Kapitel 39
Vier endlose Tage war Fiona jetzt schon in ihrem Gemach eingesperrt. Sie hatte keine weitere Chance mehr gehabt Robin zu suchen, geschweige denn mit ihm zu sprechen, denn die Wachen ließen sie nicht mal in ihrer oder Crows Begleitung vor die Tür.
Fiona hatte gehört, wie Crow mit den Wachen diskutiert hatte, doch sie waren stur geblieben. Sie bestanden darauf, dass sie nur die Befehle des Königs befolgten und wenn das stimmte, graute es Fiona vor seiner Rückkehr. Was würde er zu ihrem kleinen Ausflug sagen? Sie war, laut ihm, seine Verbündete, was bedeutete, dass er sie nicht zurück in die Kerker werfen konnte, wenn er sein Wort halten wollte.
Trotzdem hatte Fiona Angst und auch wenn Crow sie jeden Tag besuchte und ihr sagte, dass schon nichts passieren würde, war da dieser Teil in ihr, der vor Angst und Verzweiflung weinen wollte. Es war der Teil, der ein junges Mädchen geblieben war. Der Teil, der immer noch vor jedem Grauen zurück schreckte, egal wie viel davon sie schon erlebt hatte. Ihr Leben wurde nicht besser und in den letzten Tagen hatte Fiona immer häufiger der Gedanke beschlichen, dass die Götter sie vielleicht im Stich gelassen hatten.
Sie war noch nie etwas Wert gewesen, hatte noch nie jemandem etwas bedeutet, abgesehen von ihrer toten Mutter. Sie war immer nur das verletzliche ängstliche Mädchen, das niemand brauchte.
Fiona, du bist wichtig! Du bedeutest mir etwas! Ich brauche dich! ,hörte sie die mitfühlende Stimme in ihrem Kopf.
Du bist nur eine Stimme! Du hast keinen Körper! Du lebst nicht auf dieser Welt, sondern nur in meinem Kopf!
Aber ich habe mal auf dieser Welt gelebt, Fiona! Ich hatte einen Körper, einen Namen, eine Bestimmung! ,antwortete die Stimme fast so verzweifelt, wie Fiona selbst es war, Du darfst nicht die Hoffnung verlieren. Nicht jetzt! Warte nur noch ein bisschen...
Das Gleiche hast du schonmal gesagt und dann kam der König und hat mich in eine Hölle geführt, die noch viel schlimmer, als der Tod ist.
Jeder Held muss leiden und dabei darf er niemals die Hoffnung verlieren. Sonst wird er zum Feigling oder zum Feind! ,sagte die Stimme leise und eingehend.
Fiona wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, die stumm ihre Wangen hinunter gelaufen waren und löschte die Wut und die Verzweiflung. Sie war keine Heldin, doch ein Feigling oder der Feind war sie auch nicht. Es gab immer Hoffnung und selbst wenn der König mit Liv oder dem Captain zurück kehrte, würde Fiona einen Weg finden ihnen zu helfen. Ob allein oder mit Robins Hilfe, sie würde vor dem König fliehen und so lange nach einem Leben ohne Grauen suchen, bis sie es gefunden hatte.
In diesem Moment hörte Fiona eine Fanfare erklingen. Schnell eilte sie zu einem der Bogenfenster und riss es auf. Kalte Winterluft wehte herein und sie verschränkte schützend die Arme vor der Brust, als sich Schneeflocken in ihrem blonden Haar verfingen.
Angestrengt suchte Fiona die Straßen der Stadt unter ihr ab. Sie sah, wie Menschen in die Richtung des südlichen Stadttors liefen und sich dort an der Straße zum Palast zusammen drängten. Fiona kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen und nur wenige Momente später ritt eine Gruppe Reiter durch das Tor. Der Umhang des Anführers stach ihr sofort silbern ins Auge. Der König war zurück gekehrt!
Fiona schluckte die Angst hinunter und zwang sich die anderen Reiter zu mustern. Soldaten! Es würde sie nicht wundern, wenn Zayn einer von ihnen war. Erneut schluckte Fiona die aufsteigende Angst hinunter, gerade als der letzte Soldat durch das Tor ritt, gefolgt von einer Person, die an einer Kette um ihren Hals hinter dem Pferd hergezogen wurde. Es war eine Frau, eine Frau mit beinah weißem Haar. Liv!
