Kapitel 10a
Obwohl ich erst spät zu Schlaf gefunden habe, wache ich mit den ersten Sonnenstrahlen, die durch das Fenster brechen, auf. Die Müdigkeit weicht, nachdem ich mich leise strecke. Beynon schläft noch tief und fest. Sein Haar liegt wild auf dem Kopf und in seinem Gesicht. Erst jetzt bemerke ich, dass er kein T-Shirt trägt, wie sonst. Weil er nicht wusste, dass du um Mitternacht vor seiner Tür stehen würdest, merkt mein Verstand an. Kurz erwische ich mich, wie mein Blick über seinen muskulösen Oberkörper geht.
Ich bleibe an einer großen Narbe an seiner Seite hängen. Sie ähnelt der, die ich damals bei Maisie gesehen habe. Aber ist größer und muss schmerzhaft gewesen sein. Als ich bemerke, dass ich auf seinen nackten Oberkörper starre, reiße ich mich von dem Anblick und schleiche durchs Zimmer. Die Tür quietscht leise. Ein Blick zu Beynon verrät mir, dass er weiterhin tief schläft. Er muss wirklich erledigt sein, im Gegensatz zu mir, hat er die letzte Nacht nicht geschlafen. Zurück in meinem Zimmer schnappe ich mir einen schwarzen Kapuzenpullover und eine leichte dunkelgraue Hose. Kein Grund für Kleider.
Kurz werfe ich noch einmal einen Blick zu Beynon. Er liegt weiterhin friedlich im Bett. Leise tapse ich die Stufen hinunter und über die Terrasse. Meine nackten Füße werden von dem Gras gekitzelt und der Morgentau fühlt sich frisch an. Obwohl es mich fröstelt, löst das Gefühl eine Wärme in mir aus. Ein Gefühl von grenzenloser Freiheit.
Vor dem See bleibe ich stehen und beobachte, wie die frühe Morgensonne in bunten Farben auf der Oberfläche tanzt. Das Zwitschern der Vögel und das Surren der Insekten erinnern mich an die Natur in Rim. Zu lange habe ich in Nima und in Palastmauern verbracht, sodass ich vergessen habe, wie es sich anfühlt in der Natur zu sein. Als es mir doch etwas zu kühl wird, gehe ich zurück zur Hütte.
Auf halber Strecke werde ich auf den Boden gerissen und jemand drückt mir schmerzhaft das Knie in den Rücken. Panisch versuche ich mich zu wehren und mein Herz beginnt zu rasen. Doch des Adrenalins, gelingt es mir nicht mich aus dem Griff zu lösen.
„Was machst du hier?", ertönt eine wütende, aber freundliche Männerstimme, als ich aufhöre mich zu wehren.
„Das könnte ich dich auch fragen?" Beynon hat gesagt, dass niemand außer uns hier ist.
„Du bist ein Mädchen", sagt die unbekannte Männerstimme erschrocken und ich spüre wie der Druck um meine Arme ablässt.
„Soweit ich weiß schon. Und du bist ganz schön schwer", sage ich sarkastisch, da mich noch nie jemand für einen Jungen gehalten hat. Der Mann springt von mir und der Druck auf meinem Brustkorb löst sich. Ich nehme einen tiefen Atemzug und drehe mich um. Vor mir, mit aufgerissenen Augen, stehen ein junger Mann im Alter von Beynon, kurzen dunklen Haaren und braunen Augen. Seine Kleidung ist einfach, aber sauber und sein muskulöser Körper beweist mir, dass ich nie eine Chance hatte. Als jemand etwas ruft, dreht der junge Mann sich in die Richtung. Kurz blickt er zu mir.
„Du solltest gehen, bevor dich jemand sieht. Glaub mir, hier willst du nicht einbrechen." Er läuft in die Richtung der Hütte und schenkt mir keine weitere Beachtung. Einbrechen? Ich brauche kurz, um zu verstehen, dass er mich für einen Dieb hält und muss darüber lachen. Ich lasse mich in das Gras falle. Der kleine Kampf war anstrengender als gedacht.
Als sich die Kälte wieder meldet, rappele ich mich auf und gehe zurück zur Hütte. Ein Korb mit frischem Gebäck und einer Thermoskanne mit heißem Kaffee, stehen auf dem Tisch, die vorhin noch nicht da waren. Er hat wohl das Fruchtstück gebracht, schlussfolgere ich aus der etwas untypischen Begegnung.
Nach einer Stunde ist immer noch keine Spur von Beynon und mein Magen beginnt zu grummeln. Ich gönne mir einen Schokoladen Muffin und eine Tasse Kaffee. Danach schaue ich mich etwas in dem Kaminzimmer um. Ein großes Bücherregal mit Unterhaltungsliteratur, Brettspielen und kleinen Bastelwerken. Eine große, einladende Couch und ein Gemälde an der Wand von Beynons Familie, das schon einigen Jahre alt ist. Verwundert betrachte ich den dritten kleinen Jungen auf der Leinwand. Beynon und Leander erkenne ich sofort, aber von einem weiteren Bruder weiß ich nichts. Auch im Palast habe ich ein Gemälde mit dem unbekannten Kind gesehen.
Gegen Mittag schleiche leise nach oben und finde Beynon immer noch schlafend vor. Weshalb ich wieder nach unten trete. Gerade als ich an der Vordertür vorbei gehe, höre ich ein Klopfen. Kurz halte ich es für Einbildung, aber als es erneut ertönt, öffne ich etwas unsicher die Tür. Wer würde uns den Besuchen kommen?
