Kapitel 8
Bewegungslos lag Fiona Evans in der dunklen Zelle und lauschte dem Wasser, das irgendwo von der Decke auf den Boden tropfte. Sie wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, seit Liv zusammen mit dem Captain geflohen war.
Die Zeit hatte schon lange keine Bedeutung mehr für Fiona. In den ersten Wochen hatte sie noch die Tage gezählt, an denen Zayn kam, um sie ein Stück weiter zu brechen, doch irgendwann hatte sie selbst dieses letzte bisschen Hoffnung aufgegeben.
Sie zitterte nicht, obwohl die unbarmherzige Kälte jede Faser ihres Körpers ausfüllte. Die Kälte war ein Teil von ihr geworden, genauso wie der Schmerz und der lauernde Tod, der nur darauf wartete auf sie hinab zu stürzen. Fiona wusste nicht wieso sie überhaupt noch lebte.
Das Einzige, was sie daran hinderte sich nicht mit dem Dolch von Liv, den sie unter dem dunklen Umhang fest umklammert hielt, selbst das Leben zu nehmen, war die sanfte Stimme in ihrem Kopf, die immer wieder aufs Neue flüsterte: Halte noch ein bisschen durch, nur noch ein kleines bisschen...
Und Fiona tat, was die Stimme von ihr verlangte, wie sie es schon ihr ganzes Leben lang getan hatte. Diese Stimme war das Einzige, was Zayn ihr nicht nehmen konnte, was der König, dem sie nie begegnet war, ihr nicht nehmen konnte.
Fionas Gedanken schweiften zu der Frau, die noch vor kurzem in der Zelle neben ihr gesessen hatte. Liv war eine Gestaltwandlerin. Das hatte die Stimme ihr in dem Moment zugeflüstert, als Livs Augen ihre eigenen gefunden hatten. Fiona wusste nicht, weshalb der Captain Liv geholfen hatte zu fliehen, sie wusste noch nicht einmal, ob die Beiden es überhaupt geschafft hatten dem König und Zayn zu entkommen. Das Einzige, dessen Fiona sich sicher war, war, dass Liv etwas konnte, was sie selbst nie gekonnt hatte. Liv konnte noch kämpfen. Gegen den König und für das Volk der Gestaltwandler.
Ein leises Quietschen durchschnitt plötzlich die Stille und riss sie aus ihren Gedanken, doch ihr fehlte die Kraft auch nur mehr zu tun, als ihre Augen einen spaltbreit zu öffnen. Die Schritte von mehreren Personen hallten durch den Gang hinter der dicken Eisentür und das vertraute Licht einer Fackel flutete ihre Zelle.
„Wir wissen nicht, ob sie überhaupt noch am Leben ist, mein König" ,hörte sie die gedämpfte Stimme eines Mannes.
„Ich hoffe für euch, dass es so ist" ,erwiderte eine weitere männliche Stimme.
Fiona schauderte und Panik breitete sich in ihrem Körper aus. Sie wusste genau wer nun vor der dicken Eisentür ihrer Zelle stehen blieb. Ihr flacher Atem ging schneller, als sich der Schlüssel rasselnd im Schloss herum drehte und die Tür langsam geöffnet wurde. Das helle Licht der Fackel leuchtete ihr entgegen und sie blinzelte mehrmals, während sie den Dolch so fest umklammerte, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
Ein Mann, der in einen silbernen Umhang gekleidet war, trat in ihre Zelle. Das warme Licht der Fackel brachte die silberne Krone auf seinem Kopf zum Strahlen und auf seinem Gesicht erschien für einen kurzen Moment so etwas wie ein triumphierendes Lächeln, als sein Blick auf Livs Umhang fiel, den Fiona fest um ihren dürren Körper geschlungen hatte.
Langsam trat der König von Vasilias näher. Die zwei Soldaten und die drei Dienerinnen, die auf dem Gang stehen geblieben waren, schienen den Atem anzuhalten. Fiona war wie erstarrt, als der König sich zu ihr herunterbeugte und eine blonde Strähne aus ihrem blutverkrusteten Gesicht strich.
„Ich habe das Gefühl wir könnten Verbündete werden" ,flüsterte er beinah unhörbar, sodass nur Fiona es hören konnte. Sie hatte den Blick gesenkt und starrte auf die rauen Steine, auf denen sie lag. Ihr Atem ging immer noch stoßweise und verriet ihre Panik besser als alles andere.
Sieh ihn an! Schau hin! ,flüsterte in diesem Moment die Stimme in ihrem Kopf.
Fiona schluckte hörbar, doch sie hob langsam den Kopf und schaute dem König in die dunklen Augen. Niemals würde sie mit dem grausamsten Menschen, den sie kannte und sie kannte einige, gemeinsame Sache machen. Und trotzdem nickte Fiona.
Kräftige Arme schoben sich unter ihren dürren Körper und hoben sie mit Leichtigkeit hoch. Fiona zitterte und ihr traten Tränen in die Augen, als der Schmerz, den die Bewegung verursachte ihr Bewusstsein zum Wanken brachte.
Der Soldat, der sie gefolgt vom König und den Dienerinnen durch den dunklen Gang trug, achtete nicht auf ihre Wunden, die bei seinen groben Handgriffen wieder anfingen zu bluten.
Mit ihren dürren blutverschmierten Fingern zog Fiona den Umhang von Liv fester um ihren nackten Körper, während sie den Dolch so fest an ihren Bauch drückte, dass es wehtat.