Fiona ballte ihre Hände so fest zu Fäusten, dass es weh tat. Sie hatte es befürchtet! Selbst die Stimme in ihrem Kopf, schien bei Livs Anblick angsterfüllt zu schweigen. Das war der leibhaftige Beweis dafür, dass der König wahnsinnig war. Um so mehr erschreckte es Fiona, als der Wind den Jubel der Menschen zu ihr hinauf wehte. Zu was war diese Welt bloß geworden?!
Plötzlich klopfte es an der Tür und Crow trat lächelnd ein. Sie hatte ein silbernes Kleid über einen Arm gelegt, während sie mit der anderen Hand die Tür hinter sich schloss. Ihre Augen huschten durch den Raum und sahen Fiona an dem geöffneten Fenster stehen.
„Der König ist zurück" ,sagte die schwarzhaarige Dienerin ein bisschen zu euphorisch für Fionas Geschmack, doch sie nickte bloß zur Antwort.
Crow legte das Kleid auf ihrem Bett ab, bevor sie zu Fiona trat und das Fenster schloss. Dann legte Crow ihr die Hände auf die Schultern und schaute sie eingehend an.
„Der König wird dafür sorgen, dass diese Wachen zur Vernunft kommen und dann wird alles besser" ,sagte sie voller Hoffnung.
Fiona wollte ihr glauben, doch sie konnte es nicht. Der König war wieder in ihrer Reichweite, um jeden ihrer Schritte zu beobachten und er hatte Liv gefangen genommen. Die stärkste Person, die Fiona je getroffen hatte, wenn auch nur kurz.
Crow deutete auf das Kleid. „Ich helfe dir beim Ankleiden und danach wirst du vom König in der Eingangshalle erwartet" ,erklärte sie ernst.
Dann fügte sie leise hinzu: „Du schaffst das, Fiona! Das weiß ich."
Fiona ließ sich von Crow in eine Umarmung ziehen, während sie das silberne Kleid auf ihrem Bett angewidert anstarrte. Es würde noch schlimmer werden, bevor es überhaupt eine Chance auf Besserung geben würde.
~
Liv zwang sich sich gerade zu halten und herausfordernd in die Gesichter der jubelnden Menschen zu schauen, während sie stolpernd versuchte mit Zayn und seinem Hengst Schritt zu halten. Ihre Kleidung war zerrissen und die Kälte drang unerbittlich auf sie ein. Ihre Knie waren aufgeschürft, silbernes Blut klebte in ihrem Gesicht von der Wunde, die Zayn ihr zugefügt hatte und ihr Kopf dröhnte noch immer von der langen Bewusstlosigkeit.
Sie hatte naiver Weise gedacht ihr Onkel würde niemandem sagen, wer sie war, würde es für sich behalten, doch er posaunte seinen Triumph in die Welt hinaus, als hätte er einen zweiten Krieg gewonnen.
Liv hatte auch gedacht es würde einfach werden. Ein langer Weg zu Fuß oder bewusstlos auf einem Pferd und danach ein paar Tage Kerker und Demütigung, bevor sie mit Fiona fliehen konnte. In dem Moment, wo sie vor einem Tag wieder zu Bewusstsein gekommen war, hatte sie gewusst, dass sie sich auch in dieser Hinsicht geirrt hatte.
Ein eiserner Ring, der dem des Reifs um den Skeletthals ihres Vaters gefährlich ähnlich sah, lag seit dem um ihren Hals. In die Innenseite des Rings hatte man kleine Nadeln gefasst, die ihre Haut durchbohrten, jedoch weder Blut, noch wirkliche Schmerzen hervor riefen. Als sie aufgewacht war, hatte sie in Panik und Angst versucht den Reifen zu entfernen, die Nadeln aus ihrer Haut zu ziehen, um das beklemmende Gefühl loszuwerden, dass jeder Atemzug ihr letzter sein könnte, doch die Worte von Kieron hatten sie gestoppt.
„Verwandelst du dich in eine größere Gestalt, wird der Ring dich erwürgen. Verwandelst du dich in eine kleinere Gestalt, werden die Nadeln deinen Hals aufschlitzen. Daran zu ziehen ist nutzlos. Solange du lebst, wirst du den Ring nicht loswerden" ,hatte er selbstgefällig gesagt und dieses Grinsen, das nur zu seiner wahren Gestalt passte, war auf seinem Gesicht erschienen.