Vor mir steht der junge Mann vom Morgen und blickt mir genauso überrascht entgegen. In der einen Hand hält er einen Korb, in dem ich belegte Brote und andere Leckereien erkennen kann. In der anderen hält er einen Brief. Kurz begutachtet er meine Kleidung, die ich seit heute früh nicht geändert habe.
„Was machst du im Haus?", fragt er schockiert und etwas panisch. Würde ein Dieb die Tür öffnen? Frage ich in Gedanken bei seiner panischen Reaktion.
„Ich wohne hier – momentan - so zu sagen." Ich sehe, dass er über etwas nachgrübelt. Ich mache hier Flitterwochen, hört sich falsch an und diese Worte werden nie über meine Lippen kommen, auch wenn der junge Mann mich für einen Einbrecher hält.
„Ich dachte, alle Angestellten sollten fernbleiben. Aber ich denke, eine Prinzessin kann nicht auf ihre Hofdame verzichten", sagt er amüsiert und lockert sich etwas. Er hält mich für eine Hofdame, innerlich muss ich lachen. Ich habe nicht das Bedürfnis, ihn zu korrigieren. „Ich bin Gideon. Und für eine Hofdame wirkst du sehr unpassend gekleidet", sagt er und streckt mir seine Hand entgegen.
„Emmelin. Und für einen Verwalter, der sich seit Jahren um das Anwesen kümmert, wirkst du sehr jung." Beynon hat seinen Namen gestern erwähnt und er kommt mir gleich bekannt vor. Nur habe ich einen Mann, im Alter unsere Eltern, im Kopf. Etwas an seiner Art lässt mich auch auflockern. Kurz befürchte ich, dass er meinen Namen erkennt. Aber er zeigt keine Reaktion. Er kennt wahrscheinlich nicht den Namen der - Prinzessin.
„Nein, das wäre mein Vater. Gideon Senior. Emm... Also ich bringe das Essen für die zwei. Aber ich werde meiner Mutter sagen müssen, für drei zu kochen." Ich will ihn gerade aufklären, als er schon weiter spricht. „Und einen Brief für Prinz Beynon. Ist er hier?", fragt er, nachdem er mir den Korb reicht.
„Ja, aber er schläft noch." Ein schelmisches Lächeln legt sich auf sein Gesicht.
„Natürlich ist er noch im Bett", sagt er lachend, aber leise. „Immerhin sind das seine Flitterwochen. Die beiden verlassen wahrscheinlich kaum das Zimmer." Ich spüre wie mir die Röte ins Gesicht steigt bei seiner Andeutungen. Da mir das Thema unangenehm wird, wende ich meinen Blick von ihm ab und auf den Brief.
„Wenn du möchtest, gebe ich ihm den Brief später." Dankend nimmt er mein Angebot an und reicht mir den Brief. Sofort erkenne ich das königliche Siegel mit dem Löwen auf dem Umschlag. Der ist von seinem Vater.
„Eine Frage. Wie ist die Prinzessin so?" Verwirrt blicke ich von dem Brief zu den braunen Augen von Gideon. Als das Zuschlagen eine Tür, mich erschrocken herumfahren lässt. „Zeit zu gehen. Auf Wiedersehen, Emmelin", sagt er schnell, springt auf sein Pferd und reitet im nächsten Moment davon. Genau in dem Moment, als er am Horizont verschwindet, taucht Beynon am oberen Ende der Treppe auf.
„Guten Morgen", sagt er verschlafen und macht sich an den Abstieg. „Wer war das?" Er streckt seine Arme aus und das Knacken seiner Gelenke ist zu hören.
„Mittagessen." Ich lächle und halte den Korb hoch. „Und Post von deinem Vater", sage ich weniger fröhlich. Beynon schnappt sich den Brief, steckt ihn in seine hintere Hosentasche und packt den Korb.
„Gut. Ich bin am Verhungern", sagt er belustigt und geht in die Küche. Er beginnt die belegten Brote, Kuchen, Häppchen und sonst noch eine Vielfalt an Essen auf dem Tisch auszubreiten. Nachdem auch ich mich hinsetze, beginnt er hungrig eines nach dem anderen zu verschlingen. Ich bin froh, dass er den Vorfall von heute Nacht nicht anspricht. Schweigend genießen wir das köstliche Essen. Nach einer Weile starrt mich Beynon verwirrt an. Er fixiert etwas in meinem Gesicht. Ohne Vorwarnung streicht er mir sanft über die Schläfe.
„Du hast kleine Schnitte im Gesicht und Gras im Haar. Hast du dich heute früh durch die Wiese gerollt?" Er lacht und nimmt mir das Gras aus dem Haar. Kurz muss ich Schlucken. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, ihm von dem kleinen Vorfall zu berichten. Deshalb lass ich es sein und ändere das Thema.
„Was genau sollen wir hier machen?", frage ich, nachdem wir beinah das ganze Essen verputzt haben.
„Was immer wir wollen. Denke ich. Es gibt eine Menge Spiele, der Wald eignet sich perfekt zum Spaziergang oder wir können wieder an den See gehen." Ich kann ihm bereits ansehen, dass er genießt keine Termine und Pflichten zu haben. Mich jedoch irritiert die Abwesenheit von Aufgaben. Seit ich in Evrem bin, habe ich das Gefühl, nichts zu tun. Der Versuch, einen Fluchtweg zu finden, hat mich beschäftigt gehalten. Nach der Hochzeit hatte ich den Fluch, in den ich mich vertiefen konnte. Aber jetzt - hier. Nichts.
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