Nach nur wenigen Schritten hatten sie die Eisentür erreicht und folgten einer Treppe nach oben in einen allzu bekannten von Fackeln beleuchteten Raum. Fionas Atmung ging schneller, als sie den mit silbernem Blut bedeckten Tisch und die Folterinstrumente sah, die ordentlich darauf platziert waren. Was Zayn alles mit ihr angestellt hatte, während sie wimmernd und hilflos auf dem Tisch festgebunden, häufig mit Dolchen in Händen und Füßen, dagelegen hatte. Das meiste verschwamm in einem Nebel aus Dunkelheit und die klaren Erinnerungen kamen nur in ihren dunkelsten Albträumen hervor, die sie immer wieder plagten, wenn sie auf den kalten Steinen erschöpft eingeschlafen war.
Der König bedachte sie mit einem wachsamen Blick, bei dem Fiona das Gefühl hatte, als könnte er bis zum Grund ihrer Panik blicken, bevor er mit langen Schritten vorausging und die Soldaten und Dienerinnen sicher durch das Labyrinth aus Gängen mit den angrenzenden Zellen leitete, aus denen man immer wieder ein schmerzerfülltes Stöhnen oder verzweifelte Rufe hören konnte.
Um nicht auf die roten Blutspuren zu achten, die sich immer wieder über den steinernen Boden zogen, starrte Fiona auf den Rücken des Königs. Die Stimme in ihrem Kopf hatte gewusst, dass der König kommen würde, sonst hätte sie Fiona wohl kaum dazu gedrängt zu warten. Doch jetzt war sie stumm, so als wüsste sie genauso wenig wie Fiona selbst, wieso der König sie nach dieser langen Zeit aus den Zellen heraus geholt hatte.
Sie hörte seine Worte immer noch in ihrem Kopf. Verbündete... Von allem was sie bis jetzt über den König von Vasilias wusste, passte dieses Wort am wenigsten zu seiner Persönlichkeit. Er verabscheute Gestaltwandler wie sie, hatte nicht gerade wenige mit eigener Hand getötet und veranstaltete jedes Jahr das feierliche Fest, das er die Jagd genannt hatte. Die Jagd auf Gestaltwandler, an denen sich nicht nur seine vielen Soldaten beteiligten sondern auch der blutrünstige Teil der menschlichen Bevölkerung, die aus Spaß mit ihren eigenen Schwertern auf die Suche nach silbernem Blut gingen. Für die Gestaltwandler, die immer noch im Verborgenen lebten bedeuteten diese Tage die reine Angst, denn es waren kaum noch welche von ihrem Volk übrig, die bereit dazu waren sich gegen die Menschen aufzulehnen und gegen sie zu kämpfen.
Fiona hatte es bis kurz nach ihrem fünfzehnten Geburtstag geschafft im Verborgenen zu leben, wie ihre Mutter es im Sterben von ihr verlangt hatte. Obwohl dieser schreckliche Tag schon über zehn Jahre her war, sah Fiona die Bilder ihrer menschlichen Mutter vor ihrem inneren Auge, als wäre es erst gestern gewesen. Wie sie sie angelächelt hatte, wie der Schweiß über ihre Stirn gelaufen war und ihre verschmutzten Kleider getränkt hatte, wie sie Fionas Namen sagte, bevor ihr Blick starr wurde, von den dramatischen Folgen der Krankheit in die Knie gezwungen.
Fiona hatte genau das getan, was ihre Mutter ihr aufgetragen hatte. Sie hatte ihre Gestaltwandlergabe geheim gehalten, hatte für den Besitzer ihrer Mutter stumm das Haus gereinigt und gekocht, bis er sie wegen ihrer Schönheit an einen Bauern als Ehefrau verkaufte. Danach war ihr Leben bergab gegangen und ihre damalige Schönheit hatte Zayn durch die vielen Wunden, Narben und Knochenbrüche, die ihren Körper säumten, ebenfalls gänzlich zerstört.
Sie blickte auf, als der König vor einer weiteren großen Tür stehen blieb und drei mal gegen das kalte Eisen klopfte. Einen Moment später hatten zwei weitere Soldaten von außen die Tür geöffnet und ließen sie hindurch. Die Körper der Männer waren angespannt, während sie vor dem König leicht den Kopf neigten, der sie nicht eines einzigen Blickes würdigte.
Sie folgten einer letzten steinernen Treppe, die sie in einen prunkvollen von Kronenleuchtern beleuchteten Korridor führte. Mit großen Augen betrachtete Fiona die goldenen Wände und den roten Teppich, dem sie nun folgten.
Damals als sie gefasst und in den Palast von Vasilias verschleppt worden war, hatte sie kaum etwas von der prunkvollen und beeindruckenden Innenausstattung der Korridore mitbekommen. Einer der Soldaten hatte sie kurz vorher bewusstlos geschlagen und sie war erst wieder in der dunklen Zelle zu sich gekommen.
Staunend musterte Fiona die hohen Bogenfenster, die den Blick auf die vielen Lichter der Stadt enthüllten. Die Nacht hatte sich bereits auf das Land hinab gesenkt und nur noch ein leichter dunkelroter Schimmer erhellte den westlichen Horizont. Sterne leuchteten blass am Himmel und ein paar Wolken verdeckten den aufsteigenden Mond.
Wann hatte sie das letzte Mal die Sterne gesehen, den Mond oder gar eine andere Art von Licht, als das der Fackeln an den Kerkerwänden?
Trotz der Schmerzen, trotz des Königs, der immer noch vor ihr ging, trotz der vielen Wochen, die sie im Kerker verbracht hatte, spürte Fiona wie Hoffnung durch ihren Körper strömte. Sie konnte wieder die Sterne sehen! Welchen größeren Grund gab es da noch endlich wieder zu hoffen?!
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