Liv hatte nicht versucht die Worte des Königs auf die Probe zu stellen. Stattdessen hatte sie dem König vor die Füße gespuckt und trotzig geantwortet: „Ich brauche keine Klauen oder Reißzähne, um dich zu töten."
Vielleicht nicht, doch um zu fliehen brauchte sie sie umso mehr. Kieron wusste das, denn er hatte bloß herablassend auf sie hinab geschaut und danach Zayn befohlen den Ring mit einer Kette am Sattel von Zayns Hengst zu befestigen.
Sie waren den ganzen Tag und die ganze Nacht durchgeritten, bis beim Morgengrauen Vasilias am Horizont zu erkennen war und Liv war die ganze Zeit gezwungen gewesen wie ein Hund hinter Zayn herzulaufen. Sie war nicht nur einmal auf das unbarmherzige Kopfsteinpflaster gestürzt und hatte sich ihre Knie und Schienenbeine aufgeschlagen, doch jedes Mal hatte sie die Tränen des Schmerzes zurück gedrängt, Zayns provozierende Kommentare ignoriert, war aufgestanden und weitergegangen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so hilflos gefühlt! Trotzdem bereute Liv nichts! Nicht, dass sie für Fiona ihre Freiheit aufgegeben hatte. Nicht, dass sie den König und Zayn provoziert hatte. Und ganz sicher nicht, dass sie dem Lord von Amyr auf die Stiefel gekotzt hatte.
Der einzige Hoffnungsschimmer, den Liv immer und immer wieder in ihren Gedanken wiederholte, war, dass Kilian in Sicherheit war. Er würde fliehen und ein Leben leben können ohne Folter und ohne einen frühzeitigen Tod.
Diesen Gedanken wiederholte Liv in ihrem Kopf, während sie einen Fuß vor den anderen setzte, den Kopf hoch erhoben. Eine Königin, das war sie! Und sie würde nicht kampflos aufgeben, nicht ohne das Leben so vieler Unschuldiger wie möglich zu retten.
Liv taumelte kurz, als jemand aus der Menge einen Stein nach ihr warf, der schmerzhaft ihre Schulter traf. Kurz darauf flogen weitere Steine auf sie zu, gefolgt von Beleidigungen, die die Menschen ihr entgegen schleuderten, wenn sie an ihnen vorbei stolperte. Sie wich so gut es ihr geschundener und erschöpfter Körper zuließ den Steinen aus, doch mehrere trafen sie an den gefesselten Armen, die sie schützend vor ihr Gesicht gelegt hatte und einer, geworfen von einem kleinen Jungen, traf ihren Hinterkopf so hart, dass sie schwarze Flecken vor ihren Augen sah. Sie fasste sich an den Hinterkopf und schon spürte sie das Blut an ihren verdreckten Fingern. Das Monster in ihr wollte um sich schlagen, jeden töten, der in ihrer Nähe war, doch ihr Verstand wusste, dass es sinnlos war.
Liv atmete beinah erleichtert aus, als sie den Platz vor den riesigen goldenen Toren des Palastes nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten und Zayn und die anderen Soldaten von ihren Pferden absaßen. Benommen beobachtete Liv, wie Zayn die Kette von seinem Sattel löste und sie stattdessen um ihre zitternden Hände wickelte, die sie danach kaum noch heben konnte. Mehrere Diener brachten die Pferde in die Richtung der Ställe, bevor Kieron ihr einen kurzen Blick zuwarf und Zayn leicht zu nickte. Dieser zog sein Schwert und drückte ihr die Spitze der Klinge in den Rücken, sodass es wehtat.
„Vorwärts!" ,befahl er laut und sie setzte sich langsam in Bewegung.
Die Soldaten schlossen sich ihnen an und der König reihte sich neben ihr ein, als sie die riesigen Flügeltüren passierten und in den prunkvollen Palast traten. Adlige und Wachen erwarteten sie vor der großen Treppe, die in den Thronsaal führte.
Kieron deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf ein Mädchen in einem silbernen Kleid, das gerade die Treppe hinunter ging. „Nun Königin von Eletheria, willkommen in Vasilias!" ,sagte er so leise, dass nur sie es hören konnte, „Darf ich dir meine Verbündete und zukünftige Königin dieses Reiches vorstellen?"
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