Sind seine letzten Worte, bevor sich seine Augen schließen. Eine letzte Träne fließt über sein Gesicht und er sackt in sich zusammen. Mit einem Schluchzen beobachte ich, ihm noch kurz, hauche ihm einen Kuss auf die Stirn und ziehe die Decke über ihn.
„Ich verlass dich nicht. Ich muss gehen, um Kian zu finden."
Nachdem ich mich beruhige, schnappe ich mir schnell einen Rucksack, packe das Buch, die Zeichnungen und ein paar Kleider ein. Ich habe noch nicht die Chance bekommen, die Nachricht von Kian zu lesen. Schnell schnappe ich mir Kleidung von Beynon, die auf der Flucht praktischer sein werden. Und dann warte ich; neben der Tür auf dem Boden, um nicht auf Beynon zu blicken.
Den Kopf in meinen Knien und wieder weinend, sitze ich da und warte. Warte, dass es Mitternacht schlägt.
Warte, dass Leander kommt.
Warte, dass sich das schlechte Gewissen, das mich übernimmt, abklingt.
Warte darauf, dass ich endlich Evrem verlassen kann.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro