Kapitel 36
Die Tage verstrichen und weder Fionas größte Gefahr, noch ihre größte Hoffnung tauchten auf. Selbst Crow wusste nicht, wie lange der König auf der Jagd sein würde und keine Nachricht oder Robin selbst fanden irgendwie ihren Weg zu ihr. Was war, wenn er sich entschieden hatte, ihr nicht zu helfen, das Risiko nicht auf sich zu nehmen? Sobald der König wieder auftauchen würde, würde ihre Flucht zum nahezu Unmöglichen werden. Und dann war da noch die Sorge um Liv und den Captain. Hatte der König sie bereits gefunden? Hatte er sie getötet oder brachte er sie bereits nach Vasilias?
Die Stimme in ihrem Kopf blieb stumm, als wäre sie beleidigt und die Ungewissheit plagte Fiona, während sie, mal allein, mal mit Crow an ihrer Seite, durch das Schloss streifte. Die Wachen, die auch vor ihrer Zimmertür patrouillierten, wichen ihr dabei nicht einmal von der Seite, doch ihre Gesichter wurden von Tag zu Tag genervter und gelangweilter. Sie mussten strenge Befehle vom König erhalten haben, wenn sie immer noch gewissenhaft ihrer Arbeit nachgingen, obwohl der König nicht vor Ort war und sie keine Ahnung hatten, was sie war.
Auf Fionas Lippen erschien ein wissendes Lächeln, als sie um eine Ecke bog und der Treppe in die Eingangshalle folgte. Diener und Wachen wuselten umher und brachten neue Vorräte von draußen herein, um sie dann ein Stockwerk tiefer in die riesige Küche des Palastes zu bringen. Niemand nahm Notiz von Fiona, als sie den Fuß der Treppe erreichte und zwischen den Menschen verschwinden wollte.
„Miss! Wir sollten lieber umkehren" ,ertönte plötzlich die Stimme einer ihrer Wachen hinter ihr.
Innerlich fluchte sie, bevor sie mit hoch erhobenem Kinn antwortete: „Laut dem König, darf ich mich im Schloss frei bewegen. Das schließt auch diese Halle mit ein!"
Der Mann knirschte mit den Zähnen und sie konnte sehen, wie er versuchte seine aufgestaute Wut zu unterdrücken. Fiona hielt seinem Blick herausfordernd stand.
„Der König wird nicht sehr erfreut sein, wenn er hört, dass seine Wachen sich fürchten ein unschuldiges Mädchen in einer vollen Eingangshalle zu verlieren" ,fügte sie mit hochgezogenen Brauen hinzu.
Der Mann zog scharf die Luft ein und wollte schon nach ihrem Arm greifen, als die andere Wache ihn zurück hielt. „Sie hat Recht!" ,zischte er leise, „Der König ist ihr sehr zugetan. Eine Beschwerde würde uns in ungewollte Schwierigkeiten bringen, an die ich lieber nicht denken möchte."
Die Wache, die immer noch einen Arm nach ihr ausstreckte, murmelte ein genervtes: „Na gut!"
Fiona nickte den beiden ernst zu, auch wenn sie am liebsten triumphierend gegrinst hätte und schlängelte sich zwischen den geschäftigen Menschen hindurch. Der König war wirklich ein nützliches Druckmittel. Sie konnte immer wieder nur bewundern, wie stark doch die Kraft der Worte war, doch um aus dem Palast zu fliehen brauchte sie mehr als das.
Hoffnungsvoll musterte sie die Gesichter der Diener und Küchenhilfen, die an ihr vorbei liefen, doch nirgendwo tauchten die auffälligen grünen Augen von Robin auf. Sie warf einen Blick über die Schulter. Die beiden Wachen hatten durch ihre Größe und vor allen Dingen Breite Schwierigkeiten mit ihr Schritt zu halten und rempelten immer wieder andere Menschen an. Der Mann, der sie gerade noch festhalten wollte, brüllte einem Diener hinterher, er solle gefälligst aus dem Weg gehen, woraufhin der andere ihrer Wachen damit beschäftigt war eine Prügelei zu verhindern.
Männer waren manchmal ganz schöne Hitzköpfe, doch in diesem Moment nutzte Fiona diese Eigenschaft zu ihrem Vorteil. Flink tauchte sie in der Menschenmenge unter, die auf dem Weg in die Küche war und noch bevor die Wachen auch nur ahnen konnten, was sie vor hatte, war sie die Treppe hinunter gelaufen und folgte einem breiten Gang.
Die Wände waren von dem prunkvollen Gold zu grauen kalten Steinen gewechselt und Fiona rieb sich leicht die Arme, als die Kälte unter ihr dünnes blaues Kleid wanderte. In den unterirdischen Gängen des Schlosses, die größtenteils für das Personal gedacht waren, war sie bis jetzt noch nie gewesen und so folgte sie einfach dem Strom der Menschen. Mehrere Türen gingen von dem Gang ab und das Geklapper von Pfannen hallte ihr in den Ohren. Sie musste kurz vor der Küche sein.
Konzentriert musterte sie erneut die Gesichter der Menschen, die ihr entgegen kamen und die sie aus einer Mischung von Neugierde und Misstrauen betrachteten, bevor sie schweigend an ihr vorbei gingen. Sie musste aussehen wie eine Adlige, die sich verlaufen hatte.
Gerade wollte sie umkehren, als ihr ein Junge mit blonden Haaren auffiel, der mit gesenktem Kopf auf sie zu kam. Konnte es Robin sein? War er tatsächlich gekommen, um ihr... Plötzlich packte sie jemand grob am Arm und zog sie zur Seite.
Sie hätte wohl laut aufgeschrien, hätte die Stimme in ihrem Kopf nicht im selben Moment gesagt: Sei still, Fiona!
Der Schrei blieb ihr im Hals stecken und sie drehte sich panisch um. Es war die Wache, die gerade noch beinah eine Prügelei angezettelt hatte. Die Gesichtszüge des Mannes hatten sich verhärtet und seine Nasenflügel bebten vor Wut.
„Nicht so schnell, Miss!" ,flüsterte er ihr ins Ohr und ein Schauer lief ihr über den Rücken.
Sie konnte seinen stinkenden Atem an ihrem Nacken spüren und eine seiner Hände schlang sich um ihre Taille. Sie war schon mal von jemandem in ihrem Leben so angefasst worden... Bilder stiegen in ihr hoch und ihre Atmung ging schneller.
Ruhig, Fiona! Bleib ruhig! Er darf dir nichts antun. Es würde ihn sein Leben kosten ,hörte sie die Stimme in ihrem Kopf energisch sagen.
Panisch versuchte sie ihr Zittern zu unterdrücken und die Tränen zurück zu drängen, die in ihre Augen stiegen. Sie durfte es nicht! Sie durfte nicht zeigen, wie schwach sie war, wie einfach man sie verängstigen konnte.
In diesem Moment vernahm sie eine Stimme wie von weit entfernt: „Lassen sie sie los!"
Langsam öffnete sie die Augen, die sie zugedrückt hatte, während die Wache hinter ihr anfing laut zu lachen. „Du hast mir gar nichts zu sagen, Küchenhilfe!" ,sagte er schnaubend.
Unfähig sich zu bewegen, beobachtete Fiona, wie Robin auf sie zu kam und nun lauter wiederholte: „Ich sagte, sie sollen sie loslassen!" Einige Diener warfen ihnen verängstigte Blicke zu, doch niemand blieb stehen, um Robin zu unterstützen.
Er war hier! Er war gekommen, um ihr zu helfen! Eine Blüte der Hoffnung, die noch vor kurzem verwelkt war, erwachte in ihr erneut zum Leben und nun musste sie die Tränen der Freude unterdrücken, die über ihre Wangen laufen wollten.
„Verschwinde aus dem Loch, aus dem du hergekommen bist" ,spuckte die Wache Robin ins Gesicht, während Fiona versuchte Robins Blick aufzufangen und gleichzeitig nach dem Dolch an ihrem Oberschenkel zu tasten.
Er ahnte wohl, was sie vorhatte, denn er erwiderte ihren Blick und schüttelte unmerklich den Kopf, bevor er wieder die Wache anguckte und erneut verlangte: „Lassen sie sie los! Sie hat ihnen nichts getan!"
Fiona schielte zu dem Mann hinter ihr. Er verdrehte die Augen bei Robins Versuchen ihr zu helfen. „Du wiederholst dich, Junge." ,schnaubte er beinah amüsiert.
Angespannt beobachtete Fiona, wie sich Robins Hände zu Fäusten ballten. Diesmal war sie es, die unmerklich den Kopf schüttelte. Wenn er handgreiflich werden würde, wäre ihre Flucht im Eimer, noch bevor sie überhaupt begonnen hatte. Sie würden Robin nicht glauben, sondern ihn in einen Kerker stopfen oder direkt umbringen. In den Augen der Wache war er nicht mehr wert, als eine Fliege, doch für Fiona war er momentan die einzige Chance, die sie hatte.
Robin öffnete den Mund, um vermutlich etwas ganz Dummes zu sagen, als plötzlich eine bekannte Stimme ertönte: „Nehmen sie die Finger von ihr, Aaron oder ich erzähle ihrer Frau, dass sie das Monatsgehalt am Pokertisch verloren haben."
Crow war neben Robin aufgetaucht. Sie hatte die Arme vor dem Körper verschränkt und musterte die Wache herausfordernd, der sie im selben Moment los ließ. Überrascht stolperte Fiona vorwärts, während sie versuchte ihr Gleichgewicht wieder zu erlangen. Hätte Crow sie nicht reflexartig am Arm gepackt, wäre sie wohl der Länge nach auf dem Boden gelandet.
Dankend nickte sie der schwarzhaarigen Dienerin zu, bevor sie ihren Blick zurück auf die Wache richtete. Der Mann starrte Crow aus vor Wut zusammengekniffenen Augen an, doch er machte keine Anstalten näher zu kommen.
„Sie können jetzt gehen!" ,sagte Crow zu ihm, „Ich werde ab hier Fiona weiter geleiten." Der Mann schnaubte wiederwillig, doch er tat, was Crow von ihm verlangte und wandte sich zum Gehen.
Bevor er jedoch in der Menge verschwand, rief Crow ihm noch etwas hinterher: „Ach ja! Und wenn sie sich nochmal an meiner Freundin vergreifen, wird es nicht mehr bei leeren Drohungen bleiben." Der Mann tat so, als hätte er sie nicht gehört, doch Fiona erkannte an seinen Händen, die sich wütend zu Fäusten geballt hatten, dass er genau wusste, dass er gerade von einer Dienerin hereingelegt worden war.
Ein breites Grinsen hatte sich auf ihr Gesicht gelegt, als sie sich zu Crow umdrehte. „Danke... Freundin?!" ,sagte sie leise. Das Wort fühlte sich seltsam auf ihrer Zunge an, doch bei dem Lächeln, das Crow ihr zuwarf, erwärmte sich ihr ganzer Körper. Eine Freundin... Crow war ihre Freundin. Ein wenig überschwänglich schlang Fiona ihre Arme um sie und drückte sie an sich.
Nach einem kurzen Moment erwiderte Crow ihre Umarmung, während sie in ihr Haar flüsterte: „Wenn du nicht mit Waffen kämpfen kannst, dann bereite dich darauf vor es mit Worten zu tun, Fiona. In dieser Welt darfst du niemals hilflos sein. Hast du das verstanden?"
Fiona nickte in Crows Halsbeuge, als ihr plötzlich auffiel, dass Robin verschwunden war. Überrascht löste sie sich von Crow und hielt suchend nach seinen blonden Haaren Ausschau. Nichts!
Der Junge ist schlauer, als ich gedacht hatte ,hörte sie plötzlich die Stimme in ihrem Kopf sagen und sie runzelte nachdenklich die Stirn.
„Wer war der Junge, der dich verteidigt hat? Irgendwie kam er mir bekannt vor" ,fragte Crow sie interessiert, während sie sich in Bewegung setzten und die nächste Treppe zurück in die oberen Gänge des Schlosses nahmen.
Sag es ihr nicht! , verlangte die Stimme augenblicklich in ihrem Kopf.
Warum nicht? Sie ist meine Freundin!
Sag es ihr nicht!
Fiona hörte auf die Stimme und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen" ,sagte sie gespielt nachdenklich.
Crow nickte langsam. „Wenn er mir nochmal über den Weg läuft, werde ich ihm in deinem Namen danken" ,erklärte sie lächelnd.
Fiona nickte zustimmend, während sie sich fragte warum bei den Göttern die Stimme nicht gewollt hatte, dass Crow die Wahrheit erfuhr. Crow würde sie nicht verraten! Niemals!